Zusammenfassung
In diesem klinischen Beitrag geht es um die Darstellung der Behandlung eines Patienten mit einer schweren Neurose. In der Bearbeitung der negativen therapeutischen Reaktion spielte die Erarbeitung der transgenerationellen Weitergabe von unbewusster Scham und Schuld eine entscheidende Rolle. Der Behandlungsprozess zeigte, wie die Psychopathologie des Patienten eingebettet ist in den Kontext unserer spezifisch deutschen Vergangenheit. Eine besondere Rolle, sowohl auf persönlicher als auch kultureller Ebene, spielt dabei die innere Mauer des Schweigens, die durch das Finden und Erzählen der eigenen Geschichte überwunden werden kann. Da sowohl Patient als auch Behandlerin einem ähnlichen kulturellen Hintergrund entspringen, bedeutete dies ein Ringen mit dem Erbe unserer gemeinsamen Nazivergangenheit, und es braucht(e) immer wieder „Botschafter“ von außen. In einem langen psychotherapeutischen Prozess konnten transgenerationell vermittelte, ungelöste Konflikte um Scham und Schuld vor dem Hintergrund der Nazivergangenheit der Eltern- und Großelterngeneration aufgedeckt werden. Das Durcharbeiten dieser Zusammenhänge machte es dem Patienten möglich, Zugang zu seinem ureigenen Erleben und Sein zu finden.
Abstract
This clinical article describes the treatment of a patient with a severe neurosis. The elucidation of the transgenerational transmission of unconscious shame and guilt played a decisive role in the processing of the negative therapeutic reaction. The treatment process showed how the psychopathology of the patient is embedded in the context of the specific German past. The internal wall of silence which can be overcome by finding and narrating one’s personal history plays a special role at the personal as well as the cultural level. Because both patient and treating physician emanated from similar cultural backgrounds, this meant wrestling with the heritage of our common Nazi past which continuously needs (needed) “messengers” from outside. In a long psychotherapeutic process unresolved conflicts on shame and guilt against the background of the Nazi past of the parent and grandparent generations could be transgenerationally uncovered. The detailed processing of these associations allowed the patient to find access to his very own experiences and existence.
Danksagung
Wir, die Redaktion und der Springer-Verlag, danken dem Psychosozial-Verlag herzlich für die Abdruckgenehmigung des vorliegenden Beitrags und der Arbeit von Léon Wurmser in diesem Heft „Innerer Richter“ und „Herzenskündiger im Wandel der Zeit. Metaphern für das archaische Über-Ich im Einzelnen und in der Kultur“, die beide im März 2013 im von Beate Steiner und Ulrich Bahrke herausgegebenen Tagungsband bei Psychosozial, Gießen, erschienen sind.
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Fallvortrag anlässlich des Symposiums „Der innere Richter im Einzelnen und in der Kultur“ am 02. und 03.12.2011 in Koblenz zu Ehren des 80. Geburtstags von Prof. Léon Wurmser. Eine längere Fassung des vorliegenden Beitrags ist unter dem Titel „Das stechende Auge des Gewissens. Eine klinische Falldarstellung mit einem Kommentar von Léon Wurmser“ erschienen in: Steiner B, Bahrke U (Hrsg) (2013) Der „innere Richter“ im Einzelnen und in der Kultur. Klinische, soziokulturelle und literaturwissenschaftliche Perspektiven. Léon Wurmser zum 80. Geburtstag. Psychosozial-Verlag, Gießen, S 101–130.
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Jarass, H. „Alles, was ich liebe, muss ich zerstören“. Forum Psychoanal 30, 325–340 (2014). https://doi.org/10.1007/s00451-013-0166-8
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