Die klinische Diagnose „Usher-Syndrom“ (USH) umfasst eine Gruppe klinisch und genetisch heterogener Erkrankungen, die mit angeborener oder frühkindlicher Innenohrschwerhörigkeit und z. T. auch vestibulären Störungen sowie einer im späteren Leben hinzutretenden Netzhautdegeneration in Form einer Retinitis pigmentosa (RP) einhergehen. Bei ca. 10% der Patienten mit angeborener sensorineuraler Schwerhörigkeit und bei 20–40% der Patienten mit autosomal-rezessiver RP liegt ein Usher-Syndrom vor.

Aktuelle Relevanz hat diese Thematik nicht zuletzt aufgrund des seit Januar 2009 gesetzlich vorgeschriebenen Hörscreenings bei Neugeborenen. Dies wird voraussichtlich zu einer verbesserten Früherkennung von Usher-Betroffenen führen, die im Zuge der diagnostischen Abklärung dann auch dem Augenarzt vorgestellt werden.

In den Industrieländern stellt das Usher-Syndrom eine häufige Ursache von Taubblindheit dar und ist für ca. 50% der Fälle verantwortlich. Nach den Symptomen unterscheidet man 3 klinische Subtypen: Das Usher-Syndrom Typ 1 (USH1; 33–44% aller USH-Fälle, wobei sich die Zahlen auf USH-Patienten in den USA und Nordeuropa beziehen) stellt den schwerwiegendsten Subtyp dar, der durch angeborene Taubheit, Störung der vestibulären Funktion und frühzeitig einsetzende RP gekennzeichnet ist. Bei USH2 (56–67% der Fälle) fehlt die vestibuläre Beteiligung, und der Zeitpunkt der Manifestation der RP ist variabel. Die mildeste und vermutlich insgesamt seltenste Form stellt USH3 dar. Die klinische Ausprägung dieses genetischen Subtyps ist sehr variabel und kann in einigen Fällen als USH1 imponieren.

Die in der Regel schwerwiegende Beeinträchtigung von Hören und Sehen hat erhebliche Konsequenzen für Betroffene. Es wird deshalb nach Wegen gesucht, die Erkrankung zu behandeln oder die Patienten zumindest optimal zu unterstützen. Gerade wegen der starken Beeinträchtigung des visuellen Systems sollten die differenzierten Möglichkeiten der Rehabilitation des auditorischen Systems von digitalen, teil- und vollimplantierbaren Hörgeräten bis hin zu Kochleaimplantaten ausgeschöpft werden.

Die Identifizierung der verantwortlichen Gene spielt beim Usher-Syndrom eine große Rolle. Sie ist Voraussetzung, um ggf. schon im frühen Kindesalter einschätzen zu können, ob der angeborenen Hörstörung später eine Netzhautdegeneration folgen wird. Darüber hinaus führt die Charakterisierung der beteiligten Gene und der durch sie kodierten Proteine zu einem besseren Verständnis der molekularen Prozesse, die zur Erkrankung führen. Das gerade in den letzten Jahren stark zunehmende Interesse an der Pathophysiologie von Ziliopathien wird dies noch weiter unterstützen. Zum Erkenntnisfortschritt auf diesem Gebiet hat die europäische (und hier wiederum die deutsche) Forschung bisher erheblich beigetragen.

Der erste Übersichtsartikel geht auf die molekularen Grundlagen des Usher-Syndroms ein und hebt den schon jetzt anwendbaren Nutzen, aber auch Probleme bei der molekulargenetischen Diagnosestellung hervor. In einem zweiten Artikel werden das typische klinische Erscheinungsbild, die diagnostisch wegweisenden Untersuchungsbefunde und die aktuellen Therapieoptionen sowohl aus augenärztlicher als auch aus HNO-ärztlicher Sicht vorgestellt.

H. J. Bolz