Die Bildgebung mittels optischer Kohärenztomographie hat einen wichtigen Stellenwert bei der klinischen Betreuung von Glaukompatienten erlangt. Im vorliegenden Beitrag wird der Frage nachgegangen, ob strukturelle Endpunkte als Basis für die Zulassung neuer Medikamente zur Glaukombehandlung bei klinischen Studien akzeptiert werden sollen. Um diese Frage zu beantworten, ist das Verständnis des Zusammenhangs von Struktur und Funktion von zentraler Bedeutung.

Die Senkung des Augeninnendrucks (Intraokularduck [IOD]) ist die einzige evidenzbasierte Therapie des primären Offenwinkelglaukoms [39, 50, 79]. Dies basiert auf einer Reihe klinischer Studien, die gezeigt haben, dass eine Senkung des IOD zu einer Reduktion der Glaukomprogression führt [26, 47]. Seit Jahrzehnten wird intensiv untersucht, ob es auch andere Interventionsmöglichkeiten zur Verhinderung des Absterbens retinaler Ganglienzellen und deren Axonen gibt. Dieser Ansatz wird als Neuroprotektion bezeichnet, ein Terminus, der ursprünglich in der Neurologie verwendet wurde [28] und später für neurodegenerative Erkrankungen des Auges adaptiert wurde [81]. Dabei kommt eine ganze Reihe von Ansätzen infrage, wobei sowohl hämodynamische Interventionen [11, 16], biomechanische Interventionen [63] als auch das direkte pharmakologische Eingreifen in den apoptotischen Zelltod von retinalen Ganglienzellen diskutiert werden [32, 40]. Die Realisierung dieses Konzepts hat sich jedoch als schwierig herausgestellt. Einerseits ist die Pathogenese des Glaukoms komplex, und ein vollständiges Verständnis der Vorgänge, die zum Tod retinaler Ganglienzellen führen, fehlt. Andererseits ist es schwierig, im Rahmen klinischer Studien einen signifikanten Behandlungseffekt zu zeigen.

Für neuroprotektive Studien kommt klarerweise der IOD als Zielvariable nicht infrage, da eine Reduktion der Glaukomprogression unabhängig okulär hypotensiver Effekte erreicht werden soll. Dementsprechend muss eine Zielvariable gewählt werden, die den Glaukomschaden direkt widerspiegelt. Dabei steht natürlich der funktionelle Glaukomschaden im Vordergrund, sodass das perimetrisch erhobene Gesichtsfeld die natürliche Zielvariable darstellt. Hierbei sind jedoch 2 zentrale Probleme zu beachten. Einerseits ist das Glaukom eine langsam progrediente Erkrankung, und Veränderungen im Gesichtsfeldschaden entwickeln sich über viele Jahre [2, 65, 83]. Andererseits zeigt die Computerperimetrie eine signifikante Variabilität bei mehrmaliger Wiederholung, die die Detektion von Progression erschwert [9]. Die einzige große Studie zur direkten Neuroprotektion, in der der N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptorantagonist Memantin untersucht wurde, zeigte negative Ergebnisse [67]. Seitdem wurde die Möglichkeit alternativer Studiendesigns oder alternativer Zielvariablen intensiv diskutiert [73]. In der vorliegenden Übersichtsarbeit soll das Konzept, strukturelle Zielvariablen zu verwenden, diskutiert werden.

Regulatorischer Standpunkt

Die Zulassung neuer Medikamente wird in der Europäischen Union durch die European Medical Agency (EMA) und in den Vereinigten Staaten von Amerika durch die Food and Drug Administration (FDA) reguliert. Um den Standpunkt dieser Behörden zu verstehen, ist zuerst eine Begriffsklärung notwendig. Ein Charakteristikum einer Erkrankung, das objektiv als Indikator eines normalen biologischen Prozesses, eines pathologischen Prozesses oder als Antwort auf eine therapeutische Intervention gemessen werden kann, wird als Biomarker bezeichnet. Abhängig von der Stärke der Evidenz für einen Biomarker werden mögliche, wahrscheinliche und definitive Biomarker definiert. Als klinischer Endpunkt wird eine Variable definiert, die charakterisiert, wie lange eine Erkrankung dauert („Remission“), wie schnell eine Erkrankung wieder auftritt („Rezidiv“) oder sich verschlechtert oder wie lange ein Patient überlebt. Diese klar definierten und messbaren Endpunkte werden als sog. „harte“ Endpunkte bezeichnet und bilden meist die Grundlage einer Zulassung eines Arzneimittels. In Bezug auf ophthalmologische Erkrankungen ist beispielsweise ein natürlich klinischer Endpunkt die Zeit bis zur Erblindung eines Patienten.

Als Surrogatendpunkt wird ein Biomarker bezeichnet, der selbst nicht von direkter Bedeutung für den Patienten ist, aber stark mit den patientenrelevanten klinischen Endpunkten assoziiert ist. Die starke Korrelation des Surrogatendpunkts mit dem klinischen Endpunkt ist notwendig, aber nicht hinreichend, um einen Biomarker als Surrogatendpunkt zu etablieren. Entscheidend aus regulatorischer Sicht ist, dass eine Veränderung des Surrogatendpunkts prädiktiv für eine Veränderung des patientenrelevanten klinischen Endpunkts ist. Das gilt sowohl für den natürlichen Verlauf der Erkrankung als auch für den Verlauf nach therapeutischen Interventionen. Dabei ist zu beachten dass dieser prädiktive Wert des Surrogatendpunkts unabhängig vom Wirkmechanismus sein muss. Insofern ist auch das Gesichtsfeld streng genommen als Surrogatendpunkt zu verstehen, da davon ausgegangen wird, dass die Geschwindigkeit des Gesichtsfeldverlusts über die Zeit ein guter Prädiktor für das zukünftige Risiko einer Erblindung ist. Letzteres ist auch durch klinische Daten gut belegt [68, 71].

In Bezug auf bildgebende Verfahren liegt die Sachlage komplexer. Eine Reihe von aktuellen Artikeln beschreibt die Haltung der FDA [88, 89] und der EMA [92] in dieser Frage. In Bezug auf den Standpunkt der FDA werden 3 zentrale Punkte hervorgehoben:

  1. 1.

    Welche Technik liefert reproduzierbare Messungen, um klinisch relevante Änderungen zu detektieren?

  2. 2.

    Welche Veränderung ist klinisch relevant? Welche strukturellen Veränderungen korrelieren stark mit Veränderungen im Gesichtsfeld?

  3. 3.

    Wie lange müssen strukturelle Veränderungen vorhanden sein, um Änderungen im Gesichtsfeld zu verursachen, und inwieweit sind solche Veränderungen für zukünftige Veränderungen im Gesichtsfeld prädiktiv?

In der kürzlich erschienenen Zusammenfassung der Position der EMA wird klargemacht, dass nach derzeitigem Erkenntnisstand kein struktureller Parameter als Surrogatendpunkt für Glaukomstudien akzeptiert wird [92].

Zusammenhang zwischen Funktion und Struktur bei Glaukom

Die Pathogenese des Glaukoms ist bis zum heutigen Datum nicht vollständig aufgeklärt, und die Mechanismen, die zum Absterben retinaler Ganglienzellen führen, sind nur ungenügend charakterisiert. Die meisten Modelle gehen aber davon aus, dass der Glaukomschaden im Bereich des N. opticus beginnt, wobei eine Kombination aus erhöhtem Intraokularduck, veränderten biomechanischen Eigenschaften und veränderten Perfusionsbedingungen dazu beitragen dürfte [5, 11, 66]. Dadurch kommt es zu einer Schädigung der Axone des N. opticus und als Folge zu einem Absterben der korrespondierenden retinalen Ganglienzellen, was schließlich zu einem lokalisierten Gesichtsfeldverlust führt. Auf mikroskopischer Ebene ist daher eine starke lokalisierte Korrelation zwischen dem Ausfall des Gesichtsfelds und dem Verlust retinaler Ganglienzellen zu erwarten. In Bezug auf den Zusammenhang des Verlusts von Axonen und dem Verlust des Gesichtsfeldes liegt die Sachlage komplexer. Der genaue zeitliche Ablauf zwischen der Schädigung des Axons und dem Abstreben des Somas ist unbekannt. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass es hier ein Zeitfenster gibt, das potenziell auch zur Neuroprotektion retinaler Ganglienzellen genutzt werden kann.

Standardverfahren zur klinischen Bildgebung im Bereich der Glaukomuntersuchung ist die OCT

Im klinischen Alltag ist diese Korrelation zwischen Struktur und Funktion jedoch oft schwer zu detektieren. Dies liegt daran, dass weder das Absterben einzelner Ganglienzellen oder deren Axone durch Bildgebung dargestellt, noch die Antwort einzelner Ganglienzellen auf Lichtreize in vivo untersucht werden kann. Das Standardverfahren zur klinischen Bildgebung im Bereich der Glaukomuntersuchung stellt heute die optische Kohärenztomographie (OCT) dar. Dabei werden v. a. 2 Protokolle verwendet.

Messung der retinalen Nervenfaserschichtdicke

Es handelt sich dabei um die erste Technik, die zur Glaukomdiagnose, basierend auf OCT, entwickelt wurde. Sowohl für die Diagnose des Glaukoms als auch für die Progressionsanalyse mittels dieser Technik existiert Grad-2-Evidenz, basierend auf mehreren klinischen Studien [51]. Dabei wird ein zirkulärer Scan verwendet, der etwa 3–4 mm im Durchmesser hat und am Sehnervenkopf zentriert wird. Alternativ kann auch eine 3‑dimensionale Rekonstruktion des N. opticus erfolgen, aus der die Nervenfaserschichtdicke extrahiert wird. Die Analyse basiert auf dem Vergleich mit einer Normdatenbank von gesunden Augen, wobei die Wahrscheinlichkeit für eine Abweichung vom Normalwert farbkodiert dargestellt wird. Dazu wird der zirkuläre Scan in Segmente eingeteilt, wobei zwischen 4 und 12 Sektoren verwendet werden. Generell ist die Korrelation der Nervenfaserschichtdicke mit dem Glaukomschaden gut dokumentiert. Wie gut die Sensitivität und die Spezifität für die Glaukomdetektion sind, hängt v. a. vom Ausmaß der glaukomatösen Schädigung ab. So werden natürlich Glaukome mit moderaten und schweren Schädigungen mit größerer Wahrscheinlichkeit detektiert als Glaukome mit geringen Schädigungen oder präperimetrische Glaukome [6]. Probleme existieren bei stark myopen Augen, bei denen der Sehnerv schräg eintritt [95, 96], und bei Augen mit Anomalien des N. opticus [8]. Des Weiteren ist zu bedenken, dass eine Reihe anderer Erkrankungen ebenfalls zu einer Reduktion der retinalen Nervenfaserschichtdicke führt. In diesem Zusammenhang sind Alzheimer und Demenz [12, 18], Parkinson [94], multiple Sklerose [85], amyotrophe Lateralsklerose [58], Multisystematrophie [22], zerebrale autosomal-dominante Arteriopathie [76], Fibromyalgie [24], Wolfram-Syndrom [98], Schizophrenie [80] sowie optische Neuropathien [30, 43, 45] zu nennen. Außerdem ist zu bedenken, dass eine altersbedingte Reduktion der Nervenfaserschichtdicke zu beobachten ist [49, 86], die im Durchschnitt 0,3–0,5 μm pro Jahr ausmacht.

Der Zusammenhang zwischen einem regionalen Verlust der Nervenfaserschichtdicke und einem regionalen Verlust des Gesichtsfeldes ist komplex, und es ist eine Reihe von Faktoren zu berücksichtigen. Dabei ist einerseits zu beachten, dass die Messung der Nervenfaserschichtdicke außer retinalen Nervenfasern auch noch andere Bestandteile enthält, wobei v. a. Gliazellen und Blutgefäße zu nennen sind. Da sowohl Gliazellen als auch Blutgefäße bei Glaukom pathologische Veränderungen zeigen, können Änderungen in der gemessenen Nervenfaserschichtdicke zumindest teilweise auch durch diese Strukturen bedingt sein. Um eine Struktur-Funktions-Beziehung bei Glaukom, basierend auf Messungen der retinalen Nervenfaserschichtdicke, zu erstellen, ist es einerseits notwendig, das Ausmaß des Verlusts retinaler Ganglienzellen in Zusammenhang mit dem Verlust von Axonen und andererseits mit dem visuellen Sensitivitätsverlust, wie er in der Gesichtsfelduntersuchung erhoben wird, zu bringen. Es muss also eine Relation zwischen der lokalen visuellen Perzeption und der lokalen Dichte der Somas und Axone retinaler Ganglienzellen definiert werden.

Garway-Heath et al. [25, 27] haben eine Karte erstellt, die anzeigt, in welchen Bereichen ein Verlust lokaler Axone einen Gesichtsfeldausfall bedingt. Dieses Modell wurde in den letzten Jahren im Prinzip experimentell bestätigt und weiter verfeinert [31, 33, 34]. Dabei ist jedoch eine Reihe von limitierenden Faktoren zu berücksichtigen, die zur Folge haben, dass das Modell individuell erhobene klinische Daten nicht perfekt widerspiegelt. Wie bereits im vorigen Absatz erwähnt, misst man bei der Bestimmung der retinalen Nervenfaserschichtdicke Gewebekomponenten, die keine Axone sind. Daher geht auch bei vollständigem Verlust retinaler Axone die Nervenfaserschichtdicke nicht auf 0 zurück, und es bleibt eine Residualdicke bestehen [59]. Diese ist nicht nur abhängig vom verwendeten OCT-Gerät, sondern zeigt auch eine beträchtliche interindividuelle Variabilität. Der Verlust retinaler Nervenfaserschichtdicke wird, wie bereits erwähnt, gegenüber der Normdatenbank des Geräts quantifiziert. Um aber in der Lage zu sein, den wahren Schwund der retinalen Nervenfaserschichtdicke zu quantifizieren, wäre es daher notwendig, eine OCT-Messung vor Beginn der Erkrankung beim selben Individuum durchzuführen, was natürlich nicht möglich ist.

Des Weiteren muss eine Annahme bezüglich des Zusammenhangs zwischen der lokalen Verteilung von retinalen Ganglienzellen und den Bereichen im OCT-Scan rund um den N. opticus getroffen werden. Dafür existieren Modelle, die den Verlauf retinaler Nervenfaserbündel mathematisch beschreiben [37, 38], deren prinzipielle Validität auch experimentell gezeigt wurde [35]. Dennoch ist auch hier eine signifikante interindividuelle Variabilität zu erwarten, wobei unter anderem die relative Lage zwischen der Makula und dem N. opticus eine Rolle spielt. Eine Methode zur Darstellung des Verlaufs dieser Trajektorien ist derzeit nicht verfügbar, obwohl es bereits möglich ist, mittels adaptiver Optik OCT einzelne Nervenfasern in lokalen Bereichen der Netzhaut zu visualisieren [60]. Schließlich muss ein Zusammenhang zwischen den im Gesichtsfeld getesteten Punkten und der lokalen Verteilung retinaler Ganglienzellen etabliert werden. Basis für diese Beziehung ist ein Modell, das den Verlust visueller Sensitivität in Zusammenhang mit der lokalen Verteilung von retinalen Ganglienzellen bringt. Dabei ist einerseits die retinale Exzentrizität zu beachten, andererseits die Tatsache, dass retinale Sensitivität bei der Perimetrie in logarithmischen Werten angegeben wird [52].

Messung der makulären Ganglienzelldichte

Ein alternativer Ansatz ist, die Dicke der Ganglienzellschicht im Bereich der Makula zu untersuchen [41]. Dabei werden von verschiedenen Herstellern unterschiedliche Protokolle benutzt. Es wird entweder der makuläre Ganglienzellkomplex, der als Summe der Nervenfaserschicht, der Ganglienzellschicht und der inneren Plexiformschicht definiert ist, segmentiert oder nur die Summe der Ganglienzellschicht und der inneren Plexiformschicht. Die Bildgebung erfolgt in den zentralen 6 × 6 mm, da die Ganglienzellschicht in der Peripherie so dünn wird, dass sie mittels der axialen Auflösung, die kommerziell erhältliche OCT-Systeme liefern, nicht mehr gemessen werden kann. Der Vergleich des diagnostischen Potenzials der Makulamessungen mit Messungen der retinalen Nervenfaserschichtdicke hängt stark vom Phänotyp des Glaukoms ab. Je zentraler der Gesichtsfeldschaden desto besser schneidet die Makulabildgebung ab [84].

Viele der im Abschnitt „Messung der retinalen Nervenfaserschichtdicke“ angeführten Limitationen gelten natürlich auch für die Bildgebung der retinalen Ganglienzellschicht. Insbesondere die Tatsache, dass das Absterben retinaler Ganglienzellen nicht spezifisch für die Glaukomerkrankung ist, sondern auch bei einer Reihe anderer zerebraler und ophthalmologischer neurodegenerativer Erkrankungen auftritt, erschwert die Analyse der Ergebnisse. Was die Interpretation von Struktur-Funktions-Zusammenhängen, basierend auf Ganglienzellschichtvermessung weiter erschwert, ist, dass Veränderungen in der retinalen Ganglienzellschichtdicke auch bei anderen Erkrankungen mit hoher Prävalenz wie altersbedingter Makuladegeneration [44] und diabetischer Retinopathie auftreten [17, 62, 87]. Dennoch gibt es auch signifikante Vorteile der Messung retinaler Ganglienzellschicht im Bereich der Makula. Der wichtigste dieser Vorteile bezieht sich auf die Detektion von Glaukom bei starker Myopie [41]. In Bezug auf die Erstellung der Struktur-Funktions-Beziehung hat die Messung der retinalen Ganglienzellschichtdicke ebenfalls signifikante Vorteile gegenüber der Messung der Nervenfaserschichtdicke, da sie ein direkteres Maß für die lokale Dichte retinaler Ganglienzellen liefert. Dementsprechend gibt es eine verhältnismäßig starke Korrelation zwischen dem Ganglienzellverlust, wie er aus der Ganglienzellschichtdickenmessung abgeschätzt wird, und jenem, wie er aus dem Gesichtsfeld errechnet wird [74]. Zu beachten ist dabei allerdings, dass periphere Gesichtsfeldschäden schlechter in der Messung der Ganglienzellschichtdicke, wie sie derzeit klinisch durchgeführt wird, repräsentiert werden.

Relation zwischen Glaukomprogression und strukturellen Veränderungen

Glaukom ist eine langsam progressive Erkrankung, bei der es typischerweise viele Jahre dauert, bevor es zu einer Einschränkung der Lebensqualität kommt. Dennoch kommt es bei den meisten Patienten zu einer Zunahme des Gesichtsfelddefekts, wenn die Beobachtungsdauer nur lange genug ist. Die Progressionsrate bei Glaukompatienten zu bestimmen ist von zentraler klinischer Bedeutung, da sie für die Festlegung des Zieldrucks, der unter Therapie erreicht werden soll, relevant ist. Ziel der Therapie ist, diese Progressionsrate zu reduzieren und damit zu verhindern, dass es zu einer massiven Gesichtsfeldschädigung kommt.

Ziel der Therapie ist zu verhindern, dass es zu einer massiven Gesichtsfeldschädigung kommt

Mehrere statistische Verfahren zur Quantifizierung der Progression wurden etabliert und werden bei der Auswertung von Gesichtsfelddaten eingesetzt [3, 7, 64]. Wesentlich weniger Daten gibt es in Bezug auf die Progression struktureller Parameter sowie deren prädiktiven Wert für die Zunahme von Gesichtsfeldschäden. Wenn Defekte in der Nervenfaserschicht bereits manifest und mittels OCT detektierbar sind, zeigt sich die Progression v. a. als Erweiterung dieser Defekte oder als Entwicklung neuer Defekte, nicht aber als Vertiefung dieser Defekte [48]. Eine Reihe von Studien zeigt, dass die jährliche Abnahme der retinalen Nervenfaserschichtdicke bei progressiven Glaukompatienten signifikant schneller vor sich geht als bei stabilen Patienten [1, 48].

Neben der Frage der Korrelation zwischen strukturellen und funktionellen Schäden bei Glaukom, die in den beiden vorangehenden Abschnitten behandelt wurde, ist die Frage von Bedeutung, wie das Verhältnis zwischen strukturellen und funktionellen Schäden im Verlauf der Glaukomerkrankung ist. Bereits frühe Studien, die noch OCTs verwendeten, die das Signal im Zeitbereich („time domain“) analysierten, zeigten, dass die Messung der retinalen Nervenfaserschichtdicke über die Zeit eine Risikostratifizierung für den Gesichtsfeldverlust erlaubt [55]. Des Weiteren wurde gezeigt, dass es einen nahezu linearen Zusammenhang zwischen dem Verlust retinaler Ganglienzellen und dem Verlust der retinalen Nervenfaserschichtdicke gibt bis zu jenem Stadium der Erkrankung, in dem die Nervenfaserschichtdicke in das Residualstadium übergeht [57]. Im Gegensatz dazu ist der Zusammenhang zwischen dem Gesichtsfeldverlust und dem Verlust retinaler Ganglienzellen stark vom Glaukomstadium abhängig. In frühen Stadien führt auch ein relativ massiver Verlust von Zellen nur zu geringen Veränderungen im Gesichtsfeld, während in späteren Stadien dieser Zusammenhang deutlich steiler wird. Bei stark fortgeschrittenem Glaukom wird das Gesichtsfeld auch bei geringem Ganglienzellverlust deutlich schlechter [57].

Eine zentrale Frage ist, ob der Verlust retinaler Ganglienzellen durch eine Kombination von strukturellen und funktionellen Parametern besser vorausgesagt werden kann als durch die Messung des Gesichtsfelds alleine. In der Tat legen mehrere Studien dies nahe. So zeigt eine Studie, in der 213 Glaukompatienten longitudinal beobachtet wurden, dass eine kombinierte Analyse struktureller und funktioneller Parameter den Verlust retinaler Ganglienzellen besser detektieren kann als jede Methode alleine [56]. Modelle, die die Bayes-Methoden zur Analyse von Glaukomprogression verwenden, weisen generell darauf hin, dass die Vorhersage der Progressionswahrscheinlichkeit verbessert werden kann, wenn strukturelle Parameter oder Risikofaktoren mit einbezogen werden [36, 53, 54, 77, 97]. Weitere Studien zeigen, dass ein Verlust der retinalen Nervenfaserschichtdicke auch prädiktiv für eine Verschlechterung der Lebensqualität in der Zukunft ist [29]. Dennoch ist der Zusammenhang zwischen der Progression von Gesichtsfeldschäden und der Zunahme des strukturellen Schadens derzeit nicht gut charakterisiert. Die relativ wenigen vorhandenen Daten legen nahe, dass der Zusammenhang nicht linear ist und stark abhängig vom Stadium der Erkrankung.

Neue Ideen der Bildgebung bei Glaukom

Es ist klar, dass zwar auf mikroskopischer Ebene eine starke Korrelation zwischen Struktur und Funktion bei Glaukom gegeben ist, aber dass derzeitig klinisch verfügbare bildgebende Verfahren diesen Zusammenhang nicht adäquat wiedergeben. Die erhobenen OCT-Parameter lassen zu diesem Zeitpunkt keine Punkt-zu-Punkt-Korrelation zwischen strukturellen und funktionellen Daten zu. Es gibt jedoch eine Reihe neuerer Verfahren, die dazu beitragen könnten, diese prinzipielle Assoziation zwischen strukturellem und funktionellem Schaden besser zu dokumentieren.

Kombination adaptiver Optik mit optischer Kohärenztomographie

In den letzten Jahren wurden signifikante Verbesserungen in der axialen Auflösung der OCT erzielt. Dies kann erreicht werden, falls Lichtquellen mit sehr großer Bandbreite verwendet werden. Im Gegensatz dazu ist die transversale Auflösung der Geräte in den letzten Jahren kaum besser geworden. Das liegt daran, dass die laterale Auflösung durch die Imperfektionen der optischen Medien determiniert ist. Eine Möglichkeit, dieses Problem zu lösen, ist, OCT mit adaptiver Optik zu kombinieren und damit laterale Auflösung von weniger als 5 μm zu realisieren [72]. Mit dieser Technik ist es möglich, einzelne Faserbündel in der Nervenfaserschicht zu detektieren [72]. Des Weiteren können Details der Lamina cribrosa wie deren Porengröße und deren Verteilung visualisiert werden [20, 60], die bei Glaukom frühe Schädigungen zeigen [21]. Mittels eines modifizierten Adaptive-Optik-Scanning-Laser-Ophthalmoskops ist es kürzlich auch gelungen, einzelne Ganglienzellen in der Netzhaut sichtbar zu machen [75]. Es gibt jedoch einige Limitationen, die gelöst werden müssen, bevor die Methode klinisch zum Einsatz gebracht werden kann:

  • die hohen Kosten,

  • der geringe Bereich, der abgebildet werden kann,

  • die starke Abhängigkeit von der Transparenz der Medien.

DARC-Technologie

Bei der DARC(„detection of apoptosing retinal cells“)-Technologie handelt es sich um ein Verfahren, um absterbende retinale Zellen darzustellen. Obwohl das Verfahren initial bereits 2004 vorgestellt wurde [14], sind die ersten Ergebnisse am Menschen erst rezent publiziert worden [15]. Dabei wird fluoreszenzmarkiertes Protein, das Annexin 5, zur Bildgebung mittels Scanning-Laser-Ophthalmoskopie verwendet. Annexin 5 ist ein Protein, das an negativ geladene Phospholipide bindet, wenn große Mengen an Kalzium vorhanden sind, wie das bei durch Apoptose absterbenden Neuronen der Fall ist.

Mit der DARC-Technologie können absterbende retinale Zellen dargestellt werden

In einer vor Kurzem publizierten kombinierten Phase-I/II-Studie ist es gelungen zu zeigen, dass mehr apoptotische Netzhautzellen an Glaukompatienten als an Gesunden detektiert werden [15]. Die Methode hat hohes Potenzial für die Zukunft der Bildgebung bei Glaukom, es sind aber auch noch Probleme zu bewältigen. So ist die Sicherheit der Annexin 5-Verabreichung derzeit nur bei einer kleinen Anzahl von Patienten gezeigt. Zudem ist die Technik aufgrund der fehlenden Tiefenauflösung nicht spezifisch für retinale Ganglienzellen, sondern alle retinalen Zellen, die sich in Apoptose befinden, werden detektiert. Dementsprechend ist unklar, inwieweit eine Differenzierung zu anderen retinalen neurodegenerativen Erkrankungen der Netzhaut wie altersbedingte Makuladegeneration oder diabetische Retinopathie möglich ist.

OCT-Angiographie, Doppler-OCT und Messung der retinalen Sauerstoffextraktion

Vaskuläre Faktoren wurden seit Langem in der Pathophysiologie des Glaukoms diskutiert [11, 61]. Bis heute ist nicht vollständig geklärt, ob diese Perfusionsveränderung eine Ursache oder eine Folge der Erkrankung ist. Die Messung des okulären Blutflusses ist jedoch kompliziert, und viele Methoden haben signifikante Limitierungen [78]. In den letzten Jahren sind durch funktionelle Erweiterungen der OCT neue Möglichkeiten zur Visualisierung und Quantifizierung des Blutflusses am Auge etabliert worden. Dabei sind v. a. die OCT-Angiographie und die Doppler-OCT zu nennen [10, 46]. Bei Ersterer werden Gefäße mittels Korrelationstechniken ohne die Zuhilfenahme von Farbstoffen visualisiert. In der Tat zeigt sich, dass bei Glaukom eine stadienabhängige Reduktion der Dichte von Mikrogefäßen zu beobachten ist [13, 42, 93]. Eine Quantifizierung der retinalen Perfusion mittels OCT-Angiographie ist aber bis heute nicht möglich.

Mittels Doppler-OCT kann die retinale Perfusion bestimmt werden [4, 19, 90]. Bei Patienten mit Hemifeld-Defekt wird eine ausgeprägte Reduktion der retinalen Durchblutung im betroffenen Bereich detektiert [82]. Kombiniert man die Technik mit Messungen der retinalen Sauerstoffsättigung, kann die gesamte retinale Sauerstoffextraktion gemessen werden [23, 69, 70, 91]. Bei Glaukom ist das von speziellem Interesse, da eine lineare Abnahme der retinalen Sauerstoffextraktion mit dem Verlust retinaler Ganglienzellen zu erwarten ist. In der Tat gibt es eine starke Korrelation zwischen dem Gesichtsfeldschaden bei Glaukom und der Reduktion der retinalen Sauerstoffextraktion (unpublizierte Daten). Modelle, die lokalen Verlust von Struktur und Funktion in Zusammenhang mit lokalen Perfusionsstörungen setzen, fehlen aber derzeit.

Ausblick und Zusammenfassung

Derzeit werden strukturelle Parameter von den Zulassungsbehörden nicht als Surrogatendpunkte für Zulassungsstudien anerkannt. Das liegt v. a. daran, dass die lokale Korrelation zwischen strukturellen und funktionellen Schäden bei Glaukom, insbesondere im Verlauf der Erkrankung, nicht gut genug etabliert ist und nicht gezeigt ist, dass strukturelle Veränderungen prädiktiv für Erblindung sind. Es ist aber insbesondere auch die Frage, ob es überhaupt wünschenswert ist, dass strukturelle Endpunkte für Zulassungsstudien bei Glaukom herangezogen werden sollen. Typischerweise geschieht dies bei Erkrankungen, bei denen der klinische Endpunkt de facto nicht in klinischen Studien erhebbar ist. Bei Glaukom zeigen jedoch aktuelle Studien, dass, falls perimetrische Gesichtsfelduntersuchungen nur häufig genug durchgeführt werden, eine Beobachtungsdauer von 2 Jahren durchaus ausreichend sein kann, um neuroprotektive Effekte zu detektieren [26].

Eine Beobachtungsdauer von 2 Jahren kann ausreichen, um neuroprotektive Effekte zu detektieren

Im Licht dieser Ergebnisse erscheint den Autoren dieses Beitrags die Etablierung struktureller Parameter als Surrogatendpunkte für Phase-3-Studien als derzeit unrealistisch. Strukturelle Parameter könnten aber eine wichtige Rolle bei Phase-2-Studien und Proof-of-concept-Studien für neuroprotektive Glaukomtherapie spielen. Da strukturelle Parameter geringere Streuung als funktionelle Parameter zeigen, gibt es die Möglichkeit, solche Studien mit geringeren Patientenzahlen und geringerer Studiendauer durchzuführen. Neue Techniken zur Bildgebung, die eine bessere Charakterisierung des Struktur-Funktions-Zusammenhangs bei Glaukom ermöglichen, werden dabei eine wichtige Rolle spielen.

Fazit für die Praxis

  • Die derzeitige Evidenz lässt die Verwendung struktureller Endpunkte als Surrogatendpunkte für Phase-3-Studien bei Glaukom nicht zu.

  • Neuroprotektive Medikamente müssen auf Basis von Gesichtsfelduntersuchungen zugelassen werden, da es sich dabei um den patientenrelevanten Endpunkt handelt.

  • Strukturelle Endpunkte könnten aber in der Zukunft eine wichtige Rolle bei Phase-2-Studien oder Proof-of-concept-Studien spielen.