Die Arbeitsgemeinschaft der Psychodynamischen Professorinnen und Professoren veranstaltete am 01.10.2015 an der International Psychoanalytic University in Berlin eine Tagung zum Thema „Psychoanalyse Lehren und Lernen“. Vier der dort vorgetragenen Referate werden im vorliegenden Themenheft der Zeitschrift Forum der Psychoanalyse vorgestellt.

Die intensiven und kontrovers geführten Diskussionen um eine Novelle des Psychotherapeutengesetzes haben in der jüngeren Vergangenheit die Frage nach einer adäquaten und zeitgemäßen strukturellen Organisation und Methodik psychoanalytischer Aus- bzw. Weiterbildung wieder aufgeworfen. Ganz verschwunden war dieses Thema allerdings nie; immer hatten auch einflussreiche Autoren auf die Notwendigkeit grundlegender Reformen hingewiesen, ohne dass sich erkennbar viel geändert hätte.

Die hier zusammengestellten Beiträge sollen die Diskussion um neue Modelle der Vermittlung psychoanalytischer und psychodynamischer Kompetenzen anregen und bereichern. Die 4 Autorinnen und Autoren arbeiten alle in der universitären Lehre, und sie haben die Methoden, die sie in ihren Beiträgen vorstellen, selbst erprobt.

Heidi Möller stützt sich in ihren didaktischen Überlegungen auf ihre langjährigen Erfahrungen mit humanistischen Therapieverfahren, insbesondere der Gestalttherapie und des Psychodramas. Sie rät dazu, in der Gestaltung der Lehrveranstaltungen vom persönlichen Erleben der Teilnehmer(innen) auszugehen und sie zu ermutigen, sich mit den Gegenständen der Seminare selbst in Beziehung zu setzen. Diese Selbsterfahrung bleibt – etwa im Unterschied zu einer Lehranalyse – berufsbezogen. Die Lernprozesse zielen immer auf die Entwicklung einer professionellen Kompetenz, die sich in ihrem Selbstverständnis an der Arbeit mit der Klientel orientiert.

Frau Möller verdeutlicht ihren Ansatz an universitären Seminaren zu den Themen „Krisen“ und „Suizidalität“. Sie zeigt, wie sich in diesen Lehrveranstaltungen die Vermittlung sozialwissenschaftlicher und psychodynamischer Theorien mit selbsterfahrungsorientierten Lerneinheiten mischen lassen. Wie fruchtbar diese Mischung sein kann, zeigt sie beispielhaft am Gegenstand des Suizids und der Suizidalität: Die Frage nämlich, inwieweit wir einen Suizidwunsch immer als Ausdruck einer schwerwiegenden Erkrankung verstehen wollen oder in ihm auch das Ergebnis einer freien Willensentscheidung sehen können, lässt sich nicht allein aus theoretischen Kontexten heraus beantworten; sie fordert uns auch dazu heraus, uns unserer impliziten Menschenbilder gewahr zu werden.

Sabine Morbitzer berichtet über einen Versuch, mit Studierenden eines Masterstudiengangs zur klinischen Psychologie und Psychotherapie Fallbeschreibungen, einschließlich psychodynamischer Hypothesen, zu erarbeiten. Orientiert an den Erfordernissen eines „Kassenantrags“ versorgte sie die Studierenden per E-Mail mit Fachliteratur zu Diagnostik, Indikationsstellung und insbesondere Psychodynamik seelischer Erkrankungen. Nachdem sich die Studierenden im Seminar die klinischen Grundlagen erarbeitet hatten, stellte sich Frau Morbitzer in der Rolle einer fiktiven Patientin zur Verfügung, und die Studierenden übten mit ihr anamnestische und diagnostische Gespräche. Ziel des Seminars war es, Vorurteile gegen die Psychoanalyse abzubauen und Verständnis für die Komplexität einer Psychodynamik zu wecken. Die Studierenden lernten, wie wichtig es ist, die eigene innere Beteiligung in der Beziehung zum Patienten zu erforschen und für das Verständnis der Innenwelt des Patienten zu nutzen.

Im zweiten Teil ihres Beitrags diskutiert Frau Morbitzer die Notwendigkeit einer Reform psychoanalytischer Aus- bzw. Weiterbildungen. Sie erinnert an die schon vielfach vorgetragene Kritik an den Methoden und Strukturen der Ausbildung und plädiert für eine Reform im Sinne der aktuell diskutierten „Direktausbildung“. In der Gegenüberstellung von Chancen und Risiken einer teilweisen Verlagerung der psychoanalytischen Ausbildung an die Universitäten kommt sie zu dem Ergebnis, dass die Psychoanalyse mit einer solchen Ausbildungsreform am ehesten ihre durchaus unsichere Zukunft sichern können wird.

Horst Kächele, Lydia Kruska, Jenny Kaiser und Karin Gehlhaar schlagen vor, die üblichen Wege der Vermittlung psychoanalytischer Kompetenz über die Lektüre „klassischer“ Fallgeschichten oder die Rezeption moderner Lehrbücher zu verlassen und bekannte Roman- oder Filmfiguren zum Ausgangspunkt des Lehrens und Lernens zu nehmen. Die Studierenden sollen selbst wählen, welche Personen sie besonders interessant oder rätselhaft finden, und versuchen, deren Persönlichkeit in einem fiktiven Interview zu ergründen. So führen sie vielleicht „Erstgespräche“ mit Lady Macbeth oder Hannibal Lecter und versuchen dabei, die psychoanalytische Verstehensmethodik anzuwenden.

Der Sinn dieser didaktischen Variante liegt darin, unmittelbar an dem Interesse der Studierenden anzusetzen sowie ihre subjekthafte Beziehung zu den imaginierten Personen und eine Gegenübertragung für das Verständnis zu nutzen. Und im Unterschied zu den traditionellen Lehrveranstaltungen, die etwa mit „allgemeiner Neurosenlehre“ beginnen und danach „top down“ die dazu „passenden“ Fälle suchen, schlagen die 4 Autor(inn)en also vor, mit konkreten und bekannten „Fällen“ zu beginnen und in der Annäherung an diese Persönlichkeiten die psychoanalytischen Methoden als Werkzeuge des Verstehens zu begreifen und anzuwenden. Das ist nicht nur eine didaktisch anregende Idee, sondern ein Verfahren, das die historische Entwicklung psychoanalytischer Methoden nachbildet, denn bekanntlich hat Freud seine Behandlungstechnik und methodischen Begriffe der Psychoanalyse nicht als Anwendung bereits vorliegender theoretischer Konstrukte entwickelt, sondern „bottom up“ in der Bewältigung konkreter, schwieriger Behandlungssituationen.

Lutz Wittmann, Janina Zander und Allyson L. Dale stellen das Traumgenerierungsmodell von Moser und Zeppelin ausführlich vor und erläutern seine besondere didaktische Funktion für den Erwerb einer psychoanalytischen Kompetenz: Dadurch, dass dieses Modell an formalen Aspekten der Traumerzählung ansetzt, bildet es einen Gegensatz zu impliziten klinischen Theorien oder gar spekulativen Einfällen, mit denen Psychoanalytiker sich üblicherweise einen Traum oder überhaupt klinisches „Material“ zu erschließen suchen.

Dass dieses Vorgehen nicht nur aus prinzipiellen Erwägungen sinnvoll ist, sondern selbst auch zum Verständnis des Traums (und des Träumers) beiträgt, illustrieren die Autoren beispielhaft an der Frage, inwieweit ein Traum auf ein neurotisches Konfliktgeschehen hindeutet oder als Ausdruck struktureller Beeinträchtigungen wie zum Beispiel nach frühen traumatischen Erfahrungen verstanden werden sollte. Eine Antwort auf diese Frage lässt sich nicht allein durch die Interpretation der Traumerzählung finden, sondern erfordert auch eine Untersuchung der formalen Strukturen des Traums – etwa mithilfe des Traumgenerierungsmodells von Moser und Zeppelin. Im Übrigen rekonstruiert dieses Modell ja nur den Vorgang der Traumarbeit, wie Freud ihn verstanden hat, nämlich als Herstellung des Trauminhalts entlang rational beschreibbarer Schritte.

FormalPara Interessenkonflikt

Jürgen Körner gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.