Zusammenfassung
Die Wissenschaftsgeschichte der Moderne ist in Deutschland seit Beginn des 19. Jh.s durch eine gegenläufige Entwicklung gekennzeichnet: „Alte Wissenschaften“ mit ihrem traditionellen Gestus des Erkenntnisgewinns geraten in Kontrast zu „neuen Wissenschaften“, deren eher außengeleiteter Impetus die gemeinsame Mobilisierung unterschiedlicher Wissensbezirke, die Infragestellung von disziplinären Dominanzen und damit dann auch die Begründung neuer offener Disziplinen bedeutet. Die Gerontologie in Deutschland ist in diesen Konstellationen allerdings ein deutlicher Spätentwickler und kann sich erst im 20. Jh. halbwegs von der medizinischen Übermacht befreien. Der Beitrag beschreibt diesen Vorgang anhand der Überlagerung unterschiedlicher, bis in die frühe Bundesrepublik langfristig wirksamer Traditionslinien.
Abstract
Since the beginning of the nineteenth century, the history of science in modern Germany has been characterized by a development going in opposite directions. The old scientific disciplines with their traditional Gestus of knowledge acquisition are in contrast to new sciences resulting from external pressures, combining and mobilizing different areas of knowledge, which challenge former dominances and help to establish new open disciplines. However, gerontology in Germany is in this respect a clear latecomer and can only cast off the impact of medicine in the twentieth century to some extent. This article describes this process by the superposition of different lines of tradition, which have long-term effects reaching into the history of the early Federal Republic of Germany.
Literatur
Aner K, Karl U (2010) (Hrsg) Handbuch Soziale Arbeit und Alter. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Bühler C (1931) Jugendtagebuch und Lebenslauf. Fischer, Jena
Bühler C (1933) Der menschliche Lebenslauf als psychologisches Problem. Hirzel, Leipzig
Geiger T (1930) „Panik im Mittelstand“, Die Arbeit, 7. Jg. H 10. S 637–654
Geiger T (1932) Die Soziale Schichtung des Deutschen Volkes. Soziographischer Versuch auf statistischer Grundlage, Enke, Stuttgart
Graessner S (1992) Leistungsmedizin im Nationalsozialismus. Historische Untersuchung zur arbeitsmedizinischen und betriebsärztlichen Realität von 1933 bis 1945 unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der Deutschen Arbeitsfront. Diss.Med. Hamburg
Hahn S (1994) Alternsforschung und Altenpflege im Nationalsozialismus. In: Meinel C, Voswinckel P (Hrsg) Medizin, Naturwissenschaft, Technik und Nationalsozialismus. Kontinuitäten und Diskontinuitäten, GNT-Verlag. Stuttgart, S 221–229
Kaufmann FX (1960) Die Überalterung. Ursachen, Verlauf, wirtschaftliche und soziale. Auswirkungen des demographischen Alterungsprozesses. Enke, Stuttgart
Kondratowitz HJ von (1988) Das ungeliebte Heim – historische Gründe und neue Alternativen. In: Kruse A et al (Hrsg) Gerontologie. Wissenschaftliche Erkenntnisse und Folgerungen für die Praxis. Monatspiegel VG, München, S 427–465
Kondratowitz HJ von (2000) Konjunkturen des Alters. Die Ausdifferenzierung des „höheren Lebensalters“ zu einem sozialpolitischen Problem. Transfer-Verlag, Regensburg
Koselleck R (1979) Vergangene Zukunft – Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Suhrkamp, Frankfurt a.M.
Lederer E, Marschak J (1926) „Der Neue Mittelstand“, Grundriss der Sozialökonomik. IX. Abteilung, I. Teil: Die gesellschaftliche Schichtung im Kapitalismus. J.B. Mohr Siebeck, Tübingen, S 120–141
Mannheim K (1964/1928) Das Problem der Generationen. In: Wolff KH (Hrsg) Wissenssoziologie – Auswahl aus dem Werk. Berlin, S 509–565
Nahnsen I (1992) Lebenslagenvergleich. Ein Beitrag zur Vereinigungsproblematik. In: Henkel H, Merle U (Hrsg) Magdeburger Erklärung. Neue Aufgaben in der Wohnungswirtschaft. Transfer-Verlag, Regensburg, S 101–144
Penkert A (1999) Arbeit oder Rente? Die alternde Bevölkerung als sozialpolitische Herausforderung für die Weimarer Republik. Cuvillier-Verlag, Göttingen
Rodinson M (1985) Die arabischen und islamischen Studien in Europa. In: ders. (Hrsg) Die Faszination des Islam. C.H.Beck, München, S 105–157
Rosenmayr L, Köckeis E (1965) Umwelt und Familie alter Menschen. Luchterhand, Neuwied
Schelsky H (1965) Die Paradoxien des Alters in der modernen Gesellschaft. In: ders. (Hrsg) Auf der Suche nach Wirklichkeit. Diederichs, Köln, S 198–220
Tartler R (1961) Das Alter in der modernen Gesellschaft. Enke, Stuttgart
Thom A, Caregorodcev GI (Hrsg) (1989) Medizin unterm Hakenkreuz. Verlag Volk und Gesundheit Berlin
Wahl HG, Heyl V (2015) Gerontologie – Einführung und Geschichte, 2. Aufl. Kohlhammer, Stuttgart
Weisser G (1978) Beiträge zur Gesellschaftspolitik, ausgewählt. In: von Katterle S, Mudra W, Neumann LF (Hrsg), Schwartz, Göttingen
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Ethics declarations
Interessenkonflikt
H.-J. von Kondratowitz gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Mensch oder Tieren.
Rights and permissions
About this article
Cite this article
von Kondratowitz, HJ. Wissenschaftshistorische Erbschaften der gerontologischen Multi- und Interdisziplinaritätsdiskussion. Z Gerontol Geriat 48, 210–214 (2015). https://doi.org/10.1007/s00391-015-0881-4
Received:
Accepted:
Published:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/s00391-015-0881-4
Schlüsselwörter
- Geschichte
- Wissenschaft
- Interdisziplinarität
- Entwicklung des Medizindiskurses
- Sozialwissenschaftliche Gerontologie