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Die mathematische Theorie der Pflasterungen hat drei Zutaten, die sie attraktiv für eine breite Leserschaft machen: Viele schwierige Probleme sind einfach zu formulieren. Es treffen sich hier viele mathematische Teilgebiete, etwa Algebra, Topologie, diskrete Geometrie oder Berechenbarkeitstheorie. Praktisch kein anderes mathematisches Thema lässt sich so schön illustrieren. All diese Zutaten bietet dieses Buch und bereitet sie zu einem abgerundeten Ganzen.

Das Standardwerk zur mathematischen Theorie der Pflasterungen in der euklidischen Ebene ist Tilings and Patterns von Branko Grünbaum und G.C. Shephard, erschienen 1987. Das hatte einen enzyklopädischen Anspruch, es sollte möglichst alles enthalten, was damals über die Mathematik von Pflasterungen der euklidischen Ebene bekannt war. Diesen Anspruch hat das vorliegende Buch nicht. Es ist ein best of von Tilings and Patterns, aber in Farbe (viel Farbe!). Neben Pflasterungen der euklidischen Ebene spricht Colin Adams in seinem Buch auch (jeweils sehr kurz) Pflasterungen in anderen Geometrien an: sphärische, hyperbolische, dreidimensionale euklidische und nichteuklidische Mannigfaltigkeiten. Wie schon in Tilings and Patterns gibt es auch hier ein Kapitel zu aperiodischen Pflasterungen, deren prominenteste Vertreter wohl die Penrose-Pflasterungen sind. Hier gab es seit Tilings and Patterns weitreichende Entdeckungen und Ergebnisse, wovon es aber nur wenige in dieses Buch geschafft haben.

Tatsächlich enthält dieses Buch wenige Themen, die nicht schon im Buch von Grünbaum und Shephard stehen. Unter diesen wenigen sind: die vollständige Liste der konvexen Fünfecke, die die Ebene pflastern; die Kari-Culik Wang-Tiles; das Taylor-Socolar-Prototile; Rekorde bei Heesch-Zahlen und Conways Orbifold-Notation.

Das Verdienst diese Buches liegt daher nicht in seiner Tiefe oder Neuheit, sondern der klaren und zugänglichen Aufbereitung des Themas sowie der phantasievollen Ausgestaltung. In einem nullten Kapitel werden alle benötigten mathematischen Grundbegriffe (etwa Abzählbarkeit, Gruppen, Homöomorphie, Isometrie, lineare Abbildung) einfach und anschaulich, aber dennoch präzise erklärt. In späteren Kapiteln werden alle Konzepte und Resultate mit spielerischer Leichtigkeit erläutert und dennoch wird praktisch alles auch sauber bewiesen. In den vielen farbigen Abbildungen schimmert immer wieder auch die kreative Ader des Autors durch. Wer andere Bücher von Colin Adams kennt, weiß, was gemeint ist. Das macht dieses Buch gerade für den nicht fachmathematisch gebildeten Leser zu einer wertvollen und ergiebigen Lektüre – falls der Umstand, dass das Buch auf englisch geschrieben ist, ihn nicht abschreckt.

Der Autor scheut an einigen Stellen auch vor anpruchsvollen und langen Beweisen nicht zurück – nicht ohne explizit davor im Vorwort zu warnen. Darunter sind etwa die zum Extension Theorem, zum Periodicity Theorem oder die Beweise der Aperiodizität der Robinson-Prototiles oder des Taylor-Socolar-Prototiles. Für mich sind die Klarheit und Lesbarkeit dieser Beweise die bemerkenswerten Beiträge in diesem Buch. Das sieht aber sicher jeder anders.

Insgesamt sehe ich vier Zielgruppen, denen ich das Buch empfehlen kann:

  • Interessierte Laien sehen hier, wie ausgehend von intuitiven Konzepten mathematische Definitionen, Herleitungen und Beweise entwickelt werden.

  • Lehrer und Dozenten, die Schüler- oder Studenten-Projekte durchführen wollen, im Rahmen einer Schülerakademie oder Projektwochen oder Ähnlichem, werden hier mehr als reichlich Material finden, von Mittelstufe bis Uni. Es gibt sehr viele interessante Übungsaufgaben sowie Vorschläge für Projekte, viele im Fließtext und einige gesondert gesammelt in einem Anhang. Sowohl die Aufgaben als auch die Projekte reichen von anspruchsvollen Puzzles bis zu offenen Problemen in der Forschung.

  • Universitätsdozenten, denen das Buch als Vorlage für eine einsemestrige Vorlesung dienen kann. Aus einer solchen heraus ist das Buch offenbar auch konzipiert worden. Es gibt aber deutlich mehr Material, als sich in einem Semester behandeln lässt, so dass man eine Auswahl treffen muss. Vorschläge dazu finden sich im Vorwort.

  • Fachmathematiker, die im Urlaub nicht auf mathematische Inhalte verzichten wollen, aber eine leichte, bunte und interessante Lektüre suchen. Obacht, die Theorie der Pflasterungen ist viel weiter als in diesem Buch beschrieben. Die offenen Probleme sind aber in der Tat meines Wissens nach alle offen, außer das auf Seite 193.