Skip to main content
Log in

Minderwertigkeitsgefühl und Machtstreben als Koproduktion?

Praxeologische Aspekte einer interaktionellen Sicht narzisstischer Störungen

Inferiority feelings and ambition of power: a coproduction?

Praxeological aspects of an interactional view on narcissistic disturbances

  • Originalarbeit
  • Published:
Forum der Psychoanalyse Aims and scope

Zusammenfassung

Heute gilt, zumindest unter Analytikern, unser Therapieangebot bei narzisstischen Persönlichkeitsstörungen zwar als Methode der Wahl, aber gleichzeitig als ausgesprochen schwierig. Die Schwierigkeiten werden verständlicher, wenn man sowohl die Genese der Problematik als auch das therapeutische Geschehen unter der Perspektive der Intersubjektivität und Interaktion betrachtet. Therapeuten scheinen sich mit diesen Patienten hinsichtlich eigener Kontaktambivalenzen, Allmachtsphantasien, Unabhängigkeitsillusionen und Anerkennungssehnsüchte leichter interaktiv zu verwickeln als mit anderen. Die an den eigenen Bedürfnissen orientierte Praxisorganisation, die oftmals entwertende Diagnostik, die überlegene Rolle, die durch das Kassensystem verschleierte ökonomische Abhängigkeit des Analytikers sind für narzisstisch gestörte Menschen ebenso eine Provokation wie deren scheinbare Beziehungs- und Motivationslosigkeit, die narzisstischen Selbstheilungsversuche, die Pseudoautonomie, die menschlich schwer erträglichen Abwertungen usw. den Analytiker provozieren, da er in seiner gewohnten Rolle irritiert und frustriert wird. Vom theoretischen Schwerpunkt her wird die narzisstische Symptomatik hier als Koproduktion betrachtet, zu der Therapeuten, über idiosynkratische Eigenanteile hinaus, oftmals aufgrund verleugneter grandioser Dimensionen unserer Profession beitragen. Praxeologisch sind gerade solche narzisstischen „Interaktionsfiguren“ aber unvermeidbar und notwendig. Die in präsymbolischer Zeit gemachten Beziehungserfahrungen der Patienten müssen durch Agieren und Mitagieren zur Sprache gebracht werden können. Die Analyse der Koproduktionen, die Anerkennung der jeweiligen Beteiligungen am Geschehen, die den Patienten ein Erleben von Gleichheit und Unterschiedlichkeit ermöglicht, eröffnet Entwicklungschancen, durch die tragfähigere Kompromisse im narzisstischen Spannungsfeld von Selbstsein und Bezogensein gefunden werden können.

Abstract

At least analysts consider our own therapeutic approach as the preferable method, even if seen as very difficult. These difficulties are easier to understand from the viewpoint of intersubjectivity and interaction when looking at the origins of the problems as well as at the therapeutic process. Therapists seem with such patients to be more quickly tangled up in the field of the own ambivalence in relating, of omnipotence phantasies, illusions of independency and the striving for recognition as it is the case with other patients. Organising the practice along their own needs, the often devaluative diagnostics, the superior role of the therapist and the economic dependence of the analyst, even if covered up by the health care system, all that is a provocation for narcissistic patients, just as their seeming unrelatedness and lack of motivation, their pseudo-autonomy and the hardly bearable devaluations amount also to a provocation for the analyst. He/she is irritated about his/her usual role. From our theoretical point of view, we consider the narcissistic disturbance as a coproduction with the contribution of the therapist beyond his/her own idiosyncratic parts on the basis of the disawoed dimensions of grandiosity in our profession. Such narcissistic “interaction figures” are unavoidable and even necessary in practice. Relational experiences made in a presymbolic phase should become verbalizable through the entangled acting-out (unconscious communication) of both participants. The analysis of coproductions then, the recognition of the respective contributions, the patient‘s experience of equality and difference pave the way for developments in direction of more workable compromises in the narcissistic conflict area between being oneself and relating to others.

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this article

Price excludes VAT (USA)
Tax calculation will be finalised during checkout.

Instant access to the full article PDF.

Literatur

  • Adler A (1930) Psychotherapie und Erziehung. Ausgewählte Aufsätze, Bd. II 1930–1932. Fischer, Frankfurt aM, 1982

  • Altmeyer M (2000) Narzissmus und Objekt. Ein intersubjektives Verständnis der Selbstbezogenheit. Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen

  • Ansbacher HL (1992) Alfred Adler und die drei Perioden von Freuds Entwicklung. In: Lehmkuhl U (Hrsg) Methoden und Prozess individualpsychologischer Therapie und Beratung. Beitr Individualpsychol 15:121–137

    Google Scholar 

  • Antoch RF (1989) Von der Kommunikation zur Kooperation. Studien zur individualpsychologischen Theorie und Praxis. Fischer, Frankfurt aM

  • Battegay R (1977) Narzissmus und Objektbeziehungen. Über das Selbst zum Objekt. 3. Aufl. Huber, Bern, 1991

  • Bauriedl T (1994) Auch ohne Couch. Psychoanalyse als Beziehungstheorie und ihre Anwendungen. Internationale Psychoanalyse, Stuttgart

  • Benjamin J (1993) Die Fesseln der Liebe. Psychoanalyse, Feminismus und das Problem der Macht. Fischer, Frankfurt aM

  • Bohleber W (1999) Therapeutischer Prozess als schöpferische Beziehung. Psyche—Z Psychoanal 53:815–1114

  • Bollas C (1997) Der Schatten des Objekts. Das ungedachte Bekannte. Zur Psychoanalyse der frühen Entwicklung. Klett-Cotta, Stuttgart

  • Britton R, Feldman M, Steiner J (2001) Narzissmus, Allmacht und psychische Realität. In: Frank C, Weiß H (Hrsg) Beiträge zur Westlodge-Konferenz III. edition diskord, Tübingen

  • Datler W (1998) Über den Wunsch nach Veränderung und die Angst vor dem Neuen. Z Individualpsychol 23:128–141

    Google Scholar 

  • Dornes M (1993) Der kompetente Säugling. Die präverbale Entwicklung des Menschen. Fischer, Frankfurt aM

  • Guntrip H (1997) Meine Analysen bei Fairbairn und Winnicott. Psyche—Z Psychoanal 51:676–699

  • Heisterkamp G (2002) Basales Verstehen. Handlungsdialoge in Psychotherapie und Psychoanalyse. Pfeiffer bei Klett-Cotta, Stuttgart

  • Jacobs TJ (1986) On countertransference enactments. J Am Psychoanal Assoc 34:289–307

    Article  PubMed  Google Scholar 

  • Jaspers K (1953) Einführung in die Philosophie. Pieper, München

  • Jendritza E, Woltmann R (1997) Ent-Wicklungen. Die Dialektik der Lebensbewegung. Profil, München

  • Kernberg OF (1996) (Hrsg) Narzisstische Persönlichkeitsstörungen. Schattauer, Stuttgart

  • Klüver R (1995) Agieren und Mitagieren—zehn Jahre später. Z Psychoanal Theorie Prax 10:45–70

    Google Scholar 

  • Lichtenberg JD, Lachmann FM, Fosshage JL (2000) Zehn Prinzipien psychoanalytischer Behandlungstechnik. Konzepte der Selbst- und Entwicklungspsychologie in der Praxis. Pfeiffer bei Klett-Cotta, Stuttgart

  • Luhmann N, Fuchs P (1989) Reden und Schweigen. Suhrkamp, Frankfurt aM

  • Moeller ML (2003) Wie die Liebe anfängt. Die ersten drei Minuten, 2. Aufl. Rowohlt, Reinbek

  • Nietzsche F (1879) Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister, 8. Aufl. Kröner, Stuttgart, 1978

  • Nietzsche F (1881) Morgenröte. Gedanken über die moralischen Vorurteile; 6. Aufl. Kröner, Stuttgart, 1976

  • Ogden TH (2000) Frühe Formen des Erlebens, 2. Aufl. Springer Berlin Heidelberg New York

  • Orange DM, Atwood GE, Stolorow RD (2001) Intersubjektivität in der Psychoanalyse. Kontextualismus in der psychoanalytischen Praxis. Brandes & Apsel, Frankfurt aM

  • Pulver SE (1972) Narzissmus, Begriff und metapsychologische Konzeption. Psyche—Z Psychoanal 26:34–57

  • Schmidt R (1996) Das Konzept von Heilen und Bilden—Individualpsychologie im Kanon der heutigen Tiefenpsychologie. In: Lehmkuhl U (Hrsg) Heilen und Bilden—Behandeln und Beraten. Beitr Individualpsychol 22:9–22

    Google Scholar 

  • Sperber M (1989) Die zwischenmenschliche Beziehung im therapeutischen Prozess. In: Schmidt R (1989) (Hrsg) Die Individualpsychologie Alfred Adlers. Ein Lehrbuch. Fischer, Frankfurt aM

  • Stern DN et al. (2002) Nicht deutende Mechanismen in der analytischen Therapie. Das „Etwas-Mehr“ als Deutung. Psyche—Z Psychoanal 56:974–1006

    Google Scholar 

  • Streeck U (2002) Handeln im Angesicht des Anderen. Über nicht-sprachliche Kommunikation in therapeutischen Dialogen. Psyche—Z Psychoanal 56:247–274

    Google Scholar 

  • Tenbrink D (1992) Merkmale analytischer Kompetenz aus interaktionaler Sicht. In: Lehmkuhl U (Hrsg) Methoden und Prozess individualpsychologischer Therapie und Beratung. Beitr Individualpsychol 15:40–53

    Google Scholar 

  • Thomä H (1999) Zur Theorie und Praxis von Übertragung und Gegenübertragung im psychoanalytischen Pluralismus. Psyche—Z Psychoanal 9/10:820–872

  • Volkan VD, Ast G (2002) Spektrum des Narzissmus, 2. Aufl. Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen

  • Watzlawick P, Beavin JH, Jackson DD (1969) Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien, 10. Aufl. Huber, Bern, 2003

  • Willi J (1975) Die Zweierbeziehung. Spannungsursachen, Störungsmuster, Klärungsprozesse, Lösungsmodelle. Rowohlt, Reinbek

  • Winnicott DW (1974) Vom Spiel zur Kreativität, 10. Aufl. Klett-Cotta, Stuttgart, 2002

  • Wortmann K-H (1983) Alltagspsychologie der sozialen Durchsetzung. Eine Studie zur Handlungsrelevanz alltagspsychologischen Wissens. Lit, Münster

Download references

Interessenkonflikt:

Der korrespondierende Autor versichert, dass keine Verbindungen mit einer Firma, deren Produkt in dem Artikel genannt ist, oder einer Firma, die ein Konkurrenzprodukt vertreibt, bestehen.

Author information

Authors and Affiliations

Authors

Corresponding author

Correspondence to Karl-H. Wortmann.

Rights and permissions

Reprints and permissions

About this article

Cite this article

Wortmann, KH. Minderwertigkeitsgefühl und Machtstreben als Koproduktion?. Forum Psychoanal 20, 266–283 (2004). https://doi.org/10.1007/s00451-004-0206-5

Download citation

  • Published:

  • Issue Date:

  • DOI: https://doi.org/10.1007/s00451-004-0206-5

Navigation