Das vorliegende Heft der „Mathematischen Semesterberichte“ greift schwerpunktmäßig einen aktuellen Anlass auf: Im vergangenen Jahr jährte sich der Tod von Richard Dedekind (1831–1916) zum hundertsten Male. Aus diesem Anlass fand in Braunschweig, seinem Geburtsort, der auch seine wichtigste Wirkungsstätte war, ein Kolloquium zu seinen Ehren statt. Aus diesem sind die vier Beiträge zu Dedekind hervorgegangen, die wir hier abdrucken. Natürlich war es uns nicht möglich, in dem hier gegebenen Rahmen die gesamte Breite des Dedekindschen Schaffens abzubilden; wir bieten einen Ausschnitt daraus, der sich auf seine Beiträge zu den Grundlagen der Analysis und deren philosophische Dimension konzentriert.

Unberücksichtigt bleiben Dedekinds Verdienste um die algebraische Zahlentheorie, insbesondere seine Idealtheorie (im Zuge seiner Herausgabe der Dirichletschen Vorlesungen über Zahlentheorie ab 1879) sowie deren Anwendungen auf Riemannsche Flächen (in einer gemeinsamen Arbeit mit Heinrich Weber von 1882). Zur Würdigung dieser Leistung zitieren wir Harold M. Edwards aus seiner Abhandlung „Dedekind’s invention of ideals“Footnote 1:

The success of Dedekind’s ideas has been so great that modern mathematicians unaware of the history have no idea how innovative they were. Pierre Dugac rightly called Dedekind’s first publication of his theory of ideals the “birthplace” of the modern set-theoretic approach to the foundations of mathematics.

Edwards diskutiert sehr lesenswert neben der Dedekindschen Theorie mit den idealen Zahlen von Ernst Eduard Kummer sowie den Divisoren von Leopold Kronecker alternative Zugänge für die Arithmetik in Zahlkörpern und erörtert, wieso sich gerade Dedekinds Ideale als so dominant erwiesen haben.

Ergänzt werden die im vorliegenden Heft abgedruckten Beiträge zu Dedekind durch einen kleinen Aufsatz, der Einzelheiten zu Dedekinds Berufung nach Zürich (1858) dokumentiert. Mit diesem eröffnen wir eine neue, mit „Dokumente“ überschriebene Rubrik, deren Ziel es ist, den Leserinnen und Lesern an Hand von Originalquellen einen authentischen Eindruck von wichtigen Ereignissen der Mathematikgeschichte zu vermitteln. In dieser Rubrik findet sich im vorliegenden Heft auch eine Arbeit von Ilka Agricola und Friedrich Pukelsheim. Sie widmet sich einem denkwürdigen Brief des Marburger Mathematikers Otto Niemeyer vom 16. Oktober 1970 an das Präsidium des Bundestags der Bundesrepublik Deutschland, in dem Niemeyer auf Unvollkommenheiten des Systems hinwies, mit dem die Sitze im Bundestag und in seinen Ausschüssen gemäß Wahlergebnis zugeteilt werden. Der aktuelle Anlass liegt auf der Hand.

Jörn Steuding, Klaus Volkert im Juni 2017