Digitalisierung im medizinischen Bereich und Besonderheiten im Umgang mit Patienten aus anderen Kulturen standen bei der 29. interdisziplinären wissenschaftlichen Jahrestagung der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ) Ende vergangenen Jahres auf dem Programm. Bei der bewährten interdisziplinären Weiterbildung verabschiedeten sich die Kongresspräsidenten Martina Signer, DGKP, Kontinenz- und Stomaberaterin am Ordensklinikum Linz, und Univ.- Prof. Dr. Helmut Madersbacher, Univ.-Klinik für Neurologie, Innsbruck, nach langjähriger erfolgreicher Arbeit für die MKÖ aus den aktiven Funktionen in der Gesellschaft.

Die Digitalisierung ist der Innovationstreiber unserer Gesellschaft — mit vielen Möglichkeiten, aber auch Grenzen und Risiken. So bedeutet die volldigitale Krankenakte nicht nur Entlastung. Die Implementierung geht nicht einfach nebenher, sondern verursacht externe Kosten und bindet beträchtliche Ressourcen. Probleme bereiten die unterschiedlichen Systeme auch zwischen Pflege und Ärzten sowie in der Vernetzung der Krankenhäuser untereinander.

Die Möglichkeiten der Roboter-assistierten Chirurgie mit dem System Da Vinci wurden eindrucksvoll am Beispiel der Prostatektomie demonstriert. Die Vorteile: Feinste Schichten können identifiziert werden, das lokale Gefäß-Nerven-Bündel kann genauestens präpariert und möglichst erhalten werden, der Blutverlust kann minimiert werden und postoperativ ist eine schnellere Erholung der Kontinenz und Potenz möglich.

Auch zur Motivation von Kindern und Jugendlichen, die aufgrund von Blasenentleerungsstörungen regelmäßig einen intermittierenden Selbstkatheterismus (ISK) durchführen sollten, steht nun mit der „Kinder-Uro-App“ ein digitales Angebot zur Verfügung. In der Pubertät nimmt die Bereitschaft zur regelmäßigen ISK-Anwendung oft ab, weshalb gemeinsam mit Jugendlichen die App entwickelt wurde. Die ersten Rückmeldungen sind positiv, die App mit dem diskreten Erinnerungsalgorithmus könnte ein zusätzliches Instrument sein, um die zur Vorbeugung von Harnwegsinfekten medizinisch notwendige Regelmäßigkeit des ISK zu erreichen.

Kulturell-religiöse Besonderheiten

Die Veränderungen in der Gesellschaft führen auch zu geänderten Problemstellungen. Eine davon ist die Konfrontation mit Menschen aus anderen Kulturkreisen. Kulturell-religiöse Aspekte von Blasen-, Darm- und Sexualstörungen standen daher auch bei der MKÖ-Tagung auf dem Programm. Unreinheit und Reinheit sind wichtige kulturell-religiöse Kategorien. Eine Schlüsselrolle spielen vor allem die Körperöffnungen und alles, was durch diese nach außen tritt, wie Blut, Harn, Stuhl oder Sexualsekrete. Neue Folder der MKÖ, die in Abstimmung mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) erarbeitet wurden, erklären, unter welchen Voraussetzungen Musliminnen und Muslime trotz Inkontinenz ihren religiösen Pflichten nachkommen können.

Vier Parallel-Workshops beschäftigten sich mit den Themen Stuhlentleerungsstörung, Dauerharnableitung, Sexualität und „multitasker“ Beckenboden. Harninkontinenz hat eine hohe Prävalenz bei geriatrischen Patienten. Etwa jede dritte Frau über 80 ist inkontinent. Eine mögliche Ursache ist die Multimedikation, denn viele in der Geriatrie verordnete Medikamente können eine Inkontinenz auslösen oder verschlechtern. Wenn es gelingt, solche Präparate ab- oder durch „kontinenzfreundlichere“ zu ersetzen, kann eine Linderung des unwillkürlichen Harnverlusts erreicht werden. Bei Diabetikern wirken sich die in ihrer Funktion beeinträchtigten Nerven auf den Harnund Darmtrakt aus.

Alternativen zu Antibiotika

Rezidivierende Harnwegsinfektionen können auch durch eine dysfunktionelle Miktion ausgelöst werden, wo Betroffene den Harn extrem lange zurückhalten. Nicht immer müssen hier Antibiotika die einzige Therapieoption sein. Als Alternativen können hier beispielsweise eine gründliche Aufklärung über den Sinn und Wert einer entspannten Miktion oder Entspannungsübungen für den Beckenboden, mit oder ohne Bio-Feedback, erfolgreich sein.

Stuhlinkontinenz tritt in drei von vier Fällen gleichzeitig mit einer Obstipation auf. Diese Tatsache ist wichtig in der Anamneseerhebung, da Patienten vordergründig die Stuhlinkontinenz beschreiben. Die richtige Konsistenz für das tägliche „Darm-Erfolgserlebnis“ kann in den meisten Fällen durch diätetische Maßnahmen, Entleerung des Enddarmes mit Zäpfchen oder Klistieren erreicht werden. Bei ausgeprägter Beschwerdesymptomatik ist auch die transanale Irrigation (TAI) eine gute Therapieoption, die jedoch eingeschult werden muss.

Eine Auswahl der Vorträge ist auf dem neuen YouTube-Kanal der MKÖ zu sehen: http://www.youtube.com/kontinenz

Die 30. Jahrestagung der MKÖ findet am 9. und 10. Oktober 2020 wieder im LFI Linz auf der Gugl statt.