Wir leben in interessanten Zeiten – und geht man von der Verwendung dieses Begriffs in fernöstlicher Tradition aus, so muss das nicht unbedingt erfreulich sein. Die Redewendung „Mögest Du in interessanten Zeiten leben“ ist der Überlieferung nach als chinesischer Fluch bekannt. Die „interessanten Zeiten“ können Fortschritt und Bedrohung bedeuten – von beidem gibt es derzeit reichlich.

Durchaus interessant ist beispielsweise der rasant fortschreitende Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in beinahe allen Lebensbereichen und offenbart hier besonders deutlich potenziellen Fluch und Segen dieser Werkzeuge. Die Medizin kann sich die Vorteile für eine bessere Patientenbetreuung, für exaktere Diagnosen und Prognosen, präzisere pharmakologische ebenso wie chirugische Therapien und die raschere Verfügbarkeit von Informationen über den Patienten zunutze machen. Vermieden werden sollten Nachteile wie die zu starke Konzentration auf die maschinengenerierten Informationen, die Vernachlässigung der Betrachtung des Patienten als Menschen mit ganz spezifischen Bedürfnissen und ganz generell sollten das eigene Denken und die eigene Urteilskraft hinter den digitalen Daten nicht zurückstehen.

Umgang mit ChatGPT & Co

Das seit relativ kurzer Zeit in vielen Diskussionen im Mittelpunkt stehende digitale Dialogsystem ChatGPT ist zweifellos eine interessante Entwicklung, deren Folgen sich heute ebensowenig abschätzen lassen wie die nächsten Fortschritte auf dem Gebiet. Zweifellos ist es besonders für Menschen, für die das Verfassen von Texten eine Qual ist, die aber nicht zuletzt durch die zunehmende Standardisierung und Qualitätssicherung vor allem im Beruf zu einer gewissen Dokumentation verpflichtet sind, eine wesentliche Erleichterung, sich anhand von Eckinformationen in dieser Aufgabe unterstützen zu lassen. Reine Nachrichten in Tageszeitungen und Magazinen könnten schon bald von derartigen selbstlernenden Programmen verfasst werden.

Auch die Erstellung eines wissenschaftlichen Artikels als Bericht über die eigene Forschung könnte letztlich von ChatGPT in eine ansprechende Form gebracht werden, wobei die Qualität nicht zuletzt von der Qualität und der Aussagekraft der zur Verfügung gestellten Daten abhängig ist. Von Diplomarbeiten und Dissertationen ganz zu schweigen. Einerseits ergeben sich hier Fragen des Urhebers, weshalb sowohl Juristen als auch Ethiker sich dieses Themas annehmen und speziell Wissenschaftsverlage eine passende Vorgangsweise suchen. So hat SpringerNature derzeit die Regelung, dass Autoren bekannt geben müssen, ob sie sich bei der Erstellung ihres Artikels dieses Programms bedient haben. (https://www.nature.com/articles/d41586-023-00191-1). Auf jeden Fall sind Transparenz und Ehrlichkeit gefordert.

Wie wir diese Instrumente sinnvoll in unsere Kommmunikationswege einbauen und nützen können und uns ihnen nicht ausliefern, wird sicher noch vieler Überlegungen, Diskussionen und Forschungen bedürfen. Wenn wir bedenken, dass Sprache letztlich auch das Denken formt, sollten wir uns vielleicht diese wertvolle Quelle nicht zuschütten (lassen), sondern die neuen Möglichkeiten als eines von mehreren möglichen Werkzeugen einsetzen. Dabei kann es manchmal durchaus auch um persönliche Emotionen gehen. So wie der Philosoph Konrad Paul Liessmann kürzlich bekannte, dass er, für den Lesen und Schreiben ein essenzieller Bestandteil seines Lebens ist, ChatGPT als ungeheure Kränkung empfindeFootnote 1. Dabei geht es auch um Vertrauensverlust und Misstrauen. Auch diese Ebene sollte in der Diskussion bedacht werden meint Ihre

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V. Kienast