Zusammenfassung
In der Pflege gibt es noch zu wenig gerontopsychiatrisches Fachpersonal und Betreuungskonzepte zur Versorgung dementer alter Menschen. Beides aber ist absolut notwendig, da es durch die Unterversorgung vor allem zu Problemen bei der Ernährung der Demenzkranken kommt. Das Postulat, das Anlegen einer perkutanen endoskopischen Gastrostomie-(PEG-)Sonde) ausschließlich zur Erleichterung der Pflege grundsätzlich abzulehnen, ist ethisch korrekt, ändert aber nichts an der Tatsache der Versorgungsprobleme bei fehlenden Pflegekräften. Entscheidend bei der Pflege von Demenzkranken sind der Beziehungsaspekt und der Erhalt der Lebenswelt des Betroffenen. Schwierig wird es vor allem in der Frage, ob ein Demenzkranker im fortgeschrittenen Stadium noch seinen Willen ausdrücken kann. Es muss eine Vielzahl von körperlichen Ursachen ausgeschlossen werden, bevor eine Verweigerung des Essens als Willensäußerung gedeutet werden darf. Auch hier scheinen psychosoziale Gesichtspunkte entscheidend zu sein. Der Nutzen einer künstlichen Ernährung bei Demenzkranken ist umstritten und bedarf der skrupelhaften Einzelfallbeurteilung. Doch gerade in der terminalen Phase der Erkrankung scheint sie eher eine Gewissensberuhigung der Betreuenden darzustellen anstatt eine für den Betroffenen nützliche Maßnahme.
Abstract
Definition of the problem: There is an evident shortage of gerontopsychiatric professional nursing staff and concepts of care for aged patients with dementia. Both are absolutely required since understaffing especially affects the feeding of demented people.
Arguments: Inserting a tube (PEG) to assure adequate nutritional intake cannot solve the problem of insufficient and inappropriate nursing. Tube feeding may veil the underlying problems of the nursing staff in nursing homes. The relationship with the patient and the preservation of his own world of experiences are important aspects of the care. One of the crucial problems is the difficulty in understanding the meaning of the patient’s behavior and detecting the patient’s will. Many physical causes have to be excluded before refusal of nutrition can be interpreted and explained as the patient’s will.
Conclusion: The use of tube feeding for demented patients’s comfort is a point of controversy and has to be an individual decision. It seems however that artificial nutrition in the terminal phase is more a matter of assuaging the conscience of healthcare professionals rather than providing a benefit for the patient.
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Kolb, C. Künstliche Ernährung bei Demenzkranken. Ethik Med 16, 265–274 (2004). https://doi.org/10.1007/s00481-004-0320-3
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