Zusammenfassung
Die Spätadoleszenz stellt in jeder Biografie ein Moment der Bilanzierung dar und offenbart, inwieweit der Aufbruch in ein eigenverantwortliches Leben möglich ist.
Für diese Entwicklung ist es entscheidend, ob der junge Erwachsene einen Zugang zu seiner Aggressivität finden kann. Zum besseren Verständnis der inneren Welt des Adoleszenten ist die Erweiterung der ödipalen Theorie durch die Schweizer Psychoanalytikerin Judith Le Soldat hilfreich. In ihrer Theorie kommt der Kastrationstat des Kindes den Eltern gegenüber, dem Moment der Aneignung und Bemächtigung, eine zentrale Rolle zu. Diese innerseelische Figur wird in der Spätadoleszenz durch die notwendige Ungeheuerlichkeit, die eigene Entwicklung gegen die Stabilität der Familie ins Feld zu führen, massiv aktualisiert. Die Idealisierung einer Position der Unschuld mit der Folge der Arretierung der eigenen Entwicklung, gestützt durch das Phantasma, keine hinreichende Ausstattung für die Bewältigung der anstehenden Weiterentwicklung bekommen zu haben, bietet nun einen scheinbaren Ausweg aus dem inneren Dilemma. Die Idealisierung der Unschuld im Licht der Theorie von Judith Le Soldat ist als Regression vor die Kastrationstat aufzufassen.
Abstract
Late adolescence is a time of evaluation in every person’s biography, revealing the extent to which one is able to pursue an autonomous life. Crucial for this step in development is the ability to find access to one’s own aggression. Expansion of the oedipal theory by the Swiss psychoanalyst Judith Le Soldat is helpful in understanding the inner world of adolescents. In her theory, the child’s act of castrating the parents, as well as the moment of acquisition and empowerment, play central roles. This internal psychic configuration is massively reactualized during late adolescence through the monstrous act of pursuing one’s own development as opposed to the family’s stability. An ostensible escape from this internal dilemma is idealizing the position of innocence, which, in turn not only leads to an arrest in development but also to the phantasma of not having been furnished with the necessary equipment to master the upcoming task. Idealization of innocence in the context of Judith Le Soldat’s theory can be understood as regression before the act of castration.
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Salge, H. Die Idealisierung der Unschuld. Forum Psychoanal 35, 19–35 (2019). https://doi.org/10.1007/s00451-018-0308-0
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