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Stellenwert ärztlicher Leitlinien in der Arzthaftungsbegutachtung

The role of clinical guidelines in medical malpractice litigation

  • Evidenzbasierte Medizin
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Zeitschrift für Herz-,Thorax- und Gefäßchirurgie Aims and scope

Zusammenfassung

Da medizinische Leitlinien von ärztlichen Fachgesellschaften und nicht von Gesetzgebungskörperschaften erlassen werden, stellen sie also auch keine gesetzlichen Regelungen dar. Sie können jedoch rechtliche Bedeutung haben oder erlangen, wenn sie z. B. in rechtsverbindliche Vorschriften eingebunden oder vor Gericht als Hilfsnormen angewendet werden, um im Fall eines ärztlichen Fehlverhaltens oder einer ärztlichen Fehlbehandlung zu einem Urteil zu gelangen. Unwahrscheinlich ist es allerdings eher, dass Leitlinien die einzige Grundlage für die Beurteilung von Fahrlässigkeit bilden; in vielen Gerichtsbarkeiten wird ihnen vor dem Gesetz nicht einmal ein besonderer Status zuerkannt. Für gewöhnlich hängt deren Stellenwert vor Gericht von mehreren Faktoren ab, insbesondere davon, inwieweit sie wissenschaftlich fundiert sind, einen Expertenkonsens darstellen und von einer autorisierten Gruppe oder Institution herausgegeben wurden.

Grundsätzlich werden Leitlinien keine allgemeingültigen Antworten geben, auch wenn sie im Hinblick auf ihre Anwendung nur wenig Flexibilität gestatten. Jede einzelne Handlungsweise muss im Lichte des speziellen Gesundheitsproblems sowie der besonderen Umstände des jeweiligen Patienten beurteilt werden. Manchmal existieren konkurrierende, z. B. in unterschiedlichen Krankenhäusern oder Regionen erstellte Leit gewöhnlich hängt deren Stellenwert vor Gericht von mehreren Faktoren ab, insbesondere davon, inwieweit sie wissenschaftlich fundiert sind, einen Expertenkonsens darstellen und von einer autorisierten Gruppe oder Institution herausgegeben wurden. Grundsätzlich werden Leitlinien keine allgemeingültigen Antworten geben, auch wenn sie im Hinblick auf ihre Anwendung nur wenig Flexibilität gestatten. Jede einzelne Handlungsweise muss im Lichte des speziellen Gesundheitsproblems sowie der besonderen Umstände des jeweiligen Patienten beurteilt werden. Manchmal existieren konkurrierende, z. B. in unterschiedlichen Krankenhäusern oder Regionen erstellte Leitlinien; in anderen Fällen können gutachterliche Aussagen vor Gericht dazu benutzt werden, die Autorität einer Leitlinie in Frage zu stellen. Aus all diesen Gründen werden die Gerichte die Befolgung von Leitlinien nicht automatisch mit guter medizinischer Praxis gleichsetzen.

Ein bloßes Abweichen von einer Leitlinie wird entsprechend kaum als fahrlässiges Verhalten ausgelegt werden, es sei denn, die darin empfohlene Vorgehensweise ist so gut etabliert, dass kein verantwortlicher Arzt sie außer Acht ließe.

Abstract

The medico-legal status of clinical practice guidelines is a frequently raised question. Since guidelines are not issued by legislative bodies, they are not legal rules. However, they may have or acquire legal significance, for instance when they are applied by a court as auxiliary standards to decide a case of professional misconduct or malpractice. However guidelines are not likely to be used as the sole basis for evaluating negligence, and in many jurisdictions, they may not even be seen as having a special status in law. Usually the perceived value of guidelines in a court will be conditional on several factors, in particular the extent to which they are based on scientific evidence, reflect a consensus among peers, and are issued by a group or institution with authority.

Basically, guidelines will not provide definite answers even when they do not allow for much flexibility in application. A particular course of action must be judged in the light of the specific health problem and the specific circumstances of a given patient. Sometimes, there can be competing guidelines, for instance developed in different hospitals or regions in other cases, expert testimony may be used in a court to challenge the authority of a guideline. For all these reasons, the courts will not automatically equate compliance with guidelines with good medical practice.

Mere deviation from a guideline is unlikely to be considered as negligent, unless the practice concerned is so well established that no responsible doctor would fail to adhere to it.

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Correspondence to Günter Ollenschläger FRCP Edin.

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Modifiziert nach: Ollenschläger G (2008) Stellenwert ärztlicher Leitlinien in der Arzthaftungsbegutachtung. In: Forum Medizinische Begutachtung, S 17–22. Mit freundlicher Genehmigung der GenRe Business School

Prof. Dr. Dr. med. Günter Ollenschläger, Jahrgang 1951, ist Leiter des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin – einer gemeinsamen Einrichtung von BÄK und KBV – Schriftleiter der Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen (ZEFQ) sowie Vorstandsmitglied des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin und des Guidelines International Network.

Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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Ollenschläger, G. Stellenwert ärztlicher Leitlinien in der Arzthaftungsbegutachtung. Z Herz- Thorax- Gefäßchir 22, 287–295 (2008). https://doi.org/10.1007/s00398-008-0659-8

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