Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen!

In dieser Ausgabe haben wir Beiträge zum Feld der Palliativmedizin, zwei Fallbeispiele zur Kooperation von Palliativmedizin und Akutneurologie von Altmann, Resch und Riesinger (in alphabetischer Reihenfolge) über Entscheidungsfindung und über Herausforderungen beim Schlaganfall und einen Fallbericht zum Spiritual-Care-Konzept von Wenk et al. bei einer Hirnblutung. Das Pallium war in römischer Zeit der Mantel, der als Stofftuch die schützende Oberbekleidung war. Metaphorisch steht dieser Begriff für den nötigen Schutz, den ein schwer kranker Mensch braucht. Der Begriff hat aber auch eine zweite Bedeutung, die auf die Würde des Trägers weist. Und genau in diesem Spannungsfeld bewegt sich die Palliativmedizin. Durch die Schutzfunktion kann auch etwas verdeckt werden, wie dies mit dem Sterben und dem Tod in unserer Gesellschaft geschieht. Dennoch gehört der Tod zum Leben, wie die Geburt. In unserer Gesellschaft haben wir es geschafft, in vielen Bereichen Schutz zu ermöglichen. Mit dem Ansehen, der Würde vor allem in diesem Lebensabschnitt haben wir noch Luft nach oben, und davon handeln diese Beiträge. Mit dem Verbergen besteht die Gefahr des Würdeverlustes, und hier nach adäquaten Formen der Bewältigung zu suchen, ist eine sehr wichtige Aufgabe.

Beim letzten DGPPN-Kongress in Berlin hat Thomas Fuchs, der die Karl-Jaspers-Professur für Philosophische Grundlagen der Psychiatrie und Psychotherapie innehat, mit seinem Buch Psychiatrie als Beziehungsmedizin. Ein ökologisches Paradigma ein neues Paradigma ausgerufen, das gut in unsere Zeit passt und uns helfen soll, die Fragen, die mit den multiplen Krisen auf uns zukommen, zu lösen. Mit Oikos wurde im alten Griechenland die Haus- und Wirtschaftsgemeinschaft bezeichnet. Mit diesem Begriff reiht sich der Fallbericht über den Natriumhaushalt von Eschle gut zur Palliativmedizin, unser Körper braucht einen ausgeglichenen Elektrolythaushalt, damit das Gefüge des Leibes nicht aus der Homöostase kommt. Eschle weist dabei besonders auf den Faktor Zeit hin. Ein zu rasches Aufsättigen des Natriumspiegels kann zu schweren Schäden führen. Möglicherweise eine Metapher für unsere Zeit: Das Streben nach einer zu raschen Problemlösung kann auch zu Sekundärschäden führen.

Sachs und Erfurth stellen mit ihrem Beitrag die kognitiven Störungen in das Zentrum ihrer Betrachtungen auf die Schizophrenie. Der Begriff der Schizophrenie ist noch immer schwer zu fassen. Mit „schizo, spalten“ und „phren/Zwerchfell“ hat selbst der umfassend Gebildete es schwer zu verstehen, was „Zwerchfellbruch“ mit einer psychischen Erkrankung zu tun hat. Auch hier muss wieder die metaphorische Ebene bemüht werden und kann dem „Volk aufs Maul geschaut werden“. Allgemein wird dem von der Umwelt gut geschützten „Kopfhirn“ das Denken, und dem „Bauchhirn“ die Gefühle zugeschrieben. Das „Bauchhirn“ kann dem Darm und Mikrobiom zugeordnet werden. Eine schier unübersichtliche Menge an eukaryoten Zellen, prokaryoten Zellen, Viren und anderen chemischen Stoffen im Darm, die ein „kühles“ Überlegen oft nicht mehr ermöglichen und zu einer Gemengelage führen, die wir Bauchgefühl nennen. In der „heißen Akutphase“ spüren viele in der Interaktion mit psychotischen Menschen ein „komisches Gefühl“. Rümke, ein niederländischer Psychiater, hat dieses Gefühl als Präcoxgefühl gefasst. Ein wichtiges Gefühl, das nur durch Selbsterfahren im Arbeiten mit Patienten im psychiatrischen Feld habituiert werden kann und dann in der phänomenologischen Diagnostik ein wichtiges Instrument zur Beurteilung der aktuellen klinischen Situation ist. Hier zeigt sich, welch bedeutender Schritt es war, drei Monate Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin in das Regelcurriculum für die Allgemeinmedizin zu integrieren. Ohne diese Fassung des Präcoxgefühls ist es schwierig, Psychosen richtig zu diagnostizieren. Leicht kann ein „komisches Gefühl“ in Angst und Aggression umschlagen, wie wir es mit den „high expressed emotions“ in der sozialen Situation von psychotischen Menschen häufig sehen. In der „Abkühlphase“, der subakuten und Langzeitphase ist es umso wichtiger, sich dem CIAS („cognitive impairment associated with schizophrenia“) zuzuwenden.

Last, but not least möchte ich noch auf den Artikel Mutter-Kind-Interaktion bei peripartaler Depression von Höflich und Polecek eingehen. Die Eltern-Kind-Interaktion ist essenziell für eine adäquate soziale, emotionale und kognitive Entwicklung des Kindes, wie beide schreiben, und gerade die Interaktion in der Postpartalzeit ist ein besonders wichtiger Bereich. Wir haben in Europa das CERN, die Großforschungseinrichtung für physikalische Grundlagenforschung bei Genf, wo wir sogar in das „Unteilbare“, das Atom, hineinschauen können. Genauso brauchen wir „menschliche CERNs“, damit wir die Mutter-Kind-Interaktion anschauen können, damit auch diese Phase ihre Würdigung erfährt, wo das Sein und die Erkenntnis ihre Verbindung erfahren.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine anregende Lektüre dieser Ausgabe von psychopraxis.neuropraxis,

Ihr

Martin Aigner