Ein Bekannter kommt mit seinem Vater in meine Ordination. Den Vater hatte ich etwa 4 Jahre nicht gesehen. Damals war er sehr agil und nicht auf fremde Hilfe angewiesen. Nun kämpft sich sein Sohn mühsam mit ihm in den Behandlungsraum, gemeinsam gelingt es uns, den Vater auf den Behandlungsstuhl zu setzen. Er ist praktisch nicht ansprechbar, apathisch und offensichtlich krank.

Auf meine entsetzte Frage, was dem Vater fehlt, antwortet der Sohn: „Meinem Vater geht es sehr schlecht, jetzt muss er täglich schon 22 Medikamente nehmen“. Sofort fiel mir Prof. Arnetzls Vortrag in Rust ein. Da ich zufällig auch den behandelnden Arzt kannte, versprach ich dem Sohn, mit dem Hausarzt gemeinsam die Medikamentenliste zu durchforsten, unter dem Vorwand: Der Vater sollte jetzt von mir zwei weitere Medikamente bekommen und ich müsse mich vergewissern, ob es nicht gefährliche Wechselwirkungen geben könnte.

Mit dem behandelnden Arzt vereinbarte ich in einem längeren Telefonat die Reduktion der Medikamentenliste auf ca. 5 bis 6 Präparate. Von mir benötigte er nur noch das Antibiotikum, ein Antiphlogistikum war bei den verbliebenen Medikamenten ohnehin dabei.

Einige Wochen später kam ich zufällig beim Haus der bekannten Familie vorbei und traute meinen Augen nicht: Der Vater steht unter einem Apfelbaum und sammelt die abgefallenen Äpfel auf. Ich grüße ihn, wir wechseln einige Worte und er freut sich, „dass er sich jetzt endlich auch gesundheitlich wieder gefangen habe“.

Es stimmt: Das schlechteste Medikament ist das vierte. (Erkenntnis stammt leider nicht von mir, sondern von einem Grazer Pharmakologen.)

Allein die Summe der Nebenwirkungen vieler Medikamente ist schlimm genug. Über die Interaktionen so vieler Medikamente, und davon gibt es gewiss sehr viele, ist überhaupt nichts bekannt.