Zusammenfassung
Hintergrund
Der Anstieg altersassoziierter Erkrankungen, der aufgrund des demographischen Wandels zu erwarten ist, die zunehmende Medikalisierung und der medizinisch-technische Fortschritt mit neuen Diagnose- und Therapieverfahren werden voraussichtlich in den nächsten Jahren zu steigenden Gesundheitsausgaben führen. Den daraus bereits resultierenden Finanzierungsproblemen wurde bisher überwiegend mit Beitragssatzerhöhungen, Steuerzuschüssen, Rationalisierungen und stillen Rationierungen begegnet. Die Potenziale expliziter Priorisierungsprozesse wurden in Deutschland noch nicht wie bereits in einigen anderen Ländern genutzt.
Methoden
Priorisierung ist im Bereich der medizinischen Versorgung ein Verfahren der gedanklichen Klärung und Feststellung von Vor- und Nachrangigkeiten bestimmter Indikationen, Patientengruppen oder Verfahren mit dem Ergebnis mehrstufiger Rangreihen. Menschenwürde, Gleichheit und Solidarität sind die Grundwerte, auf denen Priorisierung beruht. Der medizinische Bedarf, die Dringlichkeit der Behandlung, der zu erwartende medizinische Nutzen, das Behandlungsrisiko, Kosteneffizienz und die den Empfehlungen von Intervention zugrunde liegende Evidenz gehören zu den Kriterien, an denen sich Priorisierung orientiert.
Ergebnisse
Priorisierungsprozesse führen zu wissenschaftlich fundierten Versorgungsempfehlungen, die Entscheidungen über den medizinisch rationalen, ethisch vertretbaren und ökonomisch sinnvollen Einsatz begrenzter Ressourcen unterstützen. Um eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung zu finden, sollten Priorisierungsleitlinien transparent von demokratisch legitimierten Gremien, deren Zusammensetzung im Einzelnen noch zu klären ist, erarbeitet werden. In diesem Beitrag werden wichtige Eckpunkte der aktuellen Debatte und die bereits erfolgten Bemühungen um Fortschritte auf diesem Gebiet zusammengefasst.
Abstract
Background
The increase in age-related diseases that can be expected due to demographic changes, the growing medicalization and the medical technological progress with new diagnostic and therapeutic methods, will probably lead to rising health expenditure in the coming years. The resulting financial problems have so far mostly been countered by an increase in health insurance contributions, tax subsidies, rationalization and hidden rationing. The potentials of explicit prioritization processes have so far not been made use of in Germany compared to some other countries where this is already in common use.
Methods
Prioritization in the healthcare system is a procedure of mental clarification and determination of the priority or subordination of certain indications, patient groups or methods with the result of multilevel ranking. Human dignity, equality and solidarity are fundamental values on which prioritization is based. The medical need, the urgency of treatment, the expected medical benefits, the treatment risk, the cost efficiency and the evidence level are criteria towards which prioritization is oriented.
Results
Prioritization processes lead to scientifically substantiated care recommendations which support decisions regarding the medically rational, ethically justifiable and economically meaningful use of limited resources. In order to gain broad public acceptance, prioritization guidelines should be developed in a transparent way by democratically justified committees the composition of which still needs to be clarified. Fundamental concepts, cornerstones of the current debate and efforts that have already been made to make progress in this field are presented in summarized form in this article.
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Danksagung
Herrn Prof. Dr. Dr. Heiner Raspe, Seniorprofessur für Bevölkerungsmedizin am Akademischen Zentrum für Bevölkerungsmedizin und Versorgungsforschung der Universität zu Lübeck, gilt der besondere Dank der Autoren für seine freundliche Beratung bei der Erstellung des Manuskripts. Herr Prof. Raspe gehört zu den Pionieren und prominentesten Vordenkern der Priorisierungsdebatte in Deutschland.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt. M.F. Meyer und J. Braun geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.
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Meyer, M., Braun, J. Bedeutung der gegenwärtigen Diskussion über Priorisierung für die Rheumatologie. Z. Rheumatol. 73, 758–764 (2014). https://doi.org/10.1007/s00393-014-1476-y
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