SALAM.ORIENT 2017

Kultureller Reichtum am Kreuzungspunkt zwischen Ost und West

Die weltweiten Migrationsbewegungen haben dazu geführt, dass „der Orient“ längst nicht mehr so exotisch wirkt, wie in Zeiten eingeschränkter Mobilität. Welchen kulturellen Reichtum die Begegnung mit den Menschen und ihrer kreativen Arbeit haben kann, beweist seit mehr als 15 Jahren das Festival Salam.Orient in Wien. Vom 17. bis 31. Oktober ist es wieder soweit. Unter neuer Führung und mit einem bewährt klassisch-traditionellen, wie auch zeitgenössischen Programm in Form von Musik, Literatur und Tanz präsentiert sich das diesjährige Festival wieder in bunter Vielfalt.

Die algerische Sängerin und Liedermacherin Souad Massi präsentiert mit ihrem Schlagzeuger Rabah Khalfa und dem Gitarristen Medhi Dalil ihre melancholischen, von der Sehnsucht nach Freiheit getragene Lieder im Wiener Jazzclub Porgy & Bess (17. 10.). Gleich tags darauf mischt am selben Austragungsort die äthiopisch-US-amerikanische „Debo Band“ die musikalische Vergangenheit Äthiopiens mit dicken Clubsounds. Ziemlich traditionell in Rhythmus, Skalen und Stimme wird das Programm des pakistanischen Großmeisters des Quawali Faiz Ali Faiz aus fallen — mit dem Zauber der Zeit- und Raumlosigkeit (24. 10., Theater Akzent). Nicht minder mystisch ist die Kunst von Alireza Ghorbani aus dem Iran, der sich dem klassischen persischen Gesang widmet (29. 10., Konzerthaus). Aus Aserbaidschan kommt die Mugham Sängerin Nurriyya Hüseynova, die mit dem jungen multinationalen Kammerorchester Kaspische Virtuosen musiziert (21. 10., Radiokulturhaus). Der syrische Oud-Virtuose Orwa Saleh, der vor den Unruhen in seiner Heimat nach Wien geflüchtet ist, mixt hier gemeinsam mit österreichischen Musikern seit einigen Jahren eine spannende Mischung aus Sufi-Musik und der zeitgenössischen Musik Europas einschließlich Jazz. Eine gleichfalls superbe Mischung fabrizieren L’Hijaz’Car aus Frankreich: Olivier Messiaens musische Liturgien treffen da auf Trance Musik der Tuareg und kurdische Gesänge. Ein außergewöhnliches Kunstwerk und ein weiteres Beispiel für die brodelnde Szene am Kreuzungspunkt zwischen den Kulturen in West und Ost.

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Photo: © Klara Beck

L’Hijaz’Car mit einer superben Mischung aus Tradition und zeitgenössischer Musik.

Informationen: www.salam-orient.at

BUCH

Kurz vor der Lösung der Weltformel

Ja, es geht um Physik, aber auch um Beziehungsprobleme, um Kindheitstraumata und — irgendwie folgerichtig — um den Wahn. All das, verpackt auf nicht einmal 100 Seiten, breitet unser ehemaliger Springer-Kollege Stefan Franke in seiner Erzählung „Die Welt zwischen Null und Eins“ vor dem Leser aus. Nichts weniger als die „Weltformel“ möchte der (Anti-)Held des Buchs — Matthias — gefunden haben und verfällt bei deren schriftlicher Aufzeichnung in einen wahren Rausch, der ihn in seiner Wohnung, die sich in irgendeiner westlichen Großstadt befindet, alles vergessen und vernachlässigen lässt: Seine Tätigkeit im wissenschaftlichen Institut und seine Freundin und mit seiner Mutter hatte er ohnedies schon länger keinen Kontakt, dann geht selbst die Information über deren Tod beinahe an ihm vorbei. Viel kommt da zusammen. Und vieles ist, dem ausufernden Thema mit seinen Verflechtungen und der Kürze des Berichts entsprechend, nur fragmentarisch angerissen, reißt dann auch unversehens ab und lässt den Leser manchmal etwas ratlos zurück. Also darf der Leser seine Geschichte selbst weiterspinnen und offene Fragen für sich beantworten: Welche Stadt ist der Schauplatz? Wer ist der Freund, den Matthias geradezu zwang haft zu Rate ziehen möchte? Welche Rolle spielt der unerreichbar scheinende Wissenschaftler? Und warum eigentlich ist Matthias ein so unverträglicher Charakter? Fragen über Fragen. Aber wie schon Marcel Proust feststellte: Der Leser, wenn er liest, ist ein Leser seiner selbst. Letztlich geht es um die Selbsterkenntnis. Und dazu kann „Die Welt zwischen Null und Eins“ durchaus ein Anstoß sein. Denn bei aller Kürze und Fragmentierung gelingt Stefan Franke mit seiner Geschichte der vielen Ebenen und Handlungsstränge auch eine Wirkung, die gar nicht als selbstverständlich angenommen werden kann: Sie weckt die Neugierde einfach weiterzulesen.

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Stefan Franke: Die Welt zwischen Null und Eins. 96 Seiten, Verlag am Rande; 2017, ISBN: 978-3903190016, Preis: €18.70