Sehr geehrte Leserinnen, sehr geehrte Leser!

Ich darf in dieser Ausgabe von Pädiatrie & Pädologie einen Beitrag zum Thema „Neuerungen durch GINA 2020 bei Kindern mit Asthma“ bringen.

Gleich anfangs ergibt sich die Frage: Wer oder was ist GINA? GINA steht für Global Initiative for Asthma, eine Initiative, die 1993 gegründet wurde mit dem Ziel, mittels jährlicher unverbindlicher Stellungnahmen mehrerer Experten das Management des Asthmas bei Erwachsenen und Kindern zu standardisieren und zu aktualisieren. Daraus ergibt sich ganz klar, was GINA will und kann: Empfehlungen geben, die sehr generell sein müssen und für Erwachsene und Kinder weltweite Gültigkeit haben sollen.

GINA will generelle Empfehlungen geben, die für Erwachsene und Kinder weltweite Gültigkeit haben

Im Unterschied dazu sind Leitlinien systematisch entwickelte, evidenzbasierte, üblicherweise von Fachgesellschaften erarbeitete Handlungsempfehlungen, die eine lokale Relevanz und eine durchschnittliche Gültigkeit von fünf Jahren haben sollen. Diese sind zwar im Gegensatz zu Richtlinien auch unverbindlich, definieren aber in einer gewissen Weise den ärztlichen Standard. Jeder Arzt hat jedoch die Freiheit, in der Behandlung seines Patienten von der Leitlinie abzuweichen, sofern er dies begründen kann. Aus forensischen Gründen sollte dieses Abweichen dokumentiert werden. Je erfahrener und kompetenter ein Arzt auf dem Gebiet einer bestimmten Krankheit oder einer medizinischen Fragestellung ist, desto eher wird er bei einer individuellen Entscheidung zu Diagnose oder Therapie die Leitlinie verlassen können, ohne den medizinischen Standard zu gefährden. Dies hat besonders im Zuge einer personalisierten Präzisionsmedizin Gültigkeit, wenn beim Patienten nicht nur objektive Biomarker, sondern auch das soziale Umfeld, die kognitiven Fähigkeiten, die finanziellen Möglichkeiten, der kulturelle Hintergrund und die bekannte oder zu erwartende Medikamentenadhärenz berücksichtigt werden.

Richtlinien sind im Gegensatz zu Expertenempfehlungen und Leitlinien verbindliche Regelungen, die von rechtlich legitimierten Institutionen festgelegt werden. Ein Abweichen von einer Richtlinie kann dienst- oder berufsrechtliche Konsequenzen haben.

Liegt eine aktuelle Leitlinie, wie die evidenzbasierte S2k-DACH-Leitlinie zum Management des kindlichen Asthmas (2020) vor, so ist eine unverbindliche Empfehlung wie GINA 2020 grundsätzlich noch weniger verbindlich. Dies unter anderem auch deshalb, da die DACH-Leitlinie für die österreichischen Kinder mit Asthma bestimmt repräsentativer ist als die weltweit gültige GINA-Empfehlung. Wenn Betamimetika in vielen Ländern (nicht in Österreich) „over the counter“ erhältlich sind, inhalative Steroide aber ärztlich verschrieben werden müssen und damit teurer sind, wundert es nicht, dass die ungerechtfertigt hohe Monotherapie mit Betamimetika überhandnimmt und Schaden anrichten kann. Doch trifft das wirklich für die in Österreich betreuten Kinder mit Asthma zu? Ich bezweifle es. Auch deshalb, weil wir in Österreich eine standardisierte und strukturierte Schulung für Kinder mit Asthma und deren Betreuungspersonen anbieten und in der Therapie zum Beispiel ganz klar die notwendige antiinflammatorische Therapie auch beim milden frequenten Asthma (im Unterschied zum milden infrequenten Asthma) empfehlen und überprüfen.

Wenn Sie sich, liebe Frau Kollegin, lieber Herr Kollege mit der Behandlung des kindlichen Asthmas gut auskennen, unsere Leitlinien befolgen und ihre Patienten gut schulen, müssen Sie nicht jede GINA-Empfehlung 1:1 unkritisch übernehmen. Lesen Sie bitte meinen Beitrag und entscheiden Sie selbst. Ich wünsche Ihnen jedenfalls viel Freude mit der Lektüre und hoffe, dass Sie davon profitieren.

Mit lieben Grüßen

Ihr Josef Riedler