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Mag. Michael Wiesmüller

Mit wem immer man sich in diesen Tagen über das beherrschende Thema, die COVID-Pandemie, unterhält, das letzte halbe Jahr hat erstaunliche Dinge und reichhaltige Erfahrungen mit sich gebracht. In der Welt der Technologien etwa einen – für alle überraschenden – Schub in der praktizierten digitalen Transformation. Auf das Homeoffice zurückgeworfen, wurden komplexe Arbeits- und Abstimmungsprozesse virtuell neu erfunden, bislang mehrtägige internationale Meetings mit Hundertschaften an Teilnehmer/innen in wenigen Stunden online durchgeführt, digitales Lernen an Schulen und Universitäten, vor Kurzem noch ein ungewisses Zukunftsprojekt, wurde im Eiltempo zur Realität, und vieles andere mehr. Noch erstaunlicher war, dass uns – im Gegensatz zur physischen Welt – im Lockdown alles Digitale im Wesentlichen robust, ausgereift und unverletzbar erschien.

Sollten wir also demnächst, ermutigt durch diese Erfahrung und, weit mehr als bisher, in ein digitales Zeitalter eintreten, dann geschieht das genau in jenem Moment, in dem uns die Zerbrechlichkeit der Welt in so vielfältiger Weise vor Augen geführt wurde. Dem Moment einer Zeitenwende, in der die vermeintlich so zuverlässigen Tragseile der Globalisierung sich als seidene Fäden herausstellten und zahlreiche ,,Betriebssysteme“ unserer Welt, die wir für ausfallssicher und unerschütterlich hielten, in wenigen Wochen bedrohlich an ihre Kapazitätsgrenzen gerieten. Oder wie Kommissionspräsidentin van der Leyen in ihrer beeindruckenden Rede zur Lage der Europäischen Union vor Kurzem formulierte: Die letzten Monate haben die Grenzen eines Modells aufgezeigt, das Wohlstand vor Wohlergehen stellt.

Der Klimawandel ist quasi das Leitmotiv dieser zunehmend in den Fokus tretenden Fragilität unseres Planeten: Schmelzende Gletscher, Feuerstürme, Dürren, Hochwasser und andere Wetterextreme werden für alle spürbar stärker und häufiger in ihrer Abfolge, die damit einhergehenden Kollateralschäden immer überdimensionaler. Das vorliegende Themenheft ,,Digitalisierung für das Erreichen der Klimaziele“ könnte also aktueller nicht sein, setzt es doch Digitalisierung nicht wie so oft in der Vergangenheit als universelles Effizienzwerkzeug in den Vordergrund, sondern in Bezug auf eines der vordringlichsten globalen Menschheitsziele überhaupt: die Bewältigung des Klimawandels. Anstatt bloß ,,für Digitalisierung“ zu sein, geht es nun um Zwecke und wagen wir zu fragen: ,,Digitalisierung für …?“

Wie also hängen Digitalisierung und Klimaziele zusammen? Wie ist diese zweifache Herausforderung einer ökologischen und digitalen Transformation, die die europäische Union zum Zielhorizont der nächsten Dekade erklärt hat, zu bewältigen?

GreenTech oder Umwelttechnologien haben eine lange Geschichte. Ihre zentrale Funktionalität und der Wesensgrund ihrer Existenz besteht in ihrer Nachhaltigkeit, ihrer Fähigkeit, dem Schutz der Umwelt und damit dem Klima zu dienen: Alle Technologien der Entsorgung (z. B. Recycling, Abwasserreinigung, Abfallbeseitigung) gehören dazu, aber auch Boden-, Gewässer-, oder Lärmschutz, Teile der Verfahrenstechnik, die sich mit Filterung oder Abgasreinigung beschäftigen, bis hin zur Umweltsensorik für die Überwachung von Schadstoffen. Einer Studie des BMVIT zufolge umfasst dieser Sektor in Österreich rund 1.000 Unternehmen mit 30.000 Arbeitsplätzen und ca. 10 Mrd. Euro Umsatz (BMVIT: Österreichische Umwelttechnik – Motor für Wachstum, Beschäftigung und Export, Juni 2017). Der Sektor ist hochinnovativ, zum Teil stark digitalisiert, wachstumsstark und international sehr gut positioniert. Allein: Dieser Sektor, selbst wenn er weiterwächst, wird für das Erreichen der Klimaziele nicht annähernd ausreichen. Er ist zu klein und in seiner Wirkungskraft zu eingeschränkt.

Glücklicherweise ist GreenTech nicht das einzige Werkzeug in der Werkzeugkiste der Menschheit, Umwelttechnologien haben gewissermaßen einen großen Bruder, den man Tech4Green nennen könnte und der das riesige High-Tech-Arsenal avancierter Technologien umfasst, das die Menschheit bereits entwickelt und zur Reife gebracht hat, allerdings für andere Funktionalitäten und nicht oder nur eingeschränkt für Klimaziele. Was wir also an der Seite von GreenTech in Zukunft sehen werden, sind neue Themenfelder mit Titeln wie ,,Robotics for Green“, ,,HPC for low carbon industries“, ,,AI for climate control“, ,,Green-Nanotech“ oder eben ,,Digitalisierung für Klimaziele“.

Für die enorme Komplexität des Klimawandels werden wir weit mehr digitale Augen, Ohren und Sinne (Sensoren) benötigen, ebenso wie siliziumbasierte kognitive Superkräfte für das Analysieren, das Interpretieren und das Verstehen der Daten dieser Sensoren. Wir werden Tools benötigen, die uns bei der Herbeiführung von Verhaltensänderungen der Bürger/innen helfen (persönlicher Co2-Fußabdruck), Algorithmen, die uns erlauben, das Energieverhalten von Gebäuden, Bezirken oder ganzen Städten zu modellieren, andere, die uns helfen, die Überproduktion von Lebensmitteln oder anderen Massengütern in den Griff zu bekommen. Wir können Roboter entwickeln, die uns beim Schutz von Naturlandschaften, bei der Erforschung gefährdeter Tierarten unterstützen, oder autonom das Sammeln, Reinigen und Sortieren von Müll vornehmen. Wir können die Effizienz von Windkraftwerken durch nanostrukturierte Oberflächen der Flügel verbessern, AI-gestützte Routingsysteme im Transport und in der Logistik können massive Beiträge zur Verringerung der Schadstoffbelastung leisten. In der Produktion können neue Konzepte der Kreislaufwirtschaft oder vorausschauende Wartung zu gewaltigen Ressourceneinsparungen führen, genauere Angebots- und Bedarfsprognosen können bei der Energieverteilung die Ressourceneffizienz steigern. Und und und…

Tausendundein Wege stehen uns also offen, unter Beweis zu stellen, dass Digitalisierung als Teil der Lösung, nicht als Teil des Problems, zu betrachten ist, wie ein kluger Beitragstitel des vorliegenden Heftes lautet.