Liebe Leserinnen und Leser,

Prof. Dr. Albrecht von Graefe war eine außergewöhnliche Persönlichkeit, die wir anlässlich seines 150. Todestages im Rahmen eines Graefe-Jahrs würdigen wollen. So ist es mir eine große Freude, das Editorial für den CME-Artikel „Albrecht Graefe und der Beginn der modernen Augenheilkunde. Graefe-Jahr 2020“ aus der Feder meines geschätzten Kollegen Jens Martin Rohrbach zu schreiben, der über ein beeindruckendes und umfassendes Wissen zur Person Albrecht von Graefes verfügt.

Es dürfte den meisten von Ihnen bekannt sein, dass Albrecht von Graefe unsere Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft gründete und das Graefe’s Archiv auf ihn zurückgeht. Die Lektüre des sehr kurzweiligen Beitrags wird Ihnen darüber hinaus aber noch eine Reihe weiterer interessanter Aspekte zur Person Albrecht von Graefes, seinem Umfeld und der Zeit, in der er wirkte, vermitteln. Es gelingt dem Autor, einen Bogen zu spannen von den Ursprüngen der Augenheilkunde über die Verselbstständigung des Faches zur herausragenden Rolle, die Albrecht von Graefe dabei spielte. Lassen Sie sich mitnehmen in die Augenheilkunde des 19. Jahrhunderts, zu den Anfängen unserer jährlichen Treffen und der Gründung der ältesten augenärztlichen Gesellschaft der Welt.

Ein Artikel – so interessant er auch geschrieben ist – kann aber nur einen Einstieg in die Thematik und die spannenden geschichtlichen Zusammenhänge verschaffen. So würde ich mich sehr freuen, wenn dieser Artikel Ihre Begeisterung und Interesse an der Person Albrecht von Graefes im Kontext der Geschichte der Augenheilkunde weckt und Sie neugierig macht, tiefer in diese interessante Zeit einzusteigen. Es ist mir daher ein wichtiges Anliegen, Sie auf ein besonderes Buch aufmerksam zu machen, welches ganz neu im Springer Verlag erschienen ist. Es handelt sich um eine aktuelle Biografie „Zum 150. Todestag: Albrecht von Graefe (1828–1870). Das Gewissen der Augenheilkunde in Deutschland“, in der viele neue Informationen und Briefwechsel enthalten sind. Jens Martin Rohrbach ist es darin gelungen, den Menschen von Graefe aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten und nicht nur ein berufliches, sondern auch ein privates Bild von Graefe vor dem geistigen Auge des Lesers entstehen zu lassen.

Die Rahmenbedingungen, innerhalb derer von Graefe wirkte, waren ganz andere, aber dennoch sollten wir uns ab und an seine Prinzipien ins Gedächtnis rufen, die empathisches ärztliches Wirken zum Wohle des Patienten und die Weiterbildung mit der Weitergabe seines Wissens an seine vielen Schüler in den Vordergrund stellten. Einige Briefe von Graefes, in denen er seine Verhandlungen mit dem Ministerium und dessen Reaktionen kommentierte, erinnern mich doch sehr an Gespräche mit Verwaltungen unserer heutigen Universitätskliniken. Gerade in Zeiten, in denen kontroverse Diskussionen zur Ökonomisierung der Medizin und Priorisierungsdebatten an der gesundheits- und berufspolitischen Tagesordnung sind, ist für mich Albrecht von Graefe ein Vorbild in ärztlicher und moralischer Hinsicht. Es lohnt sich, aktuelle akademische und berufspolitische Entwicklungen in unserem Fach durch die Brille Albrecht von Graefes zu betrachten, und sollte für alle Augenärzte Anlass sein zu reflektieren.

Als diesjähriger Präsident der DOG möchte ich die Gelegenheit nutzen, Jens Martin Rohrbach nicht nur für diesen Artikel, sondern auch für seine Unterstützung während des Graefe Jahrs meinen herzlichen Dank auszusprechen, und darf in diesem Zusammenhang Sie nicht zuletzt auf die von ihm verfassten sehr lesenswerten Beiträge zum Graefe Jahr auf der Homepage der DOG aufmerksam machen. Ein Blick/Klick lohnt sich!

Albrecht von Graefes Ansinnen war der kollegiale Austausch, „den Gesichtskreis zu erweitern“, die Pflege beruflicher Freundschaften über Ländergrenzen hinweg und das gemeinsame Verarbeiten von medizinischen Erfolgen, aber auch Niederlagen. Genau dieser Geist beseelt unseren DOG-Kongress noch heute. Umso mehr frage ich mich natürlich, wie uns das in Zeiten einer Pandemie gelingen kann. Zu Lebzeiten von Graefe’s gab es auch ansteckende Erkrankungen, so leitete er selbst eine Choleraklinik. Die Einstellung zum Leben war damals sicherlich eine andere und in gewisser Weise fatalistischer. So war es „normal“, auch in jüngeren Jahren an verschiedensten, heute gut behandelbaren Erkrankungen, darunter viele Infektionskrankheiten, zu versterben. Ich bin aber sicher, dass Albrecht von Graefe mit heutigem Fachwissen sich für die Sicherheit seiner Kolleginnen und Kollegen und damit in diesem Jahr gegen eine Ausrichtung des Kongresses als Präsenzveranstaltung entschieden hätte. Er hätte alles versucht das Beste daraus zu machen, damals ging das nur schriftlich per Post. Heute stehen uns für einen wissenschaftlichen Austausch ganz andere technische Kommunikationsmöglichkeiten zur Verfügung, von denen Albrecht von Graefe sicher Gebrauch gemacht hätte, auch wenn dies die so wichtigen persönlichen Kontakte nicht ersetzen kann.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Freude beim Lesen dieses Beitrags über eine der bedeutendsten Persönlichkeiten in der Augenheilkunde.

Ihr

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Hans Hoerauf

Präsident der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft