Zusammenfassung
Chronische Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen nehmen an Häufigkeit zu. Sie beeinträchtigen die Lebensqualität, prädisponieren für Schmerzen im Erwachsenenalter und veranlassen zahlreiche Kontakte im Gesundheitswesen. Demgegenüber sind die auf die speziellen Bedürfnisse dieser Altersgruppe ausgerichteten therapeutischen Angebote zahlenmäßig unzureichend und unübersichtlich. Der Arbeitskreis „Schmerz bei Kindern und Jugendlichen“ der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. erfasste deshalb in einer per Schneeballsystem durchgeführten Fragebogenerhebung entsprechende Einrichtungen. Der Rücklauf von 27/109 Fragebögen war gering. Eventuell sind die Ergebnisse nicht gänzlich repräsentativ; dennoch werden die Heterogenität der Angebote und insgesamt eine Unterversorgung sehr deutlich. Zur Verbesserung der Versorgungssituation sind gemeinsame Anstrengungen der verschiedenen mit Schmerzen befassten pädiatrischen Subdisziplinen und eine Erhöhung der Zahl der kinderschmerztherapeutischen Zentren sowie deren bessere Vernetzung notwendig.
Abstract
Chronic pain in children and adolescents is increasing in prevalence, affects the quality of life, predisposes to pain in adulthood and causes numerous contacts to the healthcare system. In contrast, the number of therapeutic offers tailored to the special needs of this age group is insufficient and confusing. The working group on pain in children and adolescents of the German Pain Society therefore documented appropriate facilities in a questionnaire survey carried out using a snowball system. The response rate of 27/109 questionnaires was low. Thus, the results may not be entirely representative. Nevertheless, the heterogeneity of the offers and in total an undersupply became very clear. In order to improve the care situation, joint efforts by the various pediatric subdisciplines dealing with pain, an increase in the number of child pain treatment centers and a better networking are necessary.
Hintergrund
Chronische Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen stellen ein relevantes und zunehmendes Gesundheitsproblem dar. Die Prävalenz von seit 3 Monaten bestehenden Schmerzen betrug im Kinder- und Jugendgesundheitssurvey des Robert Koch-Instituts, der 2003–2006 mit mehr als 150.000 Befragten durchgeführt wurde, 71,1 % (3- bis 10-Jährige 64,5 %, 11- bis 17-Jährige 77,6 %); für Schmerzen mindestens einmal pro Woche lag sie bei 9,9 % (3–10 Jahre) bzw. 24,3 % (11–17 Jahre; [11]). 54,1 % der Jugendlichen und 35,9 % der Jüngeren suchten deshalb einen Arzt auf. Bei 54,7 % bestanden Schmerzen an mehr als einer Lokalisation. In Nordschweden gaben von 1100 Kindern (6–13 Jahre) 2/3 Schmerzen mindestens einmal im Monat an, 1/3 mindestens einmal pro Woche und 6 % täglich [32]. In Katalonien fanden sich bei 37,3 % von 561 untersuchten Schulkindern chronische Schmerzen [16].
Die Prävalenz chronischer Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen steigt mit zunehmendem Alter [11, 34]. Auch die primäre Schmerzlokalisation ändert sich altersabhängig: im jüngeren Alter eher Bauchschmerzen, beim Jugendlichen häufiger Kopfschmerzen, später auch Rückenschmerzen [11, 34].
Chronische Schmerzen vermindern die Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen und führen zu Beeinträchtigungen im Alltag [16, 22, 33], z. B. hinsichtlich des Schulbesuchs [26, 29, 33], des Schlafs [25, 31], der sozialen Kontakte in der Peergroup oder des Ausübens von Hobbys [33, 34]. Sie sind häufig mit anderen somatischen Beschwerden und in bis zu 60 % der Fälle mit psychischen Auffälligkeiten, insbesondere mit internalisierenden Störungen wie Angst, Depression oder posttraumatischer Belastungsstörung assoziiert [2, 10, 21, 24, 36, 37, 39].
Über die letzten Jahrzehnte nahm die Prävalenz chronischer Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen zu [38]. So stieg in Finnland die Halbjahresprävalenz häufiger rezidivierender Kopfschmerzen bei Einschülern von 5 % in 1974 auf 19 % in 2002 [1]. Zu den Risikoverstärkern hinsichtlich Auftreten und/oder Prognose von Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen gehören u. a. geringer sozioökonomischer Status, mangelnde Bewegung, Rauchen und insbesondere psychische Stressoren [17,18,19, 38, 39]. So leiden Kinder und Jugendliche mit chronischen Schmerzen auch im späteren Erwachsenenalter gehäuft an einer Schmerzerkrankung [5,6,7, 20].
Die Genese chronischer Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen ist in einer Interaktion von biologischen Faktoren (z. B. körperliche Grunderkrankung, vorangegangene Schmerzerfahrungen), physischen Komponenten (z. B. sportliche Überforderung), psychischen Faktoren (z. B. Ängste, Depressivität) und soziokulturellen Rahmenbedingungen (z. B. schmerzbezogenes Elternverhalten, gesellschaftliche Normen, soziale Interaktionen, Ausgrenzungserlebnisse) zu verstehen [23, 28]. Diese biopsychosoziale Sichtweise ist für das Verständnis chronischer Schmerzen im Kindes- und Jugendalter wie auch bei Erwachsenen wesentlich.
In der Schmerztherapie hat sich eine multimodale und interdisziplinäre Zusammenarbeit von Ärzten, Psychologen und Psychotherapeuten, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Sozialpädagogen, Erziehern und spezialisierten Pflegekräften bewährt [3, 13, 15, 30, 40, 41]. Der interdisziplinäre Austausch bewirkt, dass Aspekte wie Aufmerksamkeit, Gedanken und Bewertungen, Gefühle, Verhalten, körperliche Reaktionen und Sensibilisierungsprozesse zusammengeführt werden und die Patienten dadurch ganzheitlich verstanden und therapiert werden. Eine stationäre Therapie ist bei stark ausgeprägten Schmerzen und langer Dauer der ambulanten vorzuziehen [15]. Die häufig deutliche psychische Komorbidität bedingt, dass neben oder nach einer interdisziplinären Schmerztherapie häufig eine ambulante Psychotherapie initiiert werden muss [4].
Obwohl also rezidivierende und chronische Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen ein zunehmendes Gesundheitsproblem darstellen, zahlreiche Arztbesuche veranlassen, häufig mit Alltagseinschränkungen einhergehen und für Schmerzen im Erwachsenenalter prädisponieren, ist die Versorgungslage bezüglich spezieller schmerztherapeutischer Einrichtungen für Kinder und Jugendliche unzureichend, unübersichtlich und heterogen. Patienten berichten häufig von langen Irrwegen, bis sie eine geeignete Einrichtung gefunden haben.
Der Arbeitskreis „Schmerz bei Kindern und Jugendlichen“ der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. erfasste deshalb in einer Fragebogenerhebung entsprechende Einrichtungen mit dem Ziel, die aktuelle Versorgungsstruktur für die schmerzmedizinische Behandlung chronisch schmerzerkrankter Kinder in Deutschland, deren ambulantes und stationäres Angebot, die Zusammensetzung der Behandlungsteams, die Schwerpunkte hinsichtlich der betreuten Schmerzerkrankungen und die zum Einsatz kommenden therapeutischen Verfahren zu erfassen.
Methoden
Ermittlung von Ansprechpartnern
Zunächst waren die Adressaten für den Fragebogen zu ermitteln. Hierfür entschieden wir uns für das „Schneeballprinzip“. Die Mitglieder des Arbeitskreises füllten den Fragebogen selbst aus und benannten weitere ihnen bekannte pädiatrische Schmerztherapeuten, die dann ebenfalls einen Fragebogen erhielten. Aufgrund der Struktur des Arbeitskreises wurden überwiegend schmerzmedizinische Einrichtungen vorgeschlagen.
Der Fragebogen wurde per E‑Mail zusammen mit einem Anschreiben zugeschickt, in dem das Ziel der Erhebung beschrieben wurde: die Erstellung einer Versorgungslandkarte von Einrichtungen, die eine schmerztherapeutische Behandlung chronisch schmerzkranker Kinder und Jugendlicher anbieten, als Orientierungshilfe für Ärzte, Patienten und Eltern. Bei ausbleibendem Rücklauf wurde im Verlauf eine Erinnerungs-E-Mail verschickt.
Fragebogen
Der Fragebogen (Abb. 1) wurde im Rahmen des Arbeitskreistreffens im Oktober 2015 von den Mitgliedern gemeinsam erstellt und abgestimmt. Mit dem Erstellungs-Tool von Adobe Acrobat Pro wurde er für die Eingabe am Computer vorbereitet, wodurch es möglich war, ihn am Computer oder in ausgedruckter Form zu beantworten. Er erhob folgende Items:
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Organisatorische Daten: Namen, Adresse und Telefonnummer der Einrichtung, leitende Fachrichtung, zuständiger Ansprechpartner und dessen E‑Mail-Adresse
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Ambulantes und/oder stationäres Angebot, Bettenzahl, durchschnittliche Dauer des Aufenthalts, Zahl der betreuten Patienten pro Jahr (ambulant und stationär)
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Therapeutische Disziplinen im multidisziplinären Team: Arzt (inklusive Fachrichtung), Arzt mit Zusatzbezeichnung spezielle Schmerztherapie, Psychologe, Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut, spezieller Schmerzpsychotherapeut, Pflegedienst, „pain nurse“, Physiotherapeut, Ergotherapeut, Sozialdienst, Schule und „Sonstige“ (welche?)
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Behandlungsschwerpunkte der Einrichtung: Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, muskuloskeletale Schmerzen, neuropathische Schmerzen, Tumorschmerzen und CRPS (komplexes regionales Schmerzsyndrom) sowie „Sonstige“ (welche?)
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Vorhandene Therapieangebote: multimodale Schmerztherapie (ohne Definition, was diese beinhalten muss), medikamentöse Therapie, psychologische Verfahren (wenn ja, welche?), Physiotherapie, weitere physikalische Verfahren (wenn ja, welche?) und „Sonstige“ (welche?)
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Vorhandene Gruppenangebote (ja/nein, wenn ja, welche?)
Anschreiben und Rücklauf
Insgesamt wurden nach dem oben geschilderten „Schneeballprinzip“ von April 2016 bis April 2017 109 Fragebögen verschickt. 9 waren nicht zustellbar. Von den verbliebenen 100 Fragebögen bekamen wir nach Erinnerungs-E-Mail 30 Antworten zurück (27,5 % der versandten Fragebögen). 3 Einrichtungen gaben an, aktuell kein entsprechendes Angebot vorzuhalten. Somit standen 27 Fragebögen zur Auswertung zur Verfügung (24,8 %).
Dateneingabe und Auswertung
Die Daten wurden in eine Excel-Tabelle übertragen. Bei ungenau beantworteten Fragen oder fehlerhaften Zuordnungen wurden die Antworten durch die Auswerter, wenn möglich, eindeutig formuliert und der korrekten Kategorie zugeteilt (z. B. Therapieangebote statt Behandlungsschwerpunkte). In Einzelfällen erfolgten Nachfragen in den Einrichtungen. Zum Teil wurden Krankheitsbilder unter einem Oberbegriff subsumiert (z. B. Migräne unter Kopfschmerzen). Vor allem bezüglich der durchschnittlichen stationären Behandlungsdauer kam es zu ungenauen Angaben (z. B. 3–4 Wochen; 6 [Tage? Wochen?]), sodass Mittelwerte gebildet wurden bzw. unklare Angaben aus der Berechnung herausgenommen wurden.
In drei Fragebögen wurde die Frage nach einem stationären Angebot zwar mit Ja beantwortet, Angaben zu Bettenzahl, Behandlungsdauer und/oder Zahl der stationären Patienten fehlten jedoch. Da weitere Fragen beantwortet wurden, wurden diese Bögen in die Auswertung stationärer Einrichtungen einbezogen.
Ergebnisse
Ambulantes/stationäres Behandlungsangebot
Alle 27 Einrichtungen gaben an, ein ambulantes Angebot vorzuhalten; die Zahl der Patienten pro Jahr lag zwischen 2 und 3500 (Median m = 200, 3‑mal keine Angabe).
Ein stationäres Angebot bestand in 11 Zentren; die Bettenzahl lag zwischen 5 und 34 Betten (m = 13, 3‑mal keine Angabe), die Patientenzahl pro Jahr zwischen 25 und 550 (m = 200, 2‑mal keine Angabe). Die durchschnittliche Behandlungsdauer lag im Median bei 21 Tagen (21–56 Tage, 3‑mal keine Angabe, einmal unklare Antwort). Eine Einrichtung gab eine teilstationäre Behandlung an (10 Betten, 30 Patienten/Jahr, durchschnittliche Behandlungsdauer 14 Tage).
Abb. 2 und 3 zeigen die Verteilung der 27 ambulanten und 11 stationären Einrichtungen (www.mixmaps.de: erstellt am 22.04.2020. Mehrfachnennungen an einem Ort wurden manuell hinzugefügt).
Leitende Fachrichtung
Die leitende Fachrichtung war in 21 Zentren die Pädiatrie (einmal zusammen mit Psychosomatik), speziell wurden genannt: allgemeine Pädiatrie, Neuropädiatrie, spezielle Schmerztherapie, Psychotherapie, Kinder- und Jugendlichen-Psychosomatik, Sozialpädiatrie, Palliativmedizin, Stoffwechselmedizin, Kinderrheumatologie. Einmal hatte die Leitung die Neurologie, 2‑mal die Anästhesie (einmal davon zusammen mit physikalischer Medizin), 2‑mal wurde Psychologie/Psychotherapie genannt, einmal erfolgte keine Nennung.
Multidisziplinäres Team
Bezüglich der am multidisziplinären Team beteiligten Berufsgruppen zeigte sich ein heterogenes Bild (Abb. 4):
In allen 27 Zentren gehörten Psychologen zum Team; in 21 Einrichtungen waren Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten tätig und in 10 Häusern besaßen sie die Zusatzbezeichnung spezielle Schmerzpsychotherapie (ohne Spezifizierung, ob für Erwachsene oder für Kinder und Jugendliche).
In 25 Einrichtungen waren Ärzte Teil des Schmerzteams. Folgende Fachrichtungen wurden im Freitext angegeben: allgemeine Pädiatrie, Neuropädiatrie, Sozialpädiatrie, spezielle Schmerztherapie, Kinderrheumatologie, Kindergastroenterologie, Kinderonkologie/-hämatologie, Stoffwechselmedizin, Kinder- und Jugend-Psychosomatik, Psychotherapie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychologie, Palliativmedizin, Kinderchirurgie, Anästhesie, Orthopädie, innere Medizin, Neurologie, Allgemeinmedizin, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, physikalische Medizin und Rehabilitation, traditionelle chinesische Medizin, Komplementärmedizin/Naturheilkunde; in 14 Häusern besaßen Ärzte die Zusatzbezeichnung spezielle Schmerztherapie.
In 21 Einrichtungen gehörten Physiotherapeuten zum Team, in 19 Ergotherapeuten, in 18 Mitarbeiter des Sozialdiensts und in 17 Pflegekräfte, wobei 11 eine „pain nurse“ beschäftigten. Neun Häuser gaben „Schule“ als Bestandteil an.
Als „sonstige“ Disziplinen wurden je 4‑mal Musik- bzw. Kunsttherapeuten genannt, je einmal Atemtherapie, Heilpädagogik, konzentrative Bewegungstherapie, Motopädie, Sporttherapie, Tanzpädagogik und tiergestützte Therapie.
Behandlungsschwerpunkte
26 Zentren behandelten Patienten mit Kopfschmerzen (vgl. Abb. 5); alle 11 Zentren mit stationärer Behandlung bieten diese auch für Kopfschmerzen an. 20 Einrichtungen behandelten muskuloskeletale Schmerzen (davon einmal „vereinzelt“, 8 stationär), 17 Bauchschmerzen (10 stationär), 15 neuropathische Schmerzen (davon einmal „Einzelfälle“, 8 auch stationär), 14 CRPS (6 stationär, davon je einmal „Einzelfälle“ bzw. „selten“) und 6 Tumorschmerzen, davon einmal „als Konsildienst“ (2 stationär).
Als „sonstige Behandlungsschwerpunkte“ wurde 2‑mal „chronischeSchmerzstörung“ genannt, je einmal „Mitbehandlung kinder- und jugendpsychiatrischer Störungen“, „Schmerzen im palliativen Kontext“, „postoperative (Schmerzen)“ und „Schwindel“.
Therapeutische Verfahren
26 Einrichtungen boten psychologische Verfahren in der Therapie an, 22 multimodale Schmerztherapie, 23 medikamentöse Therapie, 20 Physiotherapie und 12 weitere physikalische Maßnahmen.
Als psychologisches Verfahren wurde in 15 Zentren (kognitive) Verhaltenstherapie angeboten; 9‑mal Entspannungsverfahren, 6‑mal systemische Therapie, 5‑mal (Psycho)edukation, 3‑mal Schmerzbewältigungstechniken, je 2‑mal tiefenpsychologische Verfahren, Beratungsgespräche und EMDR (Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegungen) sowie je einmal Hypnotherapie, psychodynamische Therapie, Traumatherapie, akzeptanzbasierte Methoden, Problemlösetraining, soziales Kompetenztraining, Schmerzkonfrontation, supportive Verfahren, Kinder- und Jugendpsychotherapie, psychologische Kurzinterventionen und Gestalttherapie. In einer Einrichtung wurde an externe Therapeuten oder stationäre Therapien vermittelt.
Besonders vielfältig waren die Angaben im Bereich „weitere physikalische Maßnahmen“: 7‑mal transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS), je 3‑mal Akupunktur und Ergotherapie, je 2‑mal Lasertherapie, Sport/Bewegungstherapie und therapeutisches Klettern; je einmal manuelle Therapie, Vermittlung externer Therapeuten, Faszientherapie, Motopädie, Schwimmtherapie, Massage/physikalische Therapie, funktionelle Integration nach Feldenkrais, thermische Behandlung, Infrarotkabine, Phytotherapie, Yoga, Schröpfen, Kinesiotaping, Paraffinbäder, Kraniosakraltherapie, Traditionelle chinesische Medizin (TCM), Triggerpunkttherapie, Spiegeltherapie und Mineralbad.
Als „sonstiges therapeutisches Verfahren“ wurde 9‑mal Biofeedback genannt, 3‑mal Kunst- und je 2‑mal Musiktherapie, tiergestützte Therapie und Qigong sowie jeweils einmal Osteopathie, komplementäre und alternative Medizin und kampfkunstgestützte Therapie.
Gruppenangebote gab es an 19 Einrichtungen: 10-mal Kopfschmerzgruppen, je 5‑mal Bauchschmerzgruppen und multimodale Schmerztherapie‑/Psychoedukations-/physiotherapeutischpsychologisch-ärztliche Gruppen, 4‑mal Entspannungsgruppen und je einmal kognitive Verhaltenstherapie bzw. Psychotherapie in der Gruppe, Konfliktbewältigungs-, Achtsamkeits‑, Soziale-Kompetenz‑, Milieutherapie- und Schmerzbewältigungsgruppen sowie Sport‑/Bewegungsgruppen, Yoga und Tanz, je einmal Gruppen für junge Erwachsene bzw. Transitionsgruppen.
Diskussion
Die Fragebogenerhebung ergab ein sehr heterogenes Bild der schmerztherapeutisch-schmerzmedizinischen Versorgungsituation von chronisch schmerzerkrankten Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Die Verteilung ambulanter und stationärer Einrichtungen zeigt ausgeprägte regionale Unterschiede mit Versorgungslücken z. B. im Osten Deutschlands. Die Einrichtungen divergierten hinsichtlich der Behandlungsschwerpunkte (am häufigsten Kopfschmerzen), der Zusammensetzung des therapeutischen Teams (am häufigsten Psychologen bzw. Psychotherapeuten und Ärzte) und der zum Einsatz kommenden Therapieverfahren (am häufigsten Psychotherapie) deutlich; die zuständige Fachdisziplin ist nicht einheitlich. Nicht zuletzt zeigt die Zahl der behandelten Patienten eine extrem große Spannweite.
Ziel der Fragebogenerhebung war es, einen Überblick über schmerztherapeutische Einrichtungen für Kinder und Jugendliche in Deutschland zu erhalten. Durch das Schneeballsystem wurden jedoch vermutlich nicht alle schmerztherapeutischen Einrichtungen erreicht. Auch werden im ambulanten Bereich jugendliche Patienten von Schmerzmedizinern im Erwachsenenbereich mitbetreut, welche nicht befragt wurden. Insbesondere wurden aufgrund der Struktur des Arbeitskreises überwiegend schmerzmedizinische Einrichtungen vorgeschlagen. Primär psychologisch-psychotherapeutisch, physiotherapeutisch oder ergotherapeutisch orientierte Versorgungsmöglichkeiten wurden vermutlich nicht ausreichend einbezogen. Hier könnte ein Fokus zukünftiger Befragungen liegen.
Wie erwähnt wurde der Fragebogen im Rahmen des Arbeitskreistreffens im Oktober 2015 von den Mitgliedern gemeinsam erstellt und abgestimmt. Für weitere Befragungen dieser Art sollte der Fragebogen aufgrund der Erfahrungen modifiziert und präzisiert werden: Beispielsweise erscheint es sinnvoll, den Begriff „multimodale Schmerztherapie“ zu definieren, die Antwortmöglichkeiten hinsichtlich der eingesetzten Verfahren (Psychotherapie, physikalische Therapie) stärker zu strukturieren und Freitextangaben nur ergänzend zuzulassen.
Mit 27 auswertbaren Fragebögen bei einer Versendung an 109 Adressen ist der Rücklauf gering. Wir wissen meist nicht, ob eine ausbleibende Antwort Zeitmangel, Desinteresse an der Erhebung oder ein fehlendes Angebot bedeuten. Die Angaben der Einrichtungen wurden von uns nicht überprüft; auch nahmen wir keine Bewertung vor. Somit spiegeln die Ergebnisse die aktuelle Versorgungssituation möglicherweise unvollkommen wider, sie machen jedoch die Heterogenität der Angebote und die lückenhafte Versorgungslage unzweifelhaft deutlich.
Schmerzerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen unterscheiden sich bezüglich Erscheinungsform, differenzialdiagnostischer Abklärung, therapeutischer Herangehensweise und Prognose z. T. deutlich vom Erwachsenenalter (z. B. chronische Bauchschmerzen, Migräne, CRPS, Schmerzen in mehreren Körperregionen). Zudem sind der Entwicklungsstand ebenso wie die Familiendynamik zu berücksichtigen. Im stationären Setting ist bei der Erprobung von Alltagssituationen und Interaktion die Unterstützung durch erzieherisch erfahrenes Personal wichtig. Daher ist es zwingend, dass Kinder und Jugendliche mit chronischen Schmerzen ambulant und stationär von in der Diagnostik und Therapie dieser Altersgruppe geschulten Behandlern betreut werden: Seien es Ärzte, Psychologen bzw. Psychotherapeuten, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten oder Erzieher.
In diesem Sinne bietet die Deutsche Gesellschaft für Psychologische Schmerztherapie und -forschung erfreulicherweise seit 2015 in Ergänzung ihres Weiterbildungscurriculums in spezieller Schmerzpsychotherapie eine Weiterbildung in spezieller Schmerzpsychotherapie für Kinder und Jugendliche an. In unserem Fragebogen berücksichtigten wir diese neue Spezialisierung noch nicht.
Trotz verschiedener Initiativen fand jedoch das Thema Schmerz bei Kindern und Jugendlichen in der neuen Weiterbildungsordnung für Ärzte nicht die notwendige Berücksichtigung [8]. Bei den Weiterbildungsinhalten zum Kinder- und Jugendarzt und zum Neuropädiater werden die Kopfschmerzen erwähnt. Nur bei der Weiterbildung zum Kinder- und Jugendrheumatologen ist Schmerzerkrankungen ein eigenes Kapitel gewidmet. Und während für die Weiterbildung Intensivmedizin fachspezifische Anforderungen differenziert definiert werden, ist dies für die Weiterbildung in spezieller Schmerztherapie nicht der Fall. Hier werden weiterhin Richtzahlen genannt, welche der Realität pädiatrischer Schmerztherapie nicht entsprechen. Es steht zu befürchten, dass der Erwerb dieser Zusatzbezeichnung weiterhin nur in einzelnen pädiatrischen Zentren möglich sein wird.
Die schmerztherapeutische Versorgung lässt sich in verschiedene Versorgungsstufen einteilen. Der Verbändekonsens zur Klassifikation schmerzmedizinischer Einrichtungen in Deutschland [27] wurde ohne Beteiligung pädiatrischer Gesellschaften erarbeitet und lässt sich nicht zwanglos auf die pädiatrische Versorgung übertragen. Hier ist der primäre Ansprechpartner in der Regel der niedergelassene Kinder- und Jugendarzt oder der Allgemeinarzt. Meist steht der Ausschluss organischer Ursachen im Vordergrund. Bei ausbleibender Besserung wird an Einrichtungen höherer Versorgungsstufe verwiesen. Sekundärversorger sind traditionell Vertreter einzelner pädiatrischen Subdisziplinen wie Neuropädiater, Sozialpädiater, Kindergastroenterologen oder Kinderrheumatologen. Wie im Bereich der Primärversorgung entwickelt sich auch hier erst in den letzten Jahren das Verständnis für die biopsychosoziale Genese chronischer Schmerzen [40]. Dieses ist jedoch die Basis für die notwendigerweise interdisziplinäre und multimodale Betreuung [14, 15] solcher Patienten unter Einbezug von Ärzten, Psychologen und verschiedenen Therapeuten. OPS 8‑918 Interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie, OPS 8‑986 Multimodale kinder- und jugendrheumatologische Komplexbehandlung und OPS 9‑403 Sozialpädiatrische, neuropädiatrische und pädiatrisch-psychosomatische Therapie geben Kriterien dafür vor.
Schätzungen ergeben, dass ca. 350.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland unter stark beeinträchtigenden chronischen Schmerzen leiden und ggf. eine stationäre schmerztherapeutische Behandlung benötigen [12, 42]. Dobe et al. [9] formulierten dafür Eingangskriterien hinsichtlich der Schmerzdauer und -intensität, Beeinträchtigung der Lebensqualität, Behandlungsmotivation bei Patient und Eltern und Bereitschaft zu Familiengesprächen.
Indikationsstellung und interdisziplinäre multimodale Therapie erfordern einen hohen zeitlichen und personellen Aufwand. Nicht alle befragten Zentren können dies aktuell anbieten. Große Entfernungen zu speziellen pädiatrischen schmerztherapeutischen Einrichtungen stellen jedoch eine Zugangsbarriere mit besonderer Auswirkung auf sozial Benachteiligte dar [35].
Um die schmerztherapeutische Versorgung für Kinder und Jugendliche in Deutschland zu verbessern, sind mehr pädiatrisch-schmerztherapeutisch ausgerichtete Zentren notwendig [35]. Der Austausch zwischen stationär und ambulant arbeitenden Therapeuten und die Vernetzung der Zentren mit dem Ziel einheitlicher Standards sind weiter zu entwickeln. Multizentrische Studien sind erforderlich. Der Arbeitskreis „Kinderschmerz-Psychotherapie“ der Deutschen Gesellschaft für psychologische Schmerztherapie und -forschung und der Arbeitskreis „Schmerztherapie bei Kindern und Jugendlichen“ der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. sind hierfür eine geeignete Basis; sie sollten sich erweitern und inhaltlich kooperieren. Eine verbesserte Breitenwirkung in die gesamte Pädiatrie hinein ist über die Dattelner Kinderschmerztage und insbesondere über eine stärkere Berücksichtigung pädiatrisch-schmerztherapeutischer Themen auf dem Deutschen Schmerzkongress und bei pädiatrischen Kongressen möglich.
Fazit für die Praxis
Die schmerztherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Deutschland ist uneinheitlich; insgesamt scheint eindeutig eine Unterversorgung vorzuliegen. Die durchgeführte Befragung kann hier einen Eindruck vermitteln. Sowohl weitere Erhebungen und Studien als auch die Erarbeitung einheitlicher Vorgaben und eine Prüfung und Verbesserung des therapeutischen Angebots sind anzustreben.
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L. Höfel, N. Draheim, J.-P. Haas und F. Ebinger geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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Höfel, L., Draheim, N., Haas, JP. et al. Schmerzmedizinische Versorgung chronisch schmerzkranker Kinder und Jugendlicher in Deutschland. Schmerz 35, 94–102 (2021). https://doi.org/10.1007/s00482-020-00510-9
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00482-020-00510-9
Schlüsselwörter
- Ambulante Schmerztherapie
- Stationäre Schmerztherapie
- Interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie
- Erreichbarkeit
- Unterversorgung