Winter 2021. Die Infektionszahlen sind hoch, die Pandemie an einem ihrer vielen Höhepunkte. Schüler*innen erleben nun schon seit zwei Jahren Schule im Ausnahmezustand: das Fehlen persönlicher Kontakte zu Gleichaltrigen und Lehrkräften, Distance Learning, das Tragen von Masken – zeitweise sogar während des Sportunterrichts –, ein Alltag geprägt von Ängsten und Sorgen um die eigene Gesundheit und die der anderen. Die Auswirkungen sind gravierend, wie zahlreiche Studien [1,2,3] zeigen: Kinder und Jugendliche leiden vermehrt an Depressionen, Angststörungen sowie gestörtem Essverhalten, und auch Suizidgedanken haben dramatisch zugenommen. Doch Vieles in dieser Zeit ist nicht neu, sondern wird höchstens durch die neue Situation verschärft: fehlende Aufmerksamkeit für die individuellen Bedürfnisse der Schüler*innen, ein Fokus auf Benotung als Maßstab der Entwicklung, immenser Leistungsdruck bei einer gleichzeitig zunehmenden Zahl an „abgehängten“ Kindern und Jugendlichen. Die Pandemie zeigt einmal mehr, wo die Defizite liegen, aber auch WIE wichtig der Lebensraum Schule für die Entwicklung der Kinder ist.

So sollte Schule sein …

Artikel 14 des österreichischen Bundesverfassungsgesetzes besagt, Kindern solle die „bestmögliche geistige, seelische und körperliche Entwicklung“ ermöglicht werden, „damit sie zu gesunden, selbstbewussten, glücklichen, leistungsorientierten, pflichttreuen, musischen und kreativen Menschen werden, die befähigt sind, […] Verantwortung für sich selbst, Mitmenschen, Umwelt und nachfolgende Generationen zu übernehmen“ [4].

Gemäß Artikel 29 UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK; [5]) haben Kinder „das Recht auf eine ganzheitliche Bildung, die die Entfaltung der Persönlichkeit, der Talente und der geistigen und körperlichen Fähigkeiten ermöglicht, die Achtung der Menschenrechte und Grundsätze der UN-Kinderrechtskonvention vermittelt und die das Kind auf ein verantwortungsbewusstes Leben in einer freien Gesellschaft im Geiste des Friedens, der Toleranz, Gleichberechtigung der Geschlechter sowie Demokratie und Weltoffenheit vorbereitet.“

Die Schule hat also neben der Wissensvermittlung eine hohe Sozialisationsfunktion und den klaren Bildungsauftrag, junge Menschen im Sinn des Artikels 29 UN-KRK zu unterrichten.

Die letzten Jahre zeigen: Das Ziel der „bestmöglichen Entwicklung“ wird leider im österreichischen Bildungssystems zu oft verfehlt. Schule, wie sie heute gestaltet ist, bietet Kindern und Jugendlichen viel zu selten den Raum, die Zeit und die „Nahrung“, die sie brauchen, um sich entfalten zu können und zu selbstbewussten und zufriedenen Erwachsenen zu werden – oder auch um selbstbewusste und zufriedene junge Menschen zu sein (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Grundlagen einer kinderrechtstauglichen Schule (Quelle: kija Salzburg)

Es braucht eine bessere Schule – für ALLE

Für eine Schule, in der Kinder als „ich-starke Menschen, die in der Lage sind, sich selbst ein Urteil zu bilden, Entscheidungen zu treffen, wissen wie man mit (kulturellen) Differenzen umgeht und in der Lage sind, ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten“ [6], fehlt es – strukturell bedingt – an grundlegenden Zutaten. Psychosoziale Fachkräfte sind leider nicht wie in den skandinavischen Ländern integrativer Bestandteil einer jeden Schule, sondern Mangelware und es herrscht ein dem Föderalismus und Töpfe-Denken geschuldetes Flickwerk. Auch für soziale Kompetenzen wird viel zu selten die Grundlage in der Schule gelegt. Statt auf Zusammenarbeit, Partizipation und ganzheitliches kritisches Denken liegt der Fokus auf Konkurrenz und lehrplangemäßem abruf- und messbaren Einzelleistungen.

Es ist höchst an der Zeit, Schule nicht nur NEU zu denken, sondern nach wissenschaftlichen pädagogischen Erkenntnissen umzubauen und den Lehrplan grundlegend zu entrümpeln: „Die Vermittlung von Lernstoff ist heute nicht mehr das Wesentliche. Es geht nicht mehr darum, was wir wissen – Google weiß alles. Es geht darum, was wir mit unserem Wissen tun können. Dafür brauchen Kinder in der Schule Raum […]. Am wichtigsten sind da Kreativität, das Vermögen, komplexe Lösungen zu finden, lateral zu denken, also abseits des Mainstreams“ [7].

Damit kein Missverständnis entsteht: Die Mehrzahl der Lehrkräfte gibt ihr Bestes, ist erfinderisch und jeden Tag aufs Neue höchst flexibel und bemüht, den Kindern angesichts von Distance Learning oder sich laufend ändernden Verordnungen einen möglichst „normalen“ Schulalltag mit Tagesstruktur zu ermöglichen, sie zu motivieren, zu fördern, zu unterstützen und sie – auch emotional – zu erreichen bzw. ihnen einen problemfreien Raum zu bieten. Vielen gelingt dies trotz der im Folgenden aufgezeigten strukturellen Schwachstellen sowie der aktuellen Mammutaufgabe der Pandemiebewältigung. Die herausfordernde Arbeit von Pädagog*innen kann daher generell, insbesondere aber in Zeiten der COVID-19-Krise, gar nicht hoch genug geschätzt und gewürdigt werden!

Kinder und Jugendliche als Individuen wahrnehmen

In Österreich werden Bildungsnachteile im internationalen Vergleich überproportional häufig vererbt: Die Zukunftschancen der Kinder hängen zu einem Großteil vom sozialen und ökonomischen Hintergrund der Herkunftsfamilie ab. Nicht alle Eltern haben die zeitlichen und finanziellen Ressourcen oder das kulturelle Kapital, um ihre Kinder beim Lernen zu unterstützen. Mehr als ein Drittel aller Kinder benötigt bzw. erhält Nachhilfeunterricht, die Ausgaben dafür betrugen vor der Pandemie jährlich 86 Mio. €! Doch statt diese ungleichen Startbedingungen auszugleichen, trägt die Schule zur Verhärtung sozialer Unterschiede bei.

Dabei lautet schon das Ziel der Schulreform 1918 und der Kinderrechtskonvention von 1989: Alle Kinder sind gleich, kein Kind darf benachteiligt werden, allen Kindern soll ohne Unterschiede eine optimale Bildungsentfaltung gesichert werden. Statt Kinder in jene einzuteilen, die des Gymnasiums würdig sind und jene, denen dies nicht zugetraut wird, müssen alle Schüler*innen individuell gefördert werden. Vor allem in den ersten Schuljahren sollten Gespräche über die Bedürfnisse und individuellen Fähigkeiten der Kinder einer Benotung vorgezogen werden.

Die über alle gelegten Bildungsstandards machen die Schule nicht gerechter, sondern rauben Mut und Kreativität. Jedem Kind muss ressourcenorientiert begegnet werden, jedes Kind soll ausreichend Zeit für seine individuelle Entwicklung bekommen. Das bestätigen auch neurobiologische Erkenntnisse bzw. führende Hirnforscher: „Es wäre also an der Zeit, aufzuwachen und unsere Schulen in das umzuwandeln, was sie sein müssten: Werkstätten des Entdeckens und Gestaltens, Erfahrungsräume zur Entfaltung der in allen Kindern angelegten Potenziale, Begegnungsorte für das Voneinander- und Miteinander-Lernen, Basislager des Erlebens von gegenseitiger Achtung und Wertschätzung und des Gefühls, aneinander und miteinander über sich hinauswachsen zu können“ [7].

Wieviel Zeit und Raum braucht Schule?

„Die perfekte Schule wäre wie ein Hotel mit großen Räumen, schönen Möbeln, Deko und hübschen Bildern an der Wand. Man könnte dort im Pool sitzen und in wasserfeste Hefte schreiben.“ (Helena, 10; [8])

Helena beschreibt eine Schule, deren Räumlichkeiten einladend sind, wo auf Komfort, Ästhetik und Wohlbefinden Wert gelegt wird. Für Kinder und Jugendliche wie Helena ist die Schule ein Ort, an dem sie einen Großteil ihres Alltags verbringen. Sie ist sozusagen ihr Arbeitsplatz. Und doch bieten Schulen selten Bedingungen, die dem positiven Arbeiten zuträglich sind. Zunächst der Faktor Zeit: Für viele junge Menschen wirkt sich der frühe Schulbeginn und die unflexible Aufteilung des Unterrichts in 50-minütige Einheiten negativ auf das Wohlbefinden aus. Diese Form des Unterrichts entspricht nicht den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, ist unphysiologisch und sollte unbedingt überdacht werden [9].

Nicht mehr zeitgemäß sind auch die langen Ferien, die die meisten berufstätigen Eltern vor große Herausforderungen stellen und für die meisten Kinder nach der großen Freude über „endlich Sommerferien“ in Langeweile münden. Auch aus Solidarität mit allen anderen ist es das Gebot der Stunde, die Ferien insgesamt zu reduzieren und das gemeinsame Leben am Standort während der Schulzeit mit den Kindern in den Vordergrund zu rücken: gemeinsames Essen, gemeinsame Freizeit, gemeinsames Erarbeiten von Inhalten. Auch muss die Schule den Lehrenden am Standort adäquate Arbeitsbedingungen bieten, Zeit und Raum für ungestörte Vorbereitung ebenso wie für fächerübergreifende Projekte oder pädagogische Schulentwicklungsprozesse.

Apropos Raum: Verglichen mit den meisten Arbeitsplätzen der Erwachsenen, stehen Kindern und Jugendlichen bedeutend weniger Platz zur Verfügung. Laut Schulverordnung sind es 1,6 m2, die Schüler*innen zustehen [3], wogegen Erwachsene durchschnittlich acht Quadratmeter (12–15 m2 in Mehrpersonenbüros) für sich nutzen können [10]. Zum mangelnden Raum kommt das Problem der Luftqualität hinzu. Und das nicht erst seit Pandemiebeginn. Schon zuvor stand fest: Abgestandene, schlechte Luft reduziert die Konzentrationsfähigkeit. Und doch wird erst jetzt darüber diskutiert, Schulen mit Lüftungsanlagen auszustatten [11]. Viel zu spät, denn durch die Versäumnisse der Vergangenheit frieren auch im zweiten Pandemiewinter die Schüler*innen in den Klassenräumen, in denen aus hygienischen Gründen auch bei Minusgraden häufig gelüftet werden muss.

Die meisten Klassenzimmer sind zudem viel zu wenig flexibel und bieten nur eingeschränkt Möglichkeiten, spielerisch und interaktiv zu unterrichten und zu lernen. Auch fehlen Räumlichkeiten, in die Schüler*innen sich zurückziehen und zur Ruhe kommen können. Schulen der Zukunft brauchen eine neue Architektur, die ein positives Raumklima schafft und ausreichend Orte für unterschiedliche Bedürfnisse bietet.

Schule als Ort der Begegnung

Dass es auch anders geht – und wie wichtig die Einbettung der Schule in ihre Umwelt ist – zeigen zahlreiche Beispiel aus der Praxis. Der Campus Rütli [12] in Berlin wurde von Anfang an als integraler Bestandteil des Stadtbezirks geplant. Der Campus ist ein Ort, an dem sich verschiedene Generationen begegnen können, ein offener Lebensraum mit öffentlichem Spielplatz, ein Ort für unterschiedliche Vereine, Veranstaltungen und Initiativen. Ein weiteres positives Beispiel wäre die Paracelsus-Schule Salzburg [13], eine heilpädagogische Sonderschule, die zeigt, wie wichtig naturnahe Flächen für Kinder und Jugendliche sind und wie sehr junge Menschen von Begegnungen mit Tieren und der Natur profitieren können. All dies erfordert vor allem eines: das Ausbrechen aus gewohnten Denkmustern. Lernen muss holistisch aufgefasst werden und damit auch die Räume, in denen gelehrt und gelernt wird. Mit der Raum.Wertanalyse wurde dafür eine wirksame Methode entwickelt, wie partizipativ und gemeinsam mit allen Nutzer*innen, die Nutzungsqualität von Schulen und damit das Wohlbefinden gesteigert werden kann. Erfolgsbeispiele aus ganz Österreich, aber auch über den Tellerrand hinaus, können im Puls-Schulbauatlas, einer interaktiven Datenbank, eingesehen werden [14].

Der Schlüssel für gutes Lernen: Gute Beziehungen

„Ich träume von einer Schule, in der ich das lerne, was mich interessiert und was ich fürs Leben brauchen. In der alle nett zueinander sind und ich Freunde habe.“ (Linda, 15 Jahre; [8])

Linda macht auf einen zentralen Faktor aufmerksam: Das Fundament für einen gelingenden Unterricht sind gute Beziehungen – dies belegen auch zahlreiche Studien [15]. Positive Beziehungen zwischen Lehrpersonen und Schüler*innen sind einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren. Eine respektvolle und wertschätzende Begegnung führt dazu, „dass Kinder und Jugendliche sich als Personen, als Menschen, angesprochen, gespiegelt, verstanden und bejaht fühlen. Beziehung verbindet und beflügelt“ [16]. Das Ergebnis: Kinder verhalten sich empathischer, prosozialer und weniger aggressiv. Um positive Beziehungen zu Schüler*innen aufzubauen und auch zwischen den Gleichaltrigen zu fördern, sollten Pädagog*innen Kinder und Jugendliche demnach wertschätzend ansprechen und behandeln, ihnen zuhören und ihre Interessen, Freuden, Bedürfnisse und Nöte ernst nehmen.

Bei Rückmeldungen an Schüler*innen zu Verhalten und Lernfortschritt gilt es, darauf aufmerksam zu machen, was bereits erreicht wurde und gelungen ist, bevor Schritte zur Weiterentwicklung besprochen werden. Wenn Schüler*innen Fehler machen, sollte dies nicht getadelt, sondern als willkommene Möglichkeit zum weiteren Lernen gesehen werden. Diese Form der Fehlerkultur stärkt das Selbstwertgefühl von Kindern und Jugendlichen auch in Momenten, in denen das Erlernen von neuen Inhalten etwas mehr Anstrengung kostet. Damit wird gleichzeitig anerkannt, dass Lernen ein Prozess ist. Ein erwähnenswertes Beispiel dafür ist das Projekt „open school“ in Wien [17], mit individuellem Unterricht und verschiedenen Formaten, in denen die Schüler*innen Inhalte gemeinsam erarbeiten, präsentieren und diskutieren. Auch Schularbeiten werden immer gemeinsam mit dem Lehrenden verbessert. So lernen die Kinder gleich, wie es geht [18].

Ethisches Verhalten der Pädagog*innen: Reckahner Reflexionen

Die Realität an Schulen sieht, wie Metastudien ergeben haben, leider oft anders aus. Nur drei Viertel der Interaktionen zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen sind anerkennend oder neutral; 20 % werden als leicht verletzend und 5 % sogar als stark verletzend wahrgenommen [18]. Verletzende Verhaltensweisen reichen von Desinteresse, über Ungerechtigkeit – wie das Bevorzugen oder Benachteiligen einzelner Schüler*innen – bis hin zu Demütigung durch beleidigende und respektlose Worte.

Die Reckahner Reflexionen zur Ethik pädagogischer Beziehungen [19] sollen dazu beitragen, pädagogische Beziehungen „menschwürdig“ zu gestalten. Die Richtlinien stellen klar: Es ist ethisch nicht zulässig, Kinder und Jugendliche diskriminierend, übergriffig oder unhöflich zu behandeln. Ebenso wenig tolerierbar ist es, wenn Lehrkräfte auf das Verhalten von Kindern und Jugendlichen herabsetzend, ausgrenzend oder überschießend reagieren. Entmutigende und entwertende Aussagen über die Produkte und Leistungen von Schüler*innen müssen als Tabu gelten. Zusätzlich dürfen Lehrpersonen auch von Schüler*innen an Mitschüler*innen gerichtete Verletzungen nicht hinnehmen.

Schule als Ort gelebter Gewaltprävention

Jedes fünfte Kind in Österreich macht in seiner Schullaufbahn Erfahrungen mit Mobbing [20] und Lehrer*innen fehlt oft das entsprechende Werkzeug. Es braucht neben einer zentralen Mobbinganlaufstelle nach oberösterreichischem Vorbild [21] Peer-Mediation an jeder Schule sowie – immens wichtig! – Coaching und Supervision für Lehrpersonen, wie sie mit herausfordernden Situationen im Klassenzimmer umgehen sollen.

Es ist ein fundamentales Recht von Kindern, vor physischer und psychischer Gewalt geschützt zu werden. Konkret garantiert Artikel 19 der UN-KRK [5] allen Kindern und Jugendlichen das Recht auf gewaltfreies Aufwachsen. Wie nationale und internationale Studien bestätigen, kann die Schule durch eine entsprechende Gesamtstrategie das Konflikt- und Gewaltniveau stark reduzieren. Gelebte Gewaltprävention ist eine Schulentwicklungsaufgabe, die alle betrifft. Auf Basis eines breiten Konsens in Schule und Schulgemeinschaft können akute Gewalt- und Konfliktsituationen frühzeitig erkannt, bearbeitet und gelöst werden; es kann aber auch präventiv eine Schulatmosphäre geschaffen werden, in der sich alle wohl, sicher und zugehörig fühlen. Dafür ist es unter anderem notwendig, dass alle in der Schule tätigen Erwachsenen in ihrer Vorbilderfunktion gewaltfrei kommunizieren sowie partizipativ Regeln etabliert und Grenzen gesetzt werden [22]. Beispiele für nachhaltige Gewaltpräventionsprogramme gibt es viele [23].

Die Schule muss zudem einen sicheren Ort für junge Menschen bieten, die anderorts psychischen Belastungen oder Gewalt ausgesetzt sind. Lehrpersonen müssen über Basiswissen über häusliche Gewalt verfügen, um gegebenenfalls richtig reagieren zu können. Dazu braucht es ein gutes Vertrauensverhältnis zwischen Lehrenden und Schüler*innen, ein Klima, das Zivilcourage fördert und ermöglicht – sowohl bei Lehrpersonen, als auch bei Schüler*innen. Auch Grenzverletzungen und mögliche Gewalthandlungen von Lehrpersonen müssen verhindert und reflektiert werden sowie interne und externe Beschwerdestellen bekannt sein, damit sich alle Schüler*innen wohl und sicher fühlen. Die Basis dafür ist ein umfassendes schulspezifisches Kinderschutzkonzept, das ALLE am Standort tätigen Personen als Haltung mittragen: von der Direktorin bis zum Sportwart und das unter Einbindung der Kinder und Jugendlichen erstellt und allen, inklusive Eltern, bekannt ist.

Eine zukunftsfähige Schule braucht lebensnahes Lernen

„Schule sollte aufregend sein. Etwas, das Spaß macht und nicht langweilig ist, in der viele verschiedene Sportkurse angeboten werden – und viel Mathe. Ich stelle mir ein großes weißes Haus mit Steintreppen vor und rundherum spielen die Kinder Fußball, Basketball und Tennis.“ (Tobe, 8; [8])

Andere Kinder wünschen sich mehr Sprachen, Hip-Hop oder Yoga. In England werden pro Semester mindestens drei Sportarten unterrichtet, das Angebot reicht von Tennis bis Jazz Dance, von Leichtathletik bis Schwimmen, von Mountainbiken bis Judo, von Rugby bis Kunstturnen. So können die Kinder semesterweise Unterschiedliches ausprobieren und eine Sportart wählen, die ihnen wirklich Spaß macht. Jedenfalls sollten Bewegung und Spaß eine genauso große Rolle wie das inhaltliche Lernen spielen. In der Realität werden Bewegung und auch kreative Fächer als Nebenfächer gesehen und als weniger wichtig erachtet. Hinzu kommt die veränderte Lebensrealität junger Menschen, der das heutige Schulsystem nicht mehr entspricht. Im digitalen Zeitalter braucht es auch andere Formen des Wissenserwerbs und neue Arten der Wissensvermittlung. Informelles Lernen jenseits von Curricula gewinnt dabei zunehmend an Bedeutung.

Lehrpläne müssen demnach mit Fokus auf praktisch relevante Kompetenzen und mit Hinwendung zur Förderung von individuellen Fähigkeiten entrümpelt, anders gewichtet und neu erstellt werden. Beispielsweise sollte der Geschichte der Neuzeit mehr Platz in den Lehrplänen eingeräumt werden als der Steinzeit oder dem kreativen Schreiben in einer Schreibwerkstatt oder der Erstellung einer Steuererklärung. Die pädagogische Bedeutung von kreativen und musischen Fächern insbesondere Darstellender Kunst muss (an-)erkannt werden. Dabei können Kinder spielerisch sich selbst besser kennenlernen und in unterschiedliche Rollen schlüpfen. Auch Präsentations- und Vortragsfähigkeit sowie Selbstdarstellung werden trainiert. Gemeinschafts- und kreativitätsfördernde Aktivitäten – wie etwa Theaterspielen oder Kochen – sollen an der Tagesordnung stehen.

Gelebte Kinderrechte durch Partizipation

Es gibt neben der Familie kaum Bereiche, die Kinder und Jugendliche mehr betreffen als die Schule. Und doch fehlt es gerade in Schulen oft an echter und gelebter Partizipation. Lehrinhalte, die Gestaltung der Schule und des Unterrichts – all dies liegt außerhalb der Einflusssphäre der Schüler*innen. Dabei ist gerade die gelebte Beteiligung zentral für junge Menschen. Sie müssen Selbstwirksamkeit erfahren, auch um sich später als aktive und kritische Mitglieder einer Demokratie zu erleben. Partizipation darf deshalb kein Lippenbekenntnis bleiben. Die Wünsche und Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen müssen gehört und vor allem auch umgesetzt werden. Allen Schüler*innen muss vermittelt werden, dass sie ein wertvoller und geschätzter Bestandteil der Schulgemeinschaft sind und ebenso wie Eltern in einen nötigen Reformprozess einzubinden sind. Das ist keine Frage von „goodwill“, sondern ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Kinderrecht: Jedes Kind hat das Recht auf angemessene Beteiligung und Berücksichtigung seiner Meinung in allen das Kind betreffenden Angelegenheiten, in einer seinem Alter und seiner Entwicklung entsprechenden Weise. In Zeiten der Pandemie wurde beispielsweise in der Frage der Ablegung der Matura deutlich, wie wenig dieses Mitspracherecht (noch) verwirklicht wurde.

Psychische Gesundheit – Schule als sicherer Ort

Die Belastungen der Pandemiejahre haben einen massiven Mangel in der psychosozialen Versorgung junger Menschen aufgezeigt. In Österreich stehen für 1,1 Mio. Schüler*innen lediglich 181 Schulpsycholog*innen zur Verfügung! Auch wenn die österreichische Regierung 2022 eine Aufstockung im Bereich der Schulpsychologie und Schulsozialarbeit beschlossen hat, fehlt es massiv an ausreichenden niederschwelligen Unterstützungsangeboten für Schüler*innen, an die sie sich ohne Stigma und ohne diese im Bedarfsfall erst anfordern zu müssen, wenden können. Ziel muss sein, dass psychosoziale Fachkräfte kontinuierlich als fixer integraler Bestandteil an jedem Schulstandort präsent sind und in Form von Gesundheitsteams aus psychosozialen, psychologischen und medizinischen Mitarbeiter*innen bestehen [24].

Resümee

Eine begeisterte Schulanfängerin, die grundsätzlich voller Motivation und Freude in die Schule geht, wünscht sich nach wenigen Monaten vom zuständigen Minister: „Es soll bitte die Schule erst später anfangen, es sei so schwer so früh aufzustehen; bitte längere Pausen und vor allem öfters im Garten spielen und bitte mehr Sachunterricht, das ist so interessant!“

In diesem Beitrag wurden zahlreichen Baustellen unseres derzeitigen Bildungssystems aufgezeigt. Die Pandemie hat uns einmal mehr die sozialen Ungleichheiten und Problemfelder in diesem Bereich vor Augen geführt. Wir sollten dies nun zum Anlass nehmen, um grundlegende strukturelle Veränderungen anzugehen, an einer zukunftsfähigen Schule zu bauen und so Kindern und Jugendlichen – unabhängig von ihrer Herkunft oder den finanziellen Möglichkeiten der Eltern – die bestmögliche Entwicklung unter Rücksichtnahme auf individuelle Bedürfnisse und Fähigkeiten zu ermöglichen. Eine Schule im 21. Jahrhundert, ein Ort, an dem sich ALLE Kinder wohlfühlen und an dem sie lernen können, was sie für ihr Leben brauchen – ohne (Zukunfts‑)Angst, ohne ausufernde Nachhilfe, ohne Mobbing, mit Freude am Lernen.

Nutzen wir diese Zeit der Veränderung und des Umbruchs, um Schule neu zu denken. Denn die Zukunft, die auf die nachkommenden Generationen wartet, erfordert starke, engagierte, couragierte und kreative Menschen. Es liegt an uns, diese Entwicklung möglich zu machen.