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Das Lösen polynomialer Gleichungen mit ganzzahligen Koeffizienten ist eine alte aber immer noch aktiv betriebene Beschäftigung. Inzwischen ist die Zahlentheorie so weit ausdifferenziert, dass zwischen elementar, algebraisch, additiv oder analytisch kaum noch Gemeinsamkeiten zu erkennen und manchmal die Ursprünge im Gleichungslösen nur noch zu erahnen sind. Ein Thema in diesem Bereich, das auf eine lange Geschichte zurückblicken kann, und direkt am Ursprung der modernen algebraischen Zahlentheorie eine zentrale Rolle gespielt hat, sind die binären quadratischen Formen. Standardbeispiele für die Frage nach der Darstellbarkeit ganzer Zahlen durch binäre Formen, d. h. der Lösung einer Gleichung der Form \(ax^{2}+bxy+cy^{2}=n\) für gegebene \(a,b,c,n\in\mathbb{Z}\), sind der Zwei-Quadrate-Satz (für den Fall \(x^{2}+y^{2}=p\)) oder die Pellsche Gleichung (\(x^{2}-dy^{2}=\pm 1\)). In der Antwort auf die allgemeine Darstellbarkeitsfrage verstecken sich viele interessante zahlentheoretische Konzepte und Aussagen, von modularer Arithmetik und Kongruenzbedingungen an Lösungen über das quadratische Reziprozitätsgesetz bis hin zur Klassengruppe.

Genau um diese Themen geht es im Buch “Topology of Numbers” von Allen Hatcher, wenngleich das dem Titel vielleicht nicht direkt anzusehen ist. Das Buch ist eine sehr gelungene Hinführung zur (algebraischen) Zahlentheorie quadratischer Zahlkörper mit einem bereits in der Einleitung angekündigten ungewöhnlichen Blickwinkel. Ungewöhnlich daran ist zum einen die klare Fokussierung auf die Theorie der binären quadratischen Formen, zum anderen der sehr geometrische und anschauliche Zugang über Farey-Graphen und Conway-Topographen. Dabei startet das Buch mit nur wenigen mathematischen Voraussetzungen, kommt aber bis zu einigen der typischen Höhepunkte wie dem quadratischen Reziprozitätsgesetz und der Klassenzahl quadratischer Zahlkörper, und ist damit ein fantastischer Einstieg in das Thema. Auch wenn der Zugang zur Klassengruppe über binäre Formen heute ungewöhnlich wirkt, entspricht dies tatsächlich eher der historischen Entwicklung: die Klassengruppe taucht zuerst bei Gauß für binäre quadratische Formen auf und wird erst später nach der Entwicklung des Idealbegriffs zu dem, was heute als \(K_{0}\) von Zahlringen verstanden wird.

Am Anfang des Buches steht ein Kapitel, das zur Motivation einige der wesentlichen Themen der Zahlentheorie am Beispiel der pythagoreischen Tripel vorstellt. Durch die Identifikation als rationale Punkte auf der Kreislinie ergibt sich mit stereographischer Projektion die bekannte Formel zur Erzeugung aller (primitiven) Tripel und damit die Verbindung zu binären quadratischen Formen. Die Frage, welche Zahlen in pythagoreischen Tripeln auftauchen können, führt zu Kongruenzbedingungen und motiviert die allgemeinere Frage der Darstellbarkeit ganzer Zahlen durch binäre quadratische Formen. In einer alternativen Herleitung mit komplexen Zahlen scheinen bereits quadratische Zahlkörper und ihre Normformen auf.

Die ersten drei Kapitel beschäftigen sich mit dem Farey-Graph auf der Menge \(\mathbb{Q}\cup\infty\), der als modulare Triangulierung der hyperbolischen Ebene mit rationalen Spitzen verstanden werden kann. Konstruktion und verschiedene geometrische Realisierungen werden ausführlich besprochen. Hauptanwendung im Buch sind die Kettenbrüche. Insbesondere wird, verteilt über mehrere Kapitel, der Satz von Lagrange bewiesen, der die quadratisch irrationalen Zahlen als diejenigen mit periodischer Kettenbruchentwicklung charakterisiert. Immer wieder werden im Kontext relevante zahlentheoretische Grundlagen entwickelt, wie der euklidische Algorithmus, der chinesische Restsatz oder die Eulersche \(\varphi\)-Funktion. In einem Kapitel zu Symmetrien des Farey-Graphen tauchen bereits, wenn auch versteckt, die Einheitengruppen von Zahlringen auf.

Danach folgt in drei weiteren Kapiteln ein detailliertes Studium binärer quadratischer Formen. Als geometrisches Werkzeug spielt dabei Conways Topograph eine zentrale Rolle, eine Veranschaulichung der ganzzahligen Werte der binären Form im dualen Baum zum Farey-Graphen, die durch eine einfache arithmetische Progressionsregel konstruiert wird. In Kapitel 4 wird der Topograph benutzt, um die Periodizität der Kettenbruchentwicklung quadratisch irrationaler Zahlen zu zeigen, diese Kettenbruchentwicklung zu berechnen sowie die Pellsche Gleichung \(x^{2}-dy^{2}=\pm 1\) zu lösen. Kapitel 5 behandelt dann Fragen der Klassifikation. Aus der Struktur des Topographen kann abgelesen werden, ob eine Form \(Q\) elliptisch oder hyperbolisch ist, d. h. ob die Gleichung \(Q(x,y)=ax^{2}+bxy+c^{2}=n\) endlich viele oder unendlich viele Lösungen hat. Auch die Diskriminante \(\Delta=b^{2}-4ac\) und die Äquivalenz von Formen sind in der Struktur des Topographen versteckt, und hier taucht nun auch zum ersten Mal die Klassenzahl auf. Der Rest des Buches beschäftigt sich danach hauptsächlich mit der Darstellbarkeit ganzer Zahlen durch binäre quadratische Formen und der Relevanz der Klassengruppe für diese Fragestellung. Dabei beginnt Kapitel 6 erst einmal mit einer ausführlichen Beispielsammlung zu den unterschiedlichen auftretenden Phänomenen, und es wird zuerst die einfachere Frage nach Realisierbarkeit durch irgendeine Form mit gegebener Diskriminante mit Hilfe von Kongruenzbedingungen beantwortet. An dieser Stelle haben dann das Legendre-Symbol und das quadratische Reziprozitätsgesetz ihren gebührenden Auftritt, letzteres ganz im Stil des Buches mit einem geometrischen Beweis nach Eisenstein.

Die beiden letzten Kapitel widmen sich dann der Klassengruppe. Dabei wird in Kapitel 7 der ursprüngliche Zugang von Gauß über die Komposition binärer Formen behandelt, in Kapitel 8 dann der “üblichere” Zugang über Idealtheorie in Ganzheitsringen. Beide Kapitel enthalten viele konkrete Beispiele zur Berechnung von Klassengruppen. Eine ausführliche Diskussion endlicher abelscher Gruppen und ihrer Struktur zeigt, z. B. mit einem Kriterium für ungerade Klassenzahl, wie hilfreich abstrakte Konzepte sein können. Kapitel 8 entwickelt dann die Äquivalenz beider Herangehensweisen (über Formen bzw. Ideale), wobei auch die geometrische Sichtweise auf Ideale als Gitter eine Rolle spielt. Außerdem werden weitere zahlentheoretische Themen wie Primidealfaktorisierung, Faktorialität von Zahlringen mit Klassenzahl 1 oder Zerlegung und Verzweigung von Primidealen diskutiert. Den Abschluss des Buches bildet ein Anhang mit Tabellen zu quadratischen Formen kleiner Diskriminante.

Insgesamt wird im Buch eine erstaunliche Menge an zahlentheoretischen Fragestellungen im Umkreis der binären Formen behandelt und an einer Fülle von Beispielen erklärt. Die Veranschaulichung an Farey-Graph und Conway-Topograph spielt eine wesentliche Rolle, und man hat das Gefühl, dass die Verbindungen zwischen Zahlentheorie und Geometrie nirgends so schön aussehen wie in der hyperbolischen Ebene. Darüberhinaus bieten die vielen Übungsaufgaben weitere Beispiele, Vertiefung und ab und zu Ausblicke in weiterführende Richtungen. Strukturierung und Aufbau des Buches sowie Zusammenstellung des Materials sind wirklich sehr gut überlegt. Es ist erstaunlich, wie gut die Herangehensweise über Farey-Graph und Conway-Topograph funktioniert, und wie viele zentrale zahlentheoretische Themen auf natürliche Weise aufeinander folgen. Mit diesem Panorama-Blick auf das Thema ist das Buch dem Standardwerk des Autors zur algebraischen Topologie nicht unähnlich.

Auch die Herangehensweise an die einzelnen Themen ist gut überlegt. Für jede Fragestellung werden mit mehreren Beispielen und oft geometrischen Veranschaulichungen die dahinterliegenden Mechanismen untersucht, und dann die Beweise entwickelt, oft mit elementaren Methoden. Damit bietet das Buch nicht nur eine Einführung in die zahlentheoretischen Themen, sondern hebt auch hervor, wie wichtig das Verständnis konkreter Beispiele auf dem Weg zur Erkenntnis ist. Immer wieder gibt es auch Einschübe, die über das Buch hinaus auf weiterführende Themen, wie z. B. das Klassenzahl-1-Problem, hinweisen.

Das Buch hat allen zahlentheoretisch interessierten Leserinnen und Lesern etwas zu bieten. Die Themen sind irgendwo zwischen elementarer und algebraischer Zahlentheorie angesiedelt, so dass es gut als Grundlage für eine Vorlesung zur elementaren Zahlentheorie, als Orientierung für ein Zahlentheorie-Seminar, aber auch als Quelle für Beispiele zur Vertiefung einer algebraischen Zahlentheorie-Vorlesung dienen kann. Große Teile des Buches dürften auch Schülerinnen und Schülern der gymnasialen Oberstufe zugänglich sein. Insgesamt aus meiner Sicht eine sehr empfehlenswerte Lektüre.