Zusammenfassung
Fragen der Korruption von Vertragsärzten sind seit längerer Zeit höchst umstritten: Nach dem so genannten „Herzklappenskandal“ sind in den vergangenen Jahren wiederholt Pharma-Konzerne mit dem Vorwurf der Bestechung von Ärzten in die Schlagzeilen geraten. Das Thema wirft nicht nur juristische oder sozialpolitische, sondern auch ethische Fragen auf. Bislang gab es dazu in Deutschland jedoch nur wenig Reflexion. Bewertungen wurden von der Ärzteschaft vor allem Politikern und Juristen überlassen. Dabei bleibt die Frage der strafbaren Bestechlichkeit im Kern ein Problem, das Ärzteschaft und Medizinethik betrifft. Im Alltag ist es oft schwer zu entscheiden, wann es sich bei Zuwendungen um mögliche Bestechung handelt. Die Übergänge zwischen dem unproblematischen Annehmen kleiner Geschenke und Korruption sind fließend. Es bleibt fast ausschließlich dem moralischen Empfinden der Ärzte überlassen, die Grenze zwischen Kooperation und Korruption im Umgang mit Pharmaunternehmen zu ziehen: Unausweichlich vorhandene Konflikte zwischen privaten und berufsethischen Interessen müssen von den Ärzten angesichts unzureichender allgemeingültiger Richtlinien für angemessenes Verhalten individuell gelöst werden. Das Bewusstsein für die sozialpolitische und berufsethische Bedeutung von Interessenkonflikten unter Ärzten und Studierenden sollte erhöht werden. Eine offensivere Auseinandersetzung mit der Frage der Bestechlichkeit in der Medizin ist wünschenswert und erforderlich.
Abstract
Definition of the problem The potential corruptibility of contracted medical practioners has been controversially discussed for a long time: following the so-called “heart valve scandal”, numerous other pharmaceutical companies have also made the headlines when being accused of trying to bribe medical practioners. The issue not only raises judicial and sociopolitical questions, but also ethical questions. Thus far, only few reflections have been made on the matter. The medical profession has preferred to let politicians and legal professionals assess these aspects.Arguments The question of criminal bribery remains in its core a problem for the medical profession and medical ethics. In daily life, it is often difficult to recognize compensations as bribery. The border between harmless acceptance of gifts and possible corruption is often not very clear. It mostly remains in the moral perception of the doctors themselves to recognize the border between cooperation and corruption when dealing with a pharmaceutical company. Inevitably there will be conflicts between private and ethical interest of the medical professionals. Since the official ruling on the matter is insufficient, doctors are forced to decide individually what behavior is appropriate in each case.Conclusion Awareness of sociopolitical and professional-ethical conflicts of interest among doctors should be improved. It is desirable to establish a more agressive dialogue on the question of bribery of doctors.
Notes
Einobiter dictum (lat. „nebenbei Gesagtes“) ist die Rechtsansicht eines Gerichtes, die nur geäußert wurde, weil sich die Gelegenheit dazu bot.
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Interessenkonflikt
Die Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.
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Erices, R., Frewer, A. & Gumz, A. Strafbare Bestechlichkeit von Vertragsärzten und Ethik. Ethik Med 25, 103–113 (2013). https://doi.org/10.1007/s00481-012-0207-7
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