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Strafbare missbräuchliche Anwendung von Fortpflanzungstechniken

ESchG §1 Abs. 1 Nr. 2, §2 Abs. 2, §8 Abs. 1, Abs. 3, §9 Nr. 4; StGB §11 Abs. 1 Nr. 6, §17 S. 1, §23 Abs. 3, §27 Abs. 1, §52, §53; StPO §151, §155 Abs. 1, §264 Abs. 1; BtMG §29 Abs. 1 Nr. 1; BGB §1591; PID §3a

  • RECHTSPRECHUNG
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Medizinrecht Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

1. Wird eine menschliche Eizelle, in die zum Zweck der Herbeiführung der Schwangerschaft der Frau, von der die Eizelle stammt, künstlich eine menschliche Samenzelle eingebracht oder deren Eindringen künstlich bewirkt worden ist (imprägnierte Eizelle), und die noch im Vorkernstadium (2-PN-Stadium) vor der Entstehung eines Embryos kryokonserviert wurde, wieder aufgetaut, um die Schwangerschaft einer Frau herbeizuführen, von der die Eizelle nicht stammt, stellt dies eine nach §1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG strafbare missbräuchliche Anwendung von Fortpflanzungstechniken dar.

2. Bei einer Befruchtung i.S.d. §1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG handelt es sich um einen zeitlich gestreckten Vorgang, der mit dem Einbringen bzw. Eindringen einer Samenzelle in eine Eizelle beginnt und erst durch die Entstehung eines Embryos im Sinne der gesetzlichen Begriffsbestimmung des §8 Abs. 1 1. Halbs. ESchG, also durch den dort als Kernverschmelzung bezeichneten Vorgang, zum Abschluss kommt. Vom Begriff des Unternehmens der künstlichen Befruchtung i.S.d. §1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG wird damit jede Handlung erfasst, die die Entwicklung vom Zusammenführen von Ei- und Samenzelle bis zur Entstehung eines Embryos künstlich herbeiführt, unterstützt oder fördert, gleich zu welchem Zeitpunkt sie in den bezeichneten Befruchtungsvorgang künstlich eingreift.

3. In subjektiver Hinsicht bedarf es für die Strafbarkeit nach §1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG eines auf die objektiven Voraussetzungen des Unternehmens der Befruchtung gerichteten zumindest bedingten Tatvorsatzes sowie der Absicht, die Schwangerschaft einer Frau herbeizuführen, von der die Eizelle nicht stammt. Dabei kommt es nicht entscheidend auf den Willen des Handelnden zu Beginn der Befruchtungskaskade an, sondern auf den Willen zum Zeitpunkt der jeweiligen Tathandlung.

4. Hat sich eine künstlich imprägnierte Eizelle zu einem Embryo weiterentwickelt, und waren die die Befruchtung herbeiführenden bzw. fördernden Handlungen bis zu diesem Zeitpunkt von der Absicht getragen, die Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt, so ist die Übertragung des Embryos zu dessen Erhaltung auf eine andere Frau nicht nach §1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG strafbar.

5. §1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG ist ein Unternehmensdelikt im Sinn des §11 Nr. 6 StGB und erfasst als strafbare Handlung auch den (untauglichen) Versuch. Ein solcher liegt auch dann vor, wenn eine kryokonservierte Eizelle, die objektiv bereits zum Embryo entwickelt war oder deren Entwicklungsstadium nicht feststellen lässt, wieder aufgetaut wird, der Handelnde aber zumindest billigend in Kauf nimmt, dass sich die Eizelle noch im 2-PN-Stadium befindet und er mit der Absicht handelt, die Schwangerschaft einer fremden Frau herbeizuführen.

6. Die Annahme eines unvermeidbaren Verbotsirrtums gemäß §17 S. 1 StGB wird von den Urteilsfeststellungen des Tatgerichts nur dann getragen, wenn diese dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglichen, ob der Angeklagte trotz der ihm nach den Umständen des Falles, seiner Persönlichkeit sowie seines Lebens- und Berufskreises zuzumutende Anspannung des Gewissens die Einsicht in das Unrechtmäßige seines Handelns nicht zu gewinnen vermochte. Bezieht sich der Irrtum auf eine erkennbar schwierige Rechtsfrage und hat der Angeklagte hierzu ein Gutachten eines Rechtsprofessors eingeholt, ist es regelmäßig erforderlich, in den Urteilsfeststellungen neben den die fachliche Qualifikation des Sachverständigen betreffenden Umständen auch den wesentlichen Inhalt des Gutachtens einschließlich etwaiger darin enthaltener Hinweise auf bestehende Gegenansichten und der Auseinandersetzung des Sachverständigen hiermit mitzuteilen. Umstände, die die Person des Angeklagten sowie seinen Lebens- und Berufskreis betreffen, sind festzustellen, soweit sie für die Beurteilung etwaiger eigener Erkenntnismöglichkeiten zu der relevanten Rechtsfrage – zum Zeitpunkt der Tathandlungen – von Bedeutung sein können. (www.gesetze-bayern.de, Zugriff am 14.12.2020).

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BayObLG München, Urt. v. 4.11.2020 – 206 St RR 1459/19-1461/19 (LG Augsburg) nicht rechtskräftig.. Strafbare missbräuchliche Anwendung von Fortpflanzungstechniken . MedR 39, 460–467 (2021). https://doi.org/10.1007/s00350-021-5848-4

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