Die Digitalisierung hält unaufhaltsam Einzug ins Gesundheitssystem. Trotz der offensichtlichen Vorteile (Kontaktreduktion in Pandemiezeiten, breite Zugänglichmachung leitliniengerechter Behandlung etc.) zeigt die Praxis, dass digitale Behandlungselemente noch sehr zurückhaltend eingesetzt werden. Dieser Beitrag berichtet die Ergebnisse einer Online-Umfrage, die die Einstellung zu digitalen Behandlungselementen bei Health Professionals und Patienten erhoben hat.

Mit dem Inkrafttreten des Digital-Versorgungs-Gesetzes (DVG) im Jahr 2019 wurde der rechtliche Rahmen geschaffen, um die Digitalisierung des Gesundheitssystems zu bahnen. Hierzu gehören etwa die Verschreibbarkeit von digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA; medizinische Apps) und die Legalisierung der ausschließlichen Fernbehandlung. Krankenhausinformationssysteme (KIS) und Kommunikation im Medizinwesen (KIM) ermöglichen Datenexport für KI-Lösungen, Blockchain-Technologie und Big Data [1, 3]. Dies führt einerseits zu einer effektiven digitalen Vernetzung der verschiedenen Leistungserbringer und Versorgungsebenen (ePA), andererseits zu der Möglichkeit, Konsultationen und Konsile ohne Direktkontakt durchzuführen (Telemedizin). Patienten haben durch DiGA auf dem Smartphone orts- und zeitunabhängig Zugang zu effektiver Behandlung. Aktuell sind bereits gut 30 DiGA im „DiGA-Verzeichnis“ des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gelistet und können so zulasten der Krankenkasse verordnet werden [2].

Besonderes Potenzial haben digitale Elemente unter anderem bei der Behandlung von Rückenschmerzen [4, 5, 11, 13, 19, 21, 24, 27, 28]. Hier gibt es starke Evidenz, dass digitale Behandlungsmethoden – besonders DiGA und Telekonsile für chronifizierungsgefährdete Patienten sowie klinische Entscheidungsunterstützungssysteme – der bisherigen Regelversorgung klinisch und gesundheitsökonomisch deutlich überlegen sind [21,22,23].

Trotz der klaren Chancen zeigt die Praxis jedoch bisher nur eine zaghafte Nutzung digitaler Elemente. Wir wissen jedoch aus früheren Studien, dass Patienten hier progressiver denken als die Behandelnden und digitale Behandlungselemente durchaus fordern [8, 12].

Die bisherigen Studien, die die Einstellung zu digitalen Elementen erhoben haben, weisen jedoch zwei Schwächen auf. Zum einen beziehen sich diese Studien meist auf einfachere Aspekte der Digitalisierung, wie E‑Mail-Kontakt, Literaturrecherche, Patientenedukation oder telemedizinische Vernetzung, etwa über Videocall [7, 10, 18, 26]. Hochtechnisierte Möglichkeiten der Digitalisierung, etwa multimodale DiGA, klinische Entscheidungsunterstützungssysteme oder Chatbots mit automatisierter Beantwortung von Patientenfragen, wurden in derartigen Erhebungen unseres Wissens noch nicht berücksichtigt.

Außerdem konzentrierten sich bisherige Studien meist auf eine enge Auswahl digitaler Anwendungsmöglichkeiten, sodass ein Überblick über die gesamte Breite an digitalen Möglichkeiten in einer Stichprobe aktuell noch nicht vorliegt [9, 14, 16, 20, 25, 29]. Solche umfassenden Erhebungen sind jedoch essenziell, um sowohl Health Professionals als auch Patienten hinsichtlich ihrer Einstellung zu verstehen und damit die Akzeptanz der Digitalisierung zu bahnen.

Die vorliegende Arbeit hat daher mittels einer Online-Umfrage die Einstellung zum Thema „digitale Medizin“ bei den Mitgliedern der Deutschen Schmerzgesellschaft (Health Professionals) und assoziierten Selbsthilfegruppen (Patienten) umfassend erhoben.

Methodik

Die Studie war eine Kooperation zwischen dem Zentrum für Interdisziplinäre Schmerzmedizin des Klinikums rechts der Isar in München, der Deutschen Schmerzgesellschaft und dem Health Innovation Hub (hih) des Bundesministeriums für Gesundheit.

Stichprobe

Die Datenerhebung erfolgte mittels einer Online-Umfrage (LimeSurvey, LimeSurvey GmbH, Australia). Diese wurde über E‑Mail-Verteiler (1) an die Mitglieder der Deutschen Schmerzgesellschaft (ca. 3000 Health Professionals) und (2) an Mitglieder von fünf Schmerzpatientenorganisationen (Schmerzlos e. V., MigräneLiga e. V. Deutschland, Deutsche Fibromyalgie Vereinigung e. V., Deutsche Restless Legs Vereinigung, CRPS Netzwerk) versendet. Die Umfrage für die Professionals war vom 24. September 2020 bis zum 17. November 2020 freigeschaltet. Die Patienten konnten vom 28. Januar bis zum 31. März 2021 teilnehmen. Zwischenzeitlich erhielten beide Gruppen E‑Mail-Erinnerungen. Die Umfrage wurde von der Ethikkommission des Klinikums rechts der Isar (MRI, Technische Universität München [TUM]) genehmigt (503/20 S‑SR).

Insgesamt klickten 398 Professionals und 250 Patienten den Link zur Umfrage an. 250 Professionals füllten den Fragebogen komplett aus, bei den Patienten waren es 154. Tab. 1 gibt einen Überblick über die Stichprobencharakteristika.

Tab. 1 Zusammenfassung der demografischen Daten der Health Professionals und Patienten

Fragebogen

Health Professionals und Patienten erhielten weitgehend identische Fragebögen. Unterschiede gab es lediglich bei den Fragen, die sich spezifisch auf eine der beiden Gruppen beziehen (etwa Fragen hinsichtlich der Sorge um die Vergütung der Health Professionals). Beide Fragebogenversionen befinden sich im Online-Zusatzmaterial. Folgende Themengebiete wurden im Fragebogen erfasst:

  • Geläufigkeit von digitaler Medizin

  • Einstellung und tatsächliche Nutzung von digitaler Medizin

  • Wahrgenommene Chancen und Möglichkeiten für den Einsatz von spezifischen digitalen Elementen

  • Skepsis gegenüber dem Einsatz spezifischer digitaler Elemente

  • Spezifische Fragen zu DiGA

  • Einschätzung der Zukunft der digitalen Medizin

Es wurden stets 5‑stufige numerische Rating-Skalen (NRS) verwendet. Die Polung richtet sich nach der Polarität des Konstrukts (−2 bis 2 für bipolare vs. 0 bis 4 für unipolare Konstrukte).

Zusätzlich zu den selbst entwickelten Fragen wurde die allgemeine Technikaffinität über den validierten TA-EG-Fragebogen [15] erhoben. Dieser erhebt anhand von 19 Items aus 4 Subskalen (negative Folgen von Technik, positive Folgen von Technik, subjektive Kompetenz, Begeisterung im Umgang mit Technik) die Technikaffinität der Teilnehmenden.

Statistische Methoden

Für die Gruppenvergleiche (Health Professionals vs. Patienten) bzgl. der NRS-Daten wurden für jeden Themenbereich des selbst entwickelten Fragebogens sowie die Subskalen des TA-EG jeweils einfaktorielle „between-subjects MANOVAs“ mit anschließenden „post-hoc default ANOVAs“ (SPSS) berechnet. Die Einzelitems zur Zukunft der digitalen Medizin wurden mit t-Tests verglichen. Signifikanzniveau für alle Tests war α = 5 %. Eine Bonferroni-Korrektur wurde falls nötig vorgenommen.

Ergebnisse

Geläufigkeit, Einstellung und tatsächlicher Nutzen

Abb. 1 stellt die Ergebnisse hinsichtlich Geläufigkeit, Einstellung und derzeitiger Nutzung digitaler Medizin dar.

Abb. 1
figure 1

Mittelwerte (mit Standardfehler) der a Geläufigkeit, b Einstellung und c tatsächlichen Nutzung digitaler Medizin. Asterisk Bedeutet Signifikanz auf dem 5 %-Niveau

Es fällt auf, dass die Geläufigkeit (Wertebereich 0–4) durchweg moderat ist, wobei die Professionals signifikant höhere Werte hinsichtlich Informiertheitsgefühl, aktiver Information und Kenntnis konkreter DiGA berichten als Patienten (alle p’s < 0,05). Tendenziell positiv ist die Einstellung zu den einzelnen digitalen Elementen: Beide Gruppen berichten im Mittel leicht positive Werte für die vier abgefragten digitalen Elemente (Telesprechstunde, Telekonsultation, DiGA, Entscheidungsunterstützung), wobei es keine signifikanten Gruppenunterschiede gibt (p>0,05). Die positive Einstellung manifestiert sich bisher aber noch nicht in einer tatsächlichen Anwendung dieser Elemente, wie Abb. 1c zeigt, wo sich durchweg geringe Werte für die Nutzung der 4 Anwendungsbeispiele finden. Signifikante Gruppenunterschiede ergaben sich dabei für keines der digitalen Elemente (p’s > 0,05).

Zusammengenommen zeigt sich, dass (1) durchaus Offenheit gegenüber digitalen Elementen in der Behandlung besteht, dass (2) beide Gruppen mäßig über das Thema informiert sind und dass (3) digitale Elemente noch sparsam eingesetzt werden.

Wahrgenommene Chancen digitaler Medizin

Beide Gruppen wurden gefragt, für wie sinnvoll sie den Einsatz konkreter digitaler Elemente im Gesundheitssystem halten, etwa die elektronische Patientenakte, Symptomtagebücher, Aktivitätstracker, Telekonsile, Kommunikationsunterstützung oder DiGA. Hierbei gaben sie ihre Einschätzung auf einer NRS von 0 (gar nicht sinnvoll) bis 4 (sehr sinnvoll) ab. Abb. 2 illustriert diese Ergebnisse.

Abb. 2
figure 2

Mittelwerte (mit Standardfehler) der Einschätzung zu Einsatzmöglichkeiten digitaler Medizin. Asterisk Bedeutet Signifikanz auf dem 5 %-Niveau

Die meisten Werte, die die Einschätzung der Sinnhaftigkeit einzelner digitaler Elemente angeben, liegen über M = 2. Die Patienten scheinen hier sogar noch etwas progressiver zu denken als die Professionals. Zwar halten Letztere die einrichtungsübergreifende ePA für signifikant sinnvoller als die Patienten (p < 0,05), die Patienten sehen im Vergleich zu den Professionals jedoch stärkere Chancen in den digitalen Elementen, was Wissensvermittlung, Dialogsysteme, aber auch die Vernetzung verschiedener Ebenen (Kommunikation von Professionals mit Patienten oder mit anderen Gesundheitsdienstleistern, Vernetzung von Professionals untereinander sowie intersektorale Kommunikation) betrifft (p’s < 0,05). Bei allen anderen digitalen Elementen ergaben sich keine signifikanten Gruppenunterschiede (p’s > 0,05).

Zusammengenommen zeigen die Ergebnisse, dass (1) die Chancen der digitalen Medizin in beiden Gruppen bereits erkannt werden und dass (2) Patienten hier sogar noch etwas progressiver denken als Professionals.

Skepsis gegenüber digitaler Medizin

Die Befragten wurden gebeten anzugeben, wie skeptisch sie bestimmte Aspekte bei digitalen Anwendungen sehen. Hierzu wurde wieder eine fünfstufige NRS (0–4) mit den Polen 0 (keine Bedenken) und 4 (starke Bedenken) herangezogen. Die Ergebnisse bildet Abb. 3 ab.

Abb. 3
figure 3

Mittelwerte (mit Standardfehler) der kritischen Aspekte zu digitaler Medizin. Asterisk Bedeutet Signifikanz auf dem 5 %-Niveau

Beide Gruppen zeigten die größten Bedenken hinsichtlich mangelnder Technikkompetenz der Patienten sowie Datenschutz und Datensicherheit, wobei sich Professionals und Patienten hier nicht signifikant unterschieden (p’s > 0,05). Dagegen befürchten Professionals im Vergleich zu den Patienten eine negative Veränderung des Verhältnisses zwischen Behandelnden und Patienten stärker (p < 0,05). Für alle anderen abgefragten Aspekte fanden sich keine Gruppenunterschiede (p’s > 0,05). Die Professionals wurden zusätzlich gefragt, wie ihre Bedenken hinsichtlich der rechtlichen Verantwortung, der Gefahr der Verstärkung von Beschwerden durch sozialen Rückzug der Patienten und der Vergütung des Einsatzes von digitalen Elementen sind. Hier äußerten sie besonders hinsichtlich der rechtlichen Verantwortlichkeit und der Vergütung Vorbehalte.

Zwischenfazit

Die bisher präsentierten Daten zeigen, dass die Chancen der digitalen Medizin im Allgemeinen von beiden Gruppen durchaus erkannt, digitale Elemente aber noch recht zurückhaltend eingesetzt werden. Besonders die Skepsis hinsichtlich der Technikkompetenz der Patienten und des Datenschutzes bzw. der Datensicherheit (beide Gruppen) sowie der Honorierung (Professionals) ist ausgeprägt.

DiGA

Aufgrund der Aktualität des DiGA-Themas wurde dieses im Fragebogen besonders berücksichtigt. Es zeigte sich zunächst, dass nur gut die Hälfte der Professionals zum Erhebungszeitpunkt wusste, dass ab Herbst 2020 das Verschreiben von DiGA möglich ist. Bei den Patienten war es nur etwa ein Drittel. Hauptinformationsquelle waren hier für beide Gruppen die Presse, Fernsehen oder Internet, weit vor Krankenkassen, Kammern oder Selbsthilfeorganisationen.

Ferner sollten die Befragten Angaben dazu machen, welche Aspekte ihnen wichtig wären, um DiGA zu verschreiben (Professionals) oder zu nutzen (Patienten). Hierzu wurden einzelne Aspekte hinsichtlich ihrer Relevanz auf der NRS von 0 (gar nicht wichtig) bis 4 (sehr wichtig) bewertet. Wie in Abb. 4 gezeigt, stellen beide Gruppen dabei hohe Anforderungen an eine DiGA.

Abb. 4
figure 4

Mittelwerte (mit Standardfehler) der Anforderungen an DiGA. Asterisk Bedeutet Signifikanz auf dem 5 %-Niveau

Beide Gruppen legen großen Wert auf eine wissenschaftlich nachgewiesene Wirksamkeit, Datenschutz und geringes Risiko für den Patienten, wobei sich hier keine signifikanten Gruppenunterschiede zeigen (p’s > 0,05). Ebenfalls große Wichtigkeit wird der Beteiligung ausgewiesener Experten an der DiGA-Entwicklung und einer verständlichen Wirkweise beigemessen, wobei die Patienten hier fordernder sind als die Professionals (p’s < 0,05). Den Professionals ist dagegen der geringe Zeitaufwand für die medizinischen Fachkräfte wichtiger als den Patienten.

Beide Gruppen wurden schließlich gefragt, ob sie annehmen, dass digitale Elemente in fünf Jahren eine wichtige Ergänzung in der Versorgungslandschaft sein werden, und die Professionals, ob digitale Elemente in fünf Jahren den Berufsalltag verändert haben werden. Hierzu wurden 5‑stufige Likert-Skalen mit den Kategorien „auf keinen Fall“, „eher nicht“, „teils, teils“, „eher ja“ und „auf jeden Fall“ herangezogen.

Abb. 5 zeigt, dass der Großteil beider Gruppen digitale Elemente in fünf Jahren als wichtige Ergänzung in der Versorgungslandschaft sieht (kein signifikanter Gruppenunterschied; p > 0,05). Mehr als 70 % der Ärzte gehen weiterhin davon aus, dass die Digitalisierung ihren Berufsalltag in den kommenden fünf Jahren verändert haben wird.

Abb. 5
figure 5

Übersicht über Zukunftseinschätzung bzgl. digitaler Medizin

Zwischenfazit

Es zeigt sich, dass die Chancen von DiGA erkannt werden, dass aber sowohl Professionals als auch Patienten diese nicht kritiklos einsetzen wollen, sondern hohe Ansprüche an Sicherheit und Wirksamkeit stellen. Beide Gruppen gehen zudem davon aus, dass digitale Elemente in Zukunft eine relevante Rolle in der Versorgungslandschaft bekommen werden.

Technikaffinität

Um zu prüfen, ob Gruppenunterschiede in der Bewertung der digitalen Medizin gegebenenfalls auf Gruppenunterschiede in der Technikaffinität zurückzuführen sind, wurde allen Teilnehmenden der validierte Fragebogen TA-EG [15] vorgelegt. Die Werte für beide Gruppen sind in Abb. 6 illustriert. Beide Gruppen zeigen in allen vier Dimensionen (Begeisterung, Kompetenz, positive Folgen, negative Folgen) ähnliche Werte mit leicht erhöhten Werten der Professionals bei Begeisterung und Kompetenz. Die „between-subjects MANOVA“ über die vier Subdimensionen zeigte einen signifikanten Effekt für Gruppe (Professionals vs. Patienten), F (4,399), p = 0,002, η = 0,041. Demnach zeigten die Professionals signifikant höhere Begeisterungswerte (p < 0,01), während es für alle anderen Dimensionen keine Gruppenunterschiede gab (p’s > 0,05). Aufgrund des signifikanten Unterschieds wurden die vorher genannten MANOVAs als MANCOVAs mit der Kontrollvariable „Begeisterung für Technik“ wiederholt. Das Pattern der Signifikanzen änderte sich hierdurch nicht. Ein Einfluss von Gruppenunterschieden in der Technikaffinität auf das Ergebnismuster des Fragebogens kann also ausgeschlossen werden.

Abb. 6
figure 6

Mittelwerte (mit Standardfehler) der Subskalen von Technikaffinität. Asterisk Bedeutet Signifikanz auf dem 5 %-Niveau

Diskussion

Ziel der Umfrage war es, ein Stimmungsbild bei Professionals und Patienten hinsichtlich digitaler Medizin einzuholen, welches helfen kann, die Digitalisierung des Gesundheitssystems zu flankieren. Unsere Umfrage zeigt insgesamt, dass (1) das Potenzial der digitalen Medizin in beiden Gruppen durchaus erkannt wird, dass (2) digitale Elemente bisher aber kaum genutzt werden, dass (3) beide Gruppen besonders Skepsis hinsichtlich des Datenschutzes zeigen, dass (4) hohe Anforderungen an DiGA gestellt werden und dass (5) Patienten oftmals progressiver denken als Professionals.

Die COVID-19-Pandemie hat die Chancen der Digitalisierung für Schmerzpatienten besonders aufgezeigt. Insgesamt ging die Behandlung zwar während der Lockdowns zurück [17], es gab aber auch Ansätze, die vorgesehene (teil‑)stationäre Vor-Ort-Behandlung orts- und zeitunabhängig weiterzuführen [6]. Doch auch jenseits der Pandemie erlauben digitale Elemente, besonders DiGA, eine effektive leitliniengerechte Behandlung für Schmerzpatienten breit zugänglich zu machen. Da teilstationäre multimodale Behandlungen aufgrund der begrenzten Kapazitäten eher schwer chronifizierten Patienten vorbehalten sind, können digitale Elemente, besonders DiGA und Telemedizin, dazu beitragen, auch akuten und frühchronischen Schmerzpatienten eine adäquate Behandlung zukommen zu lassen. So lässt sich eine weitere Chronifizierung frühzeitig verhindern [13, 21,22,23, 27, 28].

Es ist daher nach gegenwärtigem Stand keine Frage mehr, ob wir Digitalisierung in der Medizin nutzen, sondern nur wie wir dies tun. Unsere Umfrage bietet dementsprechend Hinweise, wie die weitere Implementierung der Digitalisierung ins Gesundheitssystem gelingen kann. Gemäß dem Technical-acceptance-Modell (TAM) wird eine neue Technologie dann genutzt, wenn die Einstellung gegenüber der Nutzung positiv ist. Hierfür sind eine einfache Nutzung („perceived ease of use“) und Nützlichkeit („perceived usefulness“) der Technologie wichtig. Letztere wiederum ist unter anderem von der Relevanz der Technologie für die eigene Arbeit, der Qualität des Outputs und der Sichtbarkeit positiver Ergebnisse abhängig [30]. Unsere Umfrage deckt sich mit vielen dieser Annahmen. Beiden Gruppen ist z. B. eine einfache Bedienung digitaler Elemente („ease of use“) und ein nachvollziehbarer Wirkmechanismus und ein empirisch nachgewiesener Nutzen digitaler Behandlungsformen („usefulness“) wichtig.

Die Politik und die Verbände können hier helfen: Bei den Professionals zeigt sich das Bedürfnis nach einfacher Bedienung etwa darin, dass sich fast 75 % der Professionals wünschen, dass elektronisch gesammelte Patientendaten direkt in die elektronische Patientenakte oder an den Praxisserver übermittelt werden. Auch erwarten die Professionals Aufklärung und Unterstützung, insbesondere von Ärztekammern und Fachgesellschaften.

Das Wissen um die offene Einstellung, die Bedürfnisse und Sorgen der Health Professionals und der Patienten sowie die Einsicht aus der Pandemie, dass digitale Elemente einen echten Vorteil in der medizinischen Versorgung darstellen können, kann nun genutzt werden, um digitale Elemente nun weiter, regelmäßig und harmonisch im Behandlungsalltag zu etablieren.

Stärken und Schwächen der Studie

Unsere Umfrage ist unseres Wissens die erste Erhebung, die die Einstellung (1) hinsichtlich hochmoderner spezifischer digital-medizinischer Elemente (2) bei Patienten und Professionals einer spezifischen Diagnose/Fachrichtung untersucht und (3) dabei auch die Technikaffinität berücksichtigt. Es gibt aber auch Limitationen.

Zum einen ist das Erhebungsinstrument bisher nicht validiert. Aufgrund der klar definierten Konstrukte und der Verwendung etablierter numerischer Rating-Skalen ist aber von einer hohen Validität und Reliabilität unseres Fragebogens auszugehen. Eine weitere Schwäche ist der Rücklauf der Fragebögen. Der Link wurde an die ca. 3000 Mitglieder der Deutschen Schmerzgesellschaft und an ebenso viele Mitglieder von Patientenorganisationen versendet. Jedoch haben lediglich 398 Professionals den Link geklickt und nur 250 tatsächlich komplett beantwortet. Bei den Patienten waren es 250 Klicks und 154 komplett beantwortete Fragebögen. Eine Selektivität der Stichprobe ist damit nicht auszuschließen. Schließlich wurde die Umfrage in Zeiten der Coronapandemie durchgeführt. Da hier die Chancen der digitalen Medizin besonders stark spürbar waren, könnte das Ergebnis hier positiv verzerrt sein. Es dürfte aber davon ausgegangen werden, dass die in der Pandemie offenbar gewordenen Chancen der digitalen Medizin im Bewusstsein bleiben und sich die Einstellung längerfristig verbessert hat, sodass wir keinen vorübergehenden positiven Peak erhoben haben. Um dies zu klären, wäre eine Folgestudie nötig.

Fazit für die Praxis

Unsere Umfrage ist unseres Wissens die erste, die die Einstellung zu hochtechnologisierten digital-medizinischen Elementen anhand einer Stichprobe sowohl bei Professionals als auch bei Patienten erhebt. Es zeigt sich grundsätzlich eine positive Einstellung hinsichtlich digitaler Medizin, die bei Patienten etwas höher ausfällt. Die differenzierten Ergebnisse können helfen, die Digitalisierung im deutschen Gesundheitssystem nachhaltig zu etablieren. Eine starke politische Bahnung solch disruptiver Veränderung könnte jedoch nötig und hilfreich sein, um den flächendeckenden Einsatz der digitalen Medizin zügig zu gewährleisten.