Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Leserinnen und Leser,

Augenheilkunde in Zeiten der Corona-Pandemie stellt eine große Herausforderung sowohl im ambulanten als auch im stationären Sektor dar. Mit diesem Leitthema wollen wir Sie über die aktuellen und für Augenärzte wichtigen und relevanten Erkenntnisse informieren. Als diesjähriger DOG-Kongress Präsident hätte ich mir das Graefe-Jahr und die Organisation des Kongresses natürlich anders vorgestellt und gewünscht. Eine Reihe wichtiger nationaler und internationaler Fachtagungen, aber auch die kleineren Fortbildungen und studentischen Untersuchungskurse und Vorlesungen fielen den notwendigen Sicherheitsmaßnahmen zum Opfer. Der zunächst von mir gar nicht so unangenehm empfundenen Entschleunigung an den sonst im Frühjahr sehr vollen Wochenenden wich nach kurzer Zeit die Erkenntnis, dass mir der bislang als selbstverständlich angesehene persönliche wissenschaftliche und kollegiale Austausch sehr fehlt und auch webbasierte Seminare und Videokonferenzen dies nicht ersetzen können. Ich bin sicher, dass es vielen von Ihnen ähnlich ergeht. Auch Albrecht von Graefe war dieser persönliche Austausch immer ein großes Anliegen gewesen.

Solange keine wirksame Therapie oder Impfung gegen COVID-19 zur Verfügung steht, werden wir uns an eine neue Normalität in der augenärztlichen Tätigkeit, sei es in Praxis, Klinik, aber auch in Forschung und Lehre gewöhnen müssen.

Als DOG-Präsident möchte ich Sie alle aber auch ermutigen, die mit der Pandemie verbundenen großen Herausforderungen anzunehmen. Gemeinsam werden wir diese außergewöhnliche Situation bewältigen. So ist es uns wichtig, Sie mit neuen Erkenntnissen zu diesem Thema zu versorgen.

Auf Initiative und unter der Leitung von Herrn Prof. Bartz-Schmidt wird ein DOG-Symposium „SARS-CoV-2-Infektion und Auge“ stattfinden. Es lag nahe, Ihnen einen Teil der Inhalte dieses Symposiums zeitnah in einem Leitthema auch in schriftlicher Form zu präsentieren. Ich möchte mich ganz herzlich bei allen mitwirkenden Autoren für ihre Arbeit und Mühe bedanken, die sich bereit erklärt haben, ihre Erkenntnisse innerhalb einer sehr kurzen Zeitspanne zu verschriftlichen, und übergebe für die inhaltliche Vorstellung der einzelnen Themen an Prof. Bartz-Schmidt.

Hans Hoerauf

Einführung ins Leitthema

Die SARS-CoV-2-Pandemie hat zu gravierenden Anpassungen des Alltags weltweit geführt. Auch die langsame Lockerung der einschneidenden Maßnahmen erlaubt noch keine Normalität – weder im privaten Leben noch im beruflichen Umfeld. Dies wirkt sich ebenso auf das Gesundheitswesen und damit auch für die Augenheilkunde aus, jetzt und in der Zukunft.

Die Infektion wird auch in Zukunft mit dem Namen von Li Wenliang, unserem augenärztlichen Kollegen aus Wuhan, verbunden bleiben, weil er rein klinisch schon frühzeitig die Gefahren der durch die neue Coronavirusvariante SARS-CoV‑2 verursachten Lungenentzündung COVID-19 erkannte und seine ärztlichen Kollegen davor warnte. Mit nur 33 Jahren verstarb Li Wenliang an den Folgen von COVID-19.

Mit dem Leitthema „SARS-CoV-2-Infektion und Auge“ wollen die Autoren eine erste Orientierung geben und so zu einem besseren Verständnis der ophthalmologischen Fragestellungen im Zusammenhang mit der SARS-CoV-2-Infektion in der Augenheilkunde beitragen.

Um die Versorgung von Augenpatienten mit nicht aufschiebbaren, operativ zu versorgenden akuten Erkrankungen unter Pandemiebedingungen sicherzustellen, sind spezielle Anpassungen des Betriebskonzeptes insbesondere den Augenkliniken abverlangt worden, deren Klinikum an der überregionalen intensivmedizinischen Versorgung von mit SARS-CoV‑2 infizierten Patienten teilgenommen hat. Exemplarisch berichtet Herr Pankaj Singh wie es die Frankfurter Universitäts-Augenklinik geschafft hat, den Hygiene- und Abstandsanforderungen im Bereich der stationären und ambulanten konservativen und operativen Versorgung gerecht zu werden. Von Frau Luisa Schwarz erfahren wir, welche besonderen Merkmale intensivpflichtige Patienten mit SARS-CoV-2-Infektion aufwiesen und wie diese optimal zu betreuen sind.

Im Anschluss erklärt Herr Marius Ueffing Wesentliches zu den Grundlagen der SARS-CoV-2-Virusreplikation und Immunologie. Herr Tarek Bayyoud berichtet im Anschluss über erste Ergebnisse zu Untersuchungen an der menschlichen Hornhaut von verstorbenen Patienten nach Infektion mit SARS-CoV‑2. Ein RNA-Nachweis konnte bisher bei keinem der untersuchten Augen geführt werden. Zwar deckt sich dieser Befund nicht mit Berichten der European Eyebank Association, wonach bei Spendern das SARS-CoV2-Virus in 4 % bei 2 der befragten Hornhautbanken gefunden wurde. Allerdings ist in dieser Umfrage nicht näher spezifiziert, wie genau die Diagnostik erfolgte (PCR der HH, PCR des Mediums …) und zu welchem Zeitpunkt der Erkrankung die Entnahme, z. B. bei asymptomatischen Trägern, vorgenommen wurde. Diese Befunde deuten darauf hin, dass es in seltenen Fällen zu einer Infektion der Kornea mit SARS-CoV‑2 kommen kann. Dazu passt, dass die für die Infektion erforderliche ACE2- und TMPRSS2-Rezeptorausstattung tatsächlich auch in der Hornhaut vorhanden ist, wie Herr Sven Schnichels in seinem Beitrag zeigen wird. Ganz wesentlich erscheint es dabei, die Vorgehensweise zur Sicherung des Ausschlusses einer SARS-CoV-2-Virusinfektion der Hornhaut jetzt zu erarbeiten. Hierzu wird Herr Sebastian Thaler als eine Option die Modalitäten zur Untersuchung von Kulturmedien darstellen. Im Gegensatz zur Hornhaut sind ACE2 und TMPRSS2 in der Bindehaut nur in sehr geringen Mengen nachzuweisen, was eine konjunktivale Infektion durch SARS-CoV‑2 über diese Mediatoren wenig wahrscheinlich macht. Dennoch sind bei 1 % der Infizierten Bindehautentzündungen beschrieben. Herr Clemens Lange geht daher den Fragen nach: Kann SARS-CoV‑2 die Bindehaut infizieren und sich dort replizieren? Können Gesunde über den Tränenfilm infiziert werden?, und: Ist der Tränenfilm Erkrankter infektiös?

Ganz wesentlich ist aber auch der Schutz der Mitarbeitenden in der Augenheilkunde. Nach eine aktuellen Umfrage von 2036 Ärzten in Weiterbildung in New York zwischen dem 03. und 12.04.2020 hatten 4,4 % einen positiven PCR-Nachweis. Dabei war der Anteil unter 282 befragten Anästhesisten mit 7,4 % am höchsten. Aber auch bei 177 Augenärzten in Weiterbildung wurde mit 5,1 % ein deutlich über dem Durchschnitt liegender Anteil von Betroffenen, noch vor den Otorhinolaryngologen mit 5 % von 40, gefunden. Interessanterweise waren die diagnostischen Radiologen mit 1 % und auch die Pathologen mit 3,7 % deutlich weniger betroffen. Da wir in der Augenheilkunde im Wesentlichen ältere und damit von Komorbiditäten betroffene Patienten behandeln, stellt die Versorgung dieser Bevölkerungsgruppe hohe Anforderungen an die Organisationsabläufe der Einrichtungen und das Personal. Herr Focke Ziemssen wird uns zum Immunstatus SARS-CoV‑2 in einer Stichprobe von Gesundheitsberufen und den Effekten auf den Klinikbetrieb berichten, Frau Katrin Wacker die speziellen ophthalmologischen Schutzmaßnahmen in der COVID-19-Pandemie darlegen, und Herr Alexander Rohkohl wird in seinem Beitrag unter anderem auch auf die besonderen Hygienemaßnahmen eingehen. Zum Verständnis des Infektionsgeschehens tragen auch die histologischen Befunde von 3 Post-mortem-Augen bei. Frau Karin Löffler beschreibt präzise die vorhandenen Pathologien der in Basel entnommenen Bulbi. Die von ihr gefundenen milden konjunktivalen Entzündungszellinfiltrationen unterscheiden sich dabei nicht von den üblichen Post-mortem-Befunden und lassen somit keine Rückschlüsse auf eine spezifische okuläre Beteiligung bei der SARS-CoV-2-Infektion zu. Ganz wesentlich können natürlich Infektionsketten vermieden werden, wenn Patienten den Besuch beim Augenarzt nur dann antreten müssen, wenn dies für die Behandlung unabdinglich ist. Die diesbezüglich von den deutschen Kliniken erarbeiteten Strategien werden von Herrn Lars-Olaf Hattenbach und Frau Nicole Eter dargestellt. Bereits bekannte Patienten können in manchen Fällen auch durch eine telemedizinische Beratung heute mit den Mitteln einer Videosprechstunde evaluiert und dadurch persönliche Arztbesuche eingespart werden. Zur Darstellung der Zufriedenheit mit einer Videokonsultation und deren Grenzen dient die Arbeit von Herrn Rokas Gerbutavicus. Die Corona-Pandemie wird uns mit großer Wahrscheinlichkeit auch noch im kommenden Jahr begleiten. Eine sichere und gleichzeitig wirksame Behandlung ist derzeit noch nicht in Sicht, und wann eine neutralisierende Impfung in ausreichendem Umfang zur Verfügung steht, ist ebenfalls noch nicht absehbar. Insofern bleiben die bisherigen Maßnahmen zur Infektionsvermeidung durch konsequente Umsetzung der Hygieneanforderungen ein Muss in der augenärztlichen Versorgung.

Karl Ulrich Bartz-Schmidt