Einführung

Im Jahr 2017 jährte sich die Veröffentlichung von „An essay on the shaking palsy“ durch den britischen Neurologen James Parkinson zum hundertsten Mal. Die später nach ihm benannte Parkinson-Krankheit zählt mit einer Prävalenz von 0,3–0,4 % in der Gesamtbevölkerung zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen und stellt nach der Alzheimer-Krankheit die häufigste neurodegenerative Erkrankung dar. Der Erkrankungsgipfel liegt um das 60. Lebensjahr, bei Manifestation vor dem 50. Lebensjahr ist ein genetischer Hintergrund wahrscheinlich.

Die Krankheit ist gekennzeichnet durch die Kernsymptome Bradykinesie, Rigor und Tremor sowie (relativ spät im Krankheitsverlauf) Haltungsinstabilität. Zudem entwickelt sich eine typische kleinschrittig-schlurfende Gangstörung. Neben den motorischen Symptomen wird zunehmendes Augenmerk auf die vielfältigen und sehr konstant vorhanden nicht motorischen Symptome gelegt.

Beim Vorliegen eines hypokinetischen Syndroms in Verbindung mit Tremor und/oder Rigor spricht man von einem Parkinson-Syndrom, bei hypokinetischem Gangbild von einer parkinsonoiden Gangstörung. Die Abgrenzung dieser Begriffe von der Parkinson-Krankheit im engeren Sinne (idiopathisches Parkinson-Syndrom, Morbus Parkinson/MP) sollte konsequent eingehalten werden.

Die Parkinson-Krankheit stellt eine progrediente neurodegenerative Erkrankung mit interindividuell teils stark divergierenden Verlaufsformen dar. Üblicherweise wird anhand der dominierenden Symptomatik zwischen Tremor- und Rigor-Dominanz-Typ sowie Äquivalenztyp unterschieden. In seltenen Fällen kann über längere Zeit ein monosymptomatischer Ruhetremor vorliegen. Einige Autoren bevorzugen die Unterteilung anhand des Schweregrads in einen milden, einen intermediären und einen diffus-malignen Phänotyp mit fließendem Übergang zur Lewy-Körperchen-Krankheit (s. unten). Die klinische Präsentation juveniler Parkinson-Syndrome unterscheidet sich mitunter deutlich von der klassischen Form.

Der Verlauf der Parkinson-Krankheit zeigt eine starke interindividuelle Divergenz

Etwa 75 % aller Parkinson-Syndrome – abhängig davon, wie eng der Begriff gefasst wird – sind auf einen MP zurückzuführen. Daneben können eine Reihe anderer Erkrankungen ein parkinsonoides Syndrom hervorrufen. Am Rande erwähnt seien hier aufgrund ihrer Häufigkeit ein Parkinson-Syndrom bei subkortikaler atherosklerotischer Enzephalopathie („vaskuläres Parkinson-Syndrom“), eine parkinsonoide Gangstörung beim Normaldruckhydrozephalus sowie auch ein hypokinetisch-rigides Syndrom im Rahmen der Alzheimer-Krankheit. Bei Auftreten einer Bewegungsstörung vor dem 50. Lebensjahr sollte grundsätzlich ein Morbus Wilson ausgeschlossen werden.

Unter dem Begriff „atypisches Parkinson-Syndrom“ werden üblicherweise die Lewy-Körperchen-Krankheit (LBD), die Multisystematrophie (MSA), die progressive supranukleäre Blickparese (PSP) und die kortikobasale Degeneration (CBD) subsumiert. Die LBD stellt ein Kontinuum zum MP dar und wird klinisch durch frühzeitiges Auftreten eines typischen demenziellen Syndroms abgegrenzt. Mitunter wird die LBD als schwerste Verlaufsform („vierter Phänotyp“) der Parkinson-Krankheit betrachtet, es bestehen aber auch klinische und pathologische Überschneidungen zur Alzheimer-Krankheit.

Die MSA tritt als zerebellärer (MSA-C) oder parkinsonoider (MSA-P) Prädominanztyp auf und stellt ebenso wie der MP und die LBD aus pathologischer Sicht eine α‑Synukleinopathie dar. Pathologisch abzugrenzen sind die beiden Tauopathien PSP und CBD, die jeweils mit einem weiten Spektrum an Verlaufsformen auftreten. Als häufigste Verlaufsform sei das Richardson-Syndrom erwähnt, welches zugleich die schwerste Tauopathie darstellt. Es bestehen pathologische und klinische Assoziationen zwischen den beiden Tauopathien und den frontotemporalen Demenzen (FTD).

Als typische Frühsymptome der α‑Synukleinopathien seien Hyposmie (sehr konstant vorhanden, aber nicht pathognomonisch) und REM-Schlaf-Verhaltensstörung (RSD) erwähnt. MSA und LBD sind zudem durch frühzeitig im Krankheitsverlauf auftretende vegetative Störungen gekennzeichnet.

Zu den „red flags“, die zur Reevaluierung der Diagnose eines MP führen sollten, zählen neben frühzeitig auftretenden vegetativen Störungen (mit Ausnahme einer Obstipation) eine frühzeitige schwere Haltungsinstabilität mit Sturzereignissen, frühzeitige bulbäre Symptome und frühzeitige Augenmotilitätsstörungen (wobei unter frühzeitig in der Regel ein Zeitraum von 3 bis 5 Jahren ab Diagnose verstanden wird), des Weiteren kortikale Symptome (Aphasie, Apraxie, kortikale Sensibilitätsstörung), zerebelläre Symptome, Pyramidenbahnzeichen, ein inspiratorischer Stridor oder ein dystoner Anterocollis. Ein fehlendes Ansprechen auf L‑DOPA stellt ein Ausschlusskriterium für das Vorliegen eines MP dar.

Fehlendes Ansprechen auf L‑DOPA gilt als Ausschlusskriterium für MP

Die endgültige Diagnose aller angeführten Erkrankungen kann grundsätzlich nur pathologisch gestellt werden. Die typischen Syndrome ergeben sich aus anatomischen Prädilektionsstellen der jeweiligen pathologischen Prozesse. Die Klinik selbst wird nicht durch die Pathologie, sondern durch deren Lokalisation bestimmt.

Für alle genannten Erkrankungen liegen Diagnosekriterien vor, in die sowohl klinische als auch bildgebende und nuklearmedizinische Befunde mit einbezogen werden. Die Durchführung einer zerebralen Bildgebung (wenn möglich einer MRT) bei Krankheitsbeginn wird grundsätzlich empfohlen, um strukturelle Ursachen eines Parkinson-Syndroms auszuschließen. Zudem können bereits in der MRT typische Zeichen für MSA, PSP und auch CBD vorliegen. Zusätzlich seien hier als am häufigsten eingesetzte nuklearmedizinische Methoden die 123I‑FP-CIT-SPECT (DaTSCAN) und die FDG-PET erwähnt. Der DaTSCAN trennt degenerative Parkinson-Syndrome gegen andere Erkrankungen (beispielsweise essenziellen Tremor) ab. Mittels FDG-PET können die oben genannten degenerativen Parkinson-Syndrome voneinander abgegrenzt werden.

Weder für den MP noch für die atypischen Parkinson-Syndrome steht derzeit eine krankheitsmodifizierende Therapie zur Verfügung. Bei letzteren sind auch die symptomatischen Therapiemöglichkeiten sehr eingeschränkt, sodass sich folgende Therapiekonzepte durchwegs auf den MP beziehen.

Die Einführung von L‑DOPA markiert einen Meilenstein in der Therapie des MP. Es wird grundsätzlich in Kombination mit einem Decarboxylasehemmer verabreicht, um den Abbau in der Peripherie zu reduzieren. Wenn im weiteren Text von L‑DOPA die Rede ist, ist grundsätzlich diese Kombination gemeint. Bis heute ist L‑DOPA die wirksamste zur Verfügung stehende Substanz in der Parkinson-Therapie. Ergänzt wird die Therapie durch Dopaminagonisten, MAO-B-Inhibitoren, COMT-Inhibitoren und Amantadin sowie Anticholinergika bei Tremordominanz.

Eine medikamentöse Therapie des MP sollte ab Diagnosestellung eingeleitet werden

Während sich L‑DOPA im Frühstadium durch eine exzellente Wirkung und gute Verträglichkeit auszeichnet, treten im Krankheitsverlauf sowohl ein Wirkverlust als auch Nebenwirkungen zutage. Abhängig vom Ausmaß der dopaminergen Degeneration und (in geringerem Ausmaß) von der Dosierung der L‑DOPA-Therapie entwickelt sich nach individuell unterschiedlicher Therapiedauer ein L‑DOPA-Langzeitsyndrom, welches vor allem durch Dosisfluktuationen und Dyskinesien gekennzeichnet ist. Auch Dopaminagonisten sind – dosisabhängig – nebenwirkungsbehaftet, insbesondere Impulskontrollstörungen können ein Absetzen dieser Substanzen notwendig machen. Amantadin kann als glutamaterge Substanz hilfreich gegen Dyskinesien sein, birgt aber ein relativ hohes Potenzial zur Entwicklung psychotischer Symptome.

Es besteht Konsens darüber, dass eine medikamentöse Therapie des MP ab Diagnosestellung eingeleitet werden sollte, wobei bei milder Symptomausprägung und besonders bei jüngeren Patienten/-innen primär eine Kombination aus MAO-B-Inhibitor und Dopaminagonisten versucht werden sollte. Im Verlauf muss die Therapie regelmäßig angepasst werden, wobei ein „Sparen“ von L‑DOPA zulasten der Lebensqualität nicht empfohlen wird.

Für bestimmte Indikationen stehen gerätegestützte Therapieoptionen zur Verfügung: Die tiefe Hirnstimulation (DBS) stellt eine Behandlungsmöglichkeit bei therapierefraktärem Tremor und bei ausgeprägten Dyskinesien dar, durch ihren medikamentensparenden Effekt kann sie für Patienten/-innen mit frühem Krankheitsbeginn grundsätzlich in Erwägung gezogen werden, wobei eine Reihe von Ausschlusskriterien zu beachten sind. Beim Auftreten eines L‑DOPA-Langzeitsyndroms stehen Pumpensysteme mit kontinuierlicher Medikamentenapplikation zur Verfügung. Bereits etabliert sind die subkutane Verabreichung des Dopaminagonisten Apomorphin sowie die intestinale Verabreichung von Levodopa/Carbidopa (LCIG) über PEJ-Sonde. Ab Februar 2021 steht in Österreich eine weitere Option mit intestinaler Verabreichung der Dreifachkombination Levodopa/Carbidopa/Entacapon über PEJ-Sonde zur Verfügung.

Fallbericht 1

Im Oktober 2012 wird ein damals 63-jähriger Patient an unserer Bewegungsstörungsambulanz vorstellig. In den Wochen zuvor waren ihm einerseits Schwierigkeiten beim Schreiben und eine Veränderung des Schriftbildes, andererseits auch eine leichte Ungeschicklichkeit des rechten Beins und ein vermindertes Mitschwingen des rechten Armes beim Gehen aufgefallen. Hinsichtlich nicht motorischer Symptome wie einer Geruchsstörung, vegetativer Störungen oder einer RSD liegt keine Dokumentation vor. Retrospektiv werden vom Patienten aber eine frühzeitig bestehende Geruchsstörung sowie eine Obstipationsneigung angegeben.

Es bestanden keine relevanten Vorerkrankungen und keine Prämedikation. Der Patient war als Montageleiter berufstätig, die Pensionierung stand kurz bevor. Im niedergelassenen Bereich war bereits eine zerebrale CT mit unauffälligem Befund durchgeführt worden.

Die Diagnose einer Parkinson-Krankheit wurde gestellt und eine Kombinationstherapie aus dem Dopaminagonisten Pramipexol (Sifrol® ret. 0,26 mg) und dem MAO-B-Hemmer Rasagilin (Azilect® 1 mg) eingeleitet. Pramipexol wurde bei guter Verträglichkeit schrittweise bis auf 2,1 mg ret. gesteigert, wodurch eine zufriedenstellende Symptomkontrolle über fast 2 Jahre erreicht werden konnte.

Im Juni 2014 erfolgte aus nicht dokumentierten Gründen eine Umstellung von Pramipexol auf ein generisches Präparat unter Beibehaltung der Dosis. Im Oktober desselben Jahres wurde der Patient mit zunehmenden Beschwerden ungeplant wieder vorstellig. Er beklagte eine merkbare Abnahme der Beweglichkeit, eine häufige Nykturie mit entsprechender Durchschlafstörung und eine ausgeprägte Tagesmüdigkeit. Als Reaktion wurde die Dopaminagonistentherapie von Pramipexol auf Rotigotin (Neupro® 4 mg/24 h TTS) umgestellt und zusätzlich mit L‑DOPA (Madopar® 100/25 mg, 4 × ½ Tbl.) begonnen. Im Rahmen einer kurzfristigen Verlaufskontrolle wurden die Dosis von Neupro® auf 6 mg/24 h und Madopar® 100/25 mg auf 4 × 1 Tbl. gesteigert, was wiederum zu einem für den Patienten zufriedenstellenden Zustand führte. Wegen leichter Beinödeme als möglicher Nebenwirkung der Therapie mit Dopaminagonisten wurde eine milde diuretische Therapie begonnen.

Im Mai 2015, also zweieinhalb Jahre nach Erstdiagnose, berichtete der Patient erstmals über ein mehrmals täglich auftretendes, plötzliches Einfrieren in der Bewegung. Durch den Austausch von Madopar® gegen Stalevo® (Levodopa/Carbidopa/Entacapon 150/37,5/200 mg) wurde ein COMT-Hemmer in die Therapie eingeführt, Rasagilin wurde abgesetzt. Durch die Umstellung konnte eine deutliche Verbesserung insbesondere des Gangbilds erzielt werden, das für den Patienten belastende Freezing trat vorerst nicht mehr auf. Im August 2016 erfolgte ein Präparatwechsel von Stalevo® auf Trigelan® und eine Dosissteigerung auf 5 × 1 Tbl. bei Verkürzung des Dosierungsintervalls auf 3 Stunden.

Erstmaliges Auftreten von „Freezing“ zweieinhalb Jahre nach Diagnose

Die nächste Vorstellung an unserer Ambulanz erfolgte im Januar 2017 bei subjektiver Verschlechterung. Im neurologischen Status bestand ein ausgeprägtes, weiterhin rechtsbetontes Parkinson-Syndrom. Es erfolgte eine Umstellung der Therapie von Trigelan® auf Madopar® bei gleichzeitiger, schrittweiser Erhöhung der L‑DOPA-Gesamtdosis auf 1200 mg/Tag. Parallel wurde die Dosis von Rotigotin zuerst auf 8 mg/24 h gesteigert und dann in einer kurzfristigen Verlaufskontrolle bei fehlender Verbesserung des Tremors wieder auf Pramipexol (Sifrol® ret. 3,15 mg) umgestellt. Die Änderungen führten zu einer Stabilisierung des Zustands. Etwa 5 Jahre nach Erstdiagnose und 3 Jahre nach Einführung von L‑DOPA werden zudem erstmals milde L‑DOPA-induzierte Dyskinesien dokumentiert.

Im November 2017 wurde wegen Schwierigkeiten bei der nächtlichen Mobilisierung und verzögertem Wirkeintritt am Morgen ein Therapieversuch mit retardiertem L‑DOPA (Sinemet® ret. 100/25 mg) unternommen, bei fehlender subjektiver Besserung aber schon nach kurzer Zeit wieder beendet. An Nebenwirkungen traten nächtliche Unruhephasen in Zusammenhang mit produktiver Symptomatik auf, weshalb mit dem Antipsychotikum Clozapin (Leponex® 12,5 mg) zur Nacht begonnen wurde. Wegen Benommenheit und Sturzgefährdung unter Clozapin erfolgte eine kurzfristige Umstellung auf Quetiapin (Seroquel® 25 mg), welches dann über mehrere Jahre beibehalten wurde.

Im Laufe der Jahre 2018 und 2019 erhöhte sich die Frequenz der Konsultationen an unserer Ambulanz merklich. Die Medikation wurde mehrfach adaptiert, L‑DOPA wurde bis zu einer Gesamttagesdosis von 1750 mg (Madopar® 200/50 mg, 5 × 1¾ Tbl.) gesteigert, um eine möglichst suffiziente Kontrolle des Parkinson-Syndroms zu erzielen. Parallel wurde versucht, Pramipexol zu reduzieren, um psychiatrische Nebenwirkungen hintanzuhalten. Aufgrund von zunehmenden Dosisfluktuationen („wearing off“) und gehäuftem Auftreten von Freezing musste Pramipexol allerdings wieder auf 3,15 mg ret. gesteigert werden, wobei im Rahmen der Dosisänderungen erneut auf ein generisches Präparat umgestellt wurde. Zur Kontrolle der belastenden psychotischen Symptome wurde anstelle von Quetiapin wieder Clozapin in niedriger Dosierung (Clozapin 2 mg Kps. zur Nacht als magistrale Verordnung) begonnen.

Im Oktober 2019 wurde der Patient zur geplanten operativen Sanierung von Dupuytren-Kontrakturen an der unfallchirurgischen Abteilung aufgenommen. Er hatte zu diesem Zeitpunkt selbstständig Madopar® 200/50 mg auf 5 × 1½ Tbl. reduziert, was er mit Schwierigkeiten beim Vierteln der Tabletten begründete.

Am Tag des geplanten operativen Eingriffes entwickelte der Patient eine akute respiratorische Insuffizienz und musste intubiert werden. Nach Stabilisierung an der Intensivstation erfolgte eine Übernahme an unsere Abteilung zur Therapieoptimierung und Remobilisierung. Insgesamt 7 Jahre nach Erstdiagnose wurde der zu diesem Zeitpunkt 69-jährige Patient somit erstmalig stationär an einer neurologischen Abteilung aufgenommen. Bei Übernahme war er deutlich bradyphren und nicht mobilisierbar bei ausgeprägtem, annähernd symmetrischem Parkinson-Syndrom. Es bestand eine schwere Dysarthrie und Dysarthrophonie. Die Blickfolge war in alle Richtungen vollständig möglich. Der Patient war mit Magensonde und Harnkatheter versorgt, die Parkinson-Therapie erfolgte mittels Madopar®-Löstabletten in einer L‑DOPA-Tagesdosis von 1200 mg.

Kurz nach Übernahme verschlechterte sich die respiratorische Situation abermals dramatisch, weshalb eine Rücküberstellung an die Intensivstation zur nichtinvasiven Beatmung notwendig war. Verantwortlich für die wiederholten Dekompensationen waren jeweils Aspirationspneumonien. Eine schwere Dysphagie wurde mittels FEES bestätigt.

Nach Stabilisierung wurde der Patient erneut an unsere Abteilung übernommen. Es erfolgte ein Wechsel von Pramipexol auf Rotigotin TTS zur Gewährleistung einer parenteralen Medikamentenzufuhr. Außerdem wurde nach ausführlicher Aufklärung und Zustimmung des Patienten eine kombinierte PEG-/PEJ-Sonde angelegt und eine LCIG-Therapie eingeleitet. Der Patient wurde an der Abteilung erfolgreich remobilisiert. Nach logopädischer Befundung wurde empfohlen, Flüssigkeiten weiterhin nur eingedickt zu verabreichen. In der neuropsychologischen Testung zeigte sich ein MCI mit im Vordergrund stehendem dysexekutivem Syndrom.

Abhängig von der Häufigkeit der Inanspruchnahme von Extradosen betrug die erforderliche L‑DOPA-Gesamtdosis per Sonde etwa 2200 mg. Auf Dopaminagonisten wurde verzichtet. Unter Therapie mit Clozapin 1 mg zur Nacht lag keine produktive Symptomatik vor.

Die selbstständige Mobilität des mittlerweile 71-jährigen Patienten ist mit Januar 2021 weiterhin erhalten. Durch das Fortschreiten seiner Erkrankung, teilweise aber wohl auch durch den vermehrten sozialen Rückzug und die fehlende physiotherapeutische Betreuung während der COVID-19-Pandemie ist allerdings eine deutliche Verschlechterung zu verzeichnen.

Fallbericht 2

Im Januar 2018 wurde ein zu diesem Zeitpunkt 55-jähriger Patient erstmals an unserer Bewegungsstörungsambulanz vorstellig. Die neurologische Erstvorstellung erfolgte an einer großen Klinik bereits 2010 mit einem damals neu aufgetretenen, rechtsseitigen Tremor. Schon um das 45. Lebensjahr waren als Erstsymptome der sich anbahnenden Erkrankung eine Miktionsstörung und eine milde Hyposmie aufgetreten. Der Gattin des Patienten seien retrospektiv außerdem lautes Sprechen und starke Bewegungen im Schlaf aufgefallen. Als Dauermedikation bestand seit dem jungen Erwachsenenalter eine Migräneprophylaxe mit Verapamil 40 mg zweimal täglich, Psychopharmaka wurden anamnestisch nie eingenommen.

Bei der Großmutter des Patienten sei im hohen Alter „Parkinson“ diagnostiziert worden, der Vater hätte ebenfalls jenseits des 65. Lebensjahres ein Zittern entwickelt, dieses aber nicht abklären lassen.

Im Krankheitsverlauf traten frühzeitig und wiederholt Stürze auf, zum Teil mit Verletzungsfolge. Der Patient berichtete sowohl von Stürzen durch Stolpern, als auch von – hauptsächlich orthostatischen – Kollapsereignissen.

Im Rahmen einer umfassenden Diagnostik wurde unter anderem eine Störung des Kupferstoffwechsels ausgeschlossen. Die Befunde aus Bildgebung und Nuklearmedizin erbrachten bereits in der Frühphase Zeichen einer Atrophie (cMRT) und eines Hypometabolismus (FDG-PET) biparietal, insulär und zerebellär sowie ein rechtsbetont reduziertes Dopamintransporter-Bindungspotenzial (DaTSCAN). Mittels Kipptischuntersuchung wurde ein posturales Tachykardiesyndrom festgestellt. Relevante Blutdruckschwankungen konnten nicht gezeigt werden. Hinsichtlich der Miktionsstörung wurde ein regelmäßiger Selbstkatheterismus durchgeführt. In mehrfachen neuropsychologischen Testungen ergaben sich keine Auffälligkeiten.

Ein Therapieversuch mit L‑DOPA führte bei objektiv (laut Vorbefunden) moderatem Effekt zu einer deutlichen subjektiven Verbesserung der Mobilität, weshalb eine Therapie mit retardiertem L‑DOPA (Madopar® CR 100/25 mg, 3 × 1 Kps.) etabliert wurde.

Laut Vorbefund von 2016 bestanden im Status neurologicus ein inkonsistenter, rechtsbetonter, teilweise ablenkbarer Ruhe- und Aktionstremor und eine rechtsbetonte Tonuserhöhung (Gegenhalten). Zudem wurde ein bizarres Gangbild mit Tic-artigen Seitwärtswendungen des Kopfs beschrieben. Der Patient wurde unter der Arbeitsdiagnose „rechtsseitige Bewegungsstörung DD nicht organischer Genese“ geführt.

Infolge eines Wohnortwechsels wird der Patient seit 2018 an unserer Ambulanz betreut. Im Rahmen der Erstvorstellung berichtete er über relativ langsam aber stetig progrediente Beschwerden. Wegen erheblicher Gangunsicherheit hatte er sich einen Gehstock zugelegt, wodurch sich die Sturzfrequenz deutlich reduziert hätte. Bei zunehmender Störung der Gedächtnis- und Konzentrationsleistung wäre die Berufsausübung (akademisch-technischer Beruf) nicht mehr möglich gewesen, weshalb eine Frühpensionierung erfolgt war.

Moderate Verbesserung durch Kombinationstherapie mit L‑DOPA und Amantadin

Im Status neurologicus bestand ein deutlich rechtsbetontes Parkinson-Syndrom mit Rigor, feinschlägigem Tremor und Bradykinesie. Nicht vorliegend waren eine schwere Extremitätenataxie, Pyramidenbahnzeichen, (kortikale) Sensibilitätsstörungen oder Augenmotilitätsstörungen. Die Mobilisierung erfolgte selbstständig unter Zuhilfenahme der Arme, das Gangbild imponierte kleinschrittig und diskret ataktisch mit Lateralflexion des Rumpfs nach links und Kamptokormie (ohne „dropped head“). Bei Anstrengung, insbesondere bei der Gangtestung zeigten sich dystone Symptome an Extremitäten (rechtsbetont), Nacken und Gesicht. Auch die im Vorbefund beschriebenen Tic-artigen Bewegungsmuster waren vorhanden. Es bestand eine moderate Reduktion der posturalen Stabilität. Im Schellong-Test zeigte sich ein massiver Abfall des systolischen Blutdrucks um 40 mm Hg entsprechend einer schweren orthostatischen Dysregulation.

Die Medikation wurde auf nicht retardiertes L‑DOPA umgestellt und die Dosis gesteigert (Madopar® 100/25 mg, 4 × 1 Tbl.), was sowohl subjektiv als auch objektiv eine moderate Verbesserung erbrachte. Wegen eines verzögerten Wirkeintritts am Morgen wurde Madopar® CR am Abend wieder hinzugenommen. Parallel wurde bei langjähriger Attackenfreiheit die Migräneprophylaxe mit Verapamil schrittweise abgesetzt.

Sowohl cMRT als auch FDG-PET wurden wiederholt. In der MRT zeigte sich eine proportionierte Atrophie ohne spezifisches Muster, in der FDG-PET kam ein biparietaler Hypometabolismus zur Darstellung.

Eine ausführliche neurokognitive Testung ergab mit 27/30 Punkten im MMSE den Befund einer milden kognitiven Beeinträchtigung (MCI), in der CERAD-Testbatterie waren schwere Defizite in den exekutiven Funktionen, der verbalen Gedächtnis- und Wiedererkennungsleistung, der verbalen Produktionsfähigkeit und der kognitiven Flexibilität objektivierbar, zudem wurden Fehlbenennungen registriert. Sowohl dem Patienten als auch seiner Gattin waren bereits über einen längeren Zeitraum eine Veränderung des Sprachbilds und Wortfindungsstörungen aufgefallen.

Infolge der aufkommenden COVID-19-Pandemie wurde eine Verlaufskontrolle nicht wahrgenommen. Zum Zeitpunkt der nächsten Vorstellung im Oktober 2020 hatte sich die Situation subjektiv und objektiv deutlich verschlechtert. Im Status fielen insbesondere eine schwere Starthemmung sowie ein fast vollständiger Ausfall der Haltereflexe auf.

Durch schrittweise Steigerung von L‑DOPA bis zu einer Gesamttagesdosis von 1000 mg und Kombination mit Amantadin (PK-Merz® Tbl. 2 × 150 mg) konnte eine moderate aber merkbare Verbesserung erzielt werden, relevante Nebenwirkungen traten nicht auf. Der Patient ist weiterhin selbstständig mobil und benötigt im täglichen Leben nur wenig Unterstützung.

Diskussion

Die beiden ausgewählten Fälle sollen Schlaglichter auf einige diagnostische und therapeutische Herausforderungen in der Betreuung von Patienten/-innen mit Parkinson-Syndromen werfen.

Fall 1 beschreibt den Verlauf eines Patienten mit Morbus Parkinson vom Äquivalenztyp über einen Zeitraum von etwa 10 Jahren. Bei typischer klinischer Präsentation mit einseitigem Beginn und persistierender rechtsseitiger Prädominanz, Fehlen von „red flags“ und exzellentem Ansprechen auf die dopaminerge Therapie konnte auf nuklearmedizinische Untersuchungen verzichtet werden. Im vorliegenden Fall begnügte man sich mit einer zerebralen CT und verzichtete auf die sonst übliche Durchführung einer MRT.

Verzichtet wurde auch auf die Durchführung eines L‑DOPA-Tests. Stattdessen wurden die Medikamente jeweils langsam eindosiert und der Patient bis zum Erreichen der optimalen Dosis in kurzen Intervallen verlaufskontrolliert, ein Vorgehen, das sich für unkomplizierte Fälle bewährt hat.

Der Patient konnte über etwa 2 Jahre mit einer Kombination aus dem MAO-B-Inhibitor Rasagilin und dem Dopaminagonisten Pramipexol zufriedenstellend therapiert werden, in weiterer Folge wurde auf eine Kombination aus L‑DOPA und dem Dopaminagonisten Rotigotin umgestellt. Weitere 3 Jahre später, 5 Jahre nach Erstdiagnose, traten erste Symptome eines L‑DOPA-Langzeitsyndroms auf. Die kurze Dauer und die zu diesem Zeitpunkt relativ geringe Dosierung von L‑DOPA bestätigen die These, dass die Hauptursache für das Auftreten eines L‑DOPA-Langzeitsyndroms in der abnehmenden zentralen Pufferkapazität durch fortschreitende Degeneration dopaminerger Neurone liegt. Nicht zu unterschätzen ist aber auch das Problem der verzögerten bzw. unregelmäßigen Magenentleerung durch Gastroparese.

Aus der retrospektiven Aufarbeitung des Falls geht hervor, dass Medikamente, insbesondere Dopaminagonisten, häufig ausgetauscht wurden. Aus dem Verlauf ist abzulesen, dass es zweimal nach Präparatewechsel ohne Änderung des Wirkstoffs zu einer Verschlechterung der Symptomatik kam. Ob die Umstellungen tatsächlich ursächlich verantwortlich waren, oder es sich schlicht um die natürliche Progression der Erkrankung, möglicherweise auch um einen gewissen Nocebo-Effekt handelte, lässt sich nicht beurteilen. Tatsache ist, dass verschiedene Präparate in den letzten Jahren passager nicht lieferbar waren und einige Substanzen sogar ganz vom Markt genommen wurden, was teilweise zu erheblichen therapeutischen Problemen geführt hat.

Die beschriebenen Komplikationen durch Entwicklung einer Dysphagie mit daraus resultierenden Aspirationspneumonien zeigen eindrucksvoll die Schwere der Erkrankung im fortgeschrittenen Stadium. Der Übergang ins Spätstadium wird im Fallbericht aber bereits durch die häufigen Konsultationen in den Monaten davor markiert, wo eine zufriedenstellende medikamentöse Einstellung offensichtlich nicht mehr erzielt werden konnte. In dieser Phase sollte die Option einer gerätegestützten Therapie mit den Patienten/-innen besprochen und diese über Vor- und Nachteile ausführlich aufgeklärt werden.

Fall 2 wurde bewusst als Kontrapunkt gewählt und beschreibt ein atypisches Parkinson-Syndrom mit frühem Beginn im Alter von etwa 45 Jahren. Der Patient wird aktuell unter der Diagnose „Parkinson-Syndrom mit frühem Beginn und schwerer autonomer Dysfunktion DD MSA“ geführt. Zwar sind die Diagnosekriterien für eine „wahrscheinliche MSA“ leitliniengemäß erfüllt, Zweifel an der Diagnose bestehen aber durch die relativ langsame Progression, das weiterhin gegebene Ansprechen auf L‑DOPA und auch aufgrund der parietalen Betonung von Atrophie und Hypometabolismus in MRT und FDG-PET. Schwer einzuordnen ist auch die rechtsbetont verminderte präsynaptische Dopamintransporterbindung im DaTSCAN bei zugleich persistent rechtsbetonter Klinik.

Die begrenzten therapeutischen Möglichkeiten sollten die Anstrengungen, auch atypische Parkinson-Syndrome zu diagnostizieren, nicht schmälern. Für betroffene Patienten/-innen stellt es ohne Zweifel einen Vorteil dar, die eigene Erkrankung benennen und im Idealfall besser verstehen zu können. Der beschriebene Fall soll auch zeigen, dass ein Therapieversuch mit L‑DOPA in ausreichender Dosierung jedenfalls versucht werden sollte. Gleiches gilt im Übrigen für symptomatische Parkinson-Syndrome. In Bezug auf die Sinnhaftigkeit einer Therapie ist auf die Selbsteinschätzung der Patienten/-innen großteils Verlass. Im Zweifelsfall ist das Fortführen einer Therapie bei mäßigem objektivem aber eindeutigem subjektivem Benefit und Ausbleiben von Nebenwirkungen vertretbar.

Fazit für die Praxis

  • Die begriffliche Abgrenzung der Parkinson-Krankheit (Morbus Parkinson) von Parkinson-Syndromen anderer Genese soll konsequent durchgeführt werden.

  • Fehlendes Ansprechen auf L‑DOPA im Frühstadium gilt als Ausschlusskriterium eines Morbus Parkinson.

  • Bei Erstmanifestation ist eine zerebrale Bildgebung (wenn möglich cMRT) angezeigt. Bei unklarem klinischem Bild stehen zudem nuklearmedizinische Untersuchungen zur Verfügung.

  • Atypische Parkinson-Syndrome stellen eine diagnostische und therapeutische Herausforderung dar. Ein Therapieversuch mit L‑DOPA in ausreichender Dosierung ist in der Regel gerechtfertigt.

  • Aufgrund seiner kurzen Halbwertszeit muss L‑DOPA in kurzen Dosierungsintervallen eingenommen werden. Regelmäßigkeit der Einnahme und ausreichender Abstand zur Nahrungsaufnahme sind für die Wirksamkeit essenziell.

  • Unregelmäßige Resorption durch Gastroparese kann zu Wirkverlust und Zunahme von Nebenwirkungen führen. Parenterale Applikation – im Frühstadium vor allem transdermal – kann die Situation verbessern.