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In vielerlei Hinsicht hat das Thema der Formalisierung mathematischer Definitionen und Beweise in den letzten Jahren große Schritte in Richtung des akademischen Mainstreams gemacht – an mehreren Universitäten gibt es Mittel und Stellen für das Voranbringen des Themas und selbst Fields-Medaillisten wie Peter Scholze befassen sich mit den Möglichkeiten der Formalisierung – doch in der Mathematik-Literatur sind Dokumentationen von Grundlagen der Arbeit mit interaktiven Theorembeweisern nach wie vor ein Nischenthema. Das Buch „Exploring Formalisation“ von Clara Löh versucht diese Lücke zu schließen indem es zwar nicht versucht, ein Ersatz für einen nur interaktiv möglichen Einstieg in die Benutzung von Theorembeweisern – in diesem Falle die Sprache Lean – zu sein, aber dennoch eine gute Motivation liefert, sich praktisch mit solchen Sprachen auseinanderzusetzen und sich „die Hände schmutzig zu machen“. Die Autorin leitet hierbei von einigen Grundlagenbeispielen über zu jenen mathematischen Objekten, die ihr eigenes Forschungsfeld, die Topologie, bestimmen.

Das Buch beginnt mit einer Beschreibung der grundlegenden Benutzung und der Sprachelemente des Theorembeweisers Lean, verzichtet dabei allerdings gezielt auf eine genaue Abhandlung über das theoretische Fundament der Sprache. Die Einführung ersetzt damit zwar nicht die Online-Tutorials, auf welche im Text verwiesen wird, befähigt die Leserin allerdings dazu, die später folgenden Code-Abschnitte interpretieren zu können und ähnliche Beispiele selbst zu formalisieren.

Im zweiten Kapitel wechselt das Buch nun in die Struktur, die bis an das Ende beibehalten wird: Ein mathematisches Konzept mit ein paar Definitionen und simplen Lemmata wird zunächst in natürlicher, aber formal sehr präziser Sprache vorgestellt, um es anschließend in Lean-Code zu übersetzen. Dieser zweistufige Prozess, um von der groben Idee des mathematischen Inhalts zum verifizierten Beweis zu gelangen, eignet sich hierbei sehr gut, um die Denkweise und den Arbeitsprozess der Formalisierung zu veranschaulichen. Die gewählten Beispiele – Injektivität und Surjektivität, geometrische Summen und eine Charakterisierung der Null in den reellen Zahlen – decken dabei gut verschiedenste Aspekte und erste Hindernisse bei der Benutzung von Lean ab.

Der dritte Teil des Buches stellt exemplarisch dar, wie wir in Lean eine Infrastruktur, also eine Bibliothek mit Konstruktionen und Lemmata, für neue mathematische Objekte aufbauen können. In diesem Falle wurde das Beispiel von Simplizialkomplexen gewählt. Hier wird der Leserin deutlich gemacht, dass Designentscheidungen in solchen Strukturen nicht immer eindeutig sind und jeweils ihre Vor- und Nachteile haben. Neben der Definition von Simplizialkomplexen werden auch einige endliche Beispiele definiert und analysiert. Das Kapitel schließt mit einer Definition der Eulercharakteristik.

Während die Beispiele in Kapitel drei auf einigen wenigen grundlegenden Definition aufbauen, stellt Kapitel vier nun vor, wie wir auch abstraktere, zeitgenössische mathematische Konzepte formalisieren können welche wegen ihrer großen Abstraktionshöhe auf einem breiteren Fundament von schon vorhandenen formalisierten Strukturen stehen müssen. Als Beispiel dienen hier funktorielle Halbnormen. Nach der natürlichsprachlichen Einführung in das Beispiel wird eine Lean-Übersetzung präsentiert, welche auf Leans Kategorientheorie-Bibliothek aufbaut. Es wird deutlich, dass in solchen Beispielen die Diskrepanz von Stift und Papier zum fertigen Lean-Beweis größer ist als bei den elementareren Beispielen aus Kapitel drei.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es Clara Löh mit „Exploring Formalisation“ gelungen ist, einen leicht verdaulichen Einstieg in das Thema des interaktiven Theorembeweisens zu geben, der sicher bei dem aktuellen Zuwachs an Aufmerksamkeit, welchen das Thema bekommt, dabei helfen wird, Einsteiger davon zu überzeugen, dass es in kurzer Zeit möglich ist, die Fähigkeit zu erlernen, auch komplexe und abstrakte mathematische Konzepte mit Lean zu formalisieren und damit Computer-verifizierbar zu machen. Durch den kürzlichen Umstieg der Community auf Lean 4 hat das Buch in seiner konkreten Anwendbarkeit ein bisschen an Aktualität eingebüßt, aber ich hoffe, dass dem in einer zukünftigen Ausgabe Rechnung getragen werden kann. Auch eine komplett interaktive Version des Buches ist denkbar und könnte in Zukunft eine gute Ergänzung zu den vorhandenen Online-Ressourcen werden.