Zusammenfassung.
Es werden einige Stationen in der Ausarbeitung der Begriffe Multikongruenz und Ergänzungsgleichheit nachvollzogen. Diese führte zur Herausbildung eines wohlumschriebenen methodischen Ansatzes und zu einer präzisen Definition des Begriffes Flächeninhalt für ebene Polygone. Ein wichtiger Aspekt dieser Entwicklung war es, eine klare Unterscheidung herauszuarbeiten zwischen dem maßtheoretischen Zugang zum Flächeninhalt – im nachfolgenden Flächenmaß genannt – und dem kongruenzgeometrischen Flächenvergleich, welcher über Multikongruenz (auch Zerlegungsgleicheit oder endliche Gleichheit genannt) und eventuell Ergänzungsgleichheit erfolgt. Während das Flächenmaß (im weiteren mit \(\mu\) bezeichnet) eine nichtnegative reelle Zahl ist, ist der Flächeninhalt im Sinne des Vergleichs eine Äquivalenzklasse (im weiteren mit A bezeichnet). In dem Rahmen, in dem wir uns hier bewegen werden, stützt sich der maßtheoretische Zugang in der Regel auf die bekannte Formel für das Flächenmaß des Rechtecks. Diese wird deshalb im nachfolgenden eine wichtige Rolle spielen. Nach einem Überblick zu Euklids Lehre vom Flächenvergleich im ersten und sechsten Buch seiner Elemente, welche den Ausgangspunkt für alle weiteren Entwicklungen darstellt, werden wir Legendre's Behandlung (1794) des Flächenmaßes des Rechtecks betrachten sowie seine begrifflichen Präzisierungen. Dann studieren wir zwei Abhandlungen von P. Gerwien (1833), welche sowohl in technischer als auch in konzeptueller Hinsicht wichtige Verbesserungen brachten und die Äquivalenz von Flächenmaß und Flächenvergleich für euklidische und sphärische Polygone bewiesen. Schließlich gehen wir auf Duhamels Kritik (1866) und auf Hilberts Grundlagen der Geometrie (1899) ein. Hilbert war es, der die Lehre vom Flächeninhalt in den axiomatischen Rahmen einordnete und der auch die heute üblichen Bezeichnungen einführte. Die Lösung Hilberts legte den Gedanken nahe, daß man Multikongruenz und Ergänzungsgleichheit auch in der hyperbolischen und in der sphärischen Geometrie verwenden können sollte. Das letztere hatte bereits Gerwien getan, das erstere wurde von H. Liebmann (1905) im Anschluß an die Dissertation von L. Gérard (1892) geleistet. Unsere Betrachtungen enden mit der einheitlichen Theorie des Flächeninhaltes, die A. Finzel (1912) ausarbeitete und die erstmals alle drei klassischen Geometrien umfaßte. Die Theorie des Flächeninhaltes wird systematisch vom modernen Standpunkt aus in [4] und in [44], Kap. XI, entwickelt; man vergleiche auch den Artikel von R. Kellerhals in dieser Zeitschrift ([35]) sowie den Übersichtsbeitrag [25] von H. Hadwiger. Eine auf den gymnasialen Mathematikunterricht ausgelegte elementare aber sehr ausführliche Darstellung gibt Faifofer ([15]).
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Eingegangen am 26.03.1998 / Angenommen am 25.05.1998
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Volkert, K. Die Lehre vom Flächeninhalt ebener Polygone: einige Schritte in der Mathematisierung eines anschaulichen Konzeptes. Math Semesterber 46, 1–28 (1999). https://doi.org/10.1007/s005910050050
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DOI: https://doi.org/10.1007/s005910050050