Footnote 1Das Motto dieses Grußworts gilt auch, wenn wir die Geschicke der Zeitschrift Forum der Psychoanalyse Revue passieren lassen. Ihr 30. Geburtstag ist der Erfolg der Gründungsherausgeber Michael Ermann und Jürgen Körner, die das Journal nunmehr über drei Dekaden begleitet und maßgeblich geprägt haben. Es ist eine Seltenheit, auch beim Springer-Verlag, dass die Verantwortung derart lange bei derselben Schriftleitung verbleibt, ohne dass dieser die Freude daran abhandenkommt. Das hat auch damit zu tun, dass sie sich Veränderungen nicht entgegengestellt, sondern diese gesucht hat. Doch dazu später.

Die Idee, eine gemeinsame Zeitschrift für Psychoanalyse zu gründen, entstand 1984 bei einem langen Spaziergang der beiden Freunde Michael Ermann und Jürgen Körner durch die Weinberge an der badischen Bergstraße. Durchaus ein Wagnis angesichts der mächtigen Konkurrenz der Psyche. Das Konzept musste also ein anderes sein, sich abgrenzen von den bereits etablierten Zeitschriften. Liest man aus heutiger Sicht Michael Ermanns Editorial in Heft 1 im Juli 1985, so fällt auf, mit welcher Leidenschaft und Entschlossenheit es verfasst wurde. Das Editorial ist ein Zeitdokument, auch heute noch werden die Begeisterung eines Aufbruchs spürbar und die Freude, selbst das Fach gestalten zu können.

Die psychoanalytischen Organisationen begannen damals eine offene Auseinandersetzung mit der Vergangenheit des Nationalsozialismus und ihrer Rolle in dieser Zeit. Es entstand ein Bewusstsein für die gemeinsame Tradition und Geschichte sowie Verantwortung für die Psychoanalyse in Deutschland. Die Initiative zur Herausgabe einer neuen deutschen psychoanalytischen Zeitschrift war vom DPG-Vorstand ausgegangen, mit dem Ziel eines Brückenschlags zwischen den Gesellschaften DPG und DPV, die jeweils (ca. hälftig) im Board vertreten sein sollten.

Die Ziele waren klar definiert – und heute wissen wir – sie wurden erreicht: Es ging auch darum, die unglücklichen Bewältigungsversuche der Nachkriegszeit, die Kränkungen und Entwertungen, die sich die Vertreter der Fachgesellschaften zugefügt hatten, die existenziellen, sozialen und politischen Ängste von damals aufzuarbeiten. Keine Rivalität und Regionalität mehr, keine Vorurteile und Abgrenzung, statt dessen Öffnung, Information und Austausch. Das Programm war knapp formuliert und hält bis heute stand:

Das Forum der Psychoanalyse ist eine Zeitschrift für die Psychoanalyse als klinische Theorie und Praxis und als Grundlagenwissenschaft. Es steht allen Psychoanalytikern offen. Das Forum dient der Diskussion der verschiedenen Strömungen in der Psychoanalyse, auch in Auseinandersetzung mit den benachbarten Wissenschaften. Es fördert den Austausch zwischen den Fachgesellschaften und ist eine Brücke zu den Entwicklungen der Psychoanalyse im Ausland.

Auch der Name Forum der Psychoanalyse war Programm und sollte von Anfang an den Wunsch nach Offenheit und Verständigung über theoretische und methodische Konzepte zum Ausdruck bringen. Die Zeitschrift sollte ein Marktplatz sein, ein Forum also, auf dem sich die Vertreter unterschiedlicher Richtungen und Meinungen wohl fühlen sollten. Carl Nedelmann erinnert regelmäßig daran.

Im Jubiläumsheft 4, 2009 beschreibt das dritte Gründungsmitglied Sven Olaf Hoffmann die Arbeit der ersten Jahre. Der regelmäßige Austausch zwischen den Herausgebern – ein fast reines Vergnügen, wie er konstatiert, war mühsamer als heute, E-Mails sollte es noch lange nicht geben. Der Austausch fand mit Briefen statt, jeder las alle Manuskripte, gelegentlich wurde auch bei persönlichen Treffen darüber diskutiert. Diese Sitzungen fanden statt in Michael Ermanns Institut am Beethovenplatz, später in der Nußbaumstraße in München bei Weißwürsten und bayrischem Vesper, in S.O. Hoffmanns schöner Bibliothek in Mainz oder bei Jürgen Körner in Berlin, der uns danach in seinem roten Flitzer ins Restaurant chauffierte. Carl Nedelmann wird sich daran erinnern, wie geschickt er sich auf dem Rücksitz zusammenfaltete, viel Platz gab’s da ja nicht. Diese Treffen waren immer anregend und humorvoll, es wurde in der Sache manchmal hart diskutiert, aber stets eine Einigung erzielt. Die Voten zu den Beiträgen waren anspruchsvoll, aber fair – und wichtig war, den Autorinnen und Autoren in meist entschärften Briefen eine Hilfestellung für die Revision ihrer Arbeiten anzubieten. Das Teilnehmenlassen am Prozess des Nachdenkens, der Wahrheitsfindung hatte und hat einen hohen Stellenwert.

Die Gründungsmitglieder gestalteten die Schriftleitung in den ersten 10 Jahren. Im März 1995 löste Carl Nedelmann S.O. Hoffmann ab. Eine weitere angenehme Zusammenarbeit entstand, die bis heute anhält.

Damals begann auch die Zeit der Modernisierung des Layouts, technischer und gestalterischer Veränderungen, die zunächst nicht allen gefielen. Ursprünglich war das Inhaltsverzeichnis auf dem Cover abgedruckt, die Essenz der Ausgabe also, wie früher bei fast allen wissenschaftlichen Zeitschriften üblich. 1999 gab es eine Verlagsentscheidung: der Inhalt kommt auf die Rückseite – unpraktisch, wenn man die Hefte binden lassen wollte – und schließlich (1, 2003) ins Heft. Seit Heft 1, 2006 ist das Cover eine Abbildung, besonders gelungen war das Foto vom lesenden Sigmund Freud: „editing a manuscript“ im Band „Zu Ehren von Sigmund Freud“ (2006).

Englische Abstracts führten wir mit Heft 1, 1996 ein, erst vorn, dann weiter hinten auf S. 3, später wieder vorn, wo man sie auch sucht. Bewundernswert, die Geduld des Editorial Board angesichts dieser sich veränderndem Leseverhalten und insbesondere der Fortentwicklung der elektronischen Möglichkeiten zu verdankenden Wechsel im „Workflow“ – ein Begriff, den wir fürchten und schließlich akzeptieren gelernt haben. Formatänderungen, wieder neues Layout mit manchmal nicht ganz nachvollziehbaren Regeln, Satz in Indien, elektronische Formulare – der Verlag kennt keinen Stillstand. Das Board reagiert oft zunächst mit Widerstand, stellt diesen aber ein, wenn deutlich wird, der Verlag muss im internationalen Wettbewerb bestehen und deshalb gelegentlich unliebsame Entscheidungen durchsetzen. Mittlerweile wissen wir, es ist ratsam, unvermeidliche Begleiterscheinungen der Globalisierung und Digitalisierung zu akzeptieren im Interesse der fortbestehenden inhaltlichen Qualität der Zeitschrift.

Diese ist entscheidend und wird uns bestätigt in vielen erfreulichen Rückmeldungen der Leserinnen und Leser, die uns über die Jahre treu geblieben sind. Kein Wunder, sieht man sich die Titel der Beiträge, die berühmten Namen in der Autorenschaft und die Übersetzungen international bedeutender Arbeiten an. (Nachzulesen z. B. im Jubiläumsheft 4, 2009 und der begleitenden CD.) Nicht wenige der berühmten Namen sind heute Abend hier vertreten.

Früher, als es noch Sachregister gab – sie sind wegen der elektronischen Verfügbarkeit der Arbeiten nicht mehr nötig – waren meine ersten Novembertage davon geprägt, diese wegen der engen Deadlines beim „Jahresendprogramm“ in fieberhafter Hast zusammenzustellen. Erstaunt nahm ich jedes Jahr wahr, dass im vergangenen Band wieder ganz neue Themen behandelt worden waren. Auch hier, kein Stillstand, keine Wiederholung. Scheinbar wie von selbst fügte sich der Band zu einem sinnvollen Ganzen.

„Älter werden heißt, selbst ein neues Geschäft antreten; alle Verhältnisse ändern sich, und man muss entweder zu handeln ganz aufhören oder mit Willen und Bewusstsein das neue Rollenfach annehmen“ (Goethe, Maximen und Reflexionen). Die bisherige Schriftleitung hat diese Maxime im Interesse der Zukunftsicherung bereitwillig umgesetzt und 2008 die Verantwortung für die Zeitschrift auf mehrere Schultern verteilt. Die Verjüngung erfolgte zunächst durch die Aufnahme von Anna Ursula Dreher sowie Ulrich Lamparter ins Board, die beide bald mit vielbeachteten eigenen Beiträgen sowie der Akquisition internationaler Arbeiten und Studien von sich reden machten.

Zwei Jahre später wurde sie fortgesetzt durch die Berufung von Diana Pflichthofer, dem Forum als geschätzte Autorin schon länger vertraut und Cord Benecke, der der Zeitschrift durch empirische Beiträge zu größerer Modernität verhilft.

Auch der wissenschaftliche Beirat wurde umgestaltet und erweitert und trägt durch die Erstellung von Gutachten zur Entlastung des Editorial Board bei.

Für mich ist es ein Glücksfall, mit diesen Herausgebern diese Zeitschrift zu machen. Als ich Ende der 80er Jahre nach München zog, wurde mir vom damaligen Planer der Zeitschrift, Toni Graf-Baumann, das Projekt Forum anvertraut. Die Herstellerin der ersten Ausgaben, Sabine Koch, übergab mir zur Vorbereitung Heft 1 mit einer Notiz: „Für meine ‚Psychos‘ – mit viel Liebe hergestellt“. Allen verlagsseits mit dem Forum Befassten könnte das bis heute ein Motto sein.

Die Zeitschrift hat im Springer-Verlag stets eine wohlwollend begleitete Nische eingenommen, die Planer Toni Graf-Baumann, Thomas Thiekötter, Heike Berger, Esther Wieland haben sie und ihre „Macher“ stets unterstützt und geschätzt. Und gelassen hingenommen, wenn meine eigene Rolle manchmal „zwischen den Lagern“ erschien, was gelegentlich eine Vermittlung bei vom Board zunächst kritisch hinterfragten Änderungen ermöglichte.

Seit 2006 ist Sabine Ibkendanz für uns zuständig, die Leiterin der Abteilung Wissenschaftliche Zeitschriften in Heidelberg, die immer ein offenes Ohr für unsere Nöte und gute Ideen für die Bewältigung von Problemen hat.

Im Editorial der ersten Ausgabe bedankte sich Michael Ermann beim Verlag für die Bereitschaft, in einer wirtschaftlich unsicheren Zeit ein neues Projekt zu verantworten. Hat sich vielleicht doch nicht so viel geändert?

Ein halbes Leben arbeiten wir nun schon zusammen, die Gründungsherausgeber und ich. Ein bisschen in die Jahre gekommen vielleicht, aber noch immer voller Begeisterung fürs Fach. In der ZEIT wurde kürzlich eine Untersuchung des Harvard-Psychologen Howard Gardner referiert, der erforscht, welche Arbeit Menschen glücklich macht, in welchen Berufen sie das Glück finden. 60 % Hochzufriedene fand er bei Wissenschaftlern und verwandten Berufen. Das Streben nach Exzellenz, Ethik und Engagement scheint eine Garantie für „good work“ zu sein. Aber soll man überhaupt Arbeit nennen, was wir für die Zeitschrift tun? Ist es nicht Luxus, sich mit den großen Fragen des Lebens „Wer bin ich, was bin ich?“ qua Beruf beschäftigen zu dürfen?

Patienten gehen in Therapie, damit sich ihr Leid mindert. Diesem Ziel dienen auch unsere Publikationen. Das Verstehen als Zentralbegriff des psychoanalytischen Diskurses ist eine immerwährende Herausforderung – und Bereicherung. Dazu ein (gekürztes) Zitat von Wurmser, nachzulesen in einem der nächsten Hefte: „Gesehen zu werden vom Anderen gibt dem Leben Schutz und Sinn. Es ist die Liebe im tiefsten und weitesten Verstand, diese echteste Beziehung, die der Machtsucht, Eifersucht und jeder anderen Sucht entgegensteht; sie ist etwas Göttliches und macht letztlich den Lebenssinn aus“ (Wurmser 2014; DOI 10.1007/s00451-013-0164-x).

Das Editorial Board nimmt die Herausforderungen des kulturellen Wandels der Psychoanalyse und der Weiterentwicklung der Zeitschrift an. Die kulturellen und gesellschaftlichen Umwälzungen unserer Zeit finden zunehmend Berücksichtigung. In einem Vortrag untersuchte Diana Pflichthofer (kritisch und ironisch) die Bedeutung der modernen Aufforderung „Optimize yourself“ und wir, der Springer-Verlag, bemühen uns darum und sind zuversichtlich, mit diesem – so unterschiedlichen – Herausgebergremium, das im Gleichklang arbeitet, gut für die Zukunft aufgestellt zu sein: Persönliche Stile auch beim Publizieren und Verlegen.Die Couch ist nicht verwaist oder leer, sie ist belebt und offen für neue Themen und spannende Auseinandersetzungen – auch zwischen den Generationen.

Die Arbeit für das Forum hat mir die Augen geöffnet für das Wichtigste im Leben:

Das Wichtigste im Leben, hatte Harry zu Lauren gesagt, sei, die Welt, in der man lebte, interessant zu finden. Die Augen offenzuhalten und in jedem, dem man begegnete, alle Möglichkeiten – die ganze Menschheit – zu sehen. Wach zu sein. Wenn es irgendetwas gab, was er ihr beibringen konnte, dann das. Sei wach. (Alice Munro, Tricks)