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Die deutsche Rheumatologie trauert um einen ihrer Größten. Joachim Robert Kalden, ehemaliger Präsident und Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie, Direktor emeritus der Medizinischen Klinik 3 der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen, ist am 06.02.2021 in Erlangen verstorben. Unser tiefstes Mitgefühl gilt seiner Familie.

Beruflicher Werdegang

Im Jahr 1937 in Marburg geboren, studierte Joachim R. Kalden in Freiburg, Marburg und Tübingen Medizin. Früh entwickelte er seine Passion: „Die immunologische Histaminfreisetzung in der Diagnostik arzneimittelallergischer Zustandsbilder“ lautete der Titel seiner 1966 verfassten Doktorarbeit, dem ersten Zeugnis seiner Beschäftigung mit der Immunologie, seiner späteren großen beruflichen Liebe. Diese hat er konsequent, immer an der Spitze der Forschung stehend, mit seiner ihm eigenen großen Neugier und visionären Kraft über viele Jahrzehnte entwickelt. Als Postdoktorand am Department of Therapeutics der Universität Edinburgh hat er sich die wissenschaftliche Grundlage der Immunpathogenese von Autoimmunerkrankungen anhand einer völlig neuen Idee erarbeitet: Antikörper waren für eine Erkrankung, die Myasthenie, verantwortlich und sie ließen sich mit neuen Methoden nachweisen, sodass sich daraus diagnostische und v. a. therapeutische Herausforderungen und Möglichkeiten ergaben. Dies war eine Verlockung, die ihn zeitlebens antrieb: auf dem Boden des Verständnisses der Pathophysiologie von immunologischen Erkrankungen Verfahren zu entwickeln, mit denen genau diese pathophysiologischen Mechanismen gestoppt werden können. Das ist die Grundlage der modernen Therapie entzündlich rheumatischer Erkrankungen, und diese Entwicklung, aus der die heutige Rheumatologie ihr Selbstverständnis der „Remission“ ableitet, ist ganz intensiv mit Joachim R. Kalden als weltweit geschätztem, überaus aktivem Protagonisten verbunden.

Seine klinische Weiterbildung erfuhr Joachim R. Kalden in Hannover als Assistent im Department für Innere Medizin an der Medizinischen Hochschule Hannover, die gerade gegründet war und sich mit einem frischen Geist innovative Ansätze in Lehre und Forschung zum Ziel gesetzt hatte. Hier konnte er dann seine Habilitation zur Immunpathogenese der Myasthenie abschließen. Nach einer kurzen Zeit als Oberarzt der Abteilung für Klinische Immunologie und Transfusionsmedizin folgte er bereits mit 39 Jahren dem Ruf auf den Lehrstuhl für Klinische Immunologie (später auch „und Rheumatologie“) an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen. Nach einer Umstrukturierung der Inneren Medizin an der Medizinischen Fakultät wurde er schließlich Direktor der Medizinischen Klinik III mit den Schwerpunkten Klinische Immunologie, Rheumatologie, Onkologie/Hämatologie und Allergologie.

Joachim R. Kalden und die Rheumatologie

Joachim R. Kalden hat früh erkannt, welche Entwicklungsmöglichkeiten die vermeintlich „langweilige“ Rheumatologie bot, die damals noch häufig aus der reinen Deskription der Gelenkveränderungen bestand, wenn sie nur wissenschaftlich und immunologisch verstanden würde. Und er hat es verstanden, seine Visionen umzusetzen – zum Wohle des Faches, aber v. a. zum Wohle der Versorgung an entzündlich rheumatischen Erkrankungen leidender Patienten. Als er 1976 in Erlangen begann, waren die Rheumatologie und insbesondere die deutsche Rheumatologie in vielen Bereichen rückständig, sie war weder wissenschaftlich geprägt noch war sie in der Medizin als eigenständiges Fach verankert. Tatsächlich gab es kaum eine universitäre rheumatologische Abteilung, und man stritt sogar um die Einführung der Teilgebietsbezeichnung „Rheumatologie“. In Erlangen schuf Joachim R. Kalden die Grundlage für die Entwicklung des Faches – klinisch, wissenschaftlich, personell, mit nationalem und internationalem Renommee. Mit seinem Charisma begeisterte er junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sich mit verschiedenen Aspekten der Rheumatologie und klinischen Immunologie zu beschäftigen. Er schuf eine Atmosphäre des gemeinschaftlichen wissenschaftlichen Diskurses, erkannte früh den Wert der internationalen Vernetzung und ließ seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Erfahrungen in wissenschaftlich hervorragend ausgewiesenen Laboren und Kliniken der ganzen Welt sammeln. Neuen Ideen stand er immer aufgeschlossen und unterstützend gegenüber. So wuchs in Erlangen die Medizinische Klinik III zu einer national wie international führenden Forschungseinrichtung der Klinischen Immunologie und Rheumatologie. Internationale Gutachter bestätigten rasch die Qualität der Klinik unter Leitung von Joachim R. Kalden. Mit der Vergabe von 2 klinischen Forschungsgruppen für Rheumatologie durch die Max-Planck-Gesellschaft an die Medizinische Klinik III wurden das wissenschaftliche Wirken von Joachim R. Kalden, das von ihm geschaffene Umfeld und seine Visionen für die zukünftige Entwicklung des Faches geadelt. Aus einer gemeinschaftlichen Arbeit seiner Klinik mit Wissenschaftlern einer der Max-Planck-Gruppen entsprangen dann die allerersten therapeutischen Einsätze von monoklonalen Antikörpern bei der rheumatoiden Arthritis. Diese wissenschaftliche Exzellenz, die auch das tiefe Verständnis von Autoantikörpern v. a. beim systemischen Lupus erythematodes einschloss, war später die Grundlage für bedeutende Sonderforschungsbereiche, die Auswahl des Standortes für ein interdisziplinäres Zentrum für klinische Forschung und die Finanzierung eines Verfügungsgebäudes, in dem an der Medizinischen Fakultät von der Klinik unabhängige Grundlagenwissenschaft betrieben werden kann. So entstand durch Joachim R. Kalden aus einem kleinen Labor mit sehr begrenztem Personal ein international hoch angesehener Forschungsschwerpunkt der medizinischen Fakultät in Erlangen. Dieser fränkische Standort bot mit seinen Biergärten, Kellern und Restaurants exzellente Möglichkeiten, sich außerhalb des klinischen Alltags mit neuen Ideen auszutauschen und wissenschaftlich innovative Pläne zu schmieden. Lebenslust verbunden mit Wissenschaft, das war ein, vielleicht das Lebensmotto von Joachim R. Kalden.

Deutschlandweit hat sich Joachim R. Kalden unermüdlich dafür eingesetzt, die rheumatologische Forschung zu stärken. Er war hier ganz maßgeblich an der Idee beteiligt, ein Deutsches Rheumaforschungszentrum zu etablieren, und er hat über viele Jahre als Mitglied und Präsident des Stiftungsrates dessen Aufbau entscheidend mitgestaltet und es zu einer deutschen Modelleinrichtung für die Zusammenarbeit von Klinik und außeruniversitärer Forschungseinrichtung gemacht.

In der klinischen Versorgung hat Joachim R. Kalden die Entwicklung der modernen Therapien wesentlich mitgeprägt. Er war von Anfang an an den klinischen Studien mit den innovativen Biologika beteiligt und hat dazu beigetragen, diese Entwicklung auch in Deutschland zu starten und voranzubringen. Dieses Umfeld der wissenschaftlichen Exzellenz, der translationalen Kompetenz und der rasanten klinischen Entwicklung ist die Basis der modernen Rheumatologie. Joachim R. Kalden hat es verstanden, alle Aspekte unseres Faches zu entwickeln, und er hat damit die Grundlagen für die moderne Rheumatologie gelegt. Konsequenterweise war er Präsident unserer Fachgesellschaft und der European League Against Rheumatism (EULAR), jetzt umbenannt in European Alliance of Associations for Rheumatology, aber auch langjähriger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. Er hat die Klinik mit der Wissenschaft verbunden und hat früh verstanden, dass beide zusammen so viel Potenzial besitzen, dass es sich lohnt, sein Leben daran auszurichten. In seinem Umfeld hat er als Mentor und Lehrer viele heute an verschiedenen Stellen aktive Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Rheumatologinnen und Rheumatologen begeistert, ausgebildet, gefördert und geprägt. Maßgeblich war er an internationalen Austauschprogrammen beteiligt, über die junge Kolleginnen und Kollegen die Möglichkeit erhalten haben, als Gast in anderen Ländern experimentelle und klinische rheumatologische Arbeiten und Versorgungen kennen zu lernen.

Würdigung

So war „Jochen“ Kalden nicht nur ein herausragender Wissenschaftler, Lehrer und Visionär, ein Nestor der deutschen Rheumatologie und ein großartiger Gestalter der internationalen Immunologie und Rheumatologie, sondern er war uns v. a. ein großer, ein liebender, ein wunderbarer Freund, den man stets um Rat fragen konnte und der buchstäblich zu Tag- und Nachtzeiten bei klinischen, wissenschaftlichen, aber auch privaten Problemen zur Stelle war. Diese einzigartige Persönlichkeit wird uns allen sehr fehlen.