figure a

Wolfgang Gawlik

Die immer weiter wachsende Zahl von dezentralen Anlagen zur Stromerzeugung, die häufig regenerative Energieträger nutzen, und die steigende Verbreitung von dezentralen Speichern für elektrische Energie verändern die Art und Weise, wie elektrische Energiesysteme geplant und betrieben werden müssen. Insbesondere für die Verteilnetze, aber auch für den Verbundbetrieb als Ganzes, entstehen durch diese Entwicklungen neue Herausforderungen. Einige der Entwicklungen, Herausforderungen und Lösungsmöglichkeiten sollen in diesem Heft behandelt werden.

Ohne Flexibilität, also die Möglichkeit, auf veränderte Einspeise- und Lastsituationen angemessen reagieren zu können, ist ein stabiler Netzbetrieb nicht möglich. Traditionell wird die Flexibilität für die Netzregelung auf der Erzeugungsseite bereitgestellt, beispielsweise, indem die Einspeisung thermischer Kraftwerke an den Lastgang im Netz angepasst wird. Wenn wir in einem überwiegend regenerativ gespeisten Energiesystem der Zukunft auf fossile Energieträger verzichten oder ihre Nutzung stark einschränken wollen, müssen die chemischen Speicher, die die fossilen Energieträger wie Kohle und Gas darstellen und die wir bei Bedarf anzapfen, durch andere Speichermöglichkeiten bzw. Flexibilität ersetzt werden. Insbesondere im österreichischen elektrischen Energiesystem stellen Speicher- und Pumpspeicherkraftwerke eine hervorragende und unverzichtbare Möglichkeit dar – allerdings müssen wir davon ausgehen, dass selbst bei einem weiteren Ausbau dieser bewährten Technologie weder Leistung noch Kapazität ausreichen werden, um die Lücke zu decken, die durch den Verzicht auf die Millionen Jahre alten Speicher (etwa 20 Millionen Jahre beim Erdgas, etwa 300 Millionen Jahre bei der Steinkohle) entstehen.

Weil die Speichermöglichkeiten im elektrischen Energiesystem also begrenzt und oft teuer sind, bietet es sich an, durch energieträgerübergreifende Kopplung Flexibilität in weiteren Energieinfrastrukturen zu erschließen. Für solche energieträgerübergreifenden Energiesysteme wird oft die Bezeichnung „Hybridnetze“ (welche allerdings auch für elektrische Systeme genutzt wird, in denen Drehstromübertragung und Hochspannungs-Gleichstromübertragung parallel betrieben werden) oder „Polynetze“ verwendet. Am Institut für Energiesysteme und Elektrische Antriebe der Technischen Universität Wien haben wir dafür den Begriff „Universal Grid“ geprägt. Der erste Beitrag zum Themenschwerpunkt dieser e&i-Ausgabe behandelt überblicksartig einige Forschungsprojekte, in denen die energieträgerübergreifende Planung und Analyse von solchen „Universal Grids“ behandelt wird.

Durch die steigende Einbindung dezentraler Anlagen zur Stromerzeugung und -speicherung entsteht aber auch die Notwendigkeit, beim Betrieb der Verteilnetze auf allen Netzebenen bis hin zur Niederspannung mehr Eingriffsmöglichkeiten und Flexibilität nutzen zu können. Das ist schon aufgrund des Mengengerüstes eine enorme Herausforderung, die ein intelligentes Systemmanagement unter verstärkter Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien voraussetzt. Im zweiten Beitrag des Schwerpunktes wird ein solches netzfreundliches Flexibilitätsmanagement in zukünftigen Energiesystemen behandelt.

Durch eine Steigerung des Eigenverbrauchs dezentral erzeugter elektrischer Energie kann die Netzbelastung ebenfalls begrenzt werden. Im dritten Beitrag des Schwerpunktes wird eine Kostenoptimierung des Betriebs von Photovoltaikanlagen mit Batteriespeichern unter Verwendung variabler Tarife betrachtet.

Neben den Veränderungen und Herausforderungen, die sich durch die zunehmende Dezentralisierung und die steigende Volatilität der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energieträgern, wie bei der Photovoltaik und der Nutzung der Windkraft, ergeben, haben auch die verwendeten Technologien für die Stromeinspeisung selber maßgeblichen Einfluss darauf, dass sich bisherige Paradigmen und grundlegende Systemeigenschaften auflösen. Sehr häufig wird in dezentralen Stromerzeugungsanlagen Leistungselektronik verwendet, während die Einspeisung durch direkt mit dem Netz verbundene Synchrongeneratoren zukünftig tendenziell eher abnehmen wird. Bezüglich ihres Verhaltens in Folge von Störungen im Netz unterscheiden sich diese Technologien fundamental. Während das dynamische Verhalten einer Synchronmaschine maßgeblich durch die elektromagnetischen und mechanischen Ausgleichsvorgänge in ihren Wicklungen und ihren rotierenden Massen bestimmt wird, definiert sich das Fehlerverhalten bei leistungselektronischen Einspeisungen hauptsächlich durch die verfolgte Regelstrategie und die Belastbarkeit der leistungselektronischen Bauelemente.

Die bestehenden Schutzkonzepte und -algorithmen müssen also auf ihre Eignung für und ihre Beeinflussbarkeit durch leistungselektronische Einspeisungen geprüft werden. Im vierten Beitrag des Schwerpunktes wird dies für die Distanzmessung in Distanzschutzgeräten untersucht.

Durch zunehmende trägheitslose Einspeisung sinkt auch die insgesamt im Verbundsystem synchron rotierende Schwungmasse (bewirkt also weniger Inertia). Das System und die Systemfrequenz reagieren dann weniger träge auf Ungleichgewichte in der Bilanz von Erzeugung und Verbrauch elektrischer Energie, die Frequenzstabilität wird also zunehmend kritischer. Durch die Bereitstellung synthetischer Schwungmasse können aber auch über Vollumrichter angebundene Stromerzeugungsanlagen stabilisierend wirken und sich so verhalten, als ob sie Inertia hätten. Der fünfte Beitrag im Schwerpunkt behandelt die Bereitstellung synthetischer Schwungmasse durch Wasserkraftanlagen und ein Konzept zum Handel mit „Inertia Certificates“.

Eine weitere sehr praxisrelevante Fragestellung, die durch die Verwendung von Leistungselektronik im elektrischen Energiesystem entsteht, wird im sechsten Beitrag des Schwerpunktes untersucht, nämlich der Einfluss der Schleifenimpedanz auf den Fehlerschutz in wechselrichtergespeisten IT-Netzsystemen.

Der Schwerpunkt wird schließlich abgerundet durch einen Beitrag, in dem Regelungsstrategien zur Wiederverbindung von Photovoltaik-Anlagen im Inselnetz festgelegt werden.

Mein Dank gilt allen Autorinnen und Autoren der Beiträge und insbesondere den Reviewern und der Redaktion für die sorgfältige Prüfung der Beiträge und ihr hilfreiches Feedback. Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern eine interessante Lektüre.