Die medizinisch-therapeutische Versorgung von (chronisch) kranken, behinderten und/oder psychisch auffälligen Kindern und Jugendlichen ist nahezu immer ein arbeitsteiliger Prozess, an dem die Familie, ihre erweiterte Umwelt und zahlreiche professionell Helfende beteiligt sind. Ebenso sind die Kompetenzen für die Versorgungsplanung, ihre Umsetzung sowie für die Bereitstellung und Absicherung der notwendigen Ressourcen strukturell, finanziell, juridisch und sozial stark zersplittert. Diese Umstände lassen gelegentlich den Blick auf Verantwortung und Verantwortlichkeit verschwimmen. Entscheidungen fallen dann anonym, ohne den Blick auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Kinder und ihrer Familien zu fokussieren.

Den Referenten der 12. Jahrestagung gelang es, einen umfassenden Blick auf die einzelnen Aspekte des Themas zu werfen:

Ulrich Hoffrages Vortrag befasste sich mit der Verantwortung im Spannungsfeld zwischen Gesetz, Gewissen und Ethik, der Verantwortung des Einzelnen in Systemen. Wir nehmen die Wirklichkeit nur selektiv wahr und sind verschiedenen Einflüssen ausgesetzt. Ein 10-Punkte-Programm (Der Luzifer-Effekt von Philip Zimbardo) hilft bei der Abwehr unerwünschter, schädlicher Einflüsse und der Macht von Umständen. Persönliche Verantwortung und Verantwortungsübernahme in Systemen sind entscheidend.

Walter Pfeil gab einen Überblick über die Aufgaben der Österreichischen Krankenversicherungsträger und deren gesetzliche Grundlagen. Die Grenzen zwischen Krankheit und Behinderung lassen sich aufgrund der medizinischen Fortschritte immer weniger gut festlegen. Dies wird aber im Sinn der Patienten großzügig gehandhabt. Die Diskussionen um die Zuständigkeit für eine notwendige bestimmte Leistung legen eine Akkordierung der einzelnen Gesetze durch den Gesetzgeber nahe. Bis dahin wären für die Patienten einheitliche Clearing-Stellen aller Beteiligten sinnvoll.

Claudia Wild befasste sich mit dem Thema der teuren Orphan Drugs, diese seien ungerechtfertigt teuer. Das Problem sei inzwischen auch ein EU-Thema. Verschiedene, im Auftrag der EU erarbeitete Möglichkeiten werden skizziert. Politische Lösungen sind notwendig, um eine ausreichende Versorgung der Patienten nicht zu gefährden.

Nicole Grois berichtete von den Schwierigkeiten während eines Tages in ihrer Kassenordination und darüber, wo bzw. warum das krankenkassenfinanzierte System derzeit (noch immer) versagt. Anhand von Fallbeispielen wird versucht, die Defizite und die benötigten Ressourcen zu definieren. Leider warten Kindergesundheitspläne, Rahmengesundheitsziele und Projekte des Bundesministeriums für Gesundheit und der Gesundheit Österreich GmbH noch immer auf ihre Umsetzung.

Ursula Liebing berichtete von dem gemeinnützigen Projekt SALUS für spezielle Zielgruppen (www.salusweb.at/index.php/de/). Seit 2010 wird die Chancengleichheit von Migranten im Gesundheitssystem durch die Ausbildung von migrantischen Frauen (und Männern) zu Lotsen im Österreichischen Gesundheitssystem verbessert.

Stephan Dangl zeigte anhand des Kindernetzwerks Industrieviertel die Bedeutung von Vernetzung, Kooperationsverträgen, Definition von Strukturen und Zuständigkeiten sowie permanenter Reflexion.

Irmgard Himmelbauer berichtete von der Therapielandschaft der Funktionellen Therapien als Fleckerlteppich verschiedener Anbieter, wobei es für Patienten unklar ist, wer was zu welchem Preis anbietet bzw. wo es was zu welchen Kosten gibt. Obwohl gesetzliche Grundlagen seit 1992 existieren, sind viele Patienten aus Kostengründen und Ressourcenmangel nicht ausreichend versorgt. Wünschenswert wäre eine ausreichende, kostendeckende und für Patienten kostenlose Versorgung durch Ambulatorien und niedergelassene Therapeuten.

Franz Waldhauser berichtete, dass der Bedarf an hochpreisigen Medikamenten in Zukunft die Finanzierung des Gesundheitssystems gefährden könnte. Die Kostenträger wehren sich naturgemäß. Der Vorschlag, die Kosten möglichst unbürokratisch aus einem gemeinsamen Topf zu finanzieren, ist offenbar bisher am fehlenden Willen bestimmter Stakeholder zur Kooperation ohne entsprechende gesetzliche Grundlage gescheitert.

Thomas Lion postulierte, dass die Ursache der geringen Inanspruchnahme von Supervision und Controlling durch Ärzte auch in der historischen Entwicklung dieses Berufs liegt. Veränderungsprozesse würden erst durch eine reflektierte Auseinandersetzung mit deren Selbstverständnis ermöglicht.

Tanja Pfleger gab einen Überblick über die Grundsätze der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und über die dadurch beeinflussten Kooperationsmöglichkeiten der Gesundheitsdienste.

Anna Glechner berichtete von einem Kooperationsprojekt der Medizinischen Universität Graz und der Donauuniversität Krems in Anlehnung an die Initiative Choosing Wisely eines New Yorker Arztes, um nicht notwendige Versorgungsleistungen zu reduzieren.

Isabel Schiel-Löffler berichtete vom Wiener Netzwerk Entwicklungsbegleitung, von den Problemen der im Zentrum für Entwicklungsförderung behandelten Patienten und den gesetzlichen Grundlagen für Interventionen.

Prof. Prat berichtete vom Schicksal Charlie Gards und verschiedenen Interventionen, die auch öffentlich diskutiert wurden. Bei der Entscheidung über lebensverlängernde Maßnahmen gehe es vor allem um das Prinzip der Verhältnismäßigkeit.

Insgesamt war die Tagung durch interessante, qualitativ hochstehende Vorträge, ein sachliches, offenes, respektvolles und motiviertes Diskussionsklima und die Tatsache gekennzeichnet, dass die aufgezeigten Probleme in der Versorgung von Kindern und Jugendlichen trotz jahre- bzw. jahrzehntelanger Bemühungen bisher nur ansatzweise verbessert wurden. Die Texte der Vorträge und die Aussagen während des Round Table stehen Ihnen in diesem Supplement zur Verfügung.

Wir danken für Ihr Interesse und würden uns über eine rege Diskussion freuen. Das Heft schließt wie jedes Jahr mit einer Resolution der Politischen Kindermedizin und den aus den aufgezeigten Defiziten resultierenden Forderungen an die Politik ab, die in weiterer Folge zu einer besseren Betreuung der uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen führen sollten.

Die Herausgeber

figure a

Ernst Tatzer

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Johann Deutsch

Othmar Fohler

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Nicole Grois

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Daniel Klicpera

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Christian Popow

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Irmgard Himmelbauer