Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kollegen und Kolleginnen,

ich freue mich sehr, Sie heute zum ersten westfälischen Symposium für Psychologie und Herzchirurgie begrüßen zu können.

Zunehmend wird die psychische Situation unserer kardiochirurgischen Patienten bedeutsam für den Operations- und Genesungsverlauf. Nicht nur in der klinischen Versorgung, sondern auch in der wissenschaftlichen Reflexion wird dies in unserem Hause durch eine eigene psychologische Abteilung repräsentiert.

Zusammen mit Prof. Scheld als Direktor der Klinik und Poliklinik für Thorax-, Herz-, und Gefäßchirurgie des Universitätsklinikums Münster möchte ich Sie herzlich zum ersten westfälischen Symposium für Psychologie und Herzchirurgie begrüßen. Wir wollen uns zum einen mit dem psychischen Befinden der HTX-Patienten im Langzeitverlauf und der akuten psychischen Belastung und deren Bewältigung im normalen herzchirurgischen Alltag beschäftigen. Dazu haben wir interessante Referenten gewonnen, die aus ihrer langjährigen klinischen und Forschungspraxis berichten werden. Ich freue mich über die Gelegenheit, Ihnen von den ganz persönlichen Erfahrungen, die ich in der Zusammenarbeit mit der Psychologie in Jena und hier in Bad Oeynhausen sammeln durfte, zu berichten.

Natürlich steht auch der Patient im Mittelpunkt meines Bemühens. Leider musste ich in meiner klinischen Karriere akzeptieren lernen, dass sich im Spannungsfeld von Gesundheitspolitik, Ökonomie, Forschung, Lehre, Arbeitszeitgesetz und Nachwuchsmangel die zur Verfügung stehende Zeit für den einzelnen Patienten drastisch reduziert hat. Als ich in Jena meine Arbeit aufnahm, war ich daher froh, schon eine etablierte Psychologenstelle vorzufinden, die mein Vorgänger Prof. Wahlers zur psychischen Betreuung herzchirurgischer Patienten und deren Angehörigen eingerichtet hat. Was diese Arbeit im Einzelnen bedeutet und was sie für Auswirkungen auf die Patienten hat, wusste ich damals noch nicht. Ich muss aber sagen, dass ich sie sehr schnell zu schätzen begann.

Ich habe gelernt, dass psychologische Diagnostik und psychotherapeutische Behandlung auf wissenschaftlichen Theorien basieren, die in ihrer Komplexität und Effektivität überprüfbar sein müssen. Und ich habe gelernt, dass psychologische Interventionen eine große Bandbreite von Behandlungsmöglichkeiten offenbaren und weitaus mehr als das Tränen trocknen beinhalten, was ich ehrlicherweise bis dato vage vermutete. Beeindruckend erlebe ich immer wieder, wie psychologisch mitbehandelte Patienten angesichts ihrer Herzoperation Stärken in sich wahrnehmen, von ihren Zielen berichten oder ihre Genesungsmotivation deutlicher benennen können. Mit meinem Wechsel von Jena nach Bad Oeynhausen war ich von daher sehr froh, diesen bewährten psychologischen Dienst mitnehmen und um eine weitere Stelle erweitern zu können.

In einem leistungsstarken Zentrum wie dem unseren mit annähernd 4000 herzchirurgischen Operationen, rund 70 Herztransplantationen und über 100 Implantationen von mechanischen Kreislaufunterstützungssystemen pro Jahr darf die psychische Situation des Patienten nicht außer Acht gelassen werden. Natürlich kümmern sich alle Mitarbeiter des Hauses um die menschlichen Nöte und Sorgen unserer Patienten mit hohem Engagement. Daneben existieren aber auch psychische Störungen des Einzelnen, die er entweder neben der Herzerkrankung schon mitgebracht hat oder die durch die Herzoperation erst entstanden sind. Die Prävalenz einer Depression bei herzinsuffizienten Patienten beträgt z. B. bis zu 25%, die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung nach einer Herztransplantation oder Herzunterstützungsimplantation liegt bei 20%. Hier können wir Chirurgen mit dem normalen menschlichen/ärztlichen Gespräch nur scheitern, selbst wenn uns dafür mehr Zeit zur Verfügung stünde. Hier bedarf es dringend einer fachgerechten Behandlung im Sinne einer ganzheitlichen Patientenversorgung.

Über die besondere psychische Belastung von Herztransplantationspatienten ist vielerorts geschrieben und berichtet worden. Erschreckend erscheint mir die psychologische Versorgung dieser Patienten. Es fehlen qualitative Mindeststandards für die psychische Betreuung, zu der jedes Transplantationszentrum nach § 10 Abs. 2 Transplantationsgesetz (TPG) verpflichtet ist. Darin heißt es: „Die Transplantationszentren sind verpflichtet, (…) 5. vor und nach einer Organübertragung Maßnahmen für eine erforderliche psychische Betreuung der Patienten im Krankenhaus sicherzustellen (…)“.

Diese psychische Betreuung der Patienten ist nicht einheitlich geregelt und wird nur selten von psychologischen Psychotherapeuten durchgeführt. Was gehört eigentlich alles genau zu den Aufgaben unseres psychologischen Dienstes? Ich habe das ähnlich wie in unseren Stellenbeschreibungen nach den verschiedenen Aufgabenbereichen sortiert. Zu den patientenbezogenen Aufgaben gehört:

  • präoperative Diagnostik und psychologische Evaluation bei Herztransplantationspatienten und Kunstherzpatienten,

  • psychologische Versorgung auf der Warteliste zur HTX,

  • psychologische perioperative Behandlung und psychosoziale Nachsorge der Herztransplantierten und Kunstherzpatienten,

  • psychologische Interventionen vor und nach herzchirurgischen operativen Eingriffen,

  • Krisenintervention, Kurzzeitpsychotherapieverfahren,

  • Anwendung von Entspannungsverfahren,

  • Gesundheitsförderung und Prävention,

  • Beratung und Begleitung von Angehörigen.

Zu den mitarbeiterbezogenen Aufgaben gehört:

  • Fallbesprechungen in interdisziplinären Teams,

  • bei Bedarf Supervision und Coaching,

  • Organisation und Durchführung von Fortbildungen mit psychologischen Schwerpunkten.

Weiterhin gehören zu einer universitären Einrichtung wie der unseren auch übergreifende Aufgaben mit zum Arbeitsfeld:

  • Mitarbeit in Expertennetzen,

  • Forschung und Lehre,

  • Leitung von wissenschaftlichen Forschungsprojekten, insbesondere zum Bereich der Entwicklung und Evaluation psychologischer Interventionen in der Herzchirurgie.

Sie können hier wirklich erkennen, mit welch leistungsbereitem Team Sie zusammenarbeiten müssen, um all diesen Aufgaben gerecht werden zu können.

Welche Bedingungen müssen erfüllt werden, damit eine psychologische Mitbehandlung herzchirurgischer Patienten erfolgreich durchgeführt werden kann?

  1. 1.

    Der psychologische Dienst muss von der Klinikleitung unbedingt gewollt sein. Eine Alibifunktion im Sinne einer ausschließlichen Serviceleistung wird den Psychologen und Patienten nicht gerecht. Auch gegen echte oder phantasierte Widerstände von Verwaltung oder Kollegen muss man sich als Klinikchef durchsetzen. Die ärztlichen Mitarbeiter müssen eingeladen werden, sich für eine Zusammenarbeit offenzuhalten.

  2. 2.

    Die Psychologen müssen bereit sein, sich auch auf eine somatische Sicht des Menschen einzulassen. Sie müssen sich auf Arbeitssettings einstimmen, die wenig mit ihrer ursprünglichen Ausbildung zu tun haben. Viele Patienten sind bettlägerig, einige nur bedingt in der Lage zu sprechen. Ich stelle es mir schwierig vor, Elemente der ambulanten Psychotherapie auf diese Bedingungen zu übertragen. Aber die Akzeptanz ihrer Arbeit im Ärzte- und Pflegeteam setzt sich auch mit der Qualität der geleisteten Arbeit durch.

  3. 3.

    Der Aufbau des psychologischen Dienstes muss ähnlich der ärztlichen Struktur gestaltet sein. In unserem Hause gibt es dementsprechend die von mir eingerichtete Funktion einer leitenden OÄ Psychologie, die in allen Oberarztbesprechungen anwesend ist. Nur so kann eine hierarchisch bedingte Akzeptanz gewährleistet sein.

Welche Effizienz der psychologischen Arbeit kann ich als Herzchirurg im täglichen Alltag wahrnehmen?

Eine deutliche Zunahme der Patientenzufriedenheit ist zu spüren. Die Patienten, die mitbehandelt werden, zeigen eine bessere Stimmung, sind weniger belastet, sagen auch offen, wie froh sie über die Möglichkeit eines psychotherapeutischen Gesprächs sind. Für mich immer wieder überraschend ist, dass Patienten, die in ihrem ganzen Leben nie mit Psychologen in Kontakt waren, angesichts der Herzoperation die Mitbehandlung wünschen und dann sehr zufrieden und offen über die Inhalte berichten. Wenn es ans Herz geht, scheinen wirklich Lebensthemen berührt zu werden. Ähnliches gilt für Angehörige. Die Angst, Sorgen und Nöte unsere Angehörigen werden besser aufgefangen mit der Möglichkeit und dem offenen Angebot einer psychologischen Mitversorgung.

Die ärztlichen Kollegen und das Pflegepersonal zeigen sich entlastet. Schwierig erlebte Patienten können besser verstanden und versorgt werden. Psychische Störungen von Patienten werden fachgerecht behandelt. Durch interne Fortbildungen oder Intervisionen können eigene Belastungen benannt, besser erkannt und es kann ihnen entgegengewirkt werden.

Als Randnotiz sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die Anzahl späterer juristischer Auseinandersetzungen deutlich abgenommen hat, seit ich mit Psychologen zusammenarbeite. Gerichtliche Auseinandersetzungen scheinen neben den Fakten der möglichen ärztlichen Fehler auch einen großen, impliziten Teil von emotionalen Kränkungen und Missverständnissen zu haben, die durch die psychologische Mitbehandlung offensichtlich mit aufgefangen werden. Dies ist natürlich nicht das Hauptargument für die starke Psychologie hier im Hause, aber ein bedeutsamer Nebeneffekt.

Meine Damen und Herren, Psychologie und Herzchirurgie – Luxus oder Notwendigkeit – diese Frage stellt sich für mich schon lange nicht mehr. Für mich ist die psychologische Versorgung unserer Patienten längst zu einem festen Bestandteil der Arbeit im Hause geworden, die ich auf keinen Fall missen möchte. Natürlich muss sich diese Arbeit in Zukunft auch finanziell abbilden lassen. Tatsächlich fehlt bis heute eine routinemäßige Abbildung der psychotherapeutischen Versorgungsleistungen im Behandlungsablauf auf Basis des Operationen- und Prozedurenschlüssels (OPS) nach § 301 SGB V und im Abrechnungssystem der Krankenhäuser im Rahmen des einheitlichen, an Diagnosen geknüpften Fallpauschalensystems im deutschen Gesundheitswesen (G-DRG).

Damit die Notwendigkeit und Effizienz der psychologischen Mitbehandlung aber erst einmal erkannt wird, braucht es meines Erachtens die Bereitschaft, als Herzchirurgen in Vorleistung zu gehen und eine solche Mitbehandlungsmöglichkeit aufzubauen.

Ich bin froh darüber, dass wir beides hier so gut vertreten vorfinden.

Ihr

Jan Gummert