1 Umweltwirtschaftliche Fragestellungen zu Beginn des neuen Jahrzehnts – ein aktuelles Kompositum

Mehr als 18 Jahre ist es inzwischen her, dass das Umweltwirtschaftsforum (uwf) mit seinem Anspruch auf den Markt gekommen ist, aktuelle umweltwirtschaftlich relevante Fragestellungen zwischen Wissenschaft und Anwendungspraxis besser miteinander in Verbindung zu bringen und auf diese Art und Weise das systemische Zusammenspiel unterschiedlichster Akteure zugunsten einer umwelt- und nachhaltigkeitsorientierten Wirtschaftsentwicklung zu befördern. Der Spannbogen verschiedener Themenhefte reichte hierbei von den inzwischen bereits „klassischen“ Umweltwirtschaftsthemen wie Umwelt-, Nachhaltigkeits- und Risikomanagement, über Abfall-, Wasser- und Energiewirtschaft bis hin zur Förderung betrieblicher und gesellschaftlicher Lernprozesse oder aktueller Herausforderungen im Bereich Klimaschutz oder CO2-Management. Herausgeber, Gastherausgeber und Redaktion versuchten hierbei stets dem Anspruch gerecht zu werden, interessierten Lesern ein Ensemble neuester Erkenntnisse, Erfahrungen und Perspektiven zu offerieren, die ein aktuelles Sachthema auch in seiner Vielschichtigkeit beschreiben, um so dem Auffinden gangbarer nachhaltigkeitsfördernder Lösungspfade Vorschub zu leisten.

Dem großartigen Engagement unserer Gastherausgeber ist es zu verdanken, dass wir auch im vergangenen Jahr uwf-Ausgaben präsentieren konnten, deren sachthemenspezifische Angebotspalette mit vielen positiven Rückmeldungen quittiert wurde und etliche „Neuautoren“ des uwf dazu animierte, auch selbst einen Fachartikel für das uwf zu verfassen. Eine bunte Palette an vielfach hoch spannenden, veröffentlichungswürdigen Artikelangeboten häufte sich an, die in ihrer thematischen Ausrichtung und Darstellung zum uwf bestens passten, gleichzeitig jedoch zunehmend mit Warteschleifen vorlieb nehmen mussten. Schließlich fiel die Entscheidung, dem im zweiten Halbjahr 2010 deutlich zunehmenden Druck auf die knappen „Allmendeplätze“ nachzugeben und die erste Schwerpunktausgabe 2011 ausnahmsweise mal nicht als Themenheft, sondern als Revue aktueller umweltwirtschaftlicher Sachdiskussionen und Lösungsansätze erscheinen zu lassen. Fast alle der in dieser Ausgabe erstveröffentlichten Fachbeiträge sind deshalb Ergebnis einer Selektion verschiedenster Artikelangebote, die bei der uwf-Redaktion eingingen und nach Berücksichtigung von Gutachterempfehlungen nunmehr veröffentlicht werden konnten.

Herausgekommen ist eine thematische Komposition, die man durchaus als Ritt durch die aktuelle umweltwirtschaftliche Szenerie bezeichnen könnte und (so hoffen wir zumindest) gerade auch in diesem Sinne Gefallen bei Ihnen findet. Die beiden ersten Fachartikel beschäftigen sich dabei mit zwei höchst aktuellen Großinfrastrukturprojekten, die beide auf die umweltpolitisch willkommene Förderung von Transportalternativen zum Verkehrsträger Straße setzen und dennoch gerade bei der Hinterfragung ihres gesamt- bzw. umweltwirtschaftlichen Mehrwertes in einem besonders kritischen Licht erscheinen. Im Falle des Saaleausbaus argumentiert Prof. Zabel (Universität Halle) v. a. auf Basis seines betriebswirtschaftlichen Wissens und Erkenntnisinteresses, im Falle von Stuttgart 21 bringt der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer bahnlogistische Szenarienrechnungen zu Papier, die nicht nur im öffentlichen Raum der sogenannten „Geißler-Schlichtung“, sondern auch hinter den Kulissen der Deutschen Bahn selbst für große Aufmerksamkeit sorgten.

Spätestens seit die öffentliche Wahrnehmung des Atomunfalls von Fukushima bei den jüngsten Landtagswahlen in Baden-Württemberg unbestritten wahlentscheidend war, ist die Suche nach regenerativen Energieversorgungsalternativen wieder zu einem der Topthemen deutscher Forschungs- und Förderpolitik avanciert. Auch wenn die Halbwertszeit öffentlichen Interesses an einem bestimmten Sachthema den Massenmedien auch in diesem Falle bald wieder andere Überschriften abfordern wird – die durch Fukushima geschaffenen Fakten werden bleiben. Und nicht nur die Kraftwerksruine selbst, sondern grade auch die Einrichtung eines großflächigen permanenten Sperrgebietes inmitten einer der technisch fortgeschrittensten Zivilisationsräume der Erde wird das Drohgespenst „Irreversibilität“ wach halten. Aus diesem Grunde ist es sicherlich nicht übertrieben, nicht erst mit zeitlichem Abstand zu den Ereignissen von Fukushima, sondern bereits heute von einem kaum mehr umzukehrenden Dogmenwechsel zu sprechen, der die Energiepolitik weit über Deutschland hinaus dauerhaft verändern und deshalb auch die Beschäftigung mit regenerativen Energieträgern noch mehr belohnen wird, als dies zumindest in Deutschland bereits in vergangenen Jahren der Fall war. Die im uwf-Artikel von Herrn Pickerl und Prof. Dr. Wirl beschriebenen empirisch basierten Experimente zugunsten einer „Premium-Zahlungsbereitschaft“ von Konsumenten für regenerative Energien könnten dabei noch deutlich stärkere Ausprägungen erfahren. Auch die Beschäftigung mit neuen Bewertungsverfahren zur umweltbezogenen Bewertung von Investitionsalternativen dürfte mit Sicherheit weiter zunehmen, insbesondere wenn es, wie im Artikel von Herrn Nertinger und Prof. Wagner um sogenannte „Carbon Footprints“ geht. Dass das BMU auch auf dem Feld nichtenergetischer Ressourcenpolitik aktiv zu einer dauerhaften Richtungsänderung beitragen will, macht der dortige Leiter der Unterabteilung Ressourceneffizienz/Bodenschutz, Herr Reinhard Kaiser deutlich.

In den daran anschließenden vier Fachbeiträgen beschäftigen sich mehrere namhafte Autoren mit aktuellen Fragen zur nachhaltigen Unternehmensführung. Prof. Schaltegger und sein ebenfalls am Center for Sustainability Management der Univ. Lüneburg tätiger Doktorand Uwe Beständig skizzieren hierbei zunächst einmal Grundzüge eines „unternehmerischen Biodiversitätsmanagements“, bevor Prof. Arndt und der Wirtschaftsinformatiker Tietz einen in Zusammenarbeit mit der Volkswagen AG erarbeiteten Ansatz zur IT-technischen Unterstützung des Wissensmanagements für den betrieblichen Arbeitsschutz vorstellen. Im Anschluss hieran setzen sich Prof. Grothe und ihre Forschungsassistentin Fröbel mit der Frage nachhaltigkeitsfördernder Kompetenzentwicklung bei unternehmerischen Führungskräften auseinander und beschreiben eine Erweiterung des Kompetenzmessverfahrens KODE® um Nachhaltigkeitsaspekte, wobei sie dieses dann auch gleich in einer Pilotanwendung mit Studenten des berufsbegleitenden Masterstudiengangs „Nachhaltigkeits- und Qualitätsmanagement“ ihrer Hochschule testen. Zum Abschluss des Themenblocks nachhaltige Unternehmensführung diskutieren Dr. Peters und Prof. Zelewski Vor- und Nachteile unterschiedlicher strategischer Verhaltensoptionen bei nachhaltigkeitsorientierter Unternehmenspolitik.

Im Anschluss hieran ist nachhaltigkeitsorientierte Kommunikation ist das zentrale Thema zweier weiterer Fachartikel. Dr. Bauer fokussiert hierbei zunächst einmal auf die systembildende Zusammenarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen mit wissenschaftlichen Akteuren und exemplifiziert dies sodann am praktischen Beispiel der inzwischen fast zwanzigjährigen Historie des Ulmer Initiativkreises Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung e. V. (unw). Zum Abschluss offerieren Dipl.-Kffr. Rheinländer, Prof. Antes und Dipl.-Bw. Fiedler wesentliche Ergebnisse ihrer Untersuchungen zur Nutzung bzw. Wirkung von „Social Media“ (internetbasierten Kommunikationsplattformen) als nachhaltigkeitsfördernde Instrumentarien.

Die aktuelle „tour d’horizon“ durch die gegenwärtigen Hauptfoki der betriebswirtschaftlich relevanten Umwelt- und Nachhaltigkeitsdebatte endet – wie könnte es gegenwärtig anders sein – beim Thema Klimaschutz bzw. Klimaanpassung. Dr. Mahammadzadeh, selbst ein ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet, stellt dabei empirische Ergebnisse eines entsprechenden Umweltexpertenpanels des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln vor, das die klimabezogenen Informationsquellen von Unternehmen auffächert und hiernach auf die jeweilige Bedeutung unterschiedlicher Risikobewältigungsstrategien der befragten Unternehmen eingeht. Ebenfalls auf empirischer Grundlage basieren allerdings auch die Befunde von Dipl.-Ök. Mauritz, die sehr deutlich darauf hinweisen, dass konkrete Maßnahmen zur Abpufferung des Klimawandels von Unternehmensseite bislang kaum erfolgen. Mauritz erläutert wesentliche Ursachen hierfür und skizziert abschließend verschiedene Wege, über die aktuell bestehende Anpassungshindernisse abgebaut werden könnten. Passend zum Abschluss dieses Sachthemas werden Sie auch in dieser Ausgabe wieder einen Impulsbeitrag aus rechtswissenschaftlicher Sicht vorfinden, in dem sich die an der Heidelberger Kanzlei „Spillner & Spitz“ beheimatete Umweltrechtsspezialistin Dr. Andres zum aktuellen Sachstand der Einarbeitung klimaschutzfördernder Aspekte in deutsches Recht äußert und Anregungen zu erfolgversprechenden Modifikationen liefert.

Wir hoffen nun, Sie mit diesem ersten Aufschlag im neuen Jahr tatsächlich zu einem angeregten Perlenfischen ermuntern zu können. Und das mag für Sie vielleicht auch (bereits wieder) Ansporn genug sein, eigene innovative Forschungen, Weiterentwicklungen und Erfahrungen auf dem Gebiet der Umweltwirtschaft in einer der nächsten uwf-Ausgaben zu Markte tragen zu wollen. Vorhang auf!