„Man sieht nur, was man weiß“. Dieser Satz von Goethe ist wie für das EKG geschrieben und trifft perfekt auf Dinge zu, die eigentlich unsichtbar sind, z. B. Mechanismen ventrikulärer Tachyarrhythmien. Hier hat unser Wissen in den letzten Jahren stark zugenommen und somit sehen wir mehr und anderes als früher.

Zunächst einmal erweckt die gute alte monomorphe ventrikuläre Tachykardie bei Vorderwandaneurysma geradezu nostalgische Erinnerungen an früher, denn sie ist 2017 fast eine Rarität. Wenn heute ventrikuläre Tachyarrhythmien bei Patienten ohne ICD dokumentiert werden, sind dies oft seltsame schnelle, polymorphe Arrhythmien im Kontext mit Ischämie und Revaskularisation oder Kanalerkrankungen. Dies ist zum einen durch eine bessere Upstream-Therapie der koronaren Herzerkrankung und die Akut-Revaskularisation begründet, die die Ausbildung großer Myokardnarben verhindern und damit die Konditionen für einen Makro-Reentry erschweren. Zum anderen können wir heute viele idiopathische ventrikuläre Tachyarrhythmien einer Ursache zuordnen und verfügen über bessere EKG-Monitoring-Möglichkeiten, durch die bereits im Stadium der gehäuften ventrikulären Extrasystolie oder nichtanhaltenden Arrhythmie eine Diagnose gestellt und eine Therapie eingeleitet wird.

Die in den letzten Jahren veränderte Epidemiologie ventrikulärer Tachyarrhythmien stellen uns die Kollegen des Ottawa Heart Institute um Martin Green vor. Unser Verständnis der Mechanismen ventrikulärer Tachyarrhythmien bringen die Kollegen aus Philadelphia in Zusammenarbeit mit Adrian Baranchuk vom Aktionspotenzial bis zu Reentry und Rotoren auf den neuesten Stand. Die Erkenntnisse der Tachykardiemechanismen verbessern unser Verständnis des EKGs sowie der Terminierbarkeit und des Mappings in der elektrophysiologischen Untersuchung ventrikulärer Tachyarrhythmien.

Von besonderer klinischer Bedeutung ist die Frage, ob eine ventrikuläre Tachyarrhythmie ischämisch verursacht ist oder nicht, da im ersten Fall eine Revaskularisation in der Regel eine ausreichende Therapie der Arrhythmie darstellt, im anderen Fall nicht. Einen Fallstrick kann hierbei das Troponin darstellen, das auch ohne akutes Koronarereignis bei ventrikulärer Tachykardie erhöht ist. Ebenso hohe klinische Bedeutung kommt der ventrikulären Tachyarrhythmie im Kontext mit Medikamentennebenwirkungen zu. Nach einer Studie der Universität Köln erhalten 78 % der Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen im Alter von 58 bis 87 Jahren eine Polypharmazie mit mehr als 4 Wirkstoffen täglich. Die Kieler Arbeitsgruppe um Hendrik Bonnemeier beleuchtet die proarrhythmischen Nebenwirkungen verschiedener, auch antimikrobieller und psychiatrischer Pharmaka und Wege zur Vermeidung insbesondere von QT-Zeit-Verlängerung und Torsades-de-pointes-Tachykardien.

Das bunte Bild der ventrikulären Extrasystolie und Tachyarrhythmie bei Kanalerkrankungen bringen Christain Wolpert und Mitarbeiter aus Ludwigsburg auf neuesten Kenntnisstand, nicht zuletzt anhand einer Sammlung eindrucksvoller EKGs. Die Lokalisation ventrikulärer Ausflusstrakttachykardien stellt die Arbeitsgruppe der Mayo-Klinik um Samuel Asirvatham dar, didaktisch exzellent aufgearbeitet anhand von EKG-Kriterien, anatomisch-topographischer Rekonstruktion im intrakardialen Ultraschall, Röntgen und Kardio-CT (mit Online-Video).

Das konventionelle Mapping ventrikulärer Tachyarrhythmien beim gesunden Herzen, insbesondere annulärer Reentry-, fokaler faszikulärer und Papillarmuskel-assoziierter Tachykardien erläutern Sonia Busch und die Arbeitsgruppe um Johannes Brachmann aus Coburg. Tipps zum Erkennen und Mappen von Bundle-Branch-Reentry-Tachykardien gibt Christopher Reithmeier aus München, hervorragend illustriert anhand zahlreicher Patientenbeispiele.

Gerade im Bereich des dreidimensionalen Mappings ventrikulärer Tachyarrhythmien haben sich die Methoden, Erkenntnisse und Erfahrungen in den letzten Jahren enorm verbessert. Den aktuellen Stand des Substrat- und Aktivierungsmappings ventrikulärer Tachyarrhythmien bei ischämischer Kardiomyopathie stellen Kristina Wasmer und Lars Eckardt aus der Münsteraner Arbeitsgruppe vor, Lokalisation und Struktur arrhythmogener Areale im dreidimensionalen Mapping bei nichtischämischer Kardiomyopathie werden von Daniel Steven und der Kölner Arbeitsgruppe erläutert. Aus der Bad Neustadter Arbeitsgruppe um Thomas Deneke werden die eigenen Erfahrungen aus 114 epikardialen Ablationsprozeduren von der Indikationsstellung über die Methodik bis zu den Ergebnissen zusammengefasst. Schließlich legen Andreas Müssigbrodt und seine Kollegen die Ergebnisse des kombinierten endo- und epikardialen dreidimensionalen Mappings des Leipziger Registers arrhythmogener rechtsventrikulärer Kardiomyopathie dar, das die Verteilung der Narbenareale besser charakterisiert und den Ablationserfolg optimieren könnte.

Allen Autoren gelten besonderer Dank und hohe Anerkennung für die didaktisch hervorragenden Beiträge, die die Lektüre dieser Ausgabe von Herzschrittmachertherapie und Elektrophysiologie zu einer Hilfe im elektrophysiologischen Klinikalltag, aber auch zu einem intellektuellen Genuss machen.

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Carsten W. Israel