1 Einleitung

Wie die Ereignisse der jüngeren Vergangenheit auch in der öffentlichen Wahrnehmung dramatisch vor Augen führen, nehmen naturgefahrenbedingte Schäden in ganz Europa zu. So liegt eine beträchtliche Anzahl von Studien zu Überschwemmungen entlang großer europäischer Flüsse vor (Di Baldassarre et al. 2018) und auch für Österreich zeigen zahlreiche Untersuchungen die Relevanz des Themas auf (Fuchs et al. 2015; Heiser et al. 2019; Schlögl et al. 2021). Aufgrund des beschränkten Dauersiedlungsraums ist es erforderlich, Naturgefahren und mit ihnen verbundene Risiken zu managen und neben technischen und organisatorischen Maßnahmen auch planerische Maßnahmen zu nutzen, um langfristig eine Reduktion der Schäden zu erreichen und die Entstehung neuer Risiken zu hemmen. Neue gesellschaftliche Herausforderungen im Naturgefahrenmanagement (Thaler et al. 2018) umfassen dabei nicht nur generell sozioökonomische Veränderungen in Bezug auf die Exposition im Siedlungsraum (Fuchs et al. 2017; Löschner et al. 2017), sondern beispielweise auch Aspekte des demografischen Wandels (Nordbeck et al. 2020). Der Raumplanung kommt hierbei im Sinne des Vorsorgeprinzips eine Schlüsselrolle zu.

Die Raumplanung stellt die Gesamtheit der Maßnahmen und Aktivitäten öffentlicher Gebietskörperschaften dar, die eine Gestaltung des Territoriums, basierend auf politischen Zielvorstellungen, zum Gegenstand haben (Gruber et al. 2018). In Bezug auf das Management von Naturgefahren wird der Raumplanung im Sinne einer integrierten Planung ein wichtiger Stellenwert bei der Verknüpfung von Gefahrenanalyse, Vulnerabilitätsabschätzung und Risikobewertung beigemessen. Der Raumplanung wird eine wichtige Rolle im Rahmen der Prävention zuteil, da durch Nutzungs- und Baubeschränkungen sowie Bauauflagen eine Reduktion von Risiken bewirkt werden kann.

Diese raumplanerischen Nutzungs- und Baubeschränkungen, die einen steuernden Effekt auf die Entwicklung der Landnutzung entfalten, gelten als öffentliche Aufgabe. In Österreich werden solche Beschränkungen durch die Gesetzgebung der Bundesländer umgesetzt (Gruber et al. 2018). Diese Gesetze regeln einerseits die sogenannte überörtliche Raumplanung und andererseits die örtliche Raumplanung der Gemeinden in ihren Zielen und Instrumenten. Entsprechend der Anzahl der Bundesländer gibt es somit neun unterschiedliche landesgesetzliche Regelungen, die, obwohl im Detail sehr unterschiedlich formuliert, alle zum Ziel haben, eine an das bestehende Gefahrenpotenzial angepasste Siedlungsentwicklung zu ermöglichen. Dem Bund kommt keine Kompetenz für die allgemeine Raumplanung zu, jedoch haben raumwirksame Fachplanungen Relevanz. Im Sinne des Naturgefahrenmanagements ist das Forstgesetz (ForstG 1975) (regelt die Gefahrenzonenpläne der Wildbach- und Lawinenverbauung) und das Wasserrechtsgesetz (WRG 1959) (regelt die Gefahrenzonenpläne der Bundeswasserbauverwaltung) zu nennen. Aus den neun unterschiedlichen Raumordnungsgesetzen der Länder lassen sich folgende grundsätzlichen Ansprüche der hoheitlichen Planung zusammenfassen, die auch im Sinne des Naturgefahrenmanagements Relevanz haben (vgl. auch Kanonier und Schindelegger 2018):

  • Zukunftsbezogen: Raumplanung soll in die Zukunft gerichtet sein und damit künftige Auswirkungen jeglicher Art berücksichtigen sowie kommende Entwicklungen vorwegnehmen.

  • Gebietsnutzungsbezug: Eine raumplanerische Betrachtung soll auf ein umfangreiches Gebiet bezogen sein und nicht (nur) für kleine Bereiche Aussagen treffen.

  • Entscheidungs- und Gestaltungsbezug: Durch raumrelevante Entscheidungen sollen künftige Perspektiven und Entwicklungen gesteuert werden.

  • Koordinierungs- und Optimierungsanspruch: Raumplanung soll die verschiedenen vorhandenen und oft divergierenden Interessen und Ansprüche bündeln, abstimmen, abwägen und schließlich Prioritäten setzen. Grundsätzlich steht aber nicht im Fokus, ein singuläres (wie auch immer geartetes, beispielsweise ökonomisches) Ziel zu maximieren.

  • Gemeinwohlbezogen: Grundsätzlich sollen öffentliche Interessen ein stärkeres Gewicht haben als Individualinteressen und deshalb bei einer Abwägung unterschiedlicher Ansprüche höher gewichtet werden.

  • Rationalitätsanspruch: Raumrelevante Entscheidungen sollen verhältnismäßig und nachvollziehbar sowie deren Grundlage transparent und begründbar sein.

Die Raumplanung als Steuerung der Siedlungsentwicklung wird von unterschiedlichen Planungsträgern auf den jeweiligen räumlichen Ebenen durchgeführt. Dabei werden verschiedene Fachbereiche berührt. Die raumordnungsrechtlichen Ziele weisen einen umfangreichen Katalog hinsichtlich verschiedener Materien auf. Wesentliche Aspekte dabei sind Wirtschaft, Land- und Forstwirtschaft, Umwelt, Grundversorgung etc. In Bezug auf den knappen Dauersiedlungsraum in Österreich ist eine kompakte Siedlungsstruktur als ein wesentliches öffentliches Interesse zu bezeichnen. Hierzu zählen beispielsweise ein sparsamer Umgang mit Grund und Boden als begrenzte Ressource, die Siedlungsentwicklung nach Innen (Nachverdichtung und „Lückenschluss“), Siedlungsstrukturen, die auf eine gute Standortplanung abstimmen (Vermeidung von Zersiedelung), und demensprechend die optimale Nutzung des Raumpotenzials.

1.1 Naturgefahren in der österreichischen Raumplanung

Alle Bundesländer, mit Ausnahme von Wien, haben in ihren raumordnungsrechtlichen Regelungen – in unterschiedlichen Ausprägungen – planerische Einschränkungen in Bezug auf Naturgefahren formuliert. Dabei zielen die derzeitigen raumordnungsgesetzlichen Ziele und Vorschriften prinzipiell darauf ab, eine Überschneidung von Gefahren- und Siedlungsraum zu vermeiden.

An oberster Stelle des hierarchischen Planungsakts der Raumordnungsgesetze befinden sich die Raumordnungsziele und -grundsätze. Die enthaltenen Zielvorgaben, welche das öffentliche Interesse definieren, sind Grundlage für die nachfolgenden Planungsakte. Hinsichtlich Schutz vor Naturgefahren ist das oberösterreichische Raumordnungsgesetz hervorzuheben, in dem die „Vermeidung und Verminderung des Risikos von Naturgefahren für bestehende und künftige Siedlungsräume“ explizit genannt wird (§ 2 Abs 1 Z 2 lit a OÖ ROG 1994). Ebenfalls erwähnenswert sind die Aufgaben und Ziele der überörtlichen Raumordnung gemäß Tiroler Raumordnungsgesetz. Demnach gilt als Ziel „die Sicherung des Lebensraumes, insbesondere der Siedlungsgebiete und der wichtigen Verkehrswege, vor Naturgefahren unter besonderer Beachtung der Auswirkungen des Klimawandels“ (§ 1 Abs 2 lit d TROG 2016). Konkrete Nutzungsverbote in Bezug auf Naturgefahren lassen sich aber aus den Raumordnungszielen und -grundsätzen nicht ableiten.

Die überdurchschnittlichen Schäden der letzten zwei Dekaden veranlassten einige Bundesländer dazu, ihre Raumordnungsgesetze dahingehend abzuändern, dass in Bezug auf Naturgefahren Widmungsbeschränkungen und -verbote – vor allem für hochwassergefährdete Bereiche – präzisiert wurden. So ist im Kärntner Gemeindeplanungsgesetz ein allgemeines Baulandwidmungsverbot für Gebiete festgelegt, die im „Gefährdungsbereich von Hochwasser, Steinschlag, Lawinen, Muren, Altlasten u. ä. gelegen sind“ (§ 3 Abs 1 lit b Ktn GplG 1995). Unabhängig von der Eintrittswahrscheinlichkeit (Frequenz) und der Ereignisgröße (Magnitude) liegt demnach ein Widmungsverbot für Bauland vor. Ebenso ist im Tiroler Raumordnungsgesetz kein Bezug auf Frequenz und Magnitude zu finden, sondern es wird allgemein festgelegt, dass von der Widmung als Bauland insbesondere Flächen ausgeschlossen sind, „soweit sie unter Bedachtnahme auf Gefahrenzonenpläne wegen einer Gefährdung durch Lawinen, Hochwasser, Wildbäche, Steinschlag, Erdrutsch oder andere gravitative Naturgefahren für eine widmungsgemäße Bebauung nicht geeignet sind“ (§ 37 Abs 1 lit a TROG 2016). Konkretere Vorgaben bezüglich Eintrittswahrscheinlichkeit finden sich in den Raumplanungsgesetzen anderer Bundesländer. So legt das Niederösterreichische Raumordnungsgesetz ein Widmungsverbot für hochwassergefährdete Bereiche, die bei 100-jährlichen Hochwässern überflutet werden (§ 15 Abs 3 Z 1 NÖ ROG 2014), fest. In Bezug auf andere Gefahrentypen finden sich jedoch auch hier nur allgemeine Aussagen zu einem Widmungsverbot für Flächen, die rutsch-, bruch-, steinschlag-, wildbach- oder lawinengefährdet sind (§ 15 Abs 3 Z 3 NÖ ROG 2014). Noch präziser sind derartige Bestimmungen im Oberösterreichischen Raumordnungsgesetz zu finden. So ist in § 21 Abs 1a festgelegt, dass keine Flächen im Überflutungsbereich eines HQ30 und HQ100 (mit Ausnahmen) sowie jene, die in roten Zonen gemäß Forstgesetz 1975 oder Wasserrechtsgesetz 1959 liegen, als Bauland ausgewiesen werden dürfen. Dies gilt auch für ehemals rote Zonen und für aufgeschüttete Flächen in roten oder ehemals roten Zonen, soweit diese in einem Gefahrenzonenplan gemäß Forstgesetz 1975 oder Wasserrechtsgesetz 1959 dargestellt sind (§ 21 Abs 1a OÖ ROG 1994). Im Burgenland ist ein Baulandwidmungsverbot für Hochwasserabflussgebiete eines HQ100 durch das Burgenländische Landesentwicklungsprogramm geregelt (Land Burgenland 2011).

Einige Länder (Burgenland, Salzburg, Steiermark und Vorarlberg) haben auch im Bereich der Vollziehung Verordnungen – beispielsweise in Form von wasserwirtschaftlichen Regionalprogrammen nach § 55g WRG – mit naturgefahrenrelevanten Bestimmungen erlassen. Um eine Erhöhung des Schadenspotenzials und somit des Risikos zu vermeiden, wird auf umfassende (Bauland‑)Widmungsverbote für potenziell durch Naturgefahren betroffene Flächen gesetzt. So sehen beispielsweise §§ 3 und 4 des Steiermärkischen Programms zur hochwassersicheren Entwicklung der Siedlungsräume ein Widmungsverbot für Gefährdungsbereiche und relevante Freihalteflächen vor (Land Steiermark 2005). Anders ist es im Salzburger Landesentwicklungsprogramm formuliert, hier wird konkret angesprochen, dass „durch Naturgefahren (z. B. Berg- und Felssturz, Hochwasser, Schnee- und Eislawinen, Muren, Rutschungen) bedrohte Bereiche (…) von solchen Nutzungen freizuhalten [sind], die eine weitere Erhöhung des Schadenspotenzials nach sich ziehen würden“ (Mair 2003). Darüber hinaus sind an dieser Stelle regional wirksame Verordnungen zu nennen, wie beispielsweise die Verordnung der Vorarlberger Landesregierung über die Festlegung von überörtlichen Freiflächen zum Schutz vor Hochwasser im Rheintal, welche die Flächenfreihaltung mit der Zielsetzung der Sicherung natürlicher Retentionsräume verknüpft, oder die elf per Verordnung festgelegten wasserwirtschaftlichen Regionalprogramme (NÖ Hochwasserschutzzonenpläne).

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass in vielen Bundesländern der Umgang mit Naturgefahren in Bezug auf die Raumordnung nur sehr allgemein und in Bezug auf eine Gefährdung durch natürliche Prozesse geregelt wird. Widmungseinschränkungen und -verbote, die sich konkret auf die Frequenz oder Magnitude einer Gefährdung beziehen, finden sich nur in wenigen Bundesländern, sei es auf der Ebene der Raumplanungsgesetze oder der jeweiligen Verordnungen. Konkrete Aussagen über die Höhe eines zulässigen Risikos oder Schadenspotenzials finden sich in keinem der Gesetze.

1.2 Der Risikobegriff in der österreichischen Raumplanung

Risikobasierte Raumplanung wird bereits seit mehr als zwanzig Jahren in der wissenschaftlichen Literatur thematisiert (Lund 2002; Sayers et al. 2002). Vorläufer hierzu finden sich vor allem in Bezug auf die ökonomische Wirksamkeit von Hochwasserschutz (Lind 1967; White 1945) und sind inzwischen ein integraler Bestandteil bei baulichen Optionen im Naturgefahrenmanagement (beispielsweise Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft 2015).

Der Vorteil eines risikobasierten Ansatzes – vor allem im Vergleich zu anderen Ansätzen zur Entscheidungsfindung – ist die Ergebnisorientierung. Im Zusammenhang mit Hochwasser-Ereignissen ermöglicht er den Vergleich von Interventionsoptionen auf Grundlage der erwarteten nachteiligen Folgen von Überschwemmungen in einem bestimmten Gebiet. Ein risikobasierter Ansatz ermöglicht daher fundierte Entscheidungen auf Basis eines Vergleichs der erwarteten Effekte und den Kosten alternativer Maßnahmen. Davon zu unterscheiden ist ein normenbasierter Ansatz, der auf ein bestimmtes Bemessungsereignis fokussiert, dem eine technische Maßnahme standhalten muss (Sayers et al. 2002).

Im rechtlichen Kontext ist Risiko jedoch ein unbestimmter Begriff, denn in der planungsrelevanten Rechtsordnung kommt der Begriff kaum vor. Noch stärker trifft dies auf den Begriff des Restrisikos zu, der weder in den Raumordnungszielen und -grundsätzen noch in den Widmungskategorien zu finden ist. Restrisiko wird häufig in der Praxis definiert als negative Auswirkungen einer Naturgefahr, die trotz aller getroffenen Maßnahmen zur Minderung des Risikos bestehen (ISO 31000 2018). Da nicht jedes Einwirken der Natur hinsichtlich Eintreten und Intensität im Vorhinein abgeschätzt werden kann, spricht man bei der verbleibenden unbekannten Komponente von einem Restrisiko. Als einziges Raumordnungsgesetz spricht jenes des Landes Oberösterreich das Risiko, wenn auch nur kurz und ohne genauere Erläuterung, an. So ist als grundsätzliches Raumordnungsziel „die Vermeidung und Verminderung des Risikos von Naturgefahren für bestehende und künftige Siedlungsräume“ definiert (§ 2 Abs 1 Z 2 lit a OÖ ROG 1994). Eine gänzliche Risikovermeidung würde in der Praxis bedeuten, dass künftig gar keine Überlagerung von Gefahren- und Siedlungsräumen mehr erfolgt. Da dies aufgrund der topografischen Gegebenheiten in manchen Teilen Österreichs nicht möglich ist, scheint eine Risikoverminderung in der überwiegenden Planungspraxis wahrscheinlicher.

Neben der Gesetzgebungsebene findet der Begriff Risiko eine weitere Erwähnung in der Vollziehung. In der Verordnung der Steiermärkischen Landesregierung zur hochwassersicheren Entwicklung der Siedlungsräume wird als Ziel die „Minimierung des Risikos bei Hochwasserereignissen bzw. Ereignissen in Wildbach- und Lawineneinzugsgebieten durch Raumordnungsmaßnahmen“ bestimmt (§ 1 Abs 1, Land Steiermark 2005). Unter den Grundsätzen und Prioritäten wird vage angeführt, wie das Risiko reduziert werden soll. Dabei wird auch das Gefährdungs- und Schadenspotenzial erwähnt. So sind in „Retentions- und Abflussgebieten von Hochwässern zusammenhängende Freiräume zu erhalten, um das Gefährdungs- und Schadenspotenzial bei Hochwasserereignissen so gering wie möglich zu halten“ (§ 3 Abs 1, Land Steiermark 2005).

Berücksichtigung findet der Risikobegriff in der Verordnung über die Gefahrenzonenplanungen nach dem Wasserrechtsgesetz 1959. Diese Verordnung gilt für Gefahrenzonenplanungen im Wirkungsbereich der Bundeswasserbauverwaltung insbesondere für Gebiete mit potenziell signifikantem Hochwasserrisiko. Die Richtlinie sieht vor Bereiche mit einer niedrigen Eintrittswahrscheinlichkeit für Hochwasser (HQ300) gelb schraffiert und Restrisikogebiete im Wirkungsbereich von Hochwasserschutzanlagen rot schraffiert darzustellen. Somit werden in diesen Plandarstellungen Restrisikobereiche gekennzeichnet, die Berücksichtigung dieser Flächen in der raumplanerischen Praxis ist jedoch sehr unterschiedlich und hat in der Regel eine untergeordnete Bedeutung, da keine Vorgaben an diese Flächen geknüpft sind.

Zusätzliche Relevanz für die Raumplanung hat die Richtlinie über die Bewertung und das Management von Hochwasserrisiken (Europäische Kommission 2007, Hochwasserrichtlinie – siehe auch Neuhold und Wenk 2022; in diesem Heft). Sie gibt einen Rahmen für die Bewertung und das Management von Hochwasserrisiken vor. Die Richtlinie folgt einer naturwissenschaftlichen Risikodefinition und bezeichnet Hochwasserrisiko als eine Kombination aus Eintrittswahrscheinlichkeit eines Hochwasserereignisses und der hochwasserbedingten negativen Auswirkungen auf die „menschliche Gesundheit“, die „Umwelt“, das „Kulturerbe“ und „wirtschaftliche Tätigkeiten“. Das Management dieser Risiken ist dabei ausdrücklich nicht auf klassische Schutzmaßnahmen wie den Bau von Dämmen, Deichen oder Rückhaltebecken beschränkt, vielmehr soll – der Idee des integralen Risikomanagements folgend – nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit, Solidarität und der Subsidiarität das gesamte Spektrum aktiver und passiver Maßnahmen abgedeckt werden.

1.3 Gefahrenorientierter versus risikoorientierter Ansatz in der Raumplanung

Wie die vorstehenden Ausführungen gezeigt haben, ist der derzeitige Umgang mit Naturgefahren in der österreichischen Raumplanung gefahrenorientiert. Lediglich vereinzelt findet sich in den einschlägigen Bestimmungen ein Bezug auf Risiko, dieser ist allerdings nur allgemein formuliert und ermöglicht keine Planungsentscheidungen auf Basis beispielsweise eines quantifizierten Grenzwerts oder Schutzziels. Bislang sind derartige Schutzziele nur in wenigen Bundesländern und mit Bezug auf die Gefährdung formuliert. So heißt es beispielsweise im Oberösterreichischen Raumordnungsgesetz, dass „Flächen im 30-jährlichen Hochwasserabflussbereich sowie Flächen in roten Zonen gemäß Forstgesetz 1975 oder Wasserrechtsgesetz 1959 (…) nicht als Bauland gewidmet werden [dürfen]“ (§ 21 Abs 1a OÖ ROG 1994). Ebenso legt beispielsweise das Niederösterreichische Raumordnungsgesetz fest, dass „Flächen, die bei 100-jährlichen Hochwässern überflutet werden“, aufgrund der Gegebenheiten ihres Standorts zur Bebauung ungeeignet sind und nicht als Bauland ausgewiesen werden dürfen (§ 15 Abs 3 NÖ ROG 2014). Im Gegensatz dazu finden sich in einigen Bundesländern gesetzliche Regelungen, die Widmungen in gefährdeten Bereichen ausdrücklich zulassen. Dies gilt beispielsweise für Bauwerke, die an Standorten ungeachtet der Gefährdung errichtet werden müssen (§ 15 Abs 4 NÖ ROG 2014, § 21 Abs 1a OÖ ROG 1994), Flächen innerhalb eines geschlossenen Ortsgebiets, wenn der Grad der Gefährdung nicht so hoch ist, dass die ständige Benützung für Siedlungs- und Verkehrszwecke nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand möglich ist (§ 15 Abs 4 NÖ ROG 2014). Flächen, die innerhalb eines bebauten Bereichs oder unmittelbar im Anschluss daran gelegen sind und wenn eine Bebauung nur unter der Voraussetzung einer bestimmten Anordnung oder baulichen Beschaffenheit von Gebäuden oder sonstiger baulicher Vorkehrungen in deren Bereich oder bestimmter organisatorischer Vorkehrungen, wie insbesondere eines Sicherheitskonzepts, gegeben ist (§ 37 Abs 3 TROG 2016), oder wenn Maßnahmen zur Abwendung von Naturgefahren technisch möglich und wirtschaftlich vertretbar sind (§ 13 Abs 2 lit a Vlbg RplG1996).

Ein risikoorientierter Planungsansatz zeichnet sich im Wesentlichen dadurch aus, Raumnutzungsentscheidungen nicht nur nach der Gefährdung, sondern – gemäß der gängigen Risikodefinition – auch unter Berücksichtigung des potenziellen Schadenausmaßes zu differenzieren. Somit kommt der Frage nach Schadenspotenzial und Schadensanfälligkeit (Vulnerabilität) eine bislang vernachlässigte Bedeutung zu und ermöglicht eine Baulandwidmung unter Kosten-Nutzen-Überlegungen oder eine Widmung unter Auflagen baulicher Natur, wie es beispielsweise bei lokalem Objektschutz der Fall wäre (Attems et al. 2020; Holub et al. 2012). Dies erscheint insbesondere in Gebieten mit mittlerer und geringer Gefährdung interessant (Seher und Löschner 2018).

2 Modell einer risikoangepassten Raumnutzung

Um Naturgefahrenmanagement und eine risikobasierte Raumplanung zusammenzuführen, braucht es im ersten Schritt Kenntnisse über das Risiko und im weiteren Schritt ein festgelegtes Vorgehen im Entscheidungsfindungsprozess, bei dem die Vulnerabilität von baulichen Nutzungen berücksichtigt wird (Holub et al. 2012). Dies spielt deshalb eine bedeutende Rolle, da es in manchen Fällen nicht möglich sein wird, die Schutzdefizite durch vertretbaren Aufwand auszugleichen (ARE et al. 2005). Vor dem Hintergrund eines knappen Dauersiedlungsraums, der per se eine gewisse räumliche Überschneidung mit jenen Flächen, die von Naturgefahrenprozessen betroffen sind, mit sich bringt, erscheint es notwendig, zumindest gewisse Bautätigkeiten auch in diesen Überschneidungsbereichen zuzulassen. Hierfür sind Anpassungen der Nutzungen bzw. eine Beschränkung bestimmter Nutzungsmöglichkeiten notwendig, um Schäden so gut wie möglich zu reduzieren. Anhand dieser Überlegungen wird ein Anwendungsmodell einer risikoangepassten Raumnutzung vorgeschlagen (siehe Abb. 1). Mithilfe dieses Modells kann entschieden werden, welche Nutzung im Wirkungsbereich einer technischen Schutzmaßnahme als geeignet einzustufen ist. Dabei wird von Nutzungen ausgegangen, die eine Baulandwidmung und eine Bauführung erfordern. Somit werden Grünlandnutzungen nicht angesprochen, wobei auch hier durchaus Nutzungen mit erheblichem Schadenspotenzial möglich sind.

Abb. 1
figure 1

Entscheidungsbaum für die Abwägung von Baulandwidmungen und Bauführungen im Wirkungsbereich von Schutzmaßnahmen

2.1 Methode

Der Erstellungsprozess des Modells erfolgte in zwei Schritten. In einem ersten Schritt wurde eine intensive Auseinandersetzung mit der Literatur zu den drei relevanten Elementen einer risikoorientierten Raumplanung, dem Risiko, der Vulnerabilität und eben der Raumplanung, durchgeführt. Die Literaturrecherche wurde ergänzt mit einer Analyse der Gesetzesgrundlagen in Österreich. Dabei wurden sowohl die Raumordnungsgesetze der Bundesländer als auch naturgefahrenrelevante Bundesgesetze (Forstgesetz, Wasserrechtsgesetz etc.) auf den derzeitigen Umgang mit Risiko und den generellen Stellenwert des naturgefahrenbedingten Risikos überprüft. Des Weiteren erfolgte eine intensive Auseinandersetzung mit drei Fallbeispielen in drei Tiroler Gemeinden (Galtür, Neustift im Stubaital und Wörgl). Dabei konnten wesentliche Erkenntnisse für die Erstellung der dem Modell zugrundeliegenden Kriterien gewonnen werden. Basierend auf der Analyse der wissenschaftlichen Literatur, der Gesetzesgrundlagen und der Erarbeitung von Fallbeispielen wurde ein erster Entwurf eines möglichen Modells zur risikobasierten Beurteilung von Nutzungen in durch Naturgefahren gefährdeten Bereichen erstellt.

In einem zweiten Schritt wurde dieses Modell mit Verantwortlichen aus der Planungspraxis und aus dem Bereich des Naturgefahrenmanagements diskutiert. Gespräche fanden mit Vertreterinnen und Vertretern der drei Gemeinden, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Landes Tirol (Abteilung Raumordnung und Statistik, Abteilung Wasserbau), Akteuren der Bundeswasserbauverwaltung und der Wildbach- und Lawinenverbauung statt. Der Modellentwurf wurde dabei vor allem in Bezug auf die Machbarkeit, eine logische Entscheidungsabfolge und die Praxistauglichkeit überprüft. Die Rückmeldungen der interviewten Personen wurden daraufhin in das Modell eingearbeitet und die entsprechenden Abschnitte angepasst.

Ausgehend von der Literaturrecherche und den Gesprächen mit Planungspraktiker:innen wurde als geeignete Form das Modell des Entscheidungsbaums ausgewählt. Der Entscheidungsbaum ist eine grafische Darstellungsform für eine mehrstufige Entscheidungsfindung. Zu Beginn steht meist ein einzelner Knoten, von dem Verzweigungen ausgehen, die zu einem Entscheidungsknoten und in weiterer Folge zu einem Endknoten führen. Die Darstellung von Entscheidungsregeln soll dabei so lange fortgeführt werden, bis alle relevanten Kriterien der Entscheidungsfindung abgehandelt wurden und keine weiteren hierarchisch aufeinanderfolgenden Entscheidungen zu treffen sind. Die Verzweigungen und Knotenpunkte führen zu einer baumartigen Struktur. Dieses Modell bietet den Vorteil, dass es leicht verständlich und einfach in der Anwendung ist, zudem ermöglicht es eine transparente und nachvollziehbare Entscheidungsfindung.

2.2 Beschreibung des Modells und der Indikatoren

Nachfolgend werden die einzelnen Indikatoren zur differenzierten Risikoabschätzung, welche in der grafischen Darstellung zu Gunsten einer besseren Übersicht vereinfacht formuliert wurden, näher beschrieben. Dabei erfolgt die Gliederung des Modells nach den vier Kategorien (1) Beurteilung der Gefährdung, (2) Beurteilung der Nutzung, (3) raumplanerische Überlegungen und (4) Beurteilung der organisatorischen Maßnahmen. In diesen vier Kategorien sind die hierarchisch aufeinanderfolgenden Entscheidungen eingebettet. Während manche Indikatoren klare Grenzwerte in der Entscheidungsfindung aufweisen, wurde bei anderen Indikatoren (beispielsweise der Personenanzahl in potenziell gefährdeten Bereichen) keine klaren Grenzwerte formuliert, um ein Ermessenspielraum in der Entscheidungsfindung zuzulassen. Einige der Entscheidungsmöglichkeiten führen zu einem Indikator, welcher aufgrund des besonderen Stellenwerts als Ausschlusskriterium im Sinne eines Nutzungsverbots definiert wurde. Dies ist insbesondere bei jenen Indikatoren der Fall, die zu einem deutlich erhöhten Schadensausmaß und somit zu einem deutlich erhöhten Risiko führen würden.

2.2.1 Beurteilung der Gefährdung

Im ersten Schritt werden die vorherrschende Naturgefahr bzw. der Gefährdungsgrad und die vorhandenen technischen Schutzmaßnahmen näher betrachtet.

(1) Gefahrenzonen

Grundsätzlich sollte bei jeder Fläche, bei der eine Bebauung vorgesehen ist, eine Überprüfung der entsprechenden Gefahrenzonenpläne sowie weitere Naturgefahrendarstellungen (beispielsweise hora.gv.at; siehe Blöschl et al. 2022; in diesem Heft) vorgenommen werden, um Kenntnisse über eine mögliche Gefährdung durch Hochwasser, Muren, Lawinen oder andere Naturgefahren zu erlangen. Die Gefahrenzonenpläne zeigen dabei eine abgestufte Gefahreneinschätzung an einem bestimmten geografischen Ort, geben aber keine Auskunft über die Höhe des Risikos. In Österreich existieren zwei etablierte unterschiedliche Arten von Gefahrenzonenplänen, auf Grundlage des Wasserrechtsgesetzes und auf Grundlage des Forstgesetzes (Republik Österreich 1959, 1975). Beide Typen von Gefahrenzonenplänen stufen rote Gefahrenzonen als für eine Bebauung nicht geeignet ein. Diese Bereiche sind „durch […] bestimmte Bemessungsereignisse mittlerer Wahrscheinlichkeit derart gefährdet, dass ihre ständige Benützung für Siedlungs- und Verkehrszwecke wegen der voraussichtlichen Schadenswirkungen nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand möglich ist“ (§ 8 Abs 1 WRG-GZPV 2014).

Gelbe Gefahrenzonen gemäß Wasserrechtsgesetz und Forstgesetz umfassen jene Bereiche, in denen Gefährdungen geringerer Intensität vorliegen. Es können „Beeinträchtigungen der Nutzung für Siedlungs- und Verkehrszwecke auftreten oder Beschädigungen von Bauobjekten und Verkehrsanlagen sind möglich“ (§ 8 Abs 2 WRG-GZPV 2014). Weitere Darstellungsinhalte sind Zonen mit einer Gefährdung niedriger Wahrscheinlichkeit sowie gelb beziehungsweise rot schraffierte Zonen gemäß Wasserrechtsgesetz. Gelb schraffierte Zonen stellen Bereiche für Extremereignisse dar (HQ300) und rot schraffierte Zonen stellen Flächen im Restrisikobereich des Wirkungsbereichs von Hochwasserschutzanlagen dar. Rot-gelb schraffierte Funktionsbereiche kennzeichnen zudem jene Flächen, die für den Hochwasserabfluss beziehungsweise die Retention von besonderer Bedeutung sind (§ 9 WRG-GZPV). Braune Hinweisebereiche werden für andere gravitative Massenbewegungen verwendet, oder Massenbewegungen, die nicht im Zusammenhang mit Wildbächen oder Lawinen stehen (beispielsweise Steinschlag oder Rutschungen, § 7 lit a GZP-V, Republik Österreich 2021). Aufgrund einer geringeren Gefährdung ist eine Bebauung in diesen Bereichen nicht ausgeschlossen. Darüber hinaus lassen die meisten Raumordnungsgesetze eine Baulandwidmung in gelben Gefahrenzonen unter der Einhaltung von Auflagen zu. Die dritte Möglichkeit ist, dass keine Gefahrenzone auf der gegenständlichen Fläche ausgewiesen ist, und die Fläche somit als geeignet für eine Bebauung beurteilt wird. Hinzuzufügen ist, dass manche Gewässer in Österreich über keine Gefahrenzonenpläne verfügen oder andernfalls Abflussuntersuchungen vorhanden sind.

Bei der Beurteilung der Gefährdung ergeben sich folgende grundsätzliche Herausforderungen:

  • Nach der Fertigstellung einer technischen Schutzmaßnahme wird der zugrundeliegende Gefahrenzonenplan eines Gebiets einer Revision unterzogen. Dabei werden die Gefahrenzonen, die mit Einschränkungen für die Siedlungsentwicklung verbunden sind, häufig räumlich reduziert. Diese Reduktion bildet die Wirkung der technischen Maßnahme ab und legitimiert in der Regel den Einsatz von öffentlichen Mitteln, da diese Vorteilsflächen maßgeblichen Einfluss auf die Bewertung der Nutzen einer Schutzmaßnahme (= freigestellte Schutzgüter im Falle des Bemessungsereignisses) haben. Ist dies der Fall, werden diese Bereiche nach den aktuellen Ansätzen für eine Bebauung als geeignet bewertet (mit Ausnahme von Oberösterreich), obwohl aufgrund des Restrisikos auch eine Überprüfung der Nutzung dieser Flächen sinnvoll wäre.

  • Eine Unterscheidung über die räumliche Lage des Planungsgebiets in Bezug auf die ausgewiesene gelbe Gefahrenzone wäre sinnvoll. Dies trifft vor allem auf die Gefahrenzonen der WLV zu, da hier lediglich eine Differenzierung zwischen hoher und geringer Gefährdung vorgenommen wird. Eine weitere Abstufung, wie es beispielsweise bei den Gefahrenzonenplänen der BWV in Form von rot-gelb schraffierten Funktionsbereichen gibt, hat jenen Vorteil, dass innerhalb der Gefährdung weiter nach der potenziellen Prozessintensität differenziert wird. Die Schadensintensität kann im Allgemeinen im Nahbereich zur roten Gefahrenzone höher ausfallen als im Randbereich zum außerhalb der Zone liegenden Planungsraum. Derartige Nuancen werden derzeit nicht in allen anzuwendenden Gesetzen bzw. Verordnungen differenziert und kommen daher auch nicht in allen Gefahrenzonenplänen zum Einsatz. Demgegenüber lässt sich beobachten, dass eine demensprechende Differenzierung im Rahmen von Einzelgutachten in Bauverfahren zu Bauauflagen führen kann.

  • Aufgrund der derzeitigen Rechtslage sind österreichweit die Möglichkeiten für Auflagen in Bezug auf naturgefahrenangepasstes Bauen generell eingeschränkt.

Da in den Raumordnungsgesetzen der Bundesländer zumeist ein großer Handlungsspielraum gegeben ist und die Schadensintensität sowie die Eintrittswahrscheinlichkeit geringer ausfallen als in roten Gefahrenzonen, werden gelbe Gefahrenzonen und jene mit einer niedrigen Wahrscheinlichkeit sowie braune Hinweisebereiche für eine weitere Beurteilung im Entscheidungsbaum herangezogen.

(2) Strukturelle Schutzmaßnahme

Durch die Realisierung einer technischen Schutzmaßnahme sollen die negativen Folgewirkungen auf den Siedlungsraum reduziert werden. Die Schutzmaßnahmen lassen sich unterteilen in Maßnahmen mit permanenter und temporärer Schutzwirkung. Unter permanenten technischen Schutzbauwerken werden ortsfeste Bauwerke aus langlebigen Materialien wie beispielsweise Stahl, Beton und Stein verstanden. Zu diesen Bauwerken zählen u. a. Dämme, Mauern, Galerien, Stahlschneebrücken etc. Diese weisen, wenn sie nach dem Stand der Technik errichtet werden, eine hohe Beständigkeit (Rudolf-Miklau und Sauermoser 2011) verbunden mit einem langen Lebenszyklus (Ballesteros Cánovas et al. 2016) auf.

Als temporäre Schutzbauwerke werden u. a. mobile Elemente verstanden, wie beispielsweise der mobile Hochwasserschutz entlang der Donau in Nieder- und Oberösterreich. Zu den mobilen Schutzbauwerken werden aber auch jene Schutzbauwerke gezählt, bei denen tragende Bauteile aus Holz gefertigt sind, wie beispielsweise Schneestützverbauungen aus Holz. Da es durch Verwitterung und Vermorschung zu einer Verringerung der Tragfähigkeit kommt, beträgt hier die Lebens- bzw. Nutzungsdauer in der Regel weniger als 50 Jahre (Rudolf-Miklau und Sauermoser 2011). Eine umfangreiche Schutzwirkung dieser Maßnahmen ist nur bei einer ordnungsgemäßen Instandhaltung und Instandsetzung in vergleichsweise kurzen Zeitabständen gegeben, was wiederum unter anderem von politischen und ökonomischen Entscheidungen beeinflusst wird. Temporäre Maßnahmen, wie mobiler Hochwasserschutz, werden vor allem dort bei der Gefahrenzonenplanung berücksichtigt, wo im Ereignisfall ausreichend Vorwarnzeit besteht, sofern die Maßnahmen gemäß dem wasserrechtlichen Bescheid ausgeführt sind und betrieben werden. Generell ist aber die Schutzwirkung von externen Gegebenheiten wie beispielsweise einer zeitgerechten Bereitstellung abhängig. Darüber hinaus spielen hier beispielsweise die Vorwarnzeit und der technisch einwandfreie Aufbau eine entscheidende Rolle für die Schutzwirkung. Daher werden auch in dem hier präsentierten Modell einer risikoangepassten Raumplanung derartige temporäre Schutzmaßnahmen als nicht geeignet empfunden, um in deren Wirkungsbereich neue Gebäude zu errichten.

(3) Instandhaltung und Wartung

Da technische Schutzbauwerke, wie jedes Bauwerk, eine gewisse Lebensdauer (80 bis 100 Jahre) aufweisen und sich im Lauf der Zeit abnützen, müssen diese regelmäßig überwacht und instandgehalten werden. Periodische Erhaltungsmaßnahmen sind notwendig, um irreversible Schäden zu vermeiden und um die Gebrauchstauglichkeit über die gesamte Nutzungsdauer zu erhalten.

In diesem Schritt soll die Zuverlässigkeit der gegenständlichen Maßnahme beurteilt werden. Dabei sollte die Tragsicherheit, Gebrauchstauglichkeit und die Dauerhaftigkeit in die Wirkungsbeurteilung einfließen (PLANAT 2008). Die Beurteilung muss durch fachkundiges Personal erfolgen.

2.2.2 Beurteilung der Nutzung

Nach einer genaueren Betrachtung der Gefährdung folgt im Modell einer risikoangepassten Raumplanung die Beurteilung der Nutzung. Dadurch sollen Nutzungen, die zu einer deutlichen Erhöhung des Schadenspotenzials und somit des Risikos führen würden, ausgeschlossen werden.

(4) Ausschluss von Verschlechterung

Bei diesem Schritt wird überprüft, ob eine Verschlechterung für andere Nutzungen im Nahbereich ausgeschlossen werden kann. Ähnlich dem Verschlechterungsverbot im § 30a Abs 1 WRG sollen negative Auswirkungen auf andere und auch auf das Gewässer verhindert werden. Dazu würde beispielsweise zählen, wenn ein neu errichtetes Gebäude im Hochwasserabflussbereich zu einer erheblichen Erhöhung des Hochwasserstands bei den benachbarten Gebäuden führen würde. Die Beurteilung muss durch fachkundiges Personal erfolgen.

(5) Versicherbare Nutzung

Die Frage nach versicherbaren Nutzungen ist relevant, da dadurch das Risiko auf eine größere Gemeinschaft überwälzt werden kann (Fuchs 2009, 2013), wirtschaftliche Verluste verringert werden und der Wiederaufbau unterstützt wird. Eine obligatorische Gebäudeversicherung für Schäden durch Naturgefahren, wie beispielsweise in der Schweiz, gibt es allerdings in Österreich bislang nicht. Im Gegensatz zu Wirtschaftsbetrieben sind private Wohnhäuser sowie öffentliche Gebäude somit nicht spezifisch gegen Naturgefahren versicherbar. Für private Wohngebäude ist lediglich ein minimaler Versicherungsschutz durch die Eigenheimversicherung und für das Inventar durch die Haushaltsversicherung möglich. Der Deckungsbetrag liegt durchschnittlich nur zwischen 3700 € und 15.000 € (Gruber 2008; Papathoma-Köhle und Thaler 2018) und wird im Ereignisfall häufig deutlich überschritten (Holub und Fuchs 2009). Darüber hinaus ist für Gebäude, die sich in stark gefährdeten Bereichen befinden und den Elementarereignissen Hochwasser und Lawinen ausgesetzt sind, am privaten Versicherungsmarkt aufgrund des Phänomens der adversen Selektion kein ausreichender Versicherungsschutz erhältlich. Bei Gewerbe- und Industriebetrieben besteht demgegenüber die Möglichkeit einer Versicherungsdeckung für Schäden an Betriebsmitteln sowie Materialien, sofern das Ereignis plötzlich und unerwartet auftritt, und somit kann das Risiko überwälzt werden.

(6.1) Gefahr von Fremdschäden

Ist ein Gewerbe- oder Industriebetrieb geplant, muss die Möglichkeit für Schäden an Dritten überprüft werden, da es im Ereignisfall zur Freisetzung von umwelt- oder gesundheitsschädlichen Stoffen aus Tanks, Maschinen, Lagern u. a. kommen kann. Schäden an Dritten umfassen die Gefährdung der menschlichen Gesundheit und Sachschäden an Gebäuden, am Inventar oder an gelagerten Produkten. Liegen ökologisch sensible Flächen im Nahbereich, können zudem Auswirkungen auf die Umwelt eintreten. Zu diesen Flächen zählen beispielsweise Trinkwasserversorgungseinrichtungen, Wasserschutzgebiete, Nationalparks, Moore, Auen usw. Die Gefahr von Fremdschäden wird im Modell nur für Gewerbe- und Industriebetriebe überprüft, obwohl auch in privaten Haushalten Chemikalien oder Öltanks vorhanden sein können, die entsprechende Schäden an Dritten verursachen. Da in Privathaushalten bei einer haushaltsüblichen Menge üblicherweise von keinem großen Umwelt- bzw. Fremdschaden auszugehen ist und relativ einfache Objektschutzmaßnahmen (bspw. Auftriebsschutz für Öltanks) als Vorsorge zur Verfügung stehen, sieht der Entscheidungsbaum im Bereich von Privathaushalten und öffentlichen oder sozialen Einrichtungen den Schritt 6.1 derzeit nicht vor.

Demnach hängt das Risiko von Fremdschäden einerseits von der geplanten Nutzung und den potenziell vorhandenen Gefahrenstoffen ab und anderseits auch von den Nutzungen in der Umgebung. Werden das Schadenspotenzial und damit das Risiko als zu hoch eingeschätzt, ist die geplante Nutzung in diesem Bereich nicht geeignet. Sind umfangreiche risikoreduzierende Maßnahmen möglich, sind diese beim Indikator Objektschutzmaßnahmen zu berücksichtigen.

(6.2) Sachschäden und Personenanzahl

Zu den Sachwerten zählen neben dem monetären Wert des Gebäudes auch das Inventar und die Produktionsmittel. Obwohl sich Gewerbe- und Industriebetriebe gegen Schäden durch Naturgefahren versichern können, können bei einer besonders teuren Infrastruktur trotzdem hohe Schäden entstehen. Aus diesem Grund sieht das Modell vor, derartige Betriebe als nicht geeignet einzustufen. Der Sachwert muss für die jeweilige Nutzung individuell abgeklärt werden, da beispielsweise das potenzielle Schadensausmaß bei Dienstleistungsbetrieben oftmals geringer einzustufen ist als bei produzierenden Betrieben. Bei letzterem kommen häufig auch Folgeschäden durch Produktionsausfall, -unterbrechung oder eine Abwanderung von Kundinnen und Kunden hinzu.

Als nicht geeignet wird zudem die Anwesenheit einer überdurchschnittlich hohen Personenanzahl erachtet. Grundsätzlich weisen auch Nutzungen mit einer längeren Aufenthaltsdauer von Personen ein höheres Risiko auf. So sind beispielsweise Beherbergungsbetriebe mit einem größeren Angebot an Übernachtungsmöglichkeiten als nicht geeignet einzustufen, während hingegen Restaurants aufgrund einer geringeren Personenanzahl und damit verbunden einer kürzeren Evakuierungszeit von üblicherweise ortsfremden Personen als zulässige Nutzung eingestuft werden. Im Modell wurde bewusst auf eine absolute Maßzahl als Grenzwert verzichtet, somit muss im Einzelfall abgewogen werden.

(7.1) Andere Nutzungen

Die nicht gegen Naturgefahren versicherbaren Nutzungen werden weiter unterschieden in einfache Wohnnutzungen und in öffentliche/soziale Einrichtungen bzw. Gebäude mit mehreren Wohneinheiten. Aufgrund der im vorigen Abschnitt diskutierten Herausforderungen bei der Festlegung von Grenzwerten bezüglich der Personenanzahl wird im Modell nicht weiter differenziert. Jedoch sollte bei der Beurteilung berücksichtigt werden, ob es sich um einige wenige Wohneinheiten oder um einen Geschoßwohnbau mit einer hohen Zahl an Personen handelt. Bei einem Einfamilienhaus kann generell von einer geringen Personenanzahl ausgegangen werden, gemäß Statistik Austria (2020) beträgt die durchschnittliche Haushaltsgröße in Österreich 2,21 Personen. Die tatsächliche Personenzahl kann auch aufgrund der Schnittstelle zwischen Gebäude- und Wohnungsregister und Zentralem Melderegister auf der Skalenebene einzelner Wohneinheiten berücksichtigt werden (Fuchs et al. 2015). Der Bereich „Sonstiges“ deckt im Modell alle weiteren Nutzungen ab. Zu den öffentlichen/sozialen Einrichtungen zählen beispielsweise Kindergärten, Seniorenwohnheime, Gemeindeverwaltungen und Museen. Bei derartigen Nutzungen sind in der Regel viele Personen vor Ort, auch wenn die Aufenthaltsdauer variiert (beispielsweise Halbtags- oder Ganztagskindergarten).

(7.2) Kritische Infrastruktur und Kulturgüter

Zu den öffentlichen Einrichtungen zählen u. a. auch kritische Infrastrukturen, welche generell als nicht geeignet eingestuft werden, da diese Nutzungen entweder eine hohe Bedeutung für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung haben oder im Ereignisfall eine essenzielle Versorgungseinrichtung darstellen. Infrastrukturen (Systeme, Anlagen, Prozesse, Netzwerke oder Teile davon), die eine wesentliche Bedeutung für die Aufrechterhaltung wichtiger gesellschaftlicher Funktionen haben und deren Störung oder Zerstörung schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesundheit, Sicherheit oder das wirtschaftliche und soziale Wohl großer Teile der Bevölkerung oder das effektive Funktionieren von staatlichen Einrichtungen haben, haben eine zentralörtliche Relevanz und sind außerhalb von Restrisikobereichen anzusiedeln. Hierzu zählen beispielsweise Krankenhäuser, Gebäude der Blaulichtorganisationen, aber auch Kläranlagen oder Gebäude der Stromversorgung.

Als nicht geeignet werden ebenso jene Gebäude eingestuft, die entweder als Kulturgüter gelten oder in denen wichtige unwiederbringliche Kulturgüter untergebracht sind (beispielsweise Museen mit besonderen Exponaten), da diese im Ereignisfall zerstört werden könnten und damit unwiederbringlich verloren gingen.

(8) Objektschutzmaßnahmen

Objektschutz bezeichnet „die Planung, Bemessung und Ausführung von Bauwerken in Gefahrengebieten entsprechend den vorherrschenden Einwirkungen durch Naturprozesse sowie die Anpassung von bestehenden Bauwerken (Ertüchtigung und Sanierung) an die Gefahrensituation“ (Rudolf-Miklau 2018). Objektschutzmaßnahmen können so zur Verringerung der Verletzlichkeit von Gebäuden gegenüber Naturgefahren beitragen (Holub et al. 2012). Dabei kann zwischen Maßnahmen in direkter Verbindung mit dem Objekt oder Maßnahmen in unmittelbarer Umgebung des Objektes unterschieden werden. Derartiger Gebäudeschutz leistet einen wichtigen Beitrag in der Naturgefahrenvorsorge – insbesondere im Rahmen der Eigenvorsorge – und hat deswegen auch in einer risikobasierten Raumplanung einen besonderen Stellenwert. Die Objektschutzmaßnahmen müssen dem Gefährdungsgrad angepasst sein und dem Stand der Technik entsprechen, um das Schadensausmaß im Ereignisfall weitmöglich zu reduzieren. Der Stand der Technik bezieht sich dabei auf die festgelegten Standards für Sicherheit, Funktionsfähigkeit und Dauerhaftigkeit der Anlage. Die Auflagen und Bedingungen sollen zudem den Sicherungsaufwand für Bauwerbende berücksichtigen, um einen verhältnismäßigen Ausgleich des Eignungsdefizits durch Sicherungsmaßnahmen zu erreichen. Zu beurteilen ist dies von entsprechenden Sachverständigen.

2.2.3 Raumplanerische Überlegungen

Wenn eine hohe Gefährdung ausgeschlossen werden kann und eine Risikoabwägung der Nutzung erfolgte, werden im vorgeschlagenen Modell der risikoangepassten Betrachtung anschließend die raumplanerischen Voraussetzungen überprüft. Dabei geht es vor allem um einen ressourcenschonenden Umgang mit knappen Gütern, wie beispielsweise Grundflächen oder funktionsfähiger Infrastruktur.

(9) Geschlossenes Siedlungsgebiet

In einigen Bundesländern sind in den raumordnungs- und baurechtlichen Bestimmungen Ausnahmen für Baulandwidmungen und Bautätigkeiten in gefährdeten Bereichen festgehalten (Gruber et al. 2018). Darunter sind Ausnahmeregelungen für geschlossene Siedlungsbereiche, da hier ein Lückenschluss oder Abrundungen aus raumplanerischer Sicht sinnvoll sind. Durch kompakte Siedlungskörper kann der Bodenverbrauch reduziert und die vorhandene Infrastruktur bestmöglich ausgenutzt werden, was zu ökonomisch tragfähigen und sozial verträglichen Strukturen beiträgt. Dies ist jedoch vor allem bei Wohnbauten oder sozialen bzw. öffentlichen Einrichtungen relevant und weniger bei betrieblichen Nutzungen, da es bei Letzteren durchaus erwünscht sein kann, dass sich diese aufgrund von Emissionen (Lärm, Geruch etc.) nicht im unmittelbaren Anschluss an Wohnbauland befinden. Liegt das Planungsgebiet nicht innerhalb des bebauten Bereichs bzw. im direkten Anschluss daran, wird das Vorhaben als nicht geeignet eingestuft.

(10) Ordnungsgemäße Infrastruktur

Bei Flächen im geschlossenen Siedlungsgebiet bzw. im unmittelbaren Anschluss daran ist davon auszugehen, dass die notwendigen Infrastrukturen vorhanden sind. Handelt es sich um eine gewerbliche Nutzung, welche auch außerhalb des Siedlungsgebiets lokalisiert sein kann, ist im nächsten Schritt zu beurteilen, ob die zugehörige Infrastruktur mit einem ökonomisch vertretbaren Aufwand hergestellt werden kann (siehe 10.1). Zu einer ordnungsgemäßen Infrastruktur zählen eine zentrale Wasserversorgung mit ausreichender Qualität und Quantität, eine Abwasserentsorgung, eine Energieversorgung und eine funktionsgerechte öffentliche Verkehrserschließung.

(10.1) Herstellung von Infrastruktur

Ist keine ordnungsgemäße Infrastruktur vorhanden, welche der geplanten Nutzung gerecht wird, sollte die Herstellung mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand erfolgen. Die Herstellungskosten sollten daher im Verhältnis zum Nutzen für die Gemeinde/Region liegen, um einen effizienten Einsatz öffentlicher Mittel sicherzustellen. Eine mögliche Kostenbeteiligung des Betreibenden kann in die Abwägung miteinbezogen werden, jedoch müssen auch die künftigen Erhaltungs- und Betriebskosten (bspw. Schneeräumung, Müllabfuhr etc.) für die Gemeinde berücksichtigt werden. Ist die Herstellung bzw. die Erweiterung einer ordnungsgemäßen Infrastruktur für die geplante Nutzung nicht mit einem wirtschaftlich vertretbaren Aufwand möglich, ist das Vorhaben unter Bedachtnahme der raumplanerischen Ziele nicht geeignet.

2.2.4 Beurteilung der organisatorischen Maßnahmen

Im vierten und letzten Schritt des Modells werden organisatorische Maßnahmen beurteilt. Für eine risikoangepasste Raumnutzung sind diese von essenzieller Bedeutung, vor allem in Hinblick auf eine Risikoreduzierung und ein erfolgreiches Risikomanagement. Zu beurteilen sind diese Indikatoren von Fachleuten des Naturgefahrenmanagements in Zusammenarbeit mit der zuständigen Zivilschutzbehörde und gegebenenfalls mit Unterstützung der lokalen Einsatzorganisationen.

(11) Vorwarnzeit

Die Vorwarnzeit ist die Zeit zwischen dem Erkennen der Gefahr und deren Eintreten. Sie hat maßgeblichen Einfluss auf das Schadensausmaß, da bei einer längeren Vorwarnzeit die Möglichkeit zu umfangreichen Vorbeugemaßnahmen und Evakuierungen besteht. Gibt es keine Vorwarnzeit bzw. ist diese geringer als die Reaktionszeit, sind Maßnahmen kaum durchzuführen und das Personenrisiko ist besonders hoch. Eine geringe Vorwarnzeit im Sinne von Sekunden bis wenigen Minuten, wie es beispielsweise zumeist bei Sturzprozessen oder unerwartet auftretenden Rutschungen der Fall ist, wird deshalb als nicht geeignet eingestuft, um im Gefahrenbereich weitere Bauführungen zuzulassen. Die Vorwarnzeit kann durch zuverlässige Frühwarnung und Monitoring verlängert werden. Dabei können organisatorische Vorkehrungen wie beispielsweise verbesserte Wetter- und Klimaprognosen maßgeblich beitragen.

(12) Katastrophenschutzpläne

Katastrophenschutzpläne sind ein wesentliches Mittel zur Risikoreduktion. Im Zentrum dieses Planungsinstruments steht eine vorausschauende Planung der organisatorischen Maßnahmen. In Katastrophenschutzplänen wird festgelegt, wie im Ereignisfall vorzugehen ist und welche Akteure welche Aufgaben übernehmen. Sie enthalten zumindest eine allgemeine Beschreibung des Planungsgebiets, eine Risikoanalyse mit Angaben über die Gefahren, Informationen über die Warn- und Alarmierungseinrichtungen sowie verfügbare und notwendige Einsatzmittel, Alarmpläne, eine Auflistung der im Anlassfall zu setzenden Maßnahmen und die Führungsstruktur (Jachs 2011). Die jeweilige Landesgesetzgebung sieht vor, dass allgemeine Katastrophenschutzpläne unter Berücksichtigung der vorherrschenden Gefahren auf Ebene des Landes, der Bezirke und der Gemeinden erstellt werden. Häufig sind allerdings in der Praxis nicht für alle Bereiche derartige Pläne vorhanden oder diese sind nicht auf einem aktuellen Informationsstand. Katastrophenschutzpläne können durch die vorausschauende Planung der Notfallversorgung einen Beitrag zur risikoangepassten Raumnutzung leisten. Voraussetzung ist, dass diese laufend angepasst werden (zumindest einmal jährlich aktualisiert). Vor allem bei betrieblichen bzw. gewerblichen Nutzungen ist es essenziell, dass die Pläne von den Einsatzorganisationen auch regelmäßig beübt werden, um im Ereignisfall rasch reagieren zu können und um zu wissen, wie mit bestimmten umweltgefährdenden Stoffen umgegangen werden muss.

Je nachdem, ob aktuell gehaltene Katastrophenschutzpläne eingehende Informationen über die vorherrschenden Gegebenheiten beinhalten, können die nachfolgenden Fragestellungen (12.1) und (12.2) des Modells übersprungen werden.

(12,1 und 12.2) Evakuierungs- und Räumungsfähigkeit

Die Evakuierungsfähigkeit ist definiert als das planmäßige Entfernen von Personen aus einem Gefahrenbereich vor Eintritt eines Naturereignisses in einen sicheren Bereich. Die Evakuierungsdauer variiert nach Anzahl und Mobilität der sich dort aufhaltenden Personen. Demnach ist die Evakuierung von Krankenhäusern und Seniorenheimen eine größere Herausforderung als die Evakuierung von Einfamilienhäusern oder Büros. In Schulen und größeren Betrieben wird zudem regelmäßig im Rahmen eines Probealarms das geordnete und zügige Verlassen der Gebäude geübt, was u. a. auch Panik vermeiden kann. Räumungsfähigkeit hingegen meint in diesem Zusammenhang die Möglichkeit der Sicherstellung von Sachwerten. Sie ist ähnlich zu sehen wie die Evakuierungsfähigkeit, bezieht sich aber auf Gegenstände, wie beispielsweise das Inventar. Die Abschätzung der Räumungsfähigkeit erweist sich als komplex, da von der Nutzung allein nicht unbedingt auf die vorhandenen Sachwerte und deren Mobilität geschlossen werden kann. Zudem sind einige Gegenstände fix mit dem Gebäude verbunden und somit immobil, oder sie können ohnehin nicht entfernt werden, beispielsweise bei Tankstellen oder Kläranlagen.

Eine Evakuierung bzw. Räumung ist möglich, wenn die Evakuierungs- bzw. Räumungszeit unter der Vorwarnzeit liegt. Ist dies nicht der Fall, wird aufgrund des zu hohen Personenrisikos und Schadenspotenzials die Nutzung als nicht geeignet eingestuft. Dabei spielt auch die Möglichkeit zur Selbsthilfe – vor allem bei kurzen Vorwarnzeiten – eine entscheidende Rolle. Mildernd können sich besondere Vorkehrungen zum Schutz der Personen und Sicherung der Sachwerte auswirken. Diese werden im Modell allerdings bereits beim Indikator „Objektschutzmaßnahmen“ berücksichtigt.

Eine naturgefahrenangepasste Raumnutzung impliziert auch die Sicherstellung der Erreichbarkeit im Ereignisfall. Hier ist zu überlegen, ob im Ereignisfall davon auszugehen ist, ob die Einsatzkräfte zum gegenständlichen Bereich gelangen können. Dabei kommt es darauf an, wie und wo die Zufahrtswege verlaufen, ob diese gegebenenfalls ebenfalls vor Naturgefahren geschützt sind oder ob es einen sogenannten Notweg gibt.

3 Schlussfolgerung

Durch den sozioökonomischen Wandel ist in den letzten Jahren das Schadenspotenzial im österreichischen Siedlungsraum markant angestiegen, wenngleich in den Bundesländern und Regionen unterschiedliche Steigerungsraten verzeichnet wurden (Fuchs et al. 2015). Parallel dazu wurden erhebliche finanzielle Mittel in technische Schutzmaßnahmen investiert, um potenzielle Schäden aufgrund von natürlichen Prozessen zu vermindern. Im Dualismus zwischen anthropogenen Raumansprüchen und Naturgefahren kommt der Raumplanung eine Schlüsselstellung zu. Dabei orientieren sich die Schutzziele der Raumplanung im Rahmen der jeweiligen Raumordnungsgesetze derzeit in weiten Teilen an der Gefährdung. Raumplanerische Maßnahmen zur Verringerung des Schadenspotenzials (u. a. Freihaltung von Gefährdungs- und Retentionsbereiche durch Widmungsverbote) müssen jedoch auch einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung unter sich verändernden Umweltbedingungen Rechnung tragen. Der Raumplanung wird im Sinne des Vorsorgeprinzips somit ein besonderer Stellenwert im Naturgefahrenmanagement zugeschrieben, was sich bei genauerer Betrachtung der einschlägigen Gesetzesgrundlagen auf Bundes- und Landesebene als Herausforderung erweist. In den vorangegangenen Abschnitten wurde dargelegt, wie das Modell einer risikoangepassten Betrachtungsweise in der Raumplanung aussehen könnte.

Das vierstufige Modell des risikoorientierten Ansatzes berücksichtigt neben der Gefährdung auch die Schadensanfälligkeit (Vulnerabilität) und die Exposition gefährdeter Objekte. Über die Bewertung unterschiedlicher Faktoren kann so eine Baulandeignung abgeleitet werden, die über die herkömmliche Gefahrenbewertung hinausgeht. Zusätzlich kann ein risikobasierter Ansatz auch einen Beitrag in der Diskussion um die Kostenwirksamkeit technischer Schutzmaßnahmen leisten, da unter gewissen Umständen eine Nachverdichtung im Baubestand möglich wird. Andererseits können mithilfe des vorgeschlagenen Entscheidungsbaums raumplanerische Maßnahmen abgeleitet werden, die potenziell schadensintensive Nutzungen in gefährdeten Bereichen durch Bodennutzungsregelungen einschränken. Des Weiteren nimmt der Ansatz Bezug auf die angestrebte Erhöhung der Resilienz gegenüber Naturgefahren, beispielsweise über die Forderung nach Objektschutzmaßnahmen bei Bauvorhaben in bestimmten gefährdeten Gebieten.

Abschließend lässt sich festhalten, dass der Paradigmenwechsel von einer gefahrenorientierten Betrachtung hin zu einem risikobasierten Ansatz in der Raumplanung noch am Anfang steht. Der begrenzte Dauersiedlungsraum, bevölkerungsdynamische Prozesse, unterschiedlichste Nutzungsansprüche und der Strukturwandel in der Gesellschaft bewirken einen steigenden Siedlungsdruck. Hinzu kommen Veränderungen im Naturraum, die eine Erhöhung der Frequenz und Magnitude für viele Naturgefahrenprozesse verursachen. Daraus ergibt sich ein Spannungsfeld aus begrenztem Lebensraum und einem steigenden Bedarf an Nutzfläche für Wohn- und betriebliche Zwecke. Deshalb wird der Raumplanung mit ihrem vorausschauenden Charakter eine besondere Rolle als Steuerungsinstrument in der Gefahrenprävention zuteil. Das vorgestellte Modell soll hierzu einen Beitrag leisten. Zwar liefert das vorliegende Dokument kein vollumfängliches Umsetzungsmodell, da dieses noch weiterentwickelt werden kann und an die länderspezifischen Rahmenbedingungen angepasst werden muss, bietet aber dafür vielfältige Anknüpfungspunkte. So soll neben einer wissenschaftlichen Diskussion über einen risikoorientierten Ansatz in der Raumplanung auch ein Diskurs in der raumplanerischen Praxis mit dem Ziel initiiert werden, das Schadensausmaß bei künftigen Ereignissen so weit wie möglich zu verringern.