Zu einer mechanisch bedingten Hebungseinschränkung in Adduktion kommt es kongenital oder erworben über jeweils verschiedene Ursachen. Eine Unterscheidung zwischen diesen beiden Erscheinungsformen ist aufgrund des dadurch bedingten gleichartigen Motilitätsbefunds bisher nicht möglich gewesen. Hierzu müssen deshalb die durch deren verschiedene Ätiologie bedingten Unterschiede berücksichtigt werden. Diese sind für die kongenitalen Fälle ausführlich 2020 im Der Ophthalmologe 117, 1–18 dargelegt und auch für die erworbenen wohl in der Literatur beschrieben worden. Dies ist jedoch weitgehend unbekannt geblieben, weil die unterschiedlichen Fälle mit dieser Motilitätsstörung v. a. in weniger bekannten Zeitschriften oder Proceedings publiziert worden sind. Um nachvollziehen zu können, was publiziert worden ist und welche Rückschlüsse daraus zu ziehen sind, wurden deshalb die wesentlichen publizierten Aussagen und Befunde in dem nachfolgenden Artikel über das erworbene Jaensch-Brown-Syndrom zusammengetragen und wiedergegeben.

Hierbei sind beim 1. und 10. Fall, bei denen auf den publizierten Fotos der für das Verständnis der erworbenen mechanisch bedingten Hebungseinschränkung in Adduktion wesentliche Motilitätsbefund nur schwer zu erkennen ist, die Abbildungen auf den Augenbereich begrenzt und etwas anders angeordnet worden (Abb. 1 und 7 im nachfolgenden Beitrag, https://doi.org/10.1007/s00347-022-01649-9).

Eine gute Vorstellung von der bei den verschiedenen Ursachen jeweils vorgefundenen Motilitätsstörung erhält man über die Befunde der bei den meisten Fällen durchgeführten Untersuchung am Hess-Schirm bzw. dem gleichartigen Koordimeter. Wie aus den dadurch miteinander vergleichbaren Befunden hervorgeht, kommt es bei einer entzündlichen oder traumatischen Ursache zu gleichartigen Motilitätsstörungen – wobei jeweils zwischen 2 unterschiedlichen Verläufen unterschieden werden kann. Es ist hierbei wenig verständlich, warum diese Untersuchung heute kaum noch durchgeführt wird.

Eine mechanisch bedingte Hebungseinschränkung in Adduktion ist erstmals bei einem Fall beschrieben worden, bei dem es hierzu im Zusammenhang mit einem Orbitatrauma gekommen ist (1. Fall). Deren Zustandekommen konnte aber erst beim Vergleich mit den Befunden erklärt werden, die bei Patienten mit einer entzündlichen Genese dieser Motilitätsstörung erhoben worden sind.

Die überwiegende Ursache bei den erworbenen Fällen ist eine Schwellung/ein Knoten in der Sehne des betroffenen Obliquus superior hinter der Trochlea, wodurch bei der physiologischerweise bei Hebung in Adduktion erfolgenden Dehnung des M. obliquus superior die Sehne nicht durch die Trochlea gleiten kann.

Da die Sehne hinter der Trochlea in einem ganz schmalen unzugänglichen Bereich zwischen dem Bulbus und der Orbita verläuft (Cover-Bild – [ohne Orbitadach]), ist die Schwellung/der Knoten dort nicht problemlos zugänglich. Eine Erklärung, wie es hierzu kommt, ist deshalb v. a. dadurch möglich, dass bei der Hand – wo beim Ringband hinter dem Grundgelenk und der Sehne des Beugermuskels identische anatomische Verhältnisse vorliegen – es aufgrund gleichartiger Ursachen wie bei der Obliquus-superior-Sehne ebenfalls zu einer Schwellung/einem Knoten bei der Sehne des Beugermuskels kommt.

Eine Schwellung oder Knoten bei der Sehne hinter der Trochlea kann aber gut palpiert werden, wobei dies bei einer entzündlichen Genese schmerzhaft sein kann. Diese Untersuchung sollte – auch zur Unterscheidung von den kongenitalen Fällen – deshalb immer durchgeführt werden.

Durch Palpation kann zwischen kongenitalen und erworbenen Fällen unterschieden werden

Bei einem Vergleich der bisher publizierten ersten Fälle mit verschiedenen Ursachen für eine erworbene mechanische Hebungseinschränkung in Adduktion erkennt man darüber hinaus, dass beim Vorliegen einer Schwellung/eines Knotens es noch zu einer zusätzlichen Motilitätsstörung kommt: Denn bei allen publizierten Fällen, wo eine solche beschrieben worden ist oder angenommen werden kann, zeigt sich, dass bei diesen Fällen hierdurch außer der Hebungseinschränkung in Adduktion in diesem Blickfeldbereich auch die Adduktion bei Hebung eingeschränkt ist.

Diese Motilitätsstörung kann bei einigen erworbenen Fällen darüber hinaus bei einer – möglichst wiederholten oder länger anhaltenden – forcierten Hebung in Adduktion sprungartig überwunden werden – was mit einem „Klick“ einhergeht.

Zur Vermeidung der Hebung und der hierbei auftretenden Diplopie wird von vielen Patienten mit dieser Motilitätsstörung eine Kopfzwangshaltung (KZH) eingenommen, wobei das Kinn angehoben wird. Wie störend dies für die betroffenen Patienten ist, wird bei dem 10. Fall deutlich, der deshalb ab dem 15. Lebensjahr über 4 Jahre Blickübungen durchgeführt hat, worunter es erst zu einer intermittierenden Hebungseinschränkung mit „Klick-Phänomen“ und am Schluss sogar vollständigen Normalisierung der Motilität gekommen ist (Abb. 7, https://doi.org/10.1007/s00347-022-01649-9).

Aus diesem Verlauf kann aber auch darauf geschlossen werden, dass als Therapie bei den frühkindlichen Fällen Motilitätsübungen durchgeführt werden sollten, die mit einer Okklusionsbehandlung kombiniert werden.

Es handelt sich danach bei den erworbenen- um ein von den kongenitalen Fällen sich deutlich unterscheidendes Syndrom, bei dem andere therapeutische Maßnahmen erforderlich sind.