Da die Prävalenz demenzieller Erkrankungen im höheren Lebensalter stark zunimmt, ist es nicht verwunderlich, dass sie häufig von mehreren anderen Erkrankungen begleitet werden. Dabei handelt es sich jedoch nicht nur um ein zufälliges Zusammentreffen verschiedener typischer Alterserkrankungen, die jeweils isoliert betrachtet und im klinischen Alltag unabhängig voneinander behandelt werden könnten. Vielmehr können die Zusammenhänge komplex sein: Begleitende Erkrankungen können das Entstehen einer Demenz begünstigt haben oder aber als Folge oder Komplikation der Demenz auftreten. Sie können den Verlauf und das klinische Bild der Demenz maßgeblich beeinflussen oder umgekehrt in ihrem Verlauf durch das zusätzliche Auftreten einer demenziellen Erkrankung beeinflusst werden. Dies gilt für psychische Komorbiditäten ebenso wie für akute oder chronische körperliche Begleiterkrankungen, sogar für traumatologische Krankheitsbilder. Therapiestrategien, die ein hohes Maß an Mitarbeit des Patienten erfordern, können bei Vorliegen einer Demenz nicht mehr oder nur noch eingeschränkt durchgeführt werden. Andere sind angesichts einer durch die Demenz limitierten Prognose nicht mehr sinnvoll. Jedoch kann auch das rechtzeitige Erkennen komorbider Störungen eine gezielte Therapie mit der Aussicht auf positive Konsequenzen für die Funktionalität der Patienten und die Lebensqualität von Patienten und Angehörigen eröffnen [11].
Das vorliegende Schwerpunktheft der Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie beleuchtet 3 häufige Komorbiditäten exemplarisch: Der erste Beitrag befasst sich mit dem Zusammenhang von Depression und Demenz. Diese beiden Syndrome können in vielfältiger Weise miteinander interagieren und stellen im klinischen Alltag nicht nur eine diagnostische Herausforderung dar, sondern werfen auch immer wieder schwierige therapeutische Fragen auf. Der zweite Beitrag widmet sich dem ebenso häufigen klinischen Problem der Schlafstörungen, die nicht nur als Begleit- und Folgeerscheinung von Demenzerkrankungen, sondern möglicherweise auch als prädisponierender Risikofaktor von Belang sind [19]. Ein dritter Beitrag beleuchtet den Zusammenhang von Körpergewichtsverlust und Demenz – ein ebenso relevantes wie in der Literatur bislang vernachlässigtes Thema. Diese komorbiden Erkrankungen konnten nur exemplarisch herausgegriffen werden.
In der internationalen Literatur finden sich inzwischen zahlreiche Hinweise auf eine erhebliche Last komorbider Erkrankungen, die Menschen mit Demenz betreffen und dazu beitragen, dass diese in erhöhtem Maß durch geriatrische Syndrome beeinträchtigt und pflegebedürftig sind [3].
Störungen der Mobilität und Stürze treten nicht nur bei den Demenzformen gehäuft auf, bei denen motorische Symptome schon von Anfang an die Demenz begleiten (Lewy-Körperchen-Demenz) oder die gar den kognitiven Symptomen vorausgehen (Parkinson-Demenz). Auch bei der Alzheimer-Demenz und noch stärker bei der vaskulären Demenz kommen mit fortschreitender Erkrankung zunehmende Veränderungen des Gangbilds und der Mobilität vor, die im Vergleich zur kognitiv gesunden Bevölkerung zu gehäuften Stürzen und Frakturen führen [2, 15, 5].
FormalPara Schluckstörung und PneumonieEine Dysphagie kann sich bereits im frühen Stadium der Alzheimer-Erkrankung entwickeln, wird aber mit fortschreitender Erkrankung häufiger. In einem systematischen Review kommen Affoo et al. [1] zu dem Schluss, dass bei mittelschwerer bis schwerer Demenz die Prävalenz 84–93 % beträgt, wenn Schluckstörungen mithilfe apparativer Diagnostik systematisch untersucht und damit auch leichte Formen der Dysphagie erfasst werden, die bei der klinischen Untersuchung nicht evident sind. Folgen der Dysphagie sind Körpergewichtsverlust, aufgrund des häufig beeinträchtigten Hustenreflexes eine hohe Rate von Aspirationspneumonien, meist mit stiller Aspiration oder auch eine chronische Entzündungskonstellation aufgrund rezidivierender Mikroaspirationen. Entsprechend häufen sich Pneumonien im Endstadium der Demenz und gehören zu den häufigsten Todesursachen [14]. Das Risiko einer Pneumonie ist noch höher bei Patienten, die mit Antipsychotika behandelt werden [10].
FormalPara Harnwegsinfektionen, Harninkontinenz und DekubitusIm Gegensatz zur Pneumonie ist die Häufigkeit von Harnwegsinfektionen bei Demenz weniger klar dokumentiert. Harninkontinenz tritt bei manchen Demenzformen früh auf (charakteristisch beim Normaldruckhydrozephalus). Bei M. Alzheimer scheint die Häufigkeit mit zunehmendem Schweregrad der Demenz anzusteigen. Dekubitus scheint ein Problem zu sein, das speziell in der Endphase der Demenz drastisch zunimmt und in einer Studie in Pflegeheimen im letzten Vierteljahr vor dem Tod etwa ein Drittel der Bewohner mit Demenz betraf [14].
FormalPara KrampfanfällePatienten mit Alzheimer-Demenz haben ein um etwa den Faktor 3 erhöhtes Risiko für epileptische Anfälle [17]. Auch bei anderen Demenzformen ist das Risiko einer neu auftretenden Altersepilepsie erhöht, wenngleich nicht in gleichem Ausmaß.
FormalPara Psychiatrische ErkrankungenPsychische Störungen (u. a. Schizophrenie, bipolare Störungen, schwere depressive Episoden, Abhängigkeitserkrankungen) erhöhen das Risiko, an einer Demenz zu erkranken; dieses nimmt offenbar mit der Krankheitsschwere zu [20]. In diesem Kontext ergeben sich neben versorgungsbezogenen auch grundlagenwissenschaftlich spannende Fragen, die die Wechselwirkungen von kognitiven Störungen im Rahmen der Primärerkrankung, z. B. einer Schizophrenie [6], mit denjenigen infolge altersassoziierter pathologischer Hirnveränderungen betreffen. In den letzten Jahren sind die Auswirkungen länger dauernder Benzodiazepineinnahmen auf die Wahrscheinlichkeit der Demenzentwicklung auf verstärktes Interesse gestoßen. Eine Zusammenfassung der aktuellen Studienlage spricht dafür, dass die jahrelange Exposition gegenüber Benzodiazepinen einen relevanten Risikofaktor für Demenzen darstellt [4]. Damit kann der verbreiteten Vorstellung, dass sich bei Älteren die Entwöhnung von Benzodiazepinen nicht mehr „lohne“ mit einem weiteren stichhaltigen Argument begegnet werden.
Der vorausgehenden Auswahl an häufigen komorbiden Erkrankungen könnten noch weitere hinzugefügt werden, wie etwa das Delir als außerordentlich häufiges, den Demenzverlauf komplizierendes Syndrom, zahnmedizinische Erkrankungen sowie Störungen des Seh- und Hörvermögens [9, 11, 16].
Dieser kurze und unvollständige Überblick zeigt, dass Menschen mit Demenz vielgestaltiger Versorgungsstrukturen bedürfen, da die vorhandenen dem Bedarf bei diesen Patienten oft genug nicht gerecht werden [8]. Interdisziplinäre Stationen in Krankenhäusern [12], aber ebenso kooperative Strukturen im Bereich der ambulanten Versorgung [7] sind dringend erforderlich, um dieser Herausforderung zu begegnen. Auch in der ärztlichen Fortbildung müssen fachübergreifende Konzepte realisiert werden, um diese wachsende Gruppe von Patienten in Zukunft angemessen betreuen zu können.
Wir hoffen, dass dieses Schwerpunktheft einen Beitrag leistet zu einer verbesserten Wahrnehmung der vielfältigen Implikationen unseres Leitthemas für präventive und therapeutische ebenso wie versorgungspolitische Strategien in einer Gesellschaft, die sich der Herausforderung durch eine weiterhin wachsende Zahl an Menschen mit Demenz gegenüber sieht.
Literatur
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Kopf, D., Hewer, W. Komorbide Erkrankungen bei Demenz. Z Gerontol Geriat 48, 303–304 (2015). https://doi.org/10.1007/s00391-015-0897-9
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