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Prof. Wolfgang von Renteln-Kruse geht in Rente? In der Schweiz würde man sagen: „Er wird pensioniert.“ Der semantisch kleine Unterschied besteht darin, dass Gehen ein aktiver Vorgang ist, das „wird“ aber ein Faktum darstellt. Wolfgang von Renteln-Kruse ist ein „Geher“, gegen außen distinguiert-zurückhaltend, gegen innen aber determiniert. Er geht also in Rente, und Freunde wissen, dass dieser Schritt wohl überlegt ist. Dabei soll es bleiben – ausuferndes Gerede ist ihm nicht nur fremd, sondern unangenehm!

Wer ist eigentlich dieser recht stille, 1952 in Hennstedt/Dithm geborene und uns allen bekannte Kollege? Nach dem Abitur in Husum zog es ihn „in den Süden“ nach Heidelberg, wo er Humanmedizin studierte. Bei seinen akademisch-orientierten Auslandsaufenthalten blieb er aber einem windig-regnerischen Klima treu: So arbeitete er am St. Pancreas Hospital in London und am Radcliff Infirmary in Oxford. Wenn er seinen selbstironischen Humor nicht schon hatte, so hat er ihn dort kennengelernt. Dies ist ein Charakterzug, den ich persönlich speziell an ihm schätze. Insgesamt blieb er aber seiner Alma Mater Heidelberg treu, sei es als Assistenzarzt am Bethanien Krankenhaus, sei es in der Pharmakologie. Diese Liebe zur Pharmakologie begleitete ihn ein ganzes Leben lang – z. B. bei Fragen der Polypharmazie bei Betagten, wo er einer der Taktgeber in Deutschland war und ist, auch in der Politikberatung. Der Hang zur Pharmakologie entspricht auch seiner Persönlichkeit. Es ist das Planbare, aber auch Kinetische, das reproduzierbar Messbares schafft. Wenn man nun meinen könnte, dies sei für ihn ein in sich geschlossenes System, dann ist dies falsch. Nein, die „time to peak concentration“ hat ihn wohl immer weniger interessiert als die „area under the curve“ (AUC), das gesamte Spektrum der Einflussfaktoren. So ist der AUC auch etwas Syndromhaftes gemein, das zweite große Gebiet, das ihn in der Forschung über Jahrzehnte begleitete. Als Sprecher des Forschungsverbundes LUCAS (BMBF-gefördert) erforscht und liefert Hamburg mit seinem Forschungsteam schon über lange Zeit sehr wichtige Impulse zum Gesundheitszustand einer Metropolregion Deutschlands. Dies fand einen Widerhall in seiner klinischen Tätigkeit, die er als Oberarzt in Heidelberg und leitender Oberarzt in Hamburg erfolgreich umsetzte. Von 1997 bis 2002 wirkte er weniger im Sinne von Wanderjahren, sondern als „geriatrischer Modellbauer“ in Bergisch Gladbach als Chefarzt des Rehazentrums Reuterstraße (Modellklinik des Landes NRW). Im Jahr 2001 habilitierte er sich für das Fach Geriatrie an der medizinischen Fakultät der Universität Witten-Herdecke. Der Schwerpunkt seiner Habilitationsschrift lag im Bereich Patienten-Compliance oral applizierter Arzneimittel. Sein eindrückliches Wissen, gerade im Bereich der Pharmakotherapie bei älteren Menschen, teilte er gern mit Kolleginnen und Kollegen in diversen Funktionen, wie z. B. über viele Jahre als Sprecher der Arbeitsgruppe „Pharmakotherapie“ der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG), als Gründungsmitglied der Gesellschaft für Arzneimittelanwendungsforschung und Arzneimittelepidemiologie und auch innerhalb der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft.

Als engagierter Kliniker bekleidet er von 2002 an die Funktion als Chefarzt der Medizinisch-Geriatrischen Klinik Albertinen-Krankenhaus in Hamburg. Gleichzeitig wurde er 2002 auf die Stiftungsprofessur für Geriatrie und Gerontologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Hamburg, berufen. Neben der Forschung lag und liegt ihm die Lehre sehr am Herzen. Hierfür wurde er von der medizinischen Fakultät der Universität Hamburg zum „teacher of the year“ ausgezeichnet.

Mir hat er die von ihm persönlich erfühlte Faszination für das Meer und die Ebene nähergebracht. Wenn wir zusammen – leider viel zu selten – in Hamburg am Hafen saßen und über die Entwicklung der Geriatrie in Deutschland sprachen, da wurde er plötzlich still, und wenn ich fragte, was los sei, dann deutete er verklärt auf ein im Hafen ankommendes Schiff. Ich gebe gerne zu, eine Alpenkette mit funkelndem Firn fasziniert mich mehr. Meine Frau Gabrielle und ich durften schöne Tage mit ihm und seiner schwedischen Frau Patricia sowohl bei uns in den Alpen, aber eben auch in der Ebene (seinem „hideaway“, wie man heute sagt) verbringen. Das Gemeinsame bleibt; verortet im Gewohnten, offen für Neues, noch schemenhaft Fernes. Dies ließ uns jeweils und noch immer auch bescheiden sein, für Erlebtes, aber auch Erahntes.

Prof. Wolfgang von Renteln-Kruse wird der „Szene“ fehlen. Ein ruhiges Regulativ in einer hektisch bis hyperaktiv reaktiv agierenden Gesundheitspolitik. Sie sehen auf dieser Seite eine Bleistiftzeichnung eines Basler Künstlerfreundes. Als großer Bergfan habe ich beim Betrachten dieser Zeichnung immer an Wolfgang von Renteln-Kruse gedacht. Verlässlichkeit schätze ich an Wolfgang sehr. Auch beim Manövrieren eines Schiffes braucht es einen Kapitän, der Verantwortung übernimmt, auch wenn es stürmisch wird. Es sind Qualitäten, die man nicht häufig – gerade auch in der akademischen Sphäre – findet. Diese Standhaftigkeit habe ich mehrfach miterleben dürfen, sei dies während unserer Arbeit für das Forschungskolleg Geriatrie der Robert Bosch Stiftung, sei dies in Gremiensitzungen wie z. B. für das BMBF.

In diesem Heft (er ist der Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie seit Jahrzehnten wohlgesonnen) finden sich vier Artikel, die ihm von Menschen gewidmet sind, die er auf seine spezifische Weise über Jahre gefördert hat, und die sich dankbar schätzen, seine weisen Bemerkungen geschenkt bekommen zu haben.

Jacques Brel singt „Avec la mer du Nord pour dernier terrain vague“ (mit der Nordsee als letztem Brachland). Prof. Wolfgang von Renteln-Kruse wird weiter mit nördlichem Touch ein „Erbauer“ (sensu stricto) bleiben. Ich auf alle Fälle werde ihn weiter kontaktieren, wenn ich unsicher bezüglich der Kadenz des richtigen Ruderschlages bin.

In dankbarer Freundschaft,

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Cornel Sieber