Lernziele

Nach Lektüre dieses Beitrags …

  • können Sie den palliativmedizinischen Bedarf in der Notfallsituation erkennen;

  • können Sie benennen, welche palliativmedizinischen Dienste, Einrichtungen und Strukturen der Akutmedizin zur Beratung, (Mit‑)Behandlung und Entscheidungsfindung zur Verfügung stehen;

  • können Sie einordnen, was palliativmedizinische bzw. -pflegerische Spezialisten bei schwer zu beherrschenden Symptomen unterstützend anbieten können;

  • beurteilen Sie, ob in Ihrem Arbeitsumfeld Verbesserungsbedarf im Hinblick auf die Identifizierung des palliativmedizinischen Behandlungsbedarfs Ihrer Patienten besteht.

Hintergrund

Palliativmedizin hat das Ziel, die Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit den Problemen einer lebensbedrohlichen Erkrankung konfrontiert sind, zu verbessern [1]. Die allgemeine Palliativversorgung kann von Leistungserbringern der Primärversorgung mit palliativmedizinischer Basisqualifikation (in erster Linie den niedergelassenen Haus- und Fachärzten sowie den ambulanten Pflegediensten) erbracht werden. Der Großteil der Palliativpatienten, die medizinische und pflegerische Versorgung benötigen, kann auf diese Weise ausreichend versorgt werden. Bei besonders komplexer Symptomlage und großer Unterstützungsbedürftigkeit bei vielschichtiger Belastung ist die Einbindung der spezialisierten Palliativversorgung mit multiprofessionellen Teams, vielfältigen Diensten und Einrichtungen angezeigt.

Jedoch können bei Patienten mit inkurablen Erkrankungen in außerklinischen Settings Situationen auftreten, die die Patienten, (pflegende) Angehörige, Behandler oder Pflegeteams dazu veranlassen, den Notarzt oder einen Rettungsdienst zu rufen, oder die Patienten stellen sich selbst in einer Notaufnahme vor. Als krisenhafte Situationen sind häufig außergewöhnliche Belastungen durch folgende Symptome beschrieben: Schmerzexazerbationen, Durchbruchschmerz, Dyspnoe, Übelkeit, Erbrechen, Schluckstörungen, Obstipation, Verwirrtheit, Agitation, Unruhe, Probleme mit Harnkathetern, akute Paralysis, Blutungen, Krampfanfälle und andere neurologische Symptome [2]. Da als Grund für diese Aktionen zunächst die aktuell geklagten Symptome im Vordergrund stehen, ist es für Behandler im Rettungsdienst oder der Notaufnahme nicht immer einfach erkennbar, inwiefern es sich um einen Patienten in einer palliativen Situation handelt.

Zu bedenken ist auch, dass psychosoziale Komponenten die Einsatzindikationen für notfallmedizinisches Personal bei Palliativpatienten bedingen können, z. B. Angst, Panik – oder auch Überforderung der Angehörigen [3].

Identifizierung des palliativen Bedarfs

In den palliativmedizinischen und hospizlichen Versorgungsstrukturen in Deutschland leidet der weitaus größte Teil der behandelten Patienten an fortgeschrittenen Krebserkrankungen. Diese geben im Vergleich zu Patienten mit nichtonkologischen Grunderkrankungen einen deutlich höheren kontinuierlichen palliativmedizinischen Unterstützungsbedarf an. Gründe hierfür sind u. a. neben einer hohen Symptombelastung häufig tumorassoziierte Notfälle und Krisen, aber auch die bei dieser Patientengruppe im Vergleich deutlicher abgrenzbare Sterbephase im engeren Sinne. Palliativmedizinische Behandlungsstrategien stehen dabei in erster Linie unter dem Vorzeichen von Optimierung der Symptomlinderung, Unterstützung bei der Planung des Therapieziels oder der Therapiezieländerung, der Krisenbewältigung sowie der psychosozialen Unterstützung von Patienten und Angehörigen [4].

Demgegenüber überwiegen in der Akutmedizin – einschließlich der intensivmedizinischen und notfallmedizinischen Betreuung – überwiegend ältere Patienten mit nichtonkologischen, akuten oder chronisch-progredienten lebenslimitierenden Erkrankungen. Zu letzteren gehören u. a. Herzinsuffizienz, chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD), fortgeschrittene Niereninsuffizienz oder neurologische Erkrankungen wie z. B. die amyotrophe Lateralsklerose (ALS). Aufgrund der oftmals schwierigeren Einschätzung der Prognose bei nichtonkologischen Erkrankungen ist die Erarbeitung des Therapieziels oder die Diskussion einer Therapiezieländerung unter Umständen eine Herausforderung.

Merke

Bei Patienten mit nichtonkologischen Erkrankungen ist die Einschätzung der Prognose und damit die Festlegung eines Therapieziels oft herausfordernd.

Eine frühe Integration von Palliativmedizin bei Patienten mit inkurablen Erkrankungen wird von medizinischen Fachgesellschaften und in Leitlinien aufgrund des in Studien nachgewiesenen Benefits empfohlen [5, 6, 7]. Auch die Deutsche Gesellschaft für Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (DGINA e. V.) betont in ihrer Stellungnahme zum Referentenentwurf für ein Gesetz zur Reform der Notfallversorgung im Februar 2020: „Die Bedürfnisse besonders vulnerabler Patientengruppen müssen spezifisch berücksichtigt werden. Patienten mit eingeschränkter Kommunikationsfähigkeit, kognitiver Einschränkung, mit körperlichen Einschränkungen, Patienten mit psychischen Erkrankungen, intoxikierte Patienten und Patienten mit Sprachbarriere sowie Patienten mit Migrationshintergrund müssen, orientiert an den individuellen Bedürfnissen, triagiert, diagnostiziert und behandelt werden.“ [8]. Zu den vulnerablen Patientengruppen gehören auch Palliativpatienten.

In der Literatur wird der Anteil von Patienten mit einer palliativen Grunderkrankung bei Einsätzen der Rettungsdienste mit 3–10 % beschrieben, wovon sich 1 % in der Terminalphase befindet [9]. In einer Kärntner Studie zeigte sich, dass >1 von 10 diesbezüglich gescreenten Patienten in der Notaufnahme palliativen Behandlungsbedarf hatte [10].

Vorstellungen in der Notaufnahme oder Rettungseinsätze geschehen häufig außerhalb der normalen Dienstzeiten und bei nichtonkologisch Erkrankten im Besonderen, wenn eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) bisher nicht eingebunden wurde oder gerade im häuslichen Bereich Ängste und Unsicherheiten bei familiären oder nichtspezialisierten pflegerischen und ärztlichen Versorgern bestehen [11].

Palliative Notfallsituationen, Screeningtools und SOP

In der Akutsituation müssen Behandler in kurzer Zeit Entscheidungen treffen, das gilt auch für Notfallsituationen bei Palliativpatienten. Für den Rettungsdienst hat Wiese [3] diese in folgende Kategorien eingeteilt:

  • Kategorie 1: palliative Notfallsituation, die unabhängig von der Grunderkrankung (palliatives Krankheitsstadium) auftritt;

  • Kategorie 2: palliative Notfallsituation, die in Zusammenhang mit der Therapie der Grunderkrankung (palliatives Krankheitsstadium) auftritt;

  • Kategorie 3: palliative Notfallsituation, die aufgrund einer erstmaligen Symptomexazerbation der Grunderkrankung (palliatives Krankheitsstadium) auftritt;

  • Kategorie 4: palliative Notfallsituation aufgrund der wiederholten Exazerbation bekannter Symptome, die durch die Grunderkrankung (palliatives Krankheitsstadium) begründbar sind.

Diese Kategorien können im Rahmen der Akutbehandlung, insbesondere bei der Optimierung der notfall- und palliativmedizinischen Zusammenarbeit hilfreich sein. Zur Einschätzung der Kategorie der Notfallsituation im außerklinischen Setting bedarf es zumindest einer patientennahen Behandlungs- und Pflegedokumentation oder eines telefonisch erreichbaren (Mit‑)Behandlers. Dies ist in der Regel aber nur bei vorheriger Einbindung der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung gegeben.

Merke

Eine bedarfsorientierte, frühzeitige Integration der spezialisierten Palliativversorgung auch bei nichtonkologisch Erkrankten kann Notfalleinsätze und/oder unnötige Krankenauseinweisungen reduzieren.

Allerdings kann es sein, dass Patienten sich ihrer palliativen Situation nicht bewusst sind, z. B. aufgrund bisher fehlender Diagnose oder nicht gelungener Kommunikation über das Stadium der Erkrankung. Behandler in der Akutmedizin haben dann möglicherweise kaum oder gar keine Hinweise auf die vorliegende Erkrankung oder deren Stadium [12]. Wenn hingegen Behandlern in einer Notfallsituation Diagnose und Prognose bekannt sind, kann trotzdem unklar sein, inwieweit der Patient über beides aufgeklärt ist. Auf Intensivstationen und in Notfallsituationen findet die Interaktion meist mit Familienmitgliedern statt, die nicht nur mit der Verantwortung, für ihre Angehörigen Entscheidungen treffen zu müssen, sondern auch mit ihren eigenen Belastungen und Ängsten belastet sind. Nachweislich können durch eine gute Kommunikation die Krankheitsbearbeitung der Patienten und ihre Compliance sowie die Entscheidungsfähigkeit Angehöriger von Schwerstkranken verbessert werden. Trotz meist ungenügender zeitlicher Ressourcen soll ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden, um gemeinsam Therapieentscheidungen zu treffen [13].

Um die Bedürfnisse der Patienten und den Behandlungsbedarf zu identifizieren, wurden verschiedene Screeningtools entwickelt, z. B. von Experten aus Palliativ- und Notfallmedizin in den USA das „screening for palliative care needs in the emergency department“ (SPEED), und im Rahmen einer Studie mit Krebspatienten in der Notaufnahme validiert [14]. Es handelt sich hierbei um einen an den Patienten gerichteten Fragenkatalog. Dieses Assessmentinstrument ist sicher geeignet, um die potenziellen palliativmedizinischen Bedürfnisse derjenigen Patienten zu eruieren, die selbst darüber Auskunft geben können, klärt aber auch bei diesen nicht direkt die Frage nach dem Setting der Weiterbehandlung [15]. Mit einem in Großbritannien entwickelten und für Deutschland validierten Assessmentbogen „supportive and palliative care indicators tool“ wurde zwar ein geeignetes Instrument zur Identifizierung von Palliativpatienten in der Notaufnahme entwickelt, jedoch werden deren Bedürfnisse darüber nicht dezidiert erhoben [16, 17, 18, 19]. Im Kliniksetting entwickelte „standard operating procedures“ (SOP) können dazu beitragen, palliative Situationen einzuschätzen und den entsprechenden Behandlungsbedarf zu eruieren. Für onkologische Patienten wurde hierzu eine Vielzahl von SOP entwickelt, die – ggf. adaptiert – auch für Akutsituationen genutzt werden können, sofern eine nachhaltige Implementierung im jeweiligen Setting erfolgt [20, 21]. Im stationären intensivmedizinischen Setting sollte in Akutsituationen bei Bedarf zu Fragen der Symptomkontrolle, schwierigen Entscheidungen bezüglich einer Therapiezielfindung oder -änderung oder auch psychosozialen Belastungen von Patienten und deren Angehöriger spezialisierte palliativmedizinische Unterstützung angefragt werden.

In allen Settings hat sich auch die negative Beantwortung der „surprise question“ (Wäre ich überrascht, wenn dieser Patient innerhalb der nächsten 12 Monate stirbt?) als hilfreich zur Einschätzung für palliativmedizinisch orientiertes Vorgehen erwiesen, wenn zugleich ein deutlich reduzierter Allgemeinzustand vorliegt (Eastern Cooperative of Oncology Group [ECOG] 3–4; 3: nur begrenzte Selbstversorgung möglich; 50 % oder mehr der Wachzeit an Bett oder Stuhl gebunden; 4: völlig pflegebedürftig, keinerlei Selbstversorgung möglich, völlig an Bett oder Stuhl gebunden; [22, 23]).

Merke

Die Implementierung von Screeningtools und SOP erleichtert eine standardisierte Eruierung des palliativen Behandlungsbedarfs.

Integration der Palliativmedizin in die Akutmedizin

In der Versorgungspraxis der klinischen Akutmedizin muss eine angemessene und machbare Integration der Palliativmedizin stattfinden. Empfehlenswert ist es, dass einige Mitarbeiter entweder eine Fortbildung (40-stündiger Basiskurs bzw. 160-stündiger Kurs Palliative Care) oder auch ärztliche Mitarbeiter eine Zusatzweiterbildung Palliativmedizin absolviert haben. Basiskurse und regelmäßige Aktualisierungen sind für ärztliches und pflegerisches Personal in Notaufnahmen von Comprehensive Cancer Centers in Deutschland explizit empfohlen worden [24]. So kann palliativmedizinisches Vorgehen unter Berücksichtigung eines möglicherweise rein palliativen Behandlungswunschs in einer Notfallsituation ggf. sowohl ohne sofortige Einbindung palliativmedizinischer Dienste sichergestellt als auch der Bedarf für spezialisierte Palliativversorgung erkannt werden. Neben der Berücksichtigung interner Fort- oder Weiterbildung bietet sich die Einbeziehung von palliativmedizinischen bzw. -pflegerischen Spezialisten bei

  • schwer zu beherrschenden Symptomen,

  • der Versorgung maligner Wunden,

  • schwierigen ethischen Entscheidungsfindungen – etwa bei unklarer Prognose, unklarem Patientenwillen, Dissens zum Vorgehen im Behandlerteam – sowie bei

  • Kommunikationsschwierigkeiten mit Patienten und/oder deren rechtlichen Stellvertretern oder Angehörigen

an. Auch bei Entscheidungen zum intensivmedizinischen Behandlungsverzicht aufgrund mangelnder Ressourcen (Triage), zur Sicherstellung einer palliativen Symptomkontrolle und zur Sterbebegleitung können palliativmedizinische Experten unterstützen [25].

Merke

Eine gute Integration von Palliativmedizin in die verschiedenen Settings der Akutmedizin gelingt durch eigenes Personal mit palliativmedizinischer bzw. -pflegerischer (Basis‑)Qualifikation und die Einbeziehung von spezialisierten palliativmedizinischen Diensten.

Spezialisierte Expertise im klinischen Setting bietet der multi- und interdisziplinäre Palliativdienst. Er leistet Fachberatung für Behandelnde und Pflegende sowie Mitbehandlung von Palliativpatienten und Unterstützung von deren Familien in allen Bereichen des Krankenhauses außerhalb der Palliativstation. Ist kein solcher Dienst vor Ort etabliert, kann ggf. ärztliche oder pflegerische Unterstützung der Palliativstation oder vonseiten eines am Krankenhaus basierten Teams der SAPV hinzugezogen werden.

Strukturell – wenn nicht Gefahr im Verzug – können im außerklinischen Setting bei Nachfragen wegen einer unklaren Situation (Grunderkrankung, Status der Erkrankung, Behandlungswünsche) ggf. eingebundene SAPV-Teams, Patientenstellvertreter (Vorsorgebevollmächtigte für Gesundheitsangelegenheiten) oder auch Beauftragte für Advance Care Planning (ACP) Auskunft geben. ACP (oder im Deutschen Behandlung im Voraus planen, BVP) soll u. a. für Menschen in stationären Pflegeeinrichtungen die Etablierung valider Patientenverfügungen ermöglichen und beinhaltet, unterstützt durch Gesprächsbegleiter, Prozesse zur Ermittlung, Dokumentation und Umsetzung von Behandlungswünschen für den Fall, dass die Betroffenen nicht (mehr) selbst entscheiden können [26, 27].

Eine Übersicht zur Ermittlung von Behandlungswünschen in verschiedenen Settings in der Akutsituation bietet Tab. 1.

Tab. 1 Ermittlung von (palliativen) Behandlungswünschen im Rahmen der Notfallbehandlung
Abb. 1
figure 1

Ärztliche Anordnung für den Notfall (ÄNo). (Mit freundlicher Genehmigung aus [33])

Fragen einer etwaigen Therapiezieländerung und -begrenzung kristallisieren sich in der Akutmedizin, im perioperativen oder intensiv- und notfallmedizinischen Bereich besonders eindrücklich (und besonders zeitkomprimiert) heraus, sodass ein hohes Maß an kommunikativer Kompetenz und klinischer Abwägung vonnöten ist [29].

Behandlungsstrategien in der Palliativmedizin

Die S3-Leitlinie Palliativmedizin für Menschen mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung enthält Behandlungsstrategien und Empfehlungen für vielfältige Symptome [30]. Da sie sich explizit auf Patienten mit einer Krebserkrankung bezieht, muss die Übertragbarkeit der Empfehlungen mit den inzwischen verfügbaren 15 Themenbereichen auf Patienten mit nichtonkologischen Erkrankungen geprüft werden. Beispielhaft werden im Folgenden kurze Übersichten zur Behandlung von starken/stärksten Schmerzen und Atemnot vorgestellt.

Schmerztherapie

Die Konzepte für die Behandlung von Schmerzen basieren auf den langjährigen Erfahrungen in der Tumorschmerztherapie. Aufgrund des sehr guten schmerzlindernden Effekts bei fehlender Organtoxizität und geringer Nebenwirkungsrate sind Opioide bei Palliativpatienten die wichtigste Medikamentengruppe bei starken und stärksten Schmerzen. Dies gilt auch für die Behandlung der meisten akuten Schmerzzustände. Die Dosierung wird individuell gegen den Schmerz titriert (Infobox 1).

Infobox 1 Medikamentöse Therapie von Schmerzen mit Morphin in der Notfallmedizin

  • Opioidnaiver Patient mit starken Schmerzen in der Notfallmedizin:

    • Akut: Titration von Morphin intravenös in Schritten von 2 mg, bis es zu einer deutlichen Schmerzlinderung kommt oder Nebenwirkungen auftreten.

  • Mit starken Opioiden vorbehandelter Patient mit Schmerzen:

    • Steigerung der bisherigen Tagesdosis des starken Opioids um 30 %.

    • Neben Morphin können auch Hydromorphon und andere starke Opioide eingesetzt werden. Die Kombination mit Nichtopioiden, wie Metamizol oder nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), wird nach Stufenschema der Weltgesundheitsorganisation empfohlen.

Akute Dyspnoe

Atemnot ist ein häufiges Symptom bei Palliativpatienten und häufig mit Angst, Unruhe und Panik assoziiert. Sind nach Abklärung möglicher Ursachen, wie z. B. einer obstruktiven oder restriktiven Ventilationsstörung oder psychischen Beeinträchtigung, kausale Behandlungsstrategien ausgeschöpft, zielt die Behandlung auf lindernde, palliative Maßnahmen ab. Ziel ist die Abnahme der Tachypnoe und der erhöhten Atemarbeit mit erhöhtem arteriellem Kohlendioxid(CO2)-Partialdruck im Blut sowie die Beeinflussung der subjektiven Wahrnehmung der Atemnot. Die medikamentöse Therapie umfasst je nach zugrunde liegender Ursache die Behandlung mit Bronchodilatatoren, Glukokortikoiden, Anxiolytika sowie gegebenenfalls Sekretolytika, Antibiotika und/oder Anticholinergika (siehe auch Infobox 2). Die Gabe von Sauerstoff bei Dyspnoe ist in der Regel nur dann sinnvoll, wenn eine ausgeprägte Zyanose oder Hypoxämie vorliegt. Die Quantifizierung der Dyspnoe lässt sich nicht durch die Messung der Sauerstoffsättigung erreichen, sondern durch die subjektiv empfundene Intensität der Atemnot des Patienten anhand z. B. der visuellen Analogskala (VAS). Der Patient markiert dabei auf einer 10 cm langen Linie ohne numerische Unterteilungen (Startpunkt: „keine“ bis Endpunkt „stärkste vorstellbare“) seine Symptombelastung. Die Quantifizierung erfolgt durch den Befragenden entweder in Prozent (0–100) oder anhand einer Skala (von 0–10; [31]).

Cave

Bei akuter Atemnot muss sorgfältig in Abhängigkeit von der Ursache geprüft werden, ob eine Indikation für die Gabe von Sauerstoff (O2), den Einsatz von starken Opioiden oder für nichtmedikamentöse Maßnahmen gegeben ist.

Merke

Zur Symptomkontrolle der Atemnot sind Opioide und Benzodiazepine die wichtigsten Medikamente. Opioide bewirken neben einer Erhöhung der Toleranz gegenüber den erhöhten CO2-Werten eine Ökonomisierung der Atmung durch Senkung der Atemfrequenz. Bei Panikattacken ist die Kombination mit Anxiolytika, wie Diazepam oder Lorazepam, hingegen aus klinischer Sicht indiziert.

Infobox 2 Medikamentöse Therapie der Dyspnoe mit Morphin

  • Opioidnaiver Patient mit starker Dyspnoe in der Notfallmedizin:

    • Akut: Titration von Morphin intravenös in Schritten von 2 mg, bis es zu einer Linderung der Dyspnoe kommt oder Nebenwirkungen auftreten.

  • Mit starken Opioiden vorbehandelter Patient mit Dyspnoe:

    • Morphin ein Sechstel bis ein Drittel der bisherigen Tagesdosis titriert verabreichen.

    • Neben Morphin können auch Hydromorphon und andere starke Opioide eingesetzt werden.

    • Als Anxiolytika und Sedativa eignen sich 1–2,5 mg Lorazepam sublingual sowie bei Panikattacken 2,5–10 mg Midazolam intravenös bzw. als stark sedierendes Neuroleptikum 5–15 mg Levomepromazin oral.

Eine von deutschen Experten erarbeitete SOP zur Behandlung der Atemnot bei erwachsenen Palliativpatienten im klinischen Setting ist kostenfrei im Internet verfügbar [32].

Akutmedizin in der Pandemie

Gerade in der Situation der Pandemie durch die Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) zeigt sich, dass sich die öffentliche Aufmerksamkeit zunehmend auf die ambulante Entscheidungsfindung für den Notfall richtet, die unter dem akut gegebenen Handlungsdruck bisher häufig nach akutmedizinischen Standards abläuft. Eine vorherig implementierte Klärung von angemessenen Therapiezielen und ihrer medizinischen Indikation sowie die Einwilligung der betroffenen Person, z. B. in einem gründlichen Prozess der Vorausplanung (ACP/BVP), ist daher wünschenswert. Die „Empfehlungen zur ambulanten patientenzentrierten Vorausplanung für den Notfall“ enthalten einen Leitfaden und die Möglichkeiten für die Dokumentation einer ärztlichen Anordnung für den Notfall (ÄNo; [33]). In der Situation einer Pandemie wird noch einmal mehr deutlich, dass der präklinischen Entscheidungsfindung besondere Bedeutung zukommt. Eine vom Patienten nichtgewünschte oder eine nichtindizierte intensivmedizinische Behandlung darf jedoch niemals generell das Ende therapeutischer Maßnahmen bedeuten, sondern erfordert den Übergang zu „comfort care“ im Sinne der Palliativmedizin.

Benefit der Integration von Palliativmedizin

Nicht nur Patienten und Angehörige, sondern auch die Teams gewinnen von einer nachhaltigen Integration der Palliativ- in die Akutmedizin. Teams erlangen z. B. größere Sicherheit in Bezug auf Therapiezielentscheidungen und Behandlung bei komplexen Symptomlagen, im Erkennen palliativmedizinischen Bedarfs oder im Umgang mit überforderten Angehörigen. Ein positiver Einfluss auf Burn-out-Prophylaxe und Vermeidung von „moral distress“ (moralischer Not) wurde durch Forschungsergebnisse belegt [34, 35, 36].

Fazit für die Praxis

  • Für die Identifizierung palliativer Notfallsituationen und eines palliativmedizinischen Behandlungsbedarfs sollten in der Akutmedizin geeignete Screeningtools, „standard operating procedures“ (SOP) oder Verfahrensanweisungen implementiert werden.

  • Auch die „surprise question“ hat sich als hilfreich zur Einschätzung des palliativmedizinisch orientierten Vorgehens erwiesen.

  • (Grund‑)Kenntnisse in Palliativmedizin des in der Akutmedizin tätigen Personals sind etwa für den Einsatz von Opioiden in der Schmerztherapie oder bei Dyspnoe empfehlenswert.

  • Sind die im klinischen und außerklinischen Setting vorhandenen palliativmedizinischen Versorgungs- und Beratungsstrukturen bekannt, können diese in Situationen mit schwieriger Symptomkontrolle, herausfordernder Therapiezielfindung oder komplexen psychosozialen Problemen hinzugezogen werden.