Der Beckenboden (BB) ist in seinem strukturellen Aufbau und seiner Funktion ein komplexer Körperbereich. Er erfährt im Alterungsprozess physiologische Veränderungen, ist in den Lebensphasen aber auch geschlechterspezifisch unterschiedlich belastenden Prozessen ausgesetzt. Nichtoperative Behandlungsansätze am BB fokussieren auf das Training der Muskelfunktion. Zu diskutieren ist, ob Interventionen, die das fasziale Gewebe des BB und dessen propriozeptive Funktion ansprechen, gerade im Alter mehr Beachtung finden sollten.

Der Beckenboden (BB) bildet die kaudale Begrenzung des Becken-Bauch-Raums. Er überspannt die Innenseite des Beckenrings, ist mehrschichtig angelegt und multidimensional ausgerichtet ([1]; Abb. 1). Interessant ist der hohe fasziale Anteil innerhalb der BB-Strukturen. Der BB erfüllt mehrere sehr unterschiedliche Funktionen. Er stützt die Beckenorgane Blase und Enddarm von kaudal ab und sichert deren topographische Lage während der ständig ablaufenden Füllungs- und Entleerungsvorgänge. Zudem sichert er wichtige Lage- und Winkelverhältnisse am vesikourethralen und anorektalen Übergang und unterstützt so die Speicherung und Entleerung von Harn und Stuhl (Abb. 2). In dieser Funktion besteht ein im menschlichen Körpersystem einzigartiges Zusammenspiel zwischen den vegetativ unwillkürlich gesteuerten Ausscheidungsorganen und dem somatisch willkürlich innervierten BB-System. Bei der Frau stabilisiert der BB das untere Drittel der Scheide und indirekt die Gebärmutter. Beim Mann werden der Blasenfundus und das obere Drittel der Urethra über die Prostatadrüse mechanisch gestützt. Dies entlastet relativ die Supportfunktion des BB. Bei operativen Eingriffen an der Prostata wird dieses mechanisch stabile System wesentlich labilisiert.

Abb. 1
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Der Beckenboden wirkt als Stabilisator der Beckenorgane und des Beckenrings. (Mit freundl. Genehmigung, © Andreas Bauer, Lehrstuhl für makroskopische und klinische Anatomie, Medizinische Universität Graz, Zeichnungen, alle Rechte vorbehalten)

Abb. 2
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Mechanosensoren beeinflussen die sensorische Repräsentation des Beckenbodens (BB) im Gehirn. Kollagene Fasern organisieren sich bezüglich Ausrichtung, Dichte und Elastizität durch mechanische Reize. Die Gleitfähigkeit der Strukturen des BB sorgt für deren ungestörte Funktion. (Mit freundl. Genehmigung, © Andreas Bauer und Dr. Andreas Sammer, Lehrstuhl für makroskopische und klinische Anatomie, Medizinische Universität Graz, Zeichnungen, alle Rechte vorbehalten)

Der BB steht in einem synergistischen Zusammenspiel mit der „Rumpfkapsel“ [2, 3]. In diesem System werden über die ständig ablaufenden Atembewegungen des Diaphragma pulmonale intraabdominelle Druckwechsel erzeugt, die an der Bauch- und Rückenwand sowie dem BB Tonusanpassungen im Sinne eines exzentrischen Nachgebens und konzentrischen „Rückfederns“ fordern [4]. Somit wird die Stabilisationsleistung dieser Rumpfsysteme zu einer dynamischen Funktion, was für die Stoffwechselprozesse in den Geweben und die Erhaltung einer hohen Reaktionsbereitschaft als sinnvoll erachtet werden kann.

Als innerer Stabilisator des Beckenrings überspannt der BB das iliosakrale Gelenk und die Symphyse. Durch seine ventrodorsale Ausrichtung zwischen Os coccygis und Sakrum nimmt er Einfluss auf die Nutationsstellung des Sakrums und die Extensionsstellung im lumbosakralen Übergang [6]. Über die gemeinsame Ansatzstelle des M. obturatorius internus und M. levator ani steht der BB in einer Spannungsübertragung aus der unteren Extremität und reagiert auf Beinbewegungen [5, 6].

Beckenboden und Alter

Die Strukturen des BB unterliegen physiologischen Alterungsprozessen. Auf muskulärer Ebene hat dies ab dem 60. Lebensjahr eine Abnahme von Muskelmasse zur Folge [7]. Zusätzlich kommt es im Bindegewebe zu einer Reduktion von Elastizität, Hydratation und Gleitfähigkeit. Dies führt zu einer verminderten Fähigkeit, die Funktionen des BB sicher und zuverlässig zu erfüllen, und erklärt die in der Literatur beschriebenen Dysfunktionen der Miktion und Defäkation sowie Zustände von Organsenkung. Trowbridge et al. [8] konnten bei 82 Nullipara im Alter von 21 bis 70 Jahren feststellen, dass mit höherem Alter durch Reduktion der willkürlichen Muskelfasern und der Faserdichte im M. sphincter urethrae externus der maximale urethrale Verschlussdruck um 15 cm H2O pro Dekade sinkt. Zudem führen Umbauprozesse des paraurethralen Gewebes dazu, dass die bindegewebigen Anteile höher werden. Die Durchblutung vermindert sich und es kommt zu einer reduzierten nervalen Versorgung. Burnett et al. [9] fanden in einer Kadaverstudie eine altersabhängige Zunahme der Gewebesteifigkeit im weiblichen BB und eine Abnahme von Belastbarkeit, Dehnbarkeit und Kontraktilität betroffener myofaszialer Strukturen. Der Verlust an Elastizität und der Abbau von faszialem Tonus wird als Ursache für eine verminderte Rekrutierungsfähigkeit und muskulärer Kraft diskutiert [10]. Verändert sich zudem die propriozeptive Innervation im Gewebe, wird sich dies auf die Repräsentation des BB im Körperbild und die selektive Körperwahrnehmung auswirken [11]. DeLancey et al. [12] geben an, dass 11 % aller Frauen eine derart starke Form der BB-Dysfunktion erleben, dass ein operativer Eingriff notwendig wird.

Die Häufigkeit aller Formen der Harninkontinenz steigt bei Frauen nach der Menopause deutlich an und wird mit einer Inzidenz von 20–40 % bei älteren Frauen beschrieben [13]. Harninkontinenz ist neben Demenz und Stuhlinkontinenz bei den über 65-Jährigen eine der häufigsten Alterserkrankungen. Bei Männern treten Kontinenzstörung später auf und werden meist primär durch operative Eingriffe an der Prostata ausgelöst. Die Prävalenz für alle Formen der männlichen Kontinenzstörung liegt bei 4,4 % [14].

Beckenboden im Lebenszeitmodell

DeLancey et al. [12] beschreiben für das Altern des weiblichen BB ein 3‑phasiges „life span model“ und suchen nach Erklärungsmodellen für Faktoren und Interdependenzen, die den Alterungsprozess beeinflussen. Für den männlichen BB gibt es kein vergleichbares Modell, jedoch können die Ansätze der Lebensphasen für beide Geschlechter betrachtet werden. Als „prädisponierende“ Phase beschreiben die Autoren die Zeit des Wachstums und der Entwicklung. In dieser Zeit werden über genetisch determinierende und Lebensstilfaktoren Ressourcen aufgebaut, die den Grundstein für eine gute Resistenz gegen spätere negativ beeinflussende Faktoren bilden. In einer 2. Phase wirken Belastungen wie z. B. Schwangerschaften und Geburten oder operative Eingriffe an den Beckenorganen auf das BB-System. Ohne adäquate Behandlung bleiben Narben, Verlust an Elastizität und Gleitfähigkeit sowie reduzierte Mechanosensitivität als Quellen für Funktionsdefizite bestehen und stören die BB-Funktion möglicherweise nachhaltig. Die 3. Lebenszeitphase ist gekennzeichnet durch den fortschreitenden Alterungsprozess. Neben den degenerativen Veränderungen in Muskel- und Bindegewebe kommt es zur Reduktion des allgemeinen Leistungszustands. Zusätzlich können Krankheiten des metabolischen, kardiorespiratorischen, neurogenen und psychischen Systems zum Auftreten von BB-Dysfunktionen beitragen. Dies kann dazu führen, dass sich die Belastungen aus der 2. Phase nicht mehr kompensieren lassen.

Behandlungsansatz „Muskeltraining“

Die Wirksamkeit eines selektiven Beckenbodentrainings (BBT) auf Heilung oder Symptomminderung bei der weiblichen Harninkontinenz und Organsenkung ist wissenschaftlich sehr gut nachgewiesen [15]. Daher besteht eine evidenzbasierte Empfehlung für das BBT als First-Line-Behandlungsansatz bei Harninkontinenz [16]. Keine eindeutige Aussage gibt es zu Best-Practice-Modellen für BBT [17]. Jedoch scheint es erwiesen zu sein, dass am Beginn jedes Trainings die Instruktion der korrekten isolierten Rekrutierungsfähigkeit der BB-Muskulatur stehen soll [16].

Für die Wirksamkeit des BBT auf die männliche Harninkontinenz gibt es bis dato keine eindeutigen wissenschaftliche Nachweise [18]. Allerdings stellt sich die Frage, ob die Trainingsansätze, die bei Frauen wirksam sind, auf den Mann übertragen werden können. So beschreiben Stafford et al. [19] ein Modell der männlichen Kontinenzmechanismen, das als Zielmuskulatur beim Mann das ventrale BB-Kompartment in den Vordergrund rückt.

Gezieltes und intensives Muskeltraining kann bei Älteren wirksam eingesetzt werden

Nachgewiesen wurde, dass ein gezieltes und intensives Muskeltraining bei Älteren wirksam eingesetzt werden kann [20, 21]. Talasz et al. [22] untersuchten 377 geriatrische Patientinnen mit Harninkontinenz auf die korrekte willkürliche Rekrutierungsfähigkeit der BB-Muskulatur. Etwa 65,5 % der Patientinnen hatten keine, 22 % eine insuffiziente und nur 12,5 % eine sichere Muskelkontraktionsfähigkeit. Von den Frauen, die bereits ein BBT absolviert hatten, konnten nur solche korrekt und kraftvoll den BB anspannen, die über digitale Feedbackverfahren individuell instruiert worden waren.

Besonders bei älteren Personen ist es daher wichtig, die selektive Rekrutierungsfähigkeit für die BB-Muskulatur zu schulen [22]. Taktile und gerätegestützte Feedbackmethoden oder die Verwendung von zusätzlichen Innervationshilfen wie funktionelle Elektrostimulation können gut eingesetzt werden und ermöglichen das Erlernen der korrekten Anspannung als Voraussetzung für ein Training in allen Altersstufen (Tab. 1). Formen des Hypertrophietrainings tragen zum Erhalt von Muskelmasse und Faserdichte bei. Ein Training der Schnellkraft und des „pre-timing“, also einer zeitlich vorgeschalteten BB-Kontraktion bei schnellen intraabdominellen Druckerhöhungen, wirkt auf die motorische Kontrollfähigkeit [23].

Tab. 1 Korrekte Anspannung des Beckenbodens (BB)

Propriozeption und sensomotorische Kontrolle

Im BB finden sich unterschiedliche Formen von „faszialem“ Gewebe. Forschungsergebnisse zeigen, dass Faszien propriozeptiv innerviert sind und daher als Wahrnehmungsorgan eine hohe Bedeutung in der sensomotorischen Kontrollfunktion haben ([10, 24]; Abb. 2). Für den Aufbau einer belastbaren Faserarchitektur und für die physiologische Organisation kollagener Fasernetzwerke wird eine mechanisch gerichtete funktionelle Nutzung benötigt. Propriozeptiv afferente Informationen sind für das sensorische Feedback von Bewegungsfunktionen in Haltung und Bewegung zuständig. Sie sind wichtig, um die muskuläre Feinabstimmung in der Bewegungsausführung zu gewährleisten. Diese Funktion läuft unwillkürlich und unbewusst ab. Häufig gebrauchte alltägliche Bewegungsmuster werden als automatisiertes sensomotorisches Muster im Gehirn gespeichert [11]. Durch Üben und gezielte Wahrnehmungslenkung können kinästhetische Sinnesqualitäten bewusst gemacht werden. Den Übenden wird damit eine Möglichkeit gegeben, Körperbereiche selektiv zu spüren und differenziert zu bewegen.

Behandlungsansatz „propriozeptive Integration“

Faszientechniken arbeiten über manuell gesetzte Gewebereize und werden zur Behandlung dysfunktionaler Zustände am Bindegewebe (z. B. fasziale Steifigkeit, Narben, Triggerpunkte) eingesetzt. Diese manuellen Techniken sind geeignet, um die Mechanosensitivität im Gewebe zu beeinflussen und dadurch in die sensomotorische Steuerung einzugreifen. Gekoppelt mit Wahrnehmungsübungen kann somit auf die Qualität der motorischen Kontrollfunktion eingewirkt werden. Aktuell werden derartige Behandlungsansätze am BB nicht standardisiert durchgeführt und die Wirksamkeit ist klinisch nicht erforscht. Die nachfolgend dargestellten 3 Prinzipien eines Behandlungsansatzes mit Fokus auf die Beeinflussung der faszialen Funktion wurden an v. a. älteren Patienten erprobt. Erste Erfahrungen zeigen gute Behandlungsergebnisse und eine hohe Patientenakzeptanz.

Prinzip 1: Wahrnehmung und Selektivität

Ziel der Interventionen ist es, über die Aktivierung von Mechanosensoren ein differenziertes Körperbild des Beckens und des BB anzulegen oder zu erhalten. Durch Palpation am knöchernen Becken und an den zentralen faszialen Gewebestrukturen wird die Wahrnehmung gelenkt. Patienten werden zum bewussten „Spüren“ geführt, indem sie Lokalisation, Stärke, Distanzen und Bewegungsrichtungen der Kontakte differenziert erleben und bewusst rückmelden (Abb. 3). Der Effektnachweis kann über Tests der Oberflächen- und Tiefensensibilität erfolgen.

Abb. 3
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Durch manuelle Palpation werden Wahrnehmung und Orientierung am knöchernen Becken angelegt, in der Eigenübung umgesetzt und im Alltag genutzt

Prinzip 2: innere und äußere Gleitfähigkeit

Der Stoffwechsel soll lokal angeregt, die intrafasziale Mobilität verbessert und die selektive Rekrutierung von Muskeln stimuliert werden. Durch richtunggebende Reize in geringer bis gesteigerter Druckintensität werden Informationen entsprechend der myofaszialen Gewebeausrichtung und der Kontraktionsrichtung von BB-Muskulatur in das Bindegewebe gegeben. Durch bewusste Wahrnehmungslenkung erfasst der Patient die Differenziertheit und Selektivität der „Bewegungsmöglichkeiten“ im BB (Abb. 4). Über tiefe, langsam ausgeführte Drucktechniken werden die Hydratation der Gewebe sowie ein Lösen von Querverbindungen zwischen Gewebeschichten und an Gleitflächen zwischen Muskelschichten und inneren Organen angestrebt. Der fasziale Tonus wird beeinflusst [10]. Bekannte Faszientechniken, z. B. „fascial release“, Triggerpunktbehandlung und viszerale Techniken, können zum Einsatz kommen. Der Effekt lässt sich über Tests der Muskelrekrutierung und vergleichende Palpation der BB-Gewebe nachweisen.

Abb. 4
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Einwirkung auf die Beckenbodenstrukturen durch manuelle Mobilisationen. (Aus Sammer [25], mit freundl. Genehmigung © Andreas Bauer und Dr. Andreas Sammer, Lehrstuhl für makroskopische und klinische Anatomie, Medizinische Universität Graz, alle Rechte vorbehalten)

Prinzip 3: Integration und Koordination

Interventionen üben die BB-Funktion integriert in das myofasziale Kettensystem und in synergistische Funktionsketten des Bewegungssystems. Aktivitäten, die den BB in physiologischer Weise nutzen, werden angeleitet. Die Aktivierung des BB erfolgt als reaktives Geschehen in der motorischen Kontrolle von Alltagsbewegungen. Besonders geeignet sind Aktivitäten, die die Atmung nutzen bzw. die Atemfrequenz und -tiefe variieren wie das Sprechen oder Singen, aber auch Gehbewegungen und gymnastische Übungen, die die BB-Muskulatur in der Kettenfunktion ansteuern. Der Effektnachweis kann über Symptomkontrolle in Kennbewegungen und über vergleichende Palpation erfolgen.

Fazit für die Praxis

  • Die physiologischen Veränderungen am BB-Gewebe führen beim alten Menschen zu einer Fülle von Funktionsstörungen; die Harn- und Stuhlinkontinenz ist die am meisten untersuchte Form.

  • Die Symptome der Kontinenzstörung belasten das soziale Leben alter Menschen wesentlich, was die soziale Vereinsamung und die Reduktion von körperlicher Aktivität unterstützt.

  • Wichtig ist es, in diesen Kreislauf möglichst effektiv einzugreifen und im Verlauf des Lebens rechtzeitig Belastungen und Störungen der BB-Funktion zu behandeln.

  • Muskeltraining wird bereits als Standardbehandlung eingesetzt.

  • Fasziale Techniken, die auf die Qualität und Funktion des Bindegewebes einwirken, würden sich als Behandlungsansatz für den BB anbieten.

  • Diese Behandlungsansätze müssten standardisiert und auf ihre Wirksamkeit hin untersucht werden.