Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Leserinnen und Leser,

die Idee zu diesem Leitthema entspringt einem Kurs, den die Referenten der folgenden 3 Beiträge in den letzten Jahren regelmäßig im Rahmen des AAD(Augenärztliche Akademie Deutschland)-Kongresses zu diesem Thema gehalten haben. Der Zuspruch und die positiven Rückmeldungen bestärkten mich darin, dass eine Auswahl aus dem Spektrum retinologischer Notfälle auch für die Leserinnen und Leser des Leitthemas des Ophthalmologen von Interesse sein kann.

Notfälle spielen in der Retinologie eine sehr große Rolle

Bei der Zusammenstellung der Themen wurde mir wieder klar, warum ich die Retinologie als meinen klinischen Schwerpunkt gewählt habe. Neben der Versorgung einer Reihe wichtiger chronischer Netzhaut- und Makulaerkrankungen spielen die Notfälle in dieser Subspezialität der Augenheilkunde eine sehr große Rolle. Nicht nur die korrekte differenzialdiagnostische Einordnung ist dabei gefragt, sondern auch klinische Erfahrung ist von großer Relevanz, um individuell auf den einzelnen Patienten abgestimmt die richtige Entscheidung zu treffen. In welchen Fällen kann unter vertretbarem Risiko zugewartet werden, und kann dies vielleicht sogar Vorteile bringen, und in welchen Fällen stellt dies ein Risiko dar? Die Liste der retinologischen Notfälle hätte ein ganzes Heft gefüllt, sodass wir zu einer Auswahl gezwungen waren. Andere ebenso bedeutsame retinologische Notfälle wie die Endophthalmitis, die Virusretinitis oder retinale arterielle Gefäßverschlüsse finden hier keine Erwähnung, stellen aber nicht minder dringliche und wichtige Krankheitsbilder dar.

Für die Präsentation in diesem Leitthema wurden die klinisch häufigen Krankheitsbilder – die akute Glaskörperblutung, die rhegmatogene Netzhautablösung und die submakuläre Blutung – ausgewählt.

Im ersten Beitrag von Treumer und Roider geht es um die sehr häufige klinische Fragestellung, wie lange man bei einer akuten Glaskörperblutung abwarten kann. Die Autoren schildern anschaulich das diagnostische Vorgehen, die große Bedeutung der gründlichen Anamnese, differenzialdiagnostische Überlegungen und das therapeutische Vorgehen je nach zugrunde liegender Erkrankung. Gerade bei Glaskörperblutungen im Rahmen einer akuten hinteren Glaskörperabhebung finden sich in über der Hälfte der Fälle Netzhautforamina, die wiederum in einem Drittel der Fälle unversorgt zu einer rhegmatogenen Ablatio führen. Diese ist dann bei gleichzeitigem Vorliegen von Blut im Glaskörper und der wegen Zuwartens auf Resorption verzögerten chirurgischen Versorgung häufiger durch eine proliferative Vitreoretinopathie kompliziert. Hier hat sich aufgrund dieser Kenntnisse und mit Verbesserung der operativen Techniken eine frühe Intervention gegenüber einer regelmäßigen Ultraschallkontrolle mit limitierter Sensitivität heute durchgesetzt. Gleiches gilt für die Versorgung einer diabetogen bedingten Blutung. Wichtig ist hier die Erkenntnis, dass eine intravitreale Anti-VEGF(„vascular endothelial growth factor“)-Therapie nicht zu einer signifikant schnelleren Aufklarung der Blutung führt. Sehr wichtig ist bei unklarer Glaskörperblutung auch die exakte spaltlampenmikroskopische Untersuchung, da eine Rubeosis iridis Hinweise auf eine neovaskuläre Ursache gibt und eine Operation dringlicher macht. Bei einer diabetischen Retinopathie als Grunderkrankung würde meist das zweite Auge hinweisend sein, aber zu etwa einem Drittel liegt einer unklaren Glaskörperblutung ein retinaler Venenverschluss zugrunde. In einem sehr interessanten Abschnitt gehen die Autoren auf die Ursachen von Glaskörperblutungen bei Kindern und die Bedeutung von Systemerkrankungen ein.

Im zweiten Beitrag von Feltgen et al. wird auf die schwierige Frage des richtigen Zeitpunkts der operativen Versorgung einer rhegmatogenen Netzhautablösung eingegangen. Dabei ist natürlich zu unterscheiden, ob die Makula beteiligt ist oder nicht. Die aktuelle Literatur zeigt, dass die Ergebnisse einer Versorgung im Routinebetrieb bessere Ergebnisse und weniger Komplikationen aufweist als eine Operation nachts oder am Wochenende. Kritisch wird das Risiko einer Progression der Ablatio gegenüber dem einer Versorgung außerhalb des Routinebetriebs abgewogen und der Einfluss weiterer Faktoren, wie z. B. der Allgemeinzustand des Patienten, besprochen. Wichtige Aspekte der präoperativen Lagerung werden diskutiert. Anhand der aktuell verfügbaren Literatur wird diskutiert, in welchen Fällen bzw. bei welchen Ausgangssituationen mit vertretbarem Risiko eine Verzögerung um wenige Tage verantwortbar ist und damit eine Versorgung unter idealen Operationsbedingungen möglich ist. Die Autoren weisen darauf hin, wie wichtig bei diesem häufigsten retinologischen Notfall eine sorgfältige Patientenkommunikation ist.

In der dritten Publikation von Hattenbach et al. wird auf eine weitere retinologische Ursache einer akuten Visusverschlechterung durch eine submakuläre Blutung im Rahmen einer exsudativen Makuladegeneration sowie die Notwendigkeit und das Timing einer Therapie eingegangen. Je nach Befund, d. h. Ausdehnung, Lage und Ursache der Blutung, ändert sich das therapeutische Vorgehen. Widersprüchlich dabei ist die Kenntnis aus älteren experimentellen Studien, wie schnell sich ein Photorezeptorschaden bei Vorliegen von subretinalem Blut entwickelt, und die klinische Erfahrung, dass nach Resorption der Blutung, sei es spontan oder im Rahmen einer intravitrealen Anti-VEGF-Therapie, in vielen Fällen doch eine signifikante Visusbesserung erreicht wird. Dies macht es auch für den erfahrenen Augenarzt manchmal nicht ganz einfach zu entscheiden, ab wann ein invasiveres, z. B. subretinales Vorgehen im Rahmen einer Vitrektomie tatsächlich Vorteile gegenüber einer konsequenten Fortsetzung einer intravitrealen Therapie mit VEGF-Inhibitoren bringt. Ein evidenzbasierter therapeutischer Stufenplan lässt sich bislang zwar nicht erstellen, jedoch skizzieren die Autoren sehr anschaulich ihr eigenes Vorgehen anhand praxisrelevanter Fallbeispiele. Dabei schildern sie die Vor- und Nachteile der verschiedenen aktuellen Methoden, eine Verdrängung bzw. Resorption einer submakulären Blutung zu erreichen, und zeigen auf, wie wichtig auch bei diesem retinologischen Notfall ein flexibles, dem individuellen Befund angepasstes therapeutisches Vorgehen ist und welche diagnostischen Hilfsmittel für diese Einordnung von Nutzen sein können. Besonders interessant ist der abschließende Abschnitt der Autoren, in denen sie auf prädiktive Faktoren wie Blutungsausdehnung sowie -lokalisation eingehen und diskutieren, welchen Einfluss das Timing der Versorgung auf das zu erwartende Ergebnis haben kann.

Für die 3 ausgewählten und oben beschriebenen Krankheitsbilder gilt, dass nicht immer die besonders schnelle Operation im Rahmen einer nächtlichen Versorgung oder eine Operation am Wochenende auch ein besonders funktionelles Ergebnis bedeutet. Auch aus anderen operativen Fächern ist bekannt, dass Komplikationsraten außerhalb der Regelversorgung zunehmen, was als sog. „Wochenendeffekt“ bezeichnet wird. Nachvollziehbarerweise neigen Patienten dazu, einen ungünstigen funktionellen Ausgang mit einer Verzögerung der Operation zu korrelieren, insbesondere wenn sie als Notfall überwiesen wurden und die Operation aber nicht sofort erfolgte. Sie vermögen verständlicherweise nicht zu differenzieren zwischen der Folge der Grunderkrankung unabhängig vom Zeitpunkt der Operation, der Folge einer intraoperativen Komplikation und der Folge einer zeitlichen Verzögerung der Versorgung. Diese oft nicht einfache Abwägung zu treffen liegt in der Entscheidung des Arztes, bedarf einer großen Erfahrung und eines ausführlichen erklärenden Gespräches mit dem Patienten und der sorgfältigen Dokumentation. Umso wichtiger ist daher auch ein abgestimmtes und konsentiertes Vorgehen zwischen den ambulanten und stationären Ophthalmologen, um Patienten nicht durch widersprüchliche Aussagen zu verunsichern.

Eine regelmäßige Auffrischung des aktuellen Kenntnisstandes in Bezug auf das zeitgerechte Management retinologischer Krankheitsbilder und eine möglichst niederschwellige Kommunikation zwischen zuweisenden und operativen Kollegen sind von größter Bedeutung, um optimale Behandlungsergebnisse zu erzielen und Missverständnissen mit späteren unnötigen Auseinandersetzungen vorzubeugen. Eine dafür notwendige und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Praxen und Kliniken aufzubauen und zu pflegen lässt sich nur in regelmäßigen Qualitätszirkeln und gemeinsamen Fortbildungen mit dem Ziel eines abgestimmten Vorgehens erreichen.

Abschließend möchte ich mich bei den Autoren herzlich bedanken für die Mühe der Erstellung ihrer interessanten Beiträge und wünsche Ihnen bei der Lektüre viel Freude und Wissensgewinn.

Ihr

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Hans Hoerauf