Zusammenfassung
Hintergrund
Das Bemühen um die Verlängerung der Lebensarbeitszeit wirft die Frage auf, ob es allen Beschäftigten gesundheitlich möglich ist, länger im Arbeitsleben zu verbleiben. Bisherige Untersuchungen zeigen beispielsweise, dass insbesondere Beschäftige aus einer niedrigen sozioökonomischen Position vergleichsweise häufiger krankheitsbedingt vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Für diese Beschäftigten könnte es demnach erschwert sein, eine steigende Altersgrenze für die reguläre Altersrente zu erreichen. Allerdings fehlen bisher Studien, die die sozialen Ungleichheiten beim Eintritt in eine frühzeitige Erwerbsminderungsrente speziell für ältere Beschäftigte untersuchen.
Ziel der Arbeit
Die Arbeit prüft, ob soziale Ungleichheiten bei Erwerbsminderung auch im höheren Erwerbsalter existieren.
Material und Methoden
Die Untersuchung basiert auf administrativen Daten der Deutschen Rentenversicherung (DRV). Für eine Zufallsstichprobe aller Versicherten der Geburtsjahrgänge 1947 und 1961 (59 Jahre bzw. 45 Jahre zu Beginn der Beobachtung; n = 160.688) liegen detaillierte Informationen zum Versicherungsverlauf zwischen 2006 und 2013 vor. Anhand von multivariaten Cox-Regressionen (adjustiert für Beschäftigungsumfang, Staatsangehörigkeit und Ort der Beschäftigung) wurden Zusammenhänge zwischen drei sozioökonomischen Merkmalen (Bildung, Beruf und Einkommen) und dem Risiko einer Erwerbsminderungsrente (EMR) im Beobachtungszeitraum untersucht. Die Analysen erfolgen getrennt für die zwei Jahrgänge jüngerer und älterer Beschäftigter sowie separat nach Geschlecht.
Ergebnisse und Schlussfolgerung
Die Ergebnisse weisen auf ein erhöhtes Risiko einer Erwerbsminderung auch bei älteren Beschäftigten in einer niedrigen sozioökonomischen Position gegenüber solchen in einer höheren Position hin. Bei Männern gilt dies für alle drei untersuchten sozioökonomischen Merkmale und für beide Jahrgänge. Bei Frauen ist der Zusammenhang auch zu beobachten, mit Ausnahme für Bildung und Beruf in der älteren Kohorte. Im Bemühen um eine verlängerte Lebensarbeitszeit sollte Personen aus einer niedrigen sozioökonomischen Position besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, um sie vor neuen Nachteilen zu bewahren.
Abstract
Background
The efforts to extend working lives are accompanied by the question of whether it is possible for all employees to work longer for health reasons. Existing studies show for example that particularly workers in a lower socioeconomic position have a comparatively higher risk to prematurely retire. It is therefore likely that an increase of the state pension age puts particular pressure on such workers; however, studies on socioeconomic differences of disability retirement focusing on older workers in Germany are missing.
Objective
The aim of this study was to investigate whether social inequality exists for reduced earning capacity also for older workers.
Material and methods
The study relied on administrative data of the German pension insurance (DRV). Detailed information on the course of insurance was available for a random sample of all insured persons born in the years 1947 and 1961 (aged 59 and 45 years respectively at the beginning of the observational period; n = 160,688). Using Cox regressions (adjusted for working hours, national citizenship and location of workplace) associations between three socioeconomic features (education, occupation and income) and the risk of disability retirement in the observational period were investigated. The analysis was carried out separately for both cohorts (born 1947 and 1961) of younger and older employees and separately for men and women.
Results and conclusion
The results showed an increased risk of reduction in earning capacity even for older workers with a low socioeconomic position compared to those in a higher position. For men this is true for all three socioeconomic features investigated and both cohorts. For women the association was also observed with the exception of education and occupational position for those born in 1947. In the efforts to extend working lives, special attention should be paid to persons in lower socioeconomic positions in order to protect them from new disadvantages.
Notes
Aus allen 2005 Erwerbstätigen, vor den oben beschriebenen Einschränkungen.
Die genaue Zuordnung der Kategorien von Blossfeld in die Kategorien dieser Arbeit ist wie folgt: 1. einfache manuelle Tätigkeiten wie Agrarberufe und einfache manuelle Berufe; 2. qualifizierte manuelle Tätigkeiten wie qualifizierte manuelle Berufe und Techniker; 3. einfache nichtmanuelle Tätigkeiten wie einfache Dienste und einfache kaufmännische und Verwaltungsberufe; 4. qualifizierte nichtmanuelle Tätigkeiten wie qualifizierte Dienste, Semiprofessionen und qualifizierte kaufmännische und Verwaltungsberufe; 5. hochqualifizierte Tätigkeiten wie Ingenieure, Professionen und Manager.
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Förderung
Das dieser Publikation zugrunde liegende Vorhaben „Arbeitsmarktteilhabe im höheren Erwerbsalter“ wurde im Zeitraum 2016–2018 mit Mitteln aus dem Zukunftsfonds des Ministeriums für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes NRW gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den AutorInnen. Weitere Unterstützung kam durch die Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften (GfR) NRW e. V. (Deutsche Rentenversicherung).
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S. Götz, N. Dragano und M. Wahrendorf geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren. Die genutzten Daten wurden vom Forschungsdatenzentrum der Deutschen Rentenversicherung faktisch anonymisiert [8].
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Götz, S., Dragano, N. & Wahrendorf, M. Soziale Ungleichheiten der Erwerbsminderung bei älteren Arbeitnehmern. Z Gerontol Geriat 52 (Suppl 1), 62–69 (2019). https://doi.org/10.1007/s00391-018-01473-4
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