Hintergrund
Die immer älter werdende Gesellschaft, der demografische Wandel und die gegenwärtige Finanzkrise stellen die Finanzierbarkeit des deutschen Rentensystems vor neue Herausforderungen. Als Antwort auf diese Herausforderungen hat die deutsche Arbeitsmarktpolitik in den vergangenen Jahren attraktive Frühverrentungsmöglichkeiten zunehmend eingeschränkt und Reformen eingeleitet, um die Beschäftigung älterer Menschen zu verlängern (Politik des aktiven Alterns).
Fragestellung
In diesem Artikel untersuchen wir, wie diese veränderte Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik die Renteneintrittsentscheidung von Arbeitnehmern in Deutschland beeinflusst. In Abgrenzung zu existierender Forschung, die sich bislang weitestgehend auf Frühverrentungsentscheidungen konzentrierte, fokussieren wir uns in diesem Artikel insbesondere auf Personen, die über das offizielle Rentenalter von 65 Jahren hinaus arbeiten. Neben der absoluten Häufigkeit von Arbeit über das Ruhestandsalter hinaus untersuchen wir dabei die Frage, ob sich die soziale Zusammensetzung dieser Gruppe in den letzten drei Jahrzehnten verändert hat.
Daten und Methoden
Die Datengrundlage unserer Analysen bilden die ersten drei Wellen des Deutschen Alterssurveys (DEAS), die uns ermöglichen, Ruhestandsentscheidungen und deren Motive über einen Zeitraum von 1980 bis 2008 zu rekonstruieren. Anhand multinomialer logistischer Regressionen unterscheiden wir zwischen individuellen, organisatorischen und institutionellen Einflussfaktoren auf die Entscheidung, den Arbeitsmarkt vorzeitig, zum regulären Ruhestandsalter oder nach dem regulären Ruhestandsalter zu verlassen.
Ergebnisse
Im Verlauf der letzten drei Jahrzehnte hat der Anteil der Arbeitnehmer, der den Arbeitsmarkt erst nach dem offiziellen Rentenalter von 65 Jahren verlässt, stark zugenommen. Diese Neigung länger erwerbstätig zu sein, findet sich zunehmend häufiger bei Arbeitnehmern mit niedriger Bildung, die in der Vergangenheit auf finanziell attraktive Frühverrentungsmöglichkeiten zurückgreifen konnten, jedoch zunehmend aus finanziellen Gründen weiterarbeiten müssen. Dieser zunehmende Druck zur Verlängerung der Erwerbskarriere entspricht jedoch meist weder dem Wunsch der niedrig gebildeten Arbeitnehmer noch ihren Möglichkeiten länger zu arbeiten.
Schlussfolgerung
Unsere Ergebnisse legen nahe, dass die gegenwärtig verfolgte Politik des aktiven Alterns zu einer Zunahme von sozialen Ungleichheiten bei den Renteneintrittsentscheidungen geführt hat. Um zukünftige Arbeitsmarkt- und Rentenreformen nachhaltig so zu gestalten, dass sie soziale Ungleichheiten nicht weiter verstärken, sollte zukünftige Forschung detaillierter die bislang noch sehr kursorisch erfassten Gründe erörtern, weshalb Arbeitnehmer über das offizielle Rentenalter von 65 Jahren hinaus arbeiten.