Ein Schmerzpatient trifft heute auf eine recht uneinheitliche und heterogene Versorgungsstruktur in der schmerzmedizinischen Versorgung, die vor allem auf der Verabredung von zum Teil individuell vereinbarten Kriterien für die Abrechenbarkeit bzw. Nichtabrechenbarkeit schmerztherapeutischer Leistungen im ambulanten und stationären Versorgungsbereich beruht [1]. Das heißt, die schmerzmedizinische Versorgung dieses individuellen Patienten ist von den wohnortnahen Gegebenheiten abhängig und kann in Qualität und Quantität sehr unterschiedlich ausfallen [2]. Ob eine adäquate medizinische Versorgung dieses Patienten stattfindet, ist also in gewisser Weise dem Zufall überlassen, was den langjährigen Leidensweg mancher chronischer Schmerzpatienten teilweise erklärt [3].
Umso erfreulicher ist der in dieser Ausgabe von Der Schmerz veröffentlichte Konsens der „Gemeinsamen Kommission der Fachgesellschaften und Verbände für Qualität in der Schmerzmedizin“ über eine einheitliche schmerzmedizinische Versorgungsstruktur in Deutschland [4]. Angelehnt an das in Deutschland bereits bestehende System einer abgestuften Versorgung sowie bestehende Qualifikationen, Weiterbildungen und Zusatzbezeichnungen wird eine einheitliche und verbindliche Klassifikation schmerzmedizinischer Einrichtungen mit definierten Struktur- und Prozesskriterien formuliert. Dieser Konsens greift die 1991 von der International Association for the Study of Pain (IASP) erstmalig erhobene [5] und im Jahre 2009 erneuerte Forderung [6] nach einer Klassifizierung schmerztherapeutischer Einrichtungen auf und ist angelehnt an die 2011 erstellten Empfehlungen der Ad-hoc-Kommission „Strukturempfehlungen für Schmerztherapiezentren“ der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. [7]. Die gemeinsame Vereinbarung ist ein erster wichtiger Schritt in Richtung einer besseren flächendeckenden, wohnortnahen und niedrigschwelligen schmerzmedizinischen Versorgung, die in einem Entschließungsantrag im Mai 2014 auf dem 117. Deutschen Ärztetag in Düsseldorf gefordert wurde [8].
Besonders hervorzuheben sind zusätzlich zu den fünf abgestuften Ebenen der schmerzmedizinischen Versorgung die erstmals beschriebenen schmerzpsychotherapeutischen Einrichtungen. Diese erhöhen die Attraktivität und das Angebot einer „speziellen Schmerzpsychotherapeutischen Versorgung“, die ja im Kontext einer multidisziplinären und multimodalen Schmerzdiagnostik und Schmerztherapie chronischer Schmerzpatienten notwendig ist. Die Deutsche Gesellschaft für Psychologische Schmerztherapie und -forschung (DGPSF) hat mit ihrem Curriculum bereits 275 Psychotherapeuten auf diesem speziellen Gebiet ausgebildet und fördert damit die Umsetzung eines innovativen Berufsfeldes der Zukunft [9].
Neu ist auch die Einrichtung einer „Fachkunde Schmerzmedizin“, mit der die primärärztliche Versorgung verbessert werden soll. Sie setzt die Vermittlung schmerzmedizinischer Grundkenntnisse fort, die unsere Medizinstudenten im Rahmen der neuen Approbationsordnung als Querschnittsfach Q14 vermittelt bekommen [10].
Für den oben genannten Schmerzpatienten, der sich bisher einer uneinheitlichen und heterogenen schmerzmedizinischen Versorgungsstruktur gegenübersah, ist dieser Konsens eine deutliche Verbesserung; gewährleistet er doch eine flächendeckende, qualitativ hochwertige und adäquate schmerzmedizinische Versorgung. Derartige Strukturempfehlungen führen jedoch zu qualitativen Einstufungen von schmerztherapeutischen Einrichtungen, welche kontrovers diskutiert werden können und möglicherweise Auswirkungen für den Einzelnen haben [1].
Andererseits ermöglichen sie es – auch wenn sie möglicherweise derzeit schwer realisierbar sind –, mit Politikern und Geldgebern im Gesundheitssystem in einen konstruktiven Dialog einzusteigen. Dies gelingt umso mehr, als sich in einer gemeinsamen nationalen Anstrengung alle in der Schmerzmedizin relevanten Fachgesellschaften und Verbände zusammengefunden haben, um sich jenseits aller Partikularinteressen auf diesen Konsens zu einigen. In diesem Sinne blicke ich optimistisch in die Zukunft.
Michael Schäfer
Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft
Literatur
Petzke F, Pfingsten M, Casser H‑R et al (2011) Ohne Struktur keine Qualität! Schmerz 25:365–367
Kayser H, Thoma R, Mertens E et al (2008) Struktur der ambulanten Schmerztherapie in Deutschland. Schmerz 22:424–432
Schulte E, Hermann K, Berghöfer A et al (2010) Referral practices in patients suffering from non-malignant chronic pain. Eur J Pain 14(3):308.e1–308.e10
Müller-Schwefe GHH, Nadstawek J, Tölle T et al (2016) Struktur der schmerzmedizinischen Versorgung in Deutschland: Klassifikation schmerzmedizinischer Einrichtungen – Konsens der Kommission der Fachgesellschaften und Verbände für Qualität in der Schmerzmedizin. Schmerz: doi:10.1007/482-016-119-4
Loeser JD (1991) Desirable characteristics for pain treatment facilities: report of the IASP taskforce. In: Bond MR, Charlton JE, Woolf CJ (Hrsg) Proceedings of the fith world congress on pain. Elsevier, Amsterdam, S 411–415
International Association for the Study of Pain (IASP) http://www.iasp-pain.org/Education/Content.aspx?ItemNumber=1381. Zugegriffen: 25. Apr. 2016
Sabatowski R, Maier C, Willweber-Strumpf A et al (2011) Empfehlungen zur Klassifikation schmerztherapeutischer Einrichtungen in Deutschland. Schmerz 25:368–376
DOKUMENTATION: Deutscher Ärztetag (2014) Entschließungen zum Tagesordnungspunkt IV: Schmerzmedizinische Versorgung stärken. Dtsch Arztebl 111(23–24):A-1094/B-938/C-888
Deutsche Gesellschaft für Psychologische Schmerztherapie und -forschung (DGPSF) Behandlung chronischer Schmerzen braucht „Spezielle Schmerzpsychotherapie“. http://www.dgpsf.de/therapie.98.html (Erstellt: 29. Jan. 2016). Zugegriffen: 25. Apr. 2016
Kopf A, Rittner H, Karst M et al (2015) Basisbuch Q14 Schmerzmedizin. Deutsche Schmerzgesellschaft, Berlin
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Schäfer, M. Eine einheitliche schmerzmedizinische Versorgungsstruktur in Deutschland. Schmerz 30, 215–217 (2016). https://doi.org/10.1007/s00482-016-0120-y
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