Zusammenfassung
Hintergrund
Rentenaltersgrenzen haben eine Orientierungsfunktion für die individuelle Arbeits- und Lebensplanung. Bekannt ist, dass die Ausstiegspläne älterer Arbeitskräfte nur verzögert und nicht vollständig der Altersgrenzenanhebung der gesetzlichen Rentenversicherung folgen. Unklar ist jedoch, wie gut die zeitlichen Ausstiegspläne von älteren Erwerbstätigen ihr tatsächliches Übergangsverhalten vorhersagen und wem es gelingt oder nicht gelingt, die eigenen Pläne in die Tat umzusetzen.
Ziel der Arbeit
Daher widmet sich der Beitrag den Übereinstimmungen und Diskrepanzen zwischen dem geplanten und dem tatsächlichen Ausstiegsalter älterer Erwerbstätiger. Mit Blick auf soziale und regionale Unterschiede der Realisierungschancen werden geschlechts-, qualifikationsspezifische und Ost-West-Unterschiede der Wahrscheinlichkeit untersucht, früher oder später als geplant aus dem Berufsleben auszuscheiden.
Daten und Methode
Grundlage sind längsschnittliche Daten des Deutschen Alterssurveys (DEAS). Ausgehend vom geplanten Ausstiegsalter der 55- bis 61-jährigen Erwerbstätigen des Jahres 2008 wird anhand ihres Erwerbsstatus im Jahr 2014 und ihres tatsächlichen Ausstiegsalters aus der hauptberuflichen Beschäftigung eine empirische Typologie der zeitlichen Übereinstimmung oder Abweichung von Plan und Wirklichkeit des Ausstiegs oder des Weiterarbeitens gebildet. Mittels logistischer Regression werden Thesen zu sozialen und regionalen Unterschieden in der Umsetzung der Übergangspläne empirisch überprüft.
Ergebnisse
Die ursprünglichen Ausstiegs- oder Weiterarbeitspläne werden in hohem Maß in die Tat umgesetzt. Im 6‑jährigen Beobachtungszeitfenster verwirklicht die Hälfte der älteren Arbeitskräfte ihre Pläne mit hoher zeitlicher Übereinstimmung. Früher auszuscheiden als geplant, ist etwas häufiger verbreitet als länger zu arbeiten als beabsichtigt. Eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für ein ungeplantes vorzeitiges Ausscheiden haben Geringqualifizierte und gesundheitlich Beeinträchtigte. Länger als geplant im Arbeitsprozess bleiben vor allem Frauen.
Schlussfolgerung
Das geplante Ausstiegsalter ist ein brauchbarer Frühindikator des späteren Handelns. Die Ausstiegspläne älterer Arbeitskräfte sind keine unrealistischen Wunschvorstellungen. Allerdings liegt die Umsetzung der Pläne nicht allein im Ermessen der Beschäftigten, und es können Entwicklungen auftreten, die eine Abkehr vom ursprünglichen Plan notwendig machen. Gesundheitsverschlechterungen und Arbeitsplatzgefährdungen erhöhen das Risiko eines vorzeitigen Ausscheidens entgegen ursprünglicher Pläne. Umgekehrt kann die Schließung von frühzeitigen Rentenzugangsoptionen – wie der Wegfall der vorgezogenen Altersrente für Frauen – auch zum längeren Verbleib im Beruf führen, als dies ursprünglich geplant war.
Abstract
Background
Retirement age limits of the pension system provide guidelines for the individual planning of retirement from employment. Empirical evidence shows that individual exit plans of older employees only delay and partly follow the raising of the retirement age by the statutory pension insurance; however, it is unclear how well the retirement plans of older employees predict the actual transition behavior and which individuals are able or unable to implement their own plans.
Objective
Therefore, this article addresses the concordances and discrepancies between the planned and the actual age of retiring from work of older employees. Gender-specific, qualification-specific and east-west differences in the probability of retiring earlier or later than planned were examined with respect to social and regional differences of realization chances.
Data and methods
Longitudinal data of the German Ageing Survey (DEAS) were used and the planned age to stop working of the 55 to 61-year-old employees (survey year 2008) were compared with their labor status in 2014 and their actual age of retirement from work. An empirical typology of temporal correspondence or discrepancy of plan and reality of the retirement were generated. Applying logistic regression analysis several theses on social and regional differences in fulfilling the transition plans were empirically tested.
Results
Original timing plans to stop or continue working were achieved by the majority of respondents. During the 6‑year observation period approximately half of the older employees realized their plans with a high agreement of the timing. Retiring earlier than planned was somewhat more frequent than working longer than intended. There was a higher probability to retire earlier and unplanned for low-skilled workers and respondents with health impairments. Women face a higher probability to stay active for longer than planned compared to men.
Conclusion
The planned age of exit from employment is a useful indicator for prospective action. Individual plans of older employees on when to retire are not unrealistic wishful thinking but relevant to the actual exit; however, realization of plans is not only at the discretion and control of employees themselves. Developments may occur that necessitate a change from the original plan. Deterioration of health and employment hazards increase the risk of retirement earlier than planned. Conversely, the closing of options for early retirement, such as the elimination of the early pension for women, can lead to a longer stay in employment than originally planned.
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Notes
Nachdem zunächst für die ab 1940 geborenen Frauen die Altersgrenze für den abschlagfreien Bezug der Altersrente für Frauen schrittweise von 60 auf 65 Jahre (ab Geburtsjahrgang 1944) angehoben und bis zum Geburtsjahrgang 1951 vorzeitige Inanspruchnahmen mit Rentenabschlägen belegt wurden (0,3 % je vorgezogenem Monat des Rentenbeginns), haben die nach 1951 geborenen Frauen keinen Zugang mehr zu dieser Rentenart [1]. Die Untersuchungsteilnehmerinnen gehören zu den betroffenen Geburtsjahrgängen 1944–1953.
Im Analysesample liegt das durchschnittliche Äquivalenzeinkommen (nach OECD-Skala bedarfsgewichtetes Haushaltsnettoeinkommen) der Frauen 17 % unter dem der Männer.
Bei der Berechnung des geplanten kalendarischen Ausstiegszeitpunkts aus dem geplanten Ausstiegsalter wurde davon ausgegangen, dass die Erwerbsbeendigung innerhalb eines Monats nach Vollendung des genannten Altersjahrs vollzogen würde.
Da der geplante Ausstiegszeitpunkt nicht monatsgenau erfragt, sondern unter Zuhilfenahme der in Fußnote 2 genannten Annahme berechnet wurde, wird für die annähernde Übereinstimmung ein Korridor von ±6 Monaten verwendet.
Die AME-Koeffizienten in Tab. 3 geben für jeden Prädiktor an, um welchen Betrag sich die Wahrscheinlichkeit der Zuordnung zur Zielkategorie im Durchschnitt erhöht (+) oder verringert (−), wenn die Person das genannte Prädiktormerkmal besitzt (im Vergleich zur Referenzkategorie). Beispielsweise haben Frauen im Vergleich zu Männern eine um 11,7 Prozentpunkte höhere Wahrscheinlichkeit, dass sie länger als ursprünglich geplant erwerbstätig bleiben.
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H. Engstler gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Alle im vorliegenden Beitrag beschriebenen Befragungen wurden im Einklang mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration von Helsinki von 1975 (in der aktuellen, überarbeiteten Fassung) durchgeführt. Von allen Befragten liegt eine informierte Einverständniserklärung vor.
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Engstler, H. Wie erfolgreich sind ältere Arbeitskräfte in der zeitlichen Umsetzung ihrer Ausstiegspläne?. Z Gerontol Geriat 52 (Suppl 1), 14–24 (2019). https://doi.org/10.1007/s00391-018-1451-3
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00391-018-1451-3
Schlüsselwörter
- Ruhestand
- Entscheidungsfindung
- Alter
- Ungleichheiten
- Alterssurvey
Keywords
- Retirement
- Decision making
- Age
- Inequalities
- Ageing survey