Einleitung

Die wachsende Beteiligung von Vätern an der Fürsorge ihrer Kinder ist kennzeichnend für den historischen, gesellschaftlichen und sozialen Wandel von Vaterschaft im 21. Jahrhundert. Die sogenannten „neuen Väter“ nehmen von Anfang an eine aktive Rolle als soziale Gefährten, Beschützer, Erzieher und Förderer des Kindes, Ernährer und Partner der Mütter in der Familie ein und setzen sich mit persönlichen Erfahrungen von Vaterschaft auseinander. In der Öffentlichkeit werden sie dazu ermuntert, Elternzeit zu nehmen, um ihr Kind beim Großwerden zu begleitenFootnote 1.

Unterdes entstanden, infolge rasanter Fortschritte der Fortpflanzungsmedizin, neue Familienkonstellationen. Diese bestehen nicht mehr nur aus Vater-Mutter-Kind sondern aus Doppelvätern (zwei schwule Lebenspartner) mit Kind, das eine Leihmutter zu Welt gebracht hat und Co-Müttern (zwei lesbische Frauen) mit Kind, das per Samenspende von einer der Partnerinnen gezeugt wurde. Es wird der rechtlich-soziale vom biologischen oder genetischen Vater („Bio-Vater“) unterschieden. Generell ist festzuhalten, dass Väter und die Erfahrung von Vätern und Elternschaft noch nie so unterschiedlich wie heute gewesen sind. In diesem Artikel werden bedeutsame Erkenntnisse der Vaterforschung und Co-Elternschaft-Forschung zur frühen Kindheit erläutert und Folgerungen für die Mutter-Kind-Behandlung diskutiert.

Wann beginnt Vaterschaft oder „der Vater des Übergangs“

Vaterschaft beginnt, wenn ein Paar sich ein Kind wünscht oder darüber diskutiert, ein Kind zu bekommen oder wenn eine Schwangerschaft eintritt (Bürgin 1998). Aus der Sicht von Vätern bestehen laut Genesoni und Tallandini (2009) drei Phasen des Übergangs zur Vaterschaft: „Die pränatal Phase, die Phase im Kreißsaal und während der Geburt und die postnatale Phase bis zum Ende des 1. Lebensjahres des Kindes“.

Die pränatale Phase

Die pränatale Phase gilt als die Phase der psychischen Reorganisation im Zuge des Auftauchens des Status Vaterschaft. In dieser frühen Phase der Schwangerschaft äußern sich Väter als Bemühende, die eine aktive Rolle spielen, indem sie an Geburtsvorbereitungskursen oder Ultraschall-Untersuchungen teilnehmen möchten (Genesoni und Tallandini 2009). Walsh et al. (2014) konnten nachweisen, dass die Anwesenheit bei Ultraschall-Untersuchungen das Verbundenheitsgefühl zum Fötus und die Motivation der Väter, ihr Verhalten zu verändern, positiv beeinflussen.

Gleichwohl sie aktiv am pränatalen Prozess der Schwangerschaft involviert sein wollen, wurden von Genesoni und Tallandini (2009) drei Schwierigkeitsbereiche von Männern ermittelt. Ein Schwierigkeitsbereich betraf das Gefühl von Unwirklichkeit, das aus dem Mangel an sichtbaren Beweisen für die Existenz des noch ungeborenen Kindes resultiert und dem Wunsch, ein emotionales Band (Bonding) zum Kind zu entwickeln. Ein weiterer Schwierigkeitsbereich bezog sich auf die wahrgenommene Ungleichheit von Bedürfnissen, Erwartungen, Wünschen und Haltungen der werdenden Eltern und die sich hieraus ergebende Notwendigkeit, sich anzupassen und zu verändern. Ein dritter Schwierigkeitsbereich betraf die Bildung der elterlichen Identität, die eine Verschiebung der Kernidentität von der Rolle als Partner hin zur Rolle als Elternteil erfordert (Genesoni und Tallandini 2009).

Habib und Lancaster (2006) untersuchten, wie sich das Identitätserleben von erstmalig werdenden Vätern durch die Vaterschaft im ersten Trimester der Schwangerschaft verändert. In diesem frühen Stadium der Schwangerschaft, so die Autoren, dachten die Männer bereits darüber nach, welchen Typ von Vater sie abgeben wollen und identifizierten sich mit verschiedenen Rollenvorstellungen, u. a. als Brotverdiener, Spielpartner und Coach, Helfer oder emotionaler Unterstützer der Mutter. Die Autoren wiesen einen direkten Zusammenhang zwischen der Bedeutung, die Väter dem Vaterstatus zuschrieben, der Intensität der gedanklichen Auseinandersetzung (Präokkupation) mit dem Fötus und der Qualität des „Bondings“ zum ungeborenen Kind, nach. Das väterlich-fötale-Band (bond) bezeichnet ein subjektives Gefühl der Liebe zum Fötus als Kernerfahrung früher Elternschaft des Mannes und gilt als die früheste Form von Vaterschaft (Habib und Lancaster 2006). Im Zuge des Auftauchens der väterlichen Identität entsteht ein neuer Identitätsstatus. Habib und Lancaster (2006) zeigten, dass je höher der Status des auftauchenden Vater-Seins in der Hierarchie von Selbst-Identitäten des Mannes, u. a. als Arbeitender, Ehemann, Freund oder Bruder, war, umso stärker war das Bonding zum Fetus und umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass er sich später auch als Vater verhielt. Wenn die väterliche Identität beispielsweise inhaltlich primär davon geprägt war, ein emotionaler Unterstützer der Mutter zu sein, dann war es wahrscheinlicher, dass der Vater sein Kind später über die Fürsorge der Mutter „väterlich“ betreute. Die Autoren betonen hierbei die Einflussnahme des sozialen und historischen Kontextes sowie der Phase im Lebenszyklus des Mannes (Teenager, frühes oder spätes Erwachsenalter), in der die Schwangerschaft eintritt (Habib und Lancaster 2006).

Der biologische Übergang

Der biologische Übergang zur Vaterschaft wird im Kreissaal verortet und findet während des Geburtsprozesses statt. Am häufigsten wurden in der Literatur in dieser Phase von Männern Gefühle von Hilflosigkeit, Zweifel, Nutzlosigkeit, Eifersucht und Angst genannt sowie der Wunsch, dabei zu sein und zu entfliehen. Die Männer fühlten sich unvorbereitet auf die Vaterschaft, fehl am Platz, und verletzlich und bedürftig nach Unterstützung; (Genesoni und Tallandini 2009). In einer Studie zum Effekt der Anwesenheit im Kreißsaal auf die Vaterschaft konnten Greenhalgh, Slade, and Spiby (2000) zeigen, dass Väter, welche die Anwesenheit im Kreißsaal positiv erlebten, weniger depressive Symptome im Postpartum berichteten; Väter mit einem vaginal geborenen Kind äußerten mehr positive Attribute für das Kind als Väter deren Kinder durch einen Kaiserschnitt geboren wurden.

Die soziale Integration

Die Ankunft des Babys zu Hause markiert den Beginn der sozialen Integration von Vaterschaft. Väter berichteten, dass sie sich hin- und hergerissen fühlen zwischen dem, was ihr Leben bislang war und dem, was sie als neue Phase ihrer Existenz betrachteten. Freude, Stolz und emotionale Verbundenheit zur Partnerin und zum Kind und Zweifel, Ängste und Sorgen, ob Vatersein mit der beruflichen Karriere und finanziellen Absicherung der Familie zu vereinen sind, gelten als typische Reaktionen. Der Wunsch, mehr Zeit mit dem Baby zu verbringen, um eine Beziehung zu ihm herzustellen, die Wahrnehmung, nicht so geschickt oder gewandt in der Pflege des Kindes zu sein wie die Partnerin, sowie negative Veränderungen des bisherigen Lebensstils, der sexuellen Beziehung zur Partnerin und des Freiheitsgefühls werden beschrieben (Genesoni und Tallandini 2009; J. H. Goodman 2005; Lamb und Lewis 2010). Frühere Ängste und Besorgnisse hinsichtlich Kontrolle, Autonomie, Intimität, Sexualität und Aggression können in regressiven Bewegungen erneut aktualisiert werden und als Launenhaftigkeit, Irritabilität, Frustration und negativer Selbstwahrnehmung zu Tage treten. Solche vielfach unbewussten Resonanzen auf die beginnende Vaterschaft sind häufig assoziiert mit dem Wunsch, ein Modell von Väterlichkeit zu sein, das sich bedeutsam von dem des eigenen Vaters unterscheidet und in eigenen Fähigkeiten, Wünschen, Bedürfnissen oder Wertesystemen verankert ist, was den Anpassungsprozess und die Selbstwahrnehmung des Mannes vor und nach der Geburt beeinflusst (Bürgin 1998; Perren et al. 2003).

Der reale und symbolische Vater

Der Säugling ist von Anfang an dazu in der Lage, unter Einbezug einer dritten Person mit einer anderen Person zu interagieren (Fivaz-Depeursinge und Favez 2006; von Klitzing 2002) und den Vater als Bezugsperson zu erleben (Grieser 2015). In psychoanalytischen Konzeptionen werden der „reale“ vom „symbolischen“ Vater unterschieden (Erne 2016; Etchegoyen 2002; Heberle 2006). Der reale Vater tritt direkt an das Mutter-Kind-Paar heran, an den sich das Kind wendet, sofern die Mutter dies zulässt und fördert. Als „gatekeeping“ wird das Phänomen bezeichnet, das die Mutter dem Vater vorgibt, wieviel Zeit sie ihm mit dem Kind zubilligt, oder wie sie beide darüber verhandeln. Es unterstreicht den Einfluss der Beziehungsqualität des Elternpaars auf die Rolle, die der Vater gegenüber dem Kind einnimmt.

Der symbolische Vater repräsentiert den verinnerlichten Vater in der Psyche der Mutter (Grieser 2002, 2015), der in Gestalt von bewussten oder unbewussten Erwartungen, Hoffnungen, Bildern und Fantasien von Beginn an präsent ist und die Beziehung zum Kind (und zum Vater des Kindes) beeinflusst. Bei Lacan ist der symbolische Vater der Garant der Gesetze. Die Identifizierung der Person des Vaters mit dem Gesetz entsteht aus der Verwandtschaftbezeichnung des Namens (le Nom) und des Nein (le Non) des Vaters. Die Gesetze, um die es dabei vor allem geht, betreffen die Anerkennung der Urszene sprich des Liebesverkehrs der Eltern, der Inzestschranke und der Generationenfolge (Grieser 2015; Müller-Pozzi 2014). Der symbolische Vater ist als notwendige Grundlage der Triangulierung anzusehen. In dem Bemühen, die Bedeutung des realen Vaters für die Entwicklung des Kindes zu ergründen, steht der „involvierte Vater“ im Mittelpunkt der psychologischen Vaterforschung.

Der involvierte Vater

Im Mittelpunkt der psychologischen Vaterforschung steht der „involviert Vater“ bzw. das Konzept der Involviertheit („Involvement“). Väterliche Involviertheit ist mehrdimensional konstruiert und beinhaltet Eingebundensein, Engagement, und Verantwortung für Fürsorge-, Spiel- und Freizeitaktivitäten (Zeitmenge, Häufigkeit, sozial, materiell) mit dem Kind (Pleck 2010b).

Die Bedeutung der „frühen“ väterlichen Involviertheit für das Wohlergehen und die seelische Entwicklung des Kindes ist heute unbestritten; dies obgleich Väter im Postpartum typischerweise weniger Zeit mit dem Kind verbringen als Mütter (Lamb 2010; Lamb und Lewis 2010; Pleck 2010a). Eine positive väterliche Involviertheit fördert die kognitive, sprachliche und soziale Entwicklung des Kindes (Malmberg et al. 2016; McWayne et al. 2013), Sie zeigt dem Kind Grenzen auf, die sein Gefühl von Sicherheit fördern (Swain et al. 2014). Wenn Väter in Interaktion mit dem Säugling zurückgezogen oder distanziert waren, dann erhöhte sich das Risiko für externalisierende Verhaltensauffälligkeiten (aggressives, oppositionelles Verhalten) im Alter von einem Jahr des Kindes um das Fünffache (Ramchandani et al. 2013). Die Beteiligung von Vätern an Fürsorgeaufgaben im 6. Lebensmonat des Kindes (berichtet aus Sicht der Mütter) wirkte sich positiv auf das Problemverhalten von Söhnen im 18. Lebensmonat aus (Keizer et al. 2014). In der Studie von Kroll et al. (2016) war eine hohe Übereinstimmung des Vaters mit positiven Überzeugungen zur Elternschaft im 9. Lebensmonat und eine Zunahme von kreativem Spiel im Alter von fünf Jahren, mit einem deutlich geringeren Risiko von Verhaltensauffälligkeiten im Alter von sieben Jahren des Kindes verbunden. Als charakteristische Merkmale des väterlichen Spiels gelten wiederholte Muster interaktiver Erregung mit raschen Zuspitzungen positiver Emotionalität, gemeinsamen Lachen und Ausgelassenheit und mehr objektorientiertes oder körperliches Spiel (Feldman 2003). Dabei konnten Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen dem väterlichen und mütterlichen Spielverhalten beobachtet werden (Pleck 2010a). Die Bindungsforschung bestätigt, dass die Entwicklung der Vater-Kind-Bindungsbeziehung parallel zur Mutter-Kind-Bindungsbeziehung verläuft. Dabei tendieren Väter unabhängig vom Beobachtungssetting dazu, in Interaktion weniger sensitiv gegenüber dem Kind zu sein als Mütter. Lucassen et al. (2011) wiesen nach, dass der Zusammenhang zwischen väterlicher Sensitivität und sicherer Vater-Kind-Bindungsqualität (r = 0,12, p < 0,001) geringer war als zwischen mütterlicher Sensitivität und sicherer Mutter-Kind-Bindungsqualität (r = 0,24, p < 0,001; Lucassen et al. 2011, S. 988). Eine sichere Mutter-Kind-Bindung war für die Entwicklung sozialer Kompetenzen des Kindes gegenüber Gleichaltrigen von höherer Vorhersagerelevanz als eine sichere Vater-Kind-Bindung (Groh et al. 2014).

Bei postpartalen Depressionen, die bei ca. 10 % der Väter gehäuft zwischen dem 3. und 6. Lebensmonat des Kindes auftraten (Paulson und Bazemore 2010; Ramchandani et al. 2005), oder Inhaftierung des Vaters (Geller et al. 2012), besteht ein gesteigertes Risiko für emotionale und verhaltensbezogene Auffälligkeiten des Kindes. Wenn bei der Mutter postpartal depressive Symptome bestanden, dann waren häufig auch bei den Vätern depressive Symptome beobachtbar und eine weniger optimale Interaktion des Vaters mit dem Kind (Goodman 2008). Postpartale Depressionen bei Vätern waren mit Arbeitslosigkeit, mütterlicher Depression und Partnerschaftskonflikten assoziiert (Nath et al. 2016). Im ersten Lebensjahr des Kindes, in der die neue Elternschaft vielfältigen Herausforderungen ausgesetzt ist, wird die Partnerschaftsqualität, neben anderen Einflussgrößen, vielfach als Antezedens der väterlichen Involviertheit untersucht.

Welche Faktoren beeinflussen die väterliche Involviertheit?

Belsky (1984) definierte drei Einflussbereiche auf Elternschaft, nämlich Charakteristika der Persönlichkeit und psychologische Ressourcen eines Elternteils, Charakteristika des Kindes (Temperament, Geschlecht) und Stress- und Unterstützungsfaktoren der Umgebung. In einer umfassenden Analyse von Planalp und Braungart-Rieker (2016) wurden als spezifische Einflussfaktoren der väterlichen Involviertheit die Identifikation mit der Vaterrolle, postpartal depressive Symptome der Mutter und des Vaters, die Involviertheit der Mutter, die Partnerschaftsqualität, kindliche Temperamentsfaktoren, das Geschlecht des Kindes und soziodemografische Faktoren (z. B. sozioökonomische Status, Arbeitszeit von Vater und Mutter, Anzahl von Geschwistern) untersucht. Sämtliche Faktoren wurden im neunten Lebensmonat des Kindes erfasst und die Zusammenhänge zur väterlichen Involviertheit (Spiel und Fürsorge) im Alter von neun Lebensmonaten, und im Alter von zwei und vier Lebensjahren des Kindes untersucht. Hierzu wurden Daten von 2900 residenten, biologischen Vätern und Müttern mit Kindern, die 2001 geboren wurden, berücksichtigt. Die Involviertheit der Väter wurde mittels Einschätzung der Häufigkeit altersangemessener Spielaktivitäten (4-Punkt-Likert-Skala; z. B. Vorlesen, Geschichten erzählen) und Fürsorgeaktivitäten (6-Punkt-Likert-Skala; z. B. Kind anziehen, waschen, zu Bett bringen; zu T1 zusätzlich Windeln wechseln, Nahrung zubereiten) in einer typischen Alltagswoche erfragt. Die mütterliche Involviertheit wurde entsprechend im Spiel im Alter von neun Lebensmonaten des Kindes erhoben. Als Ergebnis der Gesamtanalyse zeigten einige Prädiktoren einen zuverlässigen Einfluss auf die Vorhersage der väterlichen Involviertheit zu den drei Zeitpunkten wie folgt. Die väterliche Rollenidentifikation sagte die Involviertheit im Spiel und in der Fürsorge zuverlässig voraus: „Je stärker sich Väter im 9. Lebensmonat des Kindes mit ihrer Rolle als Vater identifizierten, umso stärker nahm das Ausmaß ihres Engagements gegenüber dem Kind im Alter von neun Lebensmonaten und zwei und vier Lebensjahren zu“. Allgemein nahm die Involviertheit der Väter am Spiel und an der Fürsorge des Kindes bis ins Vorschulalter stetig zu. Diejenigen Väter waren im neunten Lebensmonat des Kindes in deutlich höherem Ausmaß an der Fürsorge und am Spiel beteiligt, bei denen die Mütter depressive Symptome zeigten; es sagte jedoch nichts über die spätere Involviertheit der Väter aus. Bei stark ausgeprägtem Paarkonflikt im 9. Lebensmonat nahm die Beteiligung der Väter am Spiel deutlich langsamer zu. Eventuell als Ausdruck der Übertragung des Paarkonfliktes in die Beziehung zum Kind (bekannt als emotional spillover; Akcinar und Baydar 2016) oder weil die Mütter den emotionalen Einsatz für ihr Kind erhöhten (s. gatekeeping). Im 9. Lebensmonat des Kindes ergab sich ein bedeutsamer Interaktionseffekt zwischen der mütterlichen Depressivität und dem Ausmaß des Paarkonfliktes: Bei stark ausgeprägtem Paarkonflikt war die Involviertheit der Väter an der Fürsorge deutlich reduziert. Bei gering ausgeprägtem Paarkonflikt waren die Väter deutlich intensiver an der Fürsorge beteiligt (ggf. kompensatorisch), wenn die Depressivität der Mütter hoch war, und deutlich weniger intensiv, wenn die Depressivität der Mütter niedrig war. Die Väter beteiligten sich im Alter von neun Lebensmonaten des Kindes intensiver am Spiel und bis zum Alter von vier Lebensjahren stieg das Ausmaß ihrer Beteiligung rascher an, wenn auch die Mütter mehr mit dem Kind spielten. In dieser frühen Phase von Elternschaft schien sich die väterliche Involviertheit vielfach an den Müttern zu orientieren und bi-direktional bestimmt. Dies leitet unmittelbar zum Konzept der „Ko-Elternschaft“ über.

Das Wesen von Ko-Elternschaft

Das Konzept der Ko-Elternschaft (coparenting) definiert, wie sich Eltern oder Elternfiguren in ihrer Rolle als Eltern aufeinander beziehen (Feinberg 2003). Eine Ko-Elternschaft entsteht, wenn das Elternpaar gemeinsam die Verantwortung für ein Kind übernimmt. Eine positive Ko-Elternschaft vermittelt dem Kind emotionale Verbundenheit, beständige und vorhersehbare Regeln und Normen und ein geschütztes und sicheres Zuhause (Feinberg 2003; McHale 2007).

Der Einfluss von Ko-Elternschaft auf die Entwicklung des Kindes wurde bislang vor allem an der Vater-Mutter-Kind-Triade erforscht. Ein konsistenter Befund ist, dass die Ko-Elternschaft mit der individuellen Ausübung von Elternschaft und der kindlichen Entwicklung assoziiert ist. Negative Aspekte von Ko-Elternschaft in Form von mangelnder Kooperation, Unterstützung und Koordination als Elternpaar können emotionale und Verhaltensprobleme beim Kind hervorrufen. Sie bilden einen Risikofaktor für die Entwicklung des Kindes, unabhängig vom dyadischen Funktionsniveau zwischen Mutter und Kind, Vater und Kind oder zwischen dem Elternpaar. Durch eine positive Ko-Elternschaft können sich die Einflüsse ungünstiger extrafamilialer Stressfaktoren (ökonomischer Stress) auf Familienmitglieder und Familienbeziehungen abschwächen und die Einflüsse sozialer Unterstützungsfaktoren verstärken (Feinberg 2003; McHale 2007; Michale 2007).

In Anlehnung an Feinberg (2003) setzt sich die Ko-Elternschaft aus vier Komponenten zusammen:

  1. 1.

    Übereinstimmung bzw. Nicht-Übereinstimmung in Einstellungen oder Haltungen zu Belangen der Fürsorge und Erziehung des Kindes;

  2. 2.

    Verteilung von Alltagsaufgaben und Verantwortlichkeiten der Fürsorge, des Haushaltes und in finanziellen, rechtlichen und medizinischen Belangen des Kindes;

  3. 3.

    Gegenseitige Unterstützung (Bejahung, Anerkennung, Respekt) bzw. Untergraben (Kritik, Schuldzuweisung, Herabwürdigung, Konkurrenz) der ko-elterlichen Rolle und Kompetenzen des anderen Elternteils;

  4. 4.

    Management von Familieninteraktionen (Elternkonflikt, Koalitionsbildung, Balance).

Eine Methode der Erhebung von Ko-Elternschaft ist das Lausanner Dreiecksspiel (Lausanne Trilogue Play, LTP; Fivaz-Depeursinge et al. 1996). Die Anordnung sieht vor, dass die Eltern dem Kind gegenübersitzen und ein Dreieck bilden. Das Kind sitzt je nach Alter im Maxi-Cosi oder Hochstuhl. Es folgt ein vierstufiges Szenario. Jeweils ein Elternteil spielt mit dem Säugling während das andere Elternteil zuschaut; dann spielen beide Elternteile zusammen mit dem Kind und in der vierten Sequenz sprechen die Eltern miteinander und das Kind sitzt als Drittes dabei. Jede Sequenz dauert ca. 1 bis 3 min. Die gesamte Sitzung wird per Video aufgenommen. Im Zentrum der Auswertung stehen Familieninteraktionen und Verhaltensweisen reziproker elterlicher Unterstützung und von ko-elterlichem Konflikt. Hierzu werden u. a. positive verbale Kommentare, mutuelle affektive Gesten und Kopfnicken als Zeichen der Übereinstimmung kodiert. Ein ko-elterlicher Konflikt wird anhand von der Einmischung in die Aktivität des Anderen oder störenden und kritischen Kommentaren eines Elternteils angezeigt. Das Engagement des Kindes wird je nach Alter beispielsweise anhand von Blickverhalten, Lächeln und sozialer Bezugnahme untersucht (s. Favez et al. 2016). Es existiert auch eine Version des Lausanner Dreieckspiel für werdende Eltern, das ein Rollenspiel unter Verwendung einer Puppe beinhaltet (Carneiro et al. 2006).

Eine gesicherte Erkenntnis der Ko-Elternschaft-Forschung ist, dass in den ersten 100 Tagen nach der Geburt des Kindes spezifische Muster von Ko-Elternschaft beobachtbar sind, die eine bemerkenswerte zeitliche Stabilität bis ins Vorschulalter aufweisen. Häufig werden sie bereits durch in der Schwangerschaft bestehende Partnerschaftskonflikte ungünstig beeinflusst (Feinberg 2003; McHale 2007; von Klitzing 2002). Negative Ko-Elternschaft in Form von kompetitivem Verhalten beider Elternteile im 2. Lebensjahr des Kindes wies in der Studie von Umemura, Christopher, Mann, Jacobvitz und Hazen (2015) einen bedeutsamen Zusammenhang zu oppositionellen Verhaltensweisen der Kinder, ADHS Symptomen bei Jungen und somatischen Beschwerden bei Mädchen im Alter von sieben Jahren auf.

Ko-Elternschaft wird nicht nur durch extrafamiliäre, familiäre und partnerschaftliche Einflüsse sondern auch durch individuelle Persönlichkeitsmerkmale eines Elternteils geprägt. Beispielsweise konnten als sogenannte „Quick-switch-Väter“ im 12. Lebensmonat des Kindes Väter identifiziert werden, die eine hohe Flexibilität und Selbstbeherrschung aufwiesen und ungünstige Auswirkungen des Partnerschaftskonfliktes vom Kind fernhielten (McHale 2007). Zusammenfassend ist die Ko-Elternschaft dafür verantwortlich, dass Generationsgrenzen eingehalten, das Kind vor Paarkonflikten geschützt und die Entwicklung von Sicherheit und Verbundenheit zwischen Familienmitgliedern gewährleistet werden.

Folgerungen für die Mutter-Kind-Behandlung

Die Vater- und Ko-Elternschaft-Forschung demonstriert die Bedeutung des Vaters und wie er sich selbst in der Rolle als Vater sieht, sowie als kooperierende Elternfigur und als Partner der Mutter. Die Anerkennung dieser unterschiedlichen Einflussbereiche des Vaters auf die Entwicklung des Kindes ist wichtig, um sicherzustellen, dass potentielle Interventionsziele nicht übersehen werden, die zur Entwicklung, Stärkung und Stabilisierung von Familien in der frühen Phase der Elternschaft beitragen können. Dies ist von besonderer Relevanz, wenn die Mutter in der Schwangerschaft oder im Postpartum (ersten 12 Monate nach der Geburt) eine psychische Erkrankung (z. B. Depression) entwickelt. Typischerweise erfolgt im klinisch-therapeutischen Setting eine Mutter-Kind-Behandlung eher selten mit aktiver Beteiligung des Vaters. Die vorliegenden Erkenntnisse legen jedoch nahe, die Väter von Anfang an als therapeutische Ressource in das Behandlungssetting einzubeziehen und die kompensatorischen Beiträge, die sie zur Ausbildung einer positiven Ko-Elternschaft einbringen können, zu validieren und zu fördern. Hierbei sind Erwartungen und Rollenvorstellungen des Vaters an sich selbst und an die Mutter seines Kindes zu berücksichtigen.

Potentielle Auswirkungen der postpartalen Depression der Mutter, beispielsweise in Form von emotionalem Rückzug des Vaters vom Kind (spillover) in der zweiten Hälfe des ersten Lebensjahres, wenn die postpartale Depression der Mutter persistiert (Goodman et al. 2014), sind anzusprechen, um die Identifikation des Vaters für Möglichkeiten der Vorbeugung solcher Tendenzen und um beiderseitiges Verständnis zu fördern. Angesichts der Verquickung zwischen der väterlichen und mütterlichen psychischen Gesundheit im Postpartum birgt die postpartale Depression der Mutter ein erhöhtes Risiko, dass auch der Vater, wenngleich zeitlich verzögert, an einer postpartalen Depression erkrankt (Paulson und Bazemore 2010). Instabile Stimmung, zunehmende Ängste und depressive Verstimmung betroffener Väter in den ersten sechs Lebensmonaten nach der Geburt können das Risiko für häusliche Gewalt gegenüber der Partnerin erhöhen (Hedin 2000). Paarinterventionen können von Nöten sein, um die Paarbeziehung positiv zu fördern, die eine Schlüsselrolle für eine erfüllende Vaterschaft und beim Aufbau einer triadischen Vater-Mutter-Kind-Beziehung einnimmt. Abschließend ist es gerade die Komplexität der Risikobelastung bei psychischen Erkrankungen im Postpartum, die Ko-Elternschaft als ein veränderbares Interventionsziel der Eltern-Kind-Behandlung, ggf. bereits während der Schwangerschaft, nahelegt.