Mit dem Begriff Regression beschreiben wir ein komplexes Geschehen, das einerseits eine Labilisierung der Ichstruktur bzw. des Selbst bewirkt, andererseits eine Abwehr- und Bewältigungsfunktion erfüllt. Seit der Einführung des Begriffs in Freuds Traumdeutung ist er aus der psychoanalytischen Behandlungstheorie nicht mehr wegzudenken.
Freud erklärte damit den halluzinatorischen Charakter der Träume und glaubte, dass die Gedanken im Schlaf in Bilder umgesetzt werden, weil ihnen im Schlaf der Zugang zur Umsetzung in Bewegung verwehrt wird. Das beschreibt er als eine „topische“ Regression und meint damit eine Rückwendung der Erregung von der Motilität zur Wahrnehmung. Wir würden das heute als strukturelle Regression auf Grund einer Einschränkung von Ichfunktionen betrachten. Auf ihr beruht die Funktion des Traumes als „Hüter des Schlafes“ (Freud 1900). Damit wird zugleich die Abwehrfunktion des Träumens bzw. der Regression erkennbar.
Unter der Vorherrschaft der Triebtheorie wurde lange vor allem der Aspekt der Regression als Abwehr konflikthaften Begehrens gesehen. Er wurde von Freud als Rückkehr der Libido zu früheren, durch Fixierungen markierte Positionen der psychosexuellen Entwicklung beschrieben, also z. B. der Ersatz eines sexuellen durch ein anales Triebziel. Diese Betrachtung geht Hand in Hand mit der Entwicklung des psychoanalytischen Entwicklungskonzeptes in den Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie (1905). Darin beinhaltet Regression vor allem eine Abwehr von verpönten Triebregungen durch Verschiebung von einer reiferen, aber konflikthaft erlebten Stufe des Begehrens auf eine niederere. Damit soll der Konflikt entschärft werden.
Diese Art der Regression wird als zeitliche oder genetische bezeichnet. Ihr steht das Konzept der formalen, heute sagen wir: der strukturellen Regression gegenüber, die durch einen Rückgriff auf entwicklungsmäßig unreifere Ichfunktionen gekennzeichnet ist. Diese Art der Regression steht heute im Vordergrund, wenn es um die Behandlung strukturschwacher Patientinnen und Patienten geht.
Hier stehen Spaltungsprozesse und die damit verbundenen projektiven und identifikatorischen Mechanismen im Zentrum der Psychodynamik und bedrohen das Ich mit einem regressiven Ichzerfall. Mit der regressiven Freisetzung archaischer Destruktion, mit der Entbindung von Hass und Neid und der massiven Idealisierung im Wechsel mit einer totalen Entwertung des Selbst und der Anderen bedrohen sie den Realitätsbezug und können auch Angriffe auf die psychoanalytische Behandlung hervorrufen und sie im Extremfall zerstören. Das verweist auf die zentrale Aufgabe in solchen Behandlungen, sich als Psychoanalytikerin oder Psychoanalytiker auf die regressiven Bewegungen in der Behandlung einzulassen, sie zu „halten“ und zu „überleben“ – und zugleich den Kontakt zur Realität aufrechtzuerhalten.
Diese Dynamik steht auch im Vordergrund, wenn wir uns heute um ein Verständnis der Regressionsprozesse in der Gesellschaft bemühen. Dabei ist die Beschreibung der regressiven Dynamik sozialer Prozesse wie Fremden- und Migrantenhass seit Freuds Massenpsychologie und Ich-Analyse (1921) ein fester Bestandteil des psychoanalytischen Denkens. Als Kern dieser Dynamik kann man eine kollektive Regression des Denkens auf eine schizoid-paranoide Entwicklungsstufe mit Spaltungen, Zuschreibungen, Verleugnungen und Illusionsbildungen betrachten, mit der Erfahrungen von Unglück und Ungerechtigkeit, Neid und Machtlosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung im Einzelnen und in sozialen Gruppen abgewehrt werden.
In diesem Heft haben wir vier Arbeiten zusammengetragen, die sich mit dem Konzept der Regression aus heutiger Sicht befassen. Diana Pflichthofer bringt Balints Unterscheidung zwischen maligner und benigner Regression in Erinnerung und zeigt, wie sie sich klinisch und mit Hilfe der Gegenübertragung unterscheiden lassen. In Anschluss untersucht Tino Storck, welche Bedeutung maligne Regression in analytischen Behandlungen hat, wie entsprechende Prozesse erkannt und begrenzt werden können und wie mit ihnen im Verlauf einer Behandlung umzugehen ist. Jürgen Körner greift Sandler und Sandlers Unterscheidung zwischen Regression und Anti-Regression im psychoanalytisch-therapeutischen Prozess auf und untersucht, in welchen Fällen anti-regressive Prozesse in analytischen Psychotherapien gefördert werden sollten. Abschließend untersucht Joachim Küchenhoff das Phänomen des Populismus unter dem Gesichtspunkt eines regressiven Angriffs auf Verbindungen und zeigt, dass der Populismus Urheber solcher Angriffe ist, sich aber zugleich auch solchen Angriffen verdankt.
Literatur
Freud S (1900) Traumdeutung. GW, Bd. 2
Freud S (1905) Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. GW, Bd. 5
Freud S (1921) Massenpsychologie und Ich-Analyse. GW, Bd. 13
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Ermann, M. Regression – ein komplexes Konzept. Forum Psychoanal 39, 205–206 (2023). https://doi.org/10.1007/s00451-023-00517-9
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